2019 und 2020 forderte der rechte Terror in Hessen elf Todesopfer. Dabei gilt das Bundesland mit vergleichsweise gering ausgeprägten extrem rechten Strukturen und einer relativ niedrigen Zahl an Gewalttaten nicht als rechte Hochburg. Wie passt das zusammen?Um Antworten zu finden haben die Autor_innen die Geschichte rechten Terrors in Hessen nach 1945 aufgearbeitet. Dabei werden Gewalttaten und die dahinterliegenden Strukturen rekonstruiert, zeitgeschichtlich eingeordnet und in ihren Entwicklungen analysiert. Die faktenreiche Arbeit liefert erstmals eine umfassende Darstellung rechten Terrors und kommt zu dem Ergebnis, dass sich dieser wie ein roter Faden durch die Geschichte Hessens zieht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2023Erschreckende Kontinuität
RHEIN-MAIN Beklemmende Chronik: Sascha Schmidt und Yvonne Weyrauch beschreiben in ihrem Buch "Rechter Terror in Hessen" die von Gewalt geprägten Netzwerke der rechtsextremen Szene.
Von Alexander Jürgs
Wann fing es an, das neue Nazis sich in Hessen zusammengeschlossen haben, wann begann ihre Gewalt gegen Andersdenkende und vermeintlich Fremde? Wann formierte sich der rechtsextreme Terrorismus im Bundesland? Erschreckenderweise: bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, gerade einmal fünf Jahre nach der deutschen Kapitulation.
Bund Deutscher Jugend nannte sich die 1950 in Frankfurt gegründete Organisation Ewiggestriger, die nach außen eine bürgerlich-jugendliche Fassade pflegte und - erstaunlich erfolgreich - den Anschluss an demokratisch-konservative Kräfte suchte, in der im Geheimen aber längst wieder von einem Umsturz geträumt wurde. Ein sogenannter Technischer Dienst wurde innerhalb der Organisation gegründet: Man probte Partisaneneinsätze und sammelte Adressen von politischen Gegnern, vor allem von Kommunisten und Sozialdemokraten, und fasste ihre Daten in steckbriefähnlichen "schwarzen Listen" zusammen. Ein Aussteiger enttarnte die Gruppe, 1953 wurden der Technische Dienst sowie dessen Dachorganisation verboten. Juristische Folgen aber hatte die Auflösung der antikommunistischen und paramilitärischen Einheit, die sogar mit amerikanischen Geheimdienstlern zusammengearbeitet hatte, für keines ihrer Mitglieder.
Der Technische Dienst war nur ein Auftakt. Neonazistische Gewalttäter haben sich auch danach in Hessen immer wieder zusammengefunden und tun es bis heute, mal innerhalb von Parteien wie der NPD, Die Rechte oder dem III. Weg, mal in völkischen Jugendverbänden wie der Wiking-Jugend, mal in Wehrsportgruppen oder sogenannten Freien Kameradschaften. In den ersten Jahren der jungen Bundesrepublik waren sie vor allem vom Antikommunismus geprägt. Später berauschten sie sich, irritierenderweise ähnlich wie die linksradikalen Terroristen dieser Zeit, am Antiimperialismus und Antiamerikanismus. Heute hält sie besonders der antimuslimische Rassismus zusammen.
Die Intensität ihrer Gewalttaten hat sich im Lauf der Jahre oft gewandelt. Ruhigere Zeiten wechselten sich mit "Hochphasen" ab. Besonders zu Beginn der Achtziger- und der Neunzigerjahre sowie nach 2014 stieg die Zahl der Übergriffe stark.
Das Buch mit dem Titel "Rechter Terror in Hessen - Geschichte, Akteure, Orte" (29,90 Euro, 400 Seiten), vor Kurzem im auf politische Bildung spezialisierten Wochenschau Verlag in Frankfurt erschienen, erzählt diese Geschichte der rechtsextremen Militanz minutiös nach. Geschrieben haben es Sascha Schmidt und Yvonne Weyrauch, zwei Mitarbeiter des Beratungsnetzwerkes Hessens, dem 52 Organisationen angehören, darunter Universitäten, Ministerien, Hochschulen, Landeskriminalamt, Flüchtlingsrat und Hessischer Städte- und Gemeindebund. Der Verband arbeitet als eine Art "Frühwarnstelle" im Bezug auf rechtsextreme Vernetzungen und ist in der Präventionsarbeit mit Jugendlichen aktiv. Schmidt schreibt außerdem regelmäßig für das Magazin "Der rechte Rand".
Die Detaildichte von "Rechter Terror in Hessen" ist beachtlich. Die unterschiedlichen Entwicklungslinien der rechtsextremen Szene werden nachvollziehbar und ohne große Lücken rekapituliert. Von Alarmismus ist der Band weitestmöglich entfernt, stattdessen legen die Autoren großen Wert auf Präzision. Und wo die Lage uneindeutig ist, wird das von ihnen auch klar benannt.
Ein Beispiel: der Mord an Blanka Zmigrod im Frankfurter Kettenhofweg im Februar 1992. Der international gesuchte Rechtsterrorist John Ausonius hat die Jüdin und Holocaust-Überlebende damals auf offener Straße mit einem Kopfschuss getötet. Ob er tatsächlich aus antisemitischen Motiven tötete oder Zmigrod zum Opfer wurde, weil Ausonius dachte, sie habe ihm einen Casio-Computer gestohlen, konnte im Prozess gegen den Rechtsextremisten am Frankfurter Oberlandesgericht nicht geklärt werden. Diese Ambivalenz, diese Unklarheit, die manche Autoren bis heute ignorieren, benennen Schmidt und Weyrauch eindeutig.
Die große Stärke ihres Buchs ist kein besonderer Dreh, kein theoretischer Überbau, sondern dessen klare Struktur: Weyrauch und Schmidt schildern chronologisch, wie sich rechtsextreme Gruppen, aber auch Akteure ohne direkte Anbindung an die Szene wie der Hanauer Attentäter radikalisierten und zur Tat schritten. Dafür haben sie viele, teils noch unveröffentlichte Recherchen wie die des Frankfurter Forschers Niklas Krawinkel über die zu Beginn der Achtzigerjahre aktive Hepp-Kexel-Gruppe zusammengebracht.
Beklemmend sind die oft seitenlangen Auflistungen von brutalen Übergriffen, etwa wenn die Autoren beschreiben, wie in den Neunzigerjahren Unterkünfte von "Asylanten" zum Ziel der Gewalttäter wurden. Damit widerlegen sie jeden, der rechtsextreme Gewalt für ein vernachlässigbares Phänomen hält. Die Bedrohung durch militante Rechtsextreme, das zeigt Schmidts und Weyrauchs bedrückende Chronik, ist auch weiterhin enorm - nicht für den Staat an sich, aber für diejenigen, die zum Feind erklärt werden. Heute sind das meist Menschen mit Migrationsgeschichte, oft aber auch Jugendliche, die sich "gegen Rechts" engagieren.
Mit dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurde im Juni 2019 in Hessen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Politiker Opfer rechtsextremer Gewalt. Auf der Terrasse seines Privathauses in Wolfhagen-Istha wurde der CDU-Politiker vom lange in der nordhessischen Neonazi-Szene aktiven Stephan Ernst ermordet. Schmidt und Weyrauch beschreiben in ihrem Buch genau, wie es dazu kam, dass die Sicherheitsdienste den als Gewalttäter bekannten Täter aus dem Blick verloren hatten.
Überzeugend ist auch, wie die Autoren die Entwicklungen in der Szene mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenbringen. Dabei zeigt sich ein Muster: Meistens dann, wenn die Akzeptanz von fremdenfeindlichen und rassistischen Positionen in der Gesellschaft zunimmt, steigt die rechtsextreme Gewalt an. Kocht der Unmut über angeblich zu viele Flüchtlinge hoch, erhöht sich die Zustimmung für Parteien wie früher die Republikaner oder heute die AfD, und animiert das Extremisten zu Übergriffen. Sie fühlen sich dann, wie Weyrauch und Schmidt vermuten, als Vollstrecker einer - fälschlicherweise - empfundenen Mehrheitsmeinung.
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RHEIN-MAIN Beklemmende Chronik: Sascha Schmidt und Yvonne Weyrauch beschreiben in ihrem Buch "Rechter Terror in Hessen" die von Gewalt geprägten Netzwerke der rechtsextremen Szene.
Von Alexander Jürgs
Wann fing es an, das neue Nazis sich in Hessen zusammengeschlossen haben, wann begann ihre Gewalt gegen Andersdenkende und vermeintlich Fremde? Wann formierte sich der rechtsextreme Terrorismus im Bundesland? Erschreckenderweise: bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, gerade einmal fünf Jahre nach der deutschen Kapitulation.
Bund Deutscher Jugend nannte sich die 1950 in Frankfurt gegründete Organisation Ewiggestriger, die nach außen eine bürgerlich-jugendliche Fassade pflegte und - erstaunlich erfolgreich - den Anschluss an demokratisch-konservative Kräfte suchte, in der im Geheimen aber längst wieder von einem Umsturz geträumt wurde. Ein sogenannter Technischer Dienst wurde innerhalb der Organisation gegründet: Man probte Partisaneneinsätze und sammelte Adressen von politischen Gegnern, vor allem von Kommunisten und Sozialdemokraten, und fasste ihre Daten in steckbriefähnlichen "schwarzen Listen" zusammen. Ein Aussteiger enttarnte die Gruppe, 1953 wurden der Technische Dienst sowie dessen Dachorganisation verboten. Juristische Folgen aber hatte die Auflösung der antikommunistischen und paramilitärischen Einheit, die sogar mit amerikanischen Geheimdienstlern zusammengearbeitet hatte, für keines ihrer Mitglieder.
Der Technische Dienst war nur ein Auftakt. Neonazistische Gewalttäter haben sich auch danach in Hessen immer wieder zusammengefunden und tun es bis heute, mal innerhalb von Parteien wie der NPD, Die Rechte oder dem III. Weg, mal in völkischen Jugendverbänden wie der Wiking-Jugend, mal in Wehrsportgruppen oder sogenannten Freien Kameradschaften. In den ersten Jahren der jungen Bundesrepublik waren sie vor allem vom Antikommunismus geprägt. Später berauschten sie sich, irritierenderweise ähnlich wie die linksradikalen Terroristen dieser Zeit, am Antiimperialismus und Antiamerikanismus. Heute hält sie besonders der antimuslimische Rassismus zusammen.
Die Intensität ihrer Gewalttaten hat sich im Lauf der Jahre oft gewandelt. Ruhigere Zeiten wechselten sich mit "Hochphasen" ab. Besonders zu Beginn der Achtziger- und der Neunzigerjahre sowie nach 2014 stieg die Zahl der Übergriffe stark.
Das Buch mit dem Titel "Rechter Terror in Hessen - Geschichte, Akteure, Orte" (29,90 Euro, 400 Seiten), vor Kurzem im auf politische Bildung spezialisierten Wochenschau Verlag in Frankfurt erschienen, erzählt diese Geschichte der rechtsextremen Militanz minutiös nach. Geschrieben haben es Sascha Schmidt und Yvonne Weyrauch, zwei Mitarbeiter des Beratungsnetzwerkes Hessens, dem 52 Organisationen angehören, darunter Universitäten, Ministerien, Hochschulen, Landeskriminalamt, Flüchtlingsrat und Hessischer Städte- und Gemeindebund. Der Verband arbeitet als eine Art "Frühwarnstelle" im Bezug auf rechtsextreme Vernetzungen und ist in der Präventionsarbeit mit Jugendlichen aktiv. Schmidt schreibt außerdem regelmäßig für das Magazin "Der rechte Rand".
Die Detaildichte von "Rechter Terror in Hessen" ist beachtlich. Die unterschiedlichen Entwicklungslinien der rechtsextremen Szene werden nachvollziehbar und ohne große Lücken rekapituliert. Von Alarmismus ist der Band weitestmöglich entfernt, stattdessen legen die Autoren großen Wert auf Präzision. Und wo die Lage uneindeutig ist, wird das von ihnen auch klar benannt.
Ein Beispiel: der Mord an Blanka Zmigrod im Frankfurter Kettenhofweg im Februar 1992. Der international gesuchte Rechtsterrorist John Ausonius hat die Jüdin und Holocaust-Überlebende damals auf offener Straße mit einem Kopfschuss getötet. Ob er tatsächlich aus antisemitischen Motiven tötete oder Zmigrod zum Opfer wurde, weil Ausonius dachte, sie habe ihm einen Casio-Computer gestohlen, konnte im Prozess gegen den Rechtsextremisten am Frankfurter Oberlandesgericht nicht geklärt werden. Diese Ambivalenz, diese Unklarheit, die manche Autoren bis heute ignorieren, benennen Schmidt und Weyrauch eindeutig.
Die große Stärke ihres Buchs ist kein besonderer Dreh, kein theoretischer Überbau, sondern dessen klare Struktur: Weyrauch und Schmidt schildern chronologisch, wie sich rechtsextreme Gruppen, aber auch Akteure ohne direkte Anbindung an die Szene wie der Hanauer Attentäter radikalisierten und zur Tat schritten. Dafür haben sie viele, teils noch unveröffentlichte Recherchen wie die des Frankfurter Forschers Niklas Krawinkel über die zu Beginn der Achtzigerjahre aktive Hepp-Kexel-Gruppe zusammengebracht.
Beklemmend sind die oft seitenlangen Auflistungen von brutalen Übergriffen, etwa wenn die Autoren beschreiben, wie in den Neunzigerjahren Unterkünfte von "Asylanten" zum Ziel der Gewalttäter wurden. Damit widerlegen sie jeden, der rechtsextreme Gewalt für ein vernachlässigbares Phänomen hält. Die Bedrohung durch militante Rechtsextreme, das zeigt Schmidts und Weyrauchs bedrückende Chronik, ist auch weiterhin enorm - nicht für den Staat an sich, aber für diejenigen, die zum Feind erklärt werden. Heute sind das meist Menschen mit Migrationsgeschichte, oft aber auch Jugendliche, die sich "gegen Rechts" engagieren.
Mit dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurde im Juni 2019 in Hessen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Politiker Opfer rechtsextremer Gewalt. Auf der Terrasse seines Privathauses in Wolfhagen-Istha wurde der CDU-Politiker vom lange in der nordhessischen Neonazi-Szene aktiven Stephan Ernst ermordet. Schmidt und Weyrauch beschreiben in ihrem Buch genau, wie es dazu kam, dass die Sicherheitsdienste den als Gewalttäter bekannten Täter aus dem Blick verloren hatten.
Überzeugend ist auch, wie die Autoren die Entwicklungen in der Szene mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammenbringen. Dabei zeigt sich ein Muster: Meistens dann, wenn die Akzeptanz von fremdenfeindlichen und rassistischen Positionen in der Gesellschaft zunimmt, steigt die rechtsextreme Gewalt an. Kocht der Unmut über angeblich zu viele Flüchtlinge hoch, erhöht sich die Zustimmung für Parteien wie früher die Republikaner oder heute die AfD, und animiert das Extremisten zu Übergriffen. Sie fühlen sich dann, wie Weyrauch und Schmidt vermuten, als Vollstrecker einer - fälschlicherweise - empfundenen Mehrheitsmeinung.
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