über das Recht wüßten wir nur wenig, wenn uns nicht Experten darüber Auskunft gäben. Sonst bliebe es weitestgehend unerfindlich. Rechtliches Wissen ist eine Dienstleistung, die von juristischen Experten für den Staat oder für private Auftraggeber erbracht wird. Aber was garantiert, daß die juristische Expertise auch wirklich vom Recht handelt und nicht davon, was Auftraggeber oder Machthaber als Recht ausgeben möchten? Aus rechtspositivistischer Sicht liegt diese Garantie letztlich in der methodisch durchgeführten Bindung ans Gesetz. Die jüngere Naturrechtslehre hat sie um die faire Güterabwägung im Einzelfall ergänzt. Beide Vorschläge, so Somek, sind jedoch nicht überzeugend, denn der eigentliche Kern des Geltungsanspruchs rechtlichen Wissens liegt im Vermeiden von Diskriminierung.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.09.2006Schuldig geblieben
Neueste Mogelpackung: Wissen die Juristen, was Recht ist?
Rechtliches Wissen. Nichts sonst. Wahrlich ein schöner Titel, geradezu klassisch. Es geht um Theorie: „Es würde nicht die Feststellung lohnen, dass es Recht nur gibt, weil und insofern es auch als solches gewusst wird, wenn daraus nicht folgte, dass eine Theorie des Rechts angemessen nur als eine Theorie rechtlichen Wissens formuliert werden kann”. Das kommt zwar nachgerade im Stechschritt daher (nur!, nur!), aber der theoriegeneigte Leser atmet kurz durch und macht sich neugierig auf den literarischen Höhenweg zur Rechtstheorie, vulgo Rechtswissenstheorie. Eine „Einleitung” und sechs „Kapitel”.
0. Die Wirklichkeit des Rechts. Was ist Wirklichkeit, was ist Recht? Alexander Somek fragt sich zunächst einmal, warum und wieso man sich für Rechtstheorie interessiert und interessieren soll – und bettet seine Erörterung in eine Denunziation der mangelnden Grundlagenorientierung der dogmatikfixierten deutschen rechtswissenschaftlichen Fakultäten ein. Traurige Realität.
Dann: „Das Recht realisiert sich in Gesellschaften nur, insofern es allgemein verbindlich gewusst wird”. Nein, wirklich nicht: Die Wirklichkeit des Rechts liegt gerade darin, dass niemand verbindlich eben dieses Recht „weiß”. Die Rechtsunterworfenen, die Bürger, wissen nichts vom Recht und beklagen sich immer wieder darüber – wie sollten sie sich im Paragraphendschungel zurechtfinden? Die Experten, die Juristen, Richter, Rechtsanwälte, Juraprofessoren, wissen das Recht auch nicht, ansonsten gäbe es nichts mehr zu entscheiden, zu vertreten, zu argumentieren, zu streiten. Nimmt man Somek ernst, hat es Recht nie gegeben, nicht in Babylon, nicht in Rom, nicht im alten Sachsen, nicht unter Napoleon, nicht in der DDR und nicht in der BRD. Oder gab es überall dort etwa ein allgemeines rechtliches Wissen verbindlicher Natur?
1. Juristische Expertise. Zunächst das Positive: Das schon seit längerem dominante juristische Gutachterwesen, das es einem Juraprofessor gestattet, mit fabrikmäßig hergestellten Stellungnahmen zum Friedhofssatzungsrecht sein Staatssalär zur Nebeneinkunft zu degradieren, mit den ganz natürlichen Nebenwirkungen für die Lehr- und Forschungstätigkeit, ist nicht häufig Gegenstand rechtstheoretischer Bemühungen.
Somek stellt im Weiteren klar: Weil das Recht unverständlich ist, „muss” es von „Experten” (von Gutachtern oder Rechtswissenschaftlern oder von beiden oder Dritten?) gewusst werden. „Andernfalls würde es nicht gewusst”. Bei diesem Karussell fühlt man sich verhohnepiepelt. Wer sagt denn, dass das Recht (von wem auch immer) gewusst wird? Somek. Der Gutachter sagt es nicht, er sagt nur, was im konkreten Fall seinem Kunden nützt. Die Rechtswissenschaft sagt es auch nicht, denn jeder Rechtswissenschaftler sagt etwas anderes. Das ständige Somek’sche Besagen, dass Recht gewusst wird, macht aus der Welt der tausendfachen Wendungen, Argumente, Theorien, Annahmen, Bezugnahmen, Auslegungen, Lehrsätze, Entscheidungen der Rechtsmenschen kein rechtliches Wissen, sondern nur dieses oder jenes Wissen von diesem oder jenem Recht.
Prozess verlieren, Danke sagen!
2. Gesetzesbindung. Die offenbar unausrottbare, wenn auch schon lange nicht mehr unantastbare Vorstellung, der Richterjurist müsse und könne (letzteres vor allem) unter Zuhilfenahme methodischer Auslegungsregeln das Gesetz im Hinblick auf einen zu entscheidenden Fall richtig, also ohne die Möglichkeit einer anderen Lösung, zur Anwendung bringen, wird von Somek noch einmal zu Grabe getragen.
Rechtliches Wissen kommt im zweiten Kapitel auch irgendwie vor, was nahe liegt, hat doch Gesetzesbindung immer damit zu tun, zu erkennen, zu wissen, an was man eigentlich gebunden ist oder sein soll. Ein juristischer Wissenskonstruktivismus tritt für Somek das „Erbe der Rechtswissenschaft, wie wir sie bisher kannten” an. Das sei die notwendige Folge der nicht mehr zu übersehenden Unbestimmtheit der Gesetzes- und Rechtsbegriffe und der Scheinbarkeit des Rationalismus „exegetischer Juristenmetaphysik”.
Das ist Popanz und ungenau. Die Juristen der alten Rechtswissenschaft und Jurisprudenz waren keine tumben Toren, die nur das eine wahre Recht sahen (oder wussten). Sie meinten zwar, jeder für sich, die Lösung, das System, den Begriff gefunden zu haben, doch sahen sie genau, dass andere, viele andere, andere Lösungen, Systeme, Begriffe gefunden hatten. Juristen war die Unbestimmtheit von Rechtssätzen und Gesetzen schon immer klar, sonst hätten sie nicht soviel ausgelegt und geschrieben.
3. Rechtsanwendung. Das dritte Kapitel dient der Begründung einer Wachablösung. Ein angeblich bestehendes, sogenanntes Drei-Ebenen-Modell der juristischen Wissenschaften (Rechtstheorie, juristische Methodenlehre, Rechtsdogmatik) soll durch ein Somek’sches Alternativmodell abgelöst werden. Insbesondere soll berücksichtigt werden, dass beim „Akt” des Rechtstuns nicht Rechtsanwendung, sondern Rechtsschöpfung zum Tragen kommt. Wobei das Begreifen der „Rechtsregeln als interpretative Konstrukte” im Ernstfall sogar dahin führen soll, dass „sich Akte der Rechtsanwendung letztlich aus der Perspektive derjenigen, die von ihnen betroffen sind, vernünftigerweise nicht ablehnen lassen”. Ich soll also den Prozess verlieren und dann, meiner „eigenen Vernunft folgend” noch Danke sagen! Gegenüber solch totalitären Psychoinklusionismen lobt man sich doch den alten engstirnigen Individualkampf ums Recht. – Das buchtitelgebende „Rechtliche Wissen” findet randständig Erwähnung.
Quoten und Wurzeln des Wahns
4. Abwägungsregeln. „Wie kommt es dazu, dass Prinzipien in der grundrechtlichen Güterabwägung ein unterschiedliches Gewicht erhalten?” Eine wirklich spannende Frage. Die Beantwortung ist 65 Seiten lang. Am Ende: „Eine Analyse des Zusammenhangs . . . muss ich hier schuldig bleiben”. „Rechtliches Wissen”? Kein Wort dazu.
5. Gleichheit. Es handelt sich um eine Replik auf Stefan Huster, der ein Buch Someks zum Gleichheitsrecht rezensiert hatte.
6. Diskriminierungsschutz. Überraschenderweise gleich zu Beginn des Kapitels, auf eineinhalb Seiten, etwas zu Wissen, rechtlichem gar. So ganz will es zur letzten Erwähnung (weit über hundert Seiten zuvor) nicht passen. „Juristisch zu konstruieren” führt jetzt dazu, dass „die Verständlichkeit des begrifflich Erfassten (erhöht)” wird. Das wäre ja toll, ist doch die Unwissenheit „nicht nur ein Geschenk des Himmels”, sondern „auch die Wurzel des Wahns”. Noch bevor man Zeit hat nachzudenken, welcher oder wessen Wahn wohl gemeint sein könnte, geht es unvermittelt weiter mit Ausführungen zum Antidiskriminierungsrecht, um dieses „präzise zu fassen”. Am „Schluss” des Kapitels und des Buches steht ein Plädoyer („was uns in Hinkunft interessieren sollte”) für die Quote.
Eine Einleitung und sechs Kapitel. Das war’s.
Beinahe. Ganz am Schluss stehen plötzlich „Nachweise” für den, wie man nun erfährt, Eigenbeitragssammelband. Da wird großartig eine neue Rechtstheorie, eine neue Rechtswissenstheorie angekündigt, ja da entblödet sich der Verlag nicht, im Klappentext, neben allem möglichen, zu behaupten, der Autor zeige, „der eigentliche Kern des Geltungsanspruchs rechtlichen Wissens liegt im Vermeiden von Diskriminierung” – doch, was auch immer rechtliches Wissen sein mag, was auch immer diesem einen Geltungsanspruch verleihen möge, irgendeinen (expliziten oder impliziten) Zusammenhang zwischen Diskriminierungsrecht und rechtlichem Wissen sucht man in dem Buch vergebens.
Das Buch vereint in den letzten neun Jahren erarbeitete Studien von Alexander Somek. Es geht um Juristisches, um Auslegung und um Diskriminierung.
Eine irgendwie geartete „Theorie rechtlichen Wissens” jedoch existiert nicht. Das, was unter diesem Namen nun daherkommt, ist zusammengesetzt, zusammenhanglos, zusammengetragen. Ironischerweise genau so, wie das Recht selbst. Der Suhrkamp Verlag hat einen wunderbaren Titel in seinem Programm. Das Buch dazu muss noch geschrieben werden.
RAINER MARIA KIESOW
ALEXANDER SOMEK: Rechtliches Wissen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 240 Seiten, 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Neueste Mogelpackung: Wissen die Juristen, was Recht ist?
Rechtliches Wissen. Nichts sonst. Wahrlich ein schöner Titel, geradezu klassisch. Es geht um Theorie: „Es würde nicht die Feststellung lohnen, dass es Recht nur gibt, weil und insofern es auch als solches gewusst wird, wenn daraus nicht folgte, dass eine Theorie des Rechts angemessen nur als eine Theorie rechtlichen Wissens formuliert werden kann”. Das kommt zwar nachgerade im Stechschritt daher (nur!, nur!), aber der theoriegeneigte Leser atmet kurz durch und macht sich neugierig auf den literarischen Höhenweg zur Rechtstheorie, vulgo Rechtswissenstheorie. Eine „Einleitung” und sechs „Kapitel”.
0. Die Wirklichkeit des Rechts. Was ist Wirklichkeit, was ist Recht? Alexander Somek fragt sich zunächst einmal, warum und wieso man sich für Rechtstheorie interessiert und interessieren soll – und bettet seine Erörterung in eine Denunziation der mangelnden Grundlagenorientierung der dogmatikfixierten deutschen rechtswissenschaftlichen Fakultäten ein. Traurige Realität.
Dann: „Das Recht realisiert sich in Gesellschaften nur, insofern es allgemein verbindlich gewusst wird”. Nein, wirklich nicht: Die Wirklichkeit des Rechts liegt gerade darin, dass niemand verbindlich eben dieses Recht „weiß”. Die Rechtsunterworfenen, die Bürger, wissen nichts vom Recht und beklagen sich immer wieder darüber – wie sollten sie sich im Paragraphendschungel zurechtfinden? Die Experten, die Juristen, Richter, Rechtsanwälte, Juraprofessoren, wissen das Recht auch nicht, ansonsten gäbe es nichts mehr zu entscheiden, zu vertreten, zu argumentieren, zu streiten. Nimmt man Somek ernst, hat es Recht nie gegeben, nicht in Babylon, nicht in Rom, nicht im alten Sachsen, nicht unter Napoleon, nicht in der DDR und nicht in der BRD. Oder gab es überall dort etwa ein allgemeines rechtliches Wissen verbindlicher Natur?
1. Juristische Expertise. Zunächst das Positive: Das schon seit längerem dominante juristische Gutachterwesen, das es einem Juraprofessor gestattet, mit fabrikmäßig hergestellten Stellungnahmen zum Friedhofssatzungsrecht sein Staatssalär zur Nebeneinkunft zu degradieren, mit den ganz natürlichen Nebenwirkungen für die Lehr- und Forschungstätigkeit, ist nicht häufig Gegenstand rechtstheoretischer Bemühungen.
Somek stellt im Weiteren klar: Weil das Recht unverständlich ist, „muss” es von „Experten” (von Gutachtern oder Rechtswissenschaftlern oder von beiden oder Dritten?) gewusst werden. „Andernfalls würde es nicht gewusst”. Bei diesem Karussell fühlt man sich verhohnepiepelt. Wer sagt denn, dass das Recht (von wem auch immer) gewusst wird? Somek. Der Gutachter sagt es nicht, er sagt nur, was im konkreten Fall seinem Kunden nützt. Die Rechtswissenschaft sagt es auch nicht, denn jeder Rechtswissenschaftler sagt etwas anderes. Das ständige Somek’sche Besagen, dass Recht gewusst wird, macht aus der Welt der tausendfachen Wendungen, Argumente, Theorien, Annahmen, Bezugnahmen, Auslegungen, Lehrsätze, Entscheidungen der Rechtsmenschen kein rechtliches Wissen, sondern nur dieses oder jenes Wissen von diesem oder jenem Recht.
Prozess verlieren, Danke sagen!
2. Gesetzesbindung. Die offenbar unausrottbare, wenn auch schon lange nicht mehr unantastbare Vorstellung, der Richterjurist müsse und könne (letzteres vor allem) unter Zuhilfenahme methodischer Auslegungsregeln das Gesetz im Hinblick auf einen zu entscheidenden Fall richtig, also ohne die Möglichkeit einer anderen Lösung, zur Anwendung bringen, wird von Somek noch einmal zu Grabe getragen.
Rechtliches Wissen kommt im zweiten Kapitel auch irgendwie vor, was nahe liegt, hat doch Gesetzesbindung immer damit zu tun, zu erkennen, zu wissen, an was man eigentlich gebunden ist oder sein soll. Ein juristischer Wissenskonstruktivismus tritt für Somek das „Erbe der Rechtswissenschaft, wie wir sie bisher kannten” an. Das sei die notwendige Folge der nicht mehr zu übersehenden Unbestimmtheit der Gesetzes- und Rechtsbegriffe und der Scheinbarkeit des Rationalismus „exegetischer Juristenmetaphysik”.
Das ist Popanz und ungenau. Die Juristen der alten Rechtswissenschaft und Jurisprudenz waren keine tumben Toren, die nur das eine wahre Recht sahen (oder wussten). Sie meinten zwar, jeder für sich, die Lösung, das System, den Begriff gefunden zu haben, doch sahen sie genau, dass andere, viele andere, andere Lösungen, Systeme, Begriffe gefunden hatten. Juristen war die Unbestimmtheit von Rechtssätzen und Gesetzen schon immer klar, sonst hätten sie nicht soviel ausgelegt und geschrieben.
3. Rechtsanwendung. Das dritte Kapitel dient der Begründung einer Wachablösung. Ein angeblich bestehendes, sogenanntes Drei-Ebenen-Modell der juristischen Wissenschaften (Rechtstheorie, juristische Methodenlehre, Rechtsdogmatik) soll durch ein Somek’sches Alternativmodell abgelöst werden. Insbesondere soll berücksichtigt werden, dass beim „Akt” des Rechtstuns nicht Rechtsanwendung, sondern Rechtsschöpfung zum Tragen kommt. Wobei das Begreifen der „Rechtsregeln als interpretative Konstrukte” im Ernstfall sogar dahin führen soll, dass „sich Akte der Rechtsanwendung letztlich aus der Perspektive derjenigen, die von ihnen betroffen sind, vernünftigerweise nicht ablehnen lassen”. Ich soll also den Prozess verlieren und dann, meiner „eigenen Vernunft folgend” noch Danke sagen! Gegenüber solch totalitären Psychoinklusionismen lobt man sich doch den alten engstirnigen Individualkampf ums Recht. – Das buchtitelgebende „Rechtliche Wissen” findet randständig Erwähnung.
Quoten und Wurzeln des Wahns
4. Abwägungsregeln. „Wie kommt es dazu, dass Prinzipien in der grundrechtlichen Güterabwägung ein unterschiedliches Gewicht erhalten?” Eine wirklich spannende Frage. Die Beantwortung ist 65 Seiten lang. Am Ende: „Eine Analyse des Zusammenhangs . . . muss ich hier schuldig bleiben”. „Rechtliches Wissen”? Kein Wort dazu.
5. Gleichheit. Es handelt sich um eine Replik auf Stefan Huster, der ein Buch Someks zum Gleichheitsrecht rezensiert hatte.
6. Diskriminierungsschutz. Überraschenderweise gleich zu Beginn des Kapitels, auf eineinhalb Seiten, etwas zu Wissen, rechtlichem gar. So ganz will es zur letzten Erwähnung (weit über hundert Seiten zuvor) nicht passen. „Juristisch zu konstruieren” führt jetzt dazu, dass „die Verständlichkeit des begrifflich Erfassten (erhöht)” wird. Das wäre ja toll, ist doch die Unwissenheit „nicht nur ein Geschenk des Himmels”, sondern „auch die Wurzel des Wahns”. Noch bevor man Zeit hat nachzudenken, welcher oder wessen Wahn wohl gemeint sein könnte, geht es unvermittelt weiter mit Ausführungen zum Antidiskriminierungsrecht, um dieses „präzise zu fassen”. Am „Schluss” des Kapitels und des Buches steht ein Plädoyer („was uns in Hinkunft interessieren sollte”) für die Quote.
Eine Einleitung und sechs Kapitel. Das war’s.
Beinahe. Ganz am Schluss stehen plötzlich „Nachweise” für den, wie man nun erfährt, Eigenbeitragssammelband. Da wird großartig eine neue Rechtstheorie, eine neue Rechtswissenstheorie angekündigt, ja da entblödet sich der Verlag nicht, im Klappentext, neben allem möglichen, zu behaupten, der Autor zeige, „der eigentliche Kern des Geltungsanspruchs rechtlichen Wissens liegt im Vermeiden von Diskriminierung” – doch, was auch immer rechtliches Wissen sein mag, was auch immer diesem einen Geltungsanspruch verleihen möge, irgendeinen (expliziten oder impliziten) Zusammenhang zwischen Diskriminierungsrecht und rechtlichem Wissen sucht man in dem Buch vergebens.
Das Buch vereint in den letzten neun Jahren erarbeitete Studien von Alexander Somek. Es geht um Juristisches, um Auslegung und um Diskriminierung.
Eine irgendwie geartete „Theorie rechtlichen Wissens” jedoch existiert nicht. Das, was unter diesem Namen nun daherkommt, ist zusammengesetzt, zusammenhanglos, zusammengetragen. Ironischerweise genau so, wie das Recht selbst. Der Suhrkamp Verlag hat einen wunderbaren Titel in seinem Programm. Das Buch dazu muss noch geschrieben werden.
RAINER MARIA KIESOW
ALEXANDER SOMEK: Rechtliches Wissen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 240 Seiten, 10 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2006Recht ist zum Wissen da
Alexander Somek macht die Paragraphenwelt anschaulich
An den juristischen Fakultäten ist es heute intellektuell noch langweiliger geworden, als es die längste Zeit schon gewesen ist? Alexander Somek tritt an, um mit seinem ehrgeizigen Buch zu zeigen, daß es auch anders geht.
Wenn Anfänger zu Beginn eines Buches laut mit den Waffen klirren und freimütig Kampfansagen herausposaunen, darf man darauf gefaßt sein, daß am Ende alles beim alten bleibt. Der abgebrühte Leser ahnt es schon: Die versprochenen Innovationen in Gegenstand und Methode werden ausbleiben, und am Ende verbrüdert sich der Verfasser noch mit den abgeschmacktesten Gemeinplätzen des Fachs. Alexander Somek, der von der ersten Seite an effektvoll polemisiert, ist kein Anfänger der Rechtstheorie, und das hier ist keine Erstlingsschrift.
Someks Buch handelt von der Rechtstheorie, also einem sogenannten Grundlagenfach der Rechtswissenschaft. Das Werk bietet eine ausgewogene Mischung aus den Selbstbeobachtungen eines leidenschaftlichen Vertreters dieser Disziplin, der schon als Mittvierziger eine ungewöhnliche intellektuelle Biographie hinter sich hat, und Fallstudien, in denen Somek seine zuvor verkündeten Programmsätze mit Geschick einzulösen sucht. Der Charme aller seiner Beweisführungen liegt in der Schärfe seines Gedankens, der sich souverän beherrschter Argumente sowohl aus verschiedenen Bereichen des Rechts als auch aus praktischer Philosophie, Soziologie und der Ökonomie bedient. Hier räsoniert ein ganz eigenständiger Kopf, der sich an zunehmend größeren Werkstücken erprobt.
Somek hat dabei ein starkes Anliegen, mit dem er den Leser frontal überfällt. Würde er später seine Versprechungen nicht halten, er hätte sich durch seine Abgrenzungsrhetorik unrettbar ins Zwielicht des Prätentiösen gesetzt. Denn Someks Ausgangspunkt ist eine heikle Selbstinszenierung. Die Rechtstheorie erscheint in seinem Buch als ein seitens der Juristen entbehrlich erlebtes Fach, dem zudem an den Universitäten die Abschaffung drohe. Die isolierende Frontstellung, mit der er kokettiert, ist also mindestens eine zweifache: Theorie gegen die fehlenden substantiellen Reflexionen der Rechtspraktiker, und - noch schärfer formuliert - Rechtstheorie gegen die an den Universitäten vermittelte affirmative Rechtsgelehrsamkeit.
Im Ton geht Somek deutlich über das hinaus, was man an disziplinärer Wehklage juristischer Grundlagenforscher gewohnt ist. Der von Wien nach Iowa gelangte Rechtslehrer schreibt: "An der Universität wird gelehrt, weil dies um der Anstellung willen unvermeidbar ist. Die Forschung dient vorzugsweise der Produktion didaktischer Materialien, mit denen sich an der Massenuniversität so manch ansehnliche Rente beziehen läßt. Seitdem der Unternehmer-Professor zum Standardmodell geworden ist, ist es an den Juristischen Fakultäten intellektuell noch langweiliger geworden, als es ohnedies schon die längste Zeit gewesen ist." Besondere Hiebe erfährt die Rechtswissenschaft für ihren zunehmenden Verzicht auf Philosophie. Nicht minder wird die Rechtspraxis abgewatscht, über die Somek aus jenen Begegnungen im Rahmen einer Trierer Richterakademie erfahren hat, daß wer Rechtstheorie mache, nicht dazugehöre.
Someks übergreifendes Projekt heißt "nachpositivistisches Rechtsdenken" (so auch der Buchtitel der 1996 gemeinsam mit Nikolaus Forgó erfolgten Publikation). Diese Rechtstheorie erhebt anders die positivistische Lehre des berühmten Oxforder Rechtsphilosophen Herbert L. A. Hart den Anspruch, Relevanz für praktische Problemlösungen zu haben. Die Bausteine, die der Autor in diesem Band nun vorlegt, fügen sich nicht vollkommen ineinander. Es handelt sich um überarbeitete Einzelbeiträge, die ursprünglich aus anderen Kontexten stammten, nun aber zu einem neuen Zweck bearbeitet worden sind. Dennoch stecken sie in repräsentativer und interessanter Weise das intellektuelle Feld ab: Somek neigt zu politiknahen Themen wie der juristischen Dogmatik des Diskriminierungsverbots oder der Konstruktion der Grundrechte. Bei alledem spielen Methodenfragen und das Selbstverständnis der Akteure eine große Rolle: Eine Art soziologischer Interessenjurisprudenz, übertragen in ein sonst eher unanschauliches und hochformalisiertes Feld der Rechtstheorie, kennzeichnet die überzeugendsten Passagen des Bandes.
Obwohl Somek auch ein kundiger Rezensent der Methodenlehren anderer Rechtswissenschaftler ist und der Leser mit Wohlwollen seine Kritik an den Unschärfen mancher fremden Ausführungen nachvollziehen kann, liegt die eigentliche Herausforderung anderswo. Denn nimmt man Someks Programm ernst, dann muß es sich an jenem Stoff von Fällen bewähren, aus dem das Recht geschaffen ist. Mehrere solcher, zumeist fiktiver Konflikte bieten einen roten Faden, an dem entlang der Autor zeigt, mit welchen komplexen Denkoperationen es eine adäquat reflektierende Methodenlehre zu tun hat.
Das letzte und vielleicht dichteste Stück des Bandes beschäftigt sich mit dem Diskriminierungsrecht. Wie immer geriert sich Somek als Rätsellöser, der aus den überraschenden argumentativen Wendungen die Kraft seiner Didaxe zieht. Sein Fallbeispiel konstruiert einen Gaststättenbesitzer, der im Stellenangebot angibt, er beschäftige keine "Schwulen". Mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung, lautet hier die entscheidende Frage. Der Kneipier, so die realistische Unterstellung, möge noch zu seiner listigen Rechtfertigung vorbringen, er habe gar nichts gegen homosexuelle Männer, aber seine Kunden wollten sich eben ungern von diesen bedienen lassen, und deshalb handele er aus rationalem ökonomischem Kalkül.
Der Rekurs auf die Präferenzen der Verbraucher, welcher das Problem zu entschärfen scheint, könnte jenen Stimmen eine rettende Brücke bauen, die gerne von mittelbarer Diskriminierung ausgehen würden. Doch Somek zeigt, daß dieses Konstrukt nicht tragfähig ist. Denn damit werde nur die grundlose Ablehnung perpetuiert, die sich mit einer rationalisierenden Erklärung bemäntelt und der sexuellen Identität des Arbeitnehmers die Anerkennung versagt. Vielmehr müßten die Vorurteile der Konsumenten durch das Recht an jener entscheidenden Stelle unterbrochen werden, an der der Arbeitgeber zum Distributionsagenten werde.
Anders aber im Fall einer Damenkapelle, die keine Männer ans Mikrofon lasse: Diese selektiert die Bewerber zwar geschlechtsspezifisch, aber sie festige keine systematische soziale Schlechterstellung von Männern: Von Girl-Groups wird nicht erwartet, daß sie als Distributionsagenten diskriminierender Ziele agieren, etwa weil sie der Vermutung anhängen, Männer seien schlechtere Musiker als Frauen. Erschwert würden, so Somek, diese und ähnliche Entscheidungen im Diskriminierungsrecht, da es an distributiven Regeln fehle: Die soziale Teilung der Verantwortung sei nicht normiert, das Recht entsprechend unbestimmt. Infolgedessen, so Someks methodische Kritik, bleibe dieses Rechtsgebiet anfällig für moralischen Intuitionismus und werde in fataler Weise nachgiebig gegenüber angeblichen ökonomischen "Sachzwängen".
Somek begreift das Recht als "System zwangsbewehrter wechselseitiger Verhaltenszumutungen, die jemanden treffen können oder nicht". Zu ermitteln, wann diese Verhaltenszumutungen von bloßen sozialen Pflichten zu Recht umschlagen, ist für ihn die disziplinäre Aufgabe der juristischen Expertise, die diese aber infolge systematischer Schwächen nur unvollkommen erfüllt. Somek entwirft statt dessen die Vision einer "konstruktivistischen Rechtswissenschaft": Rechtstheorie ist demnach eine Theorie des Rechts als Theorie rechtlichen Wissens. Sie solle sich an die Stelle der Vergangenheit gewordenen "Rechtswissenschaft" setzen. Das ist als Abgesang eloquent formuliert, aber im Inhalt doch vielleicht ein wenig zu kühn, und es überakzentuiert die individuelle Frontstellung des Verfassers gegen den Rest der juristischen Welt.
Someks Blick auf das Recht erfolgt dennoch auf produktiv irritierende Weise von außen. Er analysiert es fachlich aus einer ungewöhnlichen sozialen Distanz. Seine Analysen bestimmter Phänomene gewinnen daraus eine reflektierende Weltfremdheit: Dazu gehört das anwaltliche Verheimlichen des Einkaufens spezieller juristischer Expertise durch den eigentlich angefragten Experten, um den Mandaten nicht an der Verunsicherung und Unübersichtlichkeit des Rechts teilhaben zu lassen; ferner die Charakterisierung der Rechtspraktiker als Kreative, die auf überraschende Weise Sachverhalte von der Anwendung bestimmter Normen ausnehmen und Konstruktionen finden könnten, um bestimmte Konsequenzen zu erreichen oder zu vermeiden. Auch die sozialen Funktionen von Selbstbeschreibungen in juristischen Bewerbungsgesprächen werden infolge eines fremden Blicks auf die obskuren Verhältnisse dieser Disziplin durchschaubar.
Zu Anfang erklärt Somek wissenschaftsphilosophisch, die Theorie solle "das rechtliche Wissen vor den Verzückungen der Vernunft" bewahren, indem es uns über dieses Recht und seine klügelnden Fachsprachen ernüchtere. Überträgt man die programmatische Auskunft des Autors als Selbstbeschreibung auf sein Werk, dann findet man sich von manchen seiner Ernüchterungen dennoch verzückt.
MILOS VEC
Alexander Somek: "Rechtliches Wissen". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 240 S., br., 10,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alexander Somek macht die Paragraphenwelt anschaulich
An den juristischen Fakultäten ist es heute intellektuell noch langweiliger geworden, als es die längste Zeit schon gewesen ist? Alexander Somek tritt an, um mit seinem ehrgeizigen Buch zu zeigen, daß es auch anders geht.
Wenn Anfänger zu Beginn eines Buches laut mit den Waffen klirren und freimütig Kampfansagen herausposaunen, darf man darauf gefaßt sein, daß am Ende alles beim alten bleibt. Der abgebrühte Leser ahnt es schon: Die versprochenen Innovationen in Gegenstand und Methode werden ausbleiben, und am Ende verbrüdert sich der Verfasser noch mit den abgeschmacktesten Gemeinplätzen des Fachs. Alexander Somek, der von der ersten Seite an effektvoll polemisiert, ist kein Anfänger der Rechtstheorie, und das hier ist keine Erstlingsschrift.
Someks Buch handelt von der Rechtstheorie, also einem sogenannten Grundlagenfach der Rechtswissenschaft. Das Werk bietet eine ausgewogene Mischung aus den Selbstbeobachtungen eines leidenschaftlichen Vertreters dieser Disziplin, der schon als Mittvierziger eine ungewöhnliche intellektuelle Biographie hinter sich hat, und Fallstudien, in denen Somek seine zuvor verkündeten Programmsätze mit Geschick einzulösen sucht. Der Charme aller seiner Beweisführungen liegt in der Schärfe seines Gedankens, der sich souverän beherrschter Argumente sowohl aus verschiedenen Bereichen des Rechts als auch aus praktischer Philosophie, Soziologie und der Ökonomie bedient. Hier räsoniert ein ganz eigenständiger Kopf, der sich an zunehmend größeren Werkstücken erprobt.
Somek hat dabei ein starkes Anliegen, mit dem er den Leser frontal überfällt. Würde er später seine Versprechungen nicht halten, er hätte sich durch seine Abgrenzungsrhetorik unrettbar ins Zwielicht des Prätentiösen gesetzt. Denn Someks Ausgangspunkt ist eine heikle Selbstinszenierung. Die Rechtstheorie erscheint in seinem Buch als ein seitens der Juristen entbehrlich erlebtes Fach, dem zudem an den Universitäten die Abschaffung drohe. Die isolierende Frontstellung, mit der er kokettiert, ist also mindestens eine zweifache: Theorie gegen die fehlenden substantiellen Reflexionen der Rechtspraktiker, und - noch schärfer formuliert - Rechtstheorie gegen die an den Universitäten vermittelte affirmative Rechtsgelehrsamkeit.
Im Ton geht Somek deutlich über das hinaus, was man an disziplinärer Wehklage juristischer Grundlagenforscher gewohnt ist. Der von Wien nach Iowa gelangte Rechtslehrer schreibt: "An der Universität wird gelehrt, weil dies um der Anstellung willen unvermeidbar ist. Die Forschung dient vorzugsweise der Produktion didaktischer Materialien, mit denen sich an der Massenuniversität so manch ansehnliche Rente beziehen läßt. Seitdem der Unternehmer-Professor zum Standardmodell geworden ist, ist es an den Juristischen Fakultäten intellektuell noch langweiliger geworden, als es ohnedies schon die längste Zeit gewesen ist." Besondere Hiebe erfährt die Rechtswissenschaft für ihren zunehmenden Verzicht auf Philosophie. Nicht minder wird die Rechtspraxis abgewatscht, über die Somek aus jenen Begegnungen im Rahmen einer Trierer Richterakademie erfahren hat, daß wer Rechtstheorie mache, nicht dazugehöre.
Someks übergreifendes Projekt heißt "nachpositivistisches Rechtsdenken" (so auch der Buchtitel der 1996 gemeinsam mit Nikolaus Forgó erfolgten Publikation). Diese Rechtstheorie erhebt anders die positivistische Lehre des berühmten Oxforder Rechtsphilosophen Herbert L. A. Hart den Anspruch, Relevanz für praktische Problemlösungen zu haben. Die Bausteine, die der Autor in diesem Band nun vorlegt, fügen sich nicht vollkommen ineinander. Es handelt sich um überarbeitete Einzelbeiträge, die ursprünglich aus anderen Kontexten stammten, nun aber zu einem neuen Zweck bearbeitet worden sind. Dennoch stecken sie in repräsentativer und interessanter Weise das intellektuelle Feld ab: Somek neigt zu politiknahen Themen wie der juristischen Dogmatik des Diskriminierungsverbots oder der Konstruktion der Grundrechte. Bei alledem spielen Methodenfragen und das Selbstverständnis der Akteure eine große Rolle: Eine Art soziologischer Interessenjurisprudenz, übertragen in ein sonst eher unanschauliches und hochformalisiertes Feld der Rechtstheorie, kennzeichnet die überzeugendsten Passagen des Bandes.
Obwohl Somek auch ein kundiger Rezensent der Methodenlehren anderer Rechtswissenschaftler ist und der Leser mit Wohlwollen seine Kritik an den Unschärfen mancher fremden Ausführungen nachvollziehen kann, liegt die eigentliche Herausforderung anderswo. Denn nimmt man Someks Programm ernst, dann muß es sich an jenem Stoff von Fällen bewähren, aus dem das Recht geschaffen ist. Mehrere solcher, zumeist fiktiver Konflikte bieten einen roten Faden, an dem entlang der Autor zeigt, mit welchen komplexen Denkoperationen es eine adäquat reflektierende Methodenlehre zu tun hat.
Das letzte und vielleicht dichteste Stück des Bandes beschäftigt sich mit dem Diskriminierungsrecht. Wie immer geriert sich Somek als Rätsellöser, der aus den überraschenden argumentativen Wendungen die Kraft seiner Didaxe zieht. Sein Fallbeispiel konstruiert einen Gaststättenbesitzer, der im Stellenangebot angibt, er beschäftige keine "Schwulen". Mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung, lautet hier die entscheidende Frage. Der Kneipier, so die realistische Unterstellung, möge noch zu seiner listigen Rechtfertigung vorbringen, er habe gar nichts gegen homosexuelle Männer, aber seine Kunden wollten sich eben ungern von diesen bedienen lassen, und deshalb handele er aus rationalem ökonomischem Kalkül.
Der Rekurs auf die Präferenzen der Verbraucher, welcher das Problem zu entschärfen scheint, könnte jenen Stimmen eine rettende Brücke bauen, die gerne von mittelbarer Diskriminierung ausgehen würden. Doch Somek zeigt, daß dieses Konstrukt nicht tragfähig ist. Denn damit werde nur die grundlose Ablehnung perpetuiert, die sich mit einer rationalisierenden Erklärung bemäntelt und der sexuellen Identität des Arbeitnehmers die Anerkennung versagt. Vielmehr müßten die Vorurteile der Konsumenten durch das Recht an jener entscheidenden Stelle unterbrochen werden, an der der Arbeitgeber zum Distributionsagenten werde.
Anders aber im Fall einer Damenkapelle, die keine Männer ans Mikrofon lasse: Diese selektiert die Bewerber zwar geschlechtsspezifisch, aber sie festige keine systematische soziale Schlechterstellung von Männern: Von Girl-Groups wird nicht erwartet, daß sie als Distributionsagenten diskriminierender Ziele agieren, etwa weil sie der Vermutung anhängen, Männer seien schlechtere Musiker als Frauen. Erschwert würden, so Somek, diese und ähnliche Entscheidungen im Diskriminierungsrecht, da es an distributiven Regeln fehle: Die soziale Teilung der Verantwortung sei nicht normiert, das Recht entsprechend unbestimmt. Infolgedessen, so Someks methodische Kritik, bleibe dieses Rechtsgebiet anfällig für moralischen Intuitionismus und werde in fataler Weise nachgiebig gegenüber angeblichen ökonomischen "Sachzwängen".
Somek begreift das Recht als "System zwangsbewehrter wechselseitiger Verhaltenszumutungen, die jemanden treffen können oder nicht". Zu ermitteln, wann diese Verhaltenszumutungen von bloßen sozialen Pflichten zu Recht umschlagen, ist für ihn die disziplinäre Aufgabe der juristischen Expertise, die diese aber infolge systematischer Schwächen nur unvollkommen erfüllt. Somek entwirft statt dessen die Vision einer "konstruktivistischen Rechtswissenschaft": Rechtstheorie ist demnach eine Theorie des Rechts als Theorie rechtlichen Wissens. Sie solle sich an die Stelle der Vergangenheit gewordenen "Rechtswissenschaft" setzen. Das ist als Abgesang eloquent formuliert, aber im Inhalt doch vielleicht ein wenig zu kühn, und es überakzentuiert die individuelle Frontstellung des Verfassers gegen den Rest der juristischen Welt.
Someks Blick auf das Recht erfolgt dennoch auf produktiv irritierende Weise von außen. Er analysiert es fachlich aus einer ungewöhnlichen sozialen Distanz. Seine Analysen bestimmter Phänomene gewinnen daraus eine reflektierende Weltfremdheit: Dazu gehört das anwaltliche Verheimlichen des Einkaufens spezieller juristischer Expertise durch den eigentlich angefragten Experten, um den Mandaten nicht an der Verunsicherung und Unübersichtlichkeit des Rechts teilhaben zu lassen; ferner die Charakterisierung der Rechtspraktiker als Kreative, die auf überraschende Weise Sachverhalte von der Anwendung bestimmter Normen ausnehmen und Konstruktionen finden könnten, um bestimmte Konsequenzen zu erreichen oder zu vermeiden. Auch die sozialen Funktionen von Selbstbeschreibungen in juristischen Bewerbungsgesprächen werden infolge eines fremden Blicks auf die obskuren Verhältnisse dieser Disziplin durchschaubar.
Zu Anfang erklärt Somek wissenschaftsphilosophisch, die Theorie solle "das rechtliche Wissen vor den Verzückungen der Vernunft" bewahren, indem es uns über dieses Recht und seine klügelnden Fachsprachen ernüchtere. Überträgt man die programmatische Auskunft des Autors als Selbstbeschreibung auf sein Werk, dann findet man sich von manchen seiner Ernüchterungen dennoch verzückt.
MILOS VEC
Alexander Somek: "Rechtliches Wissen". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006. 240 S., br., 10,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Beeindruckt scheint Rezensent Milos Vec von diesem theoretischem Werk des Rechtswissenschaftler Alexander Somek. Er attestiert dem Autor "Schärfe des Gedankens" sowie Souveränität in der Argumentation und würdigt ihn als "ganz eigenständigen Kopf". Das Werk bietet nach Ansicht Vecs eine "ausgewogene Mischung" aus den Selbstbeobachtungen Someks und Fallstudien, in denen er seine zuvor verkündeten Programmsätze einzulösen sucht. Teils in polemischen Ton kritisiere der Autor den zunehmenden Verzicht der Rechtswissenschaft auf Philosophie. Someks eigenes übergreifendes Projekt beschreibt Vec mit einem Buchtitel des Autors von 1996 als "nachpositivistisches Denken". Im Zentrum des Buches sieht er politiknahe Themen wie die juristischen Dogmatik des Diskriminierungsverbots oder die Konstruktion der Grundrechte. Methodenfragen und das Selbstverständnis der Akteure spielten dabei eine große Rolle. Vec hebt besonders die Passagen über das Diskriminierungsrecht hervor, ein Rechtsgebiet, das nach Somek anfällig für moralischen Intuitionismus und nachgiebig gegenüber angeblichen ökonomischen "Sachzwängen" sei.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein logisch aufgebauter rechtsphilosophischer Versuch, wie er in der gängigen österreichischen Literatur bisher unbekannt war. Sein philosophisches Denken mäandert nicht ins Unverständliche, sondern führt konsequent von A nach B, eine Qualität, die nicht in jeder Studie anzutreffen ist. Beeindruckend ist auch die Sprache, die dem Maßstab der Verständlichkeit in jedem Satz gerecht wird.« Janko Ferk RZ, Organ der Richter und Staatsanwälte Österreichs