Rechts und links, Freiheit oder Gleichheit - welche Bedeutung und welchen Sinn haben diese Begriffe heute noch?Wer den Unterschied von rechts und links leugnet, gibt die Idee einer Gesellschaft mit gleichen Rechten auf, stiehlt sich aus der Spannung zwischen Freiheit und Gleichheit, die seit der Französischen Revolution besteht. Norberto Bobbio, der große politische Denker Italiens, hat mit 'Rechts und links' einen in seiner Klarheit unübertroffenen Klassiker der politischen Philosophie geschrieben. »Für diese italienische Einmischung, mit Lust am Demokratischen, mit Leidenschaft gegen die Denunziation von Demokratie als Gleichmacherei, kann man nur dankbar sein.« Die Zeit
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.1995Wenig Trost
Der große alte Bobbio vergewissert sich
Norberto Bobbio: Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1994. 95 Seiten, 14,80 Mark.
"Manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein Illtum!" Mit diesem lyrischen Kalauer von Ernst Jandl ließe sich der Inhalt des Essays von Norberto Bobbo zusammenfassen, wenn dem Autor die Sache nicht zu ernst wäre. Er betont zwar immer wieder, nicht werten, sondern einfach referieren zu wollen. Doch am Ende läßt er die Katze doch aus dem Sack und bekennt, sich immer als "Linker" verstanden und dem Begriff "links" deshalb auch immer eine positive, dem Begriff "rechts" dagegen eine negative Bedeutung beigemessen zu haben. Daran hält er fest. Der ganze Essay dient dem großen alten Mann der politischen Philosophie in Italien deshalb eigentlich der Selbstvergewisserung.
In Italien sind von der Originalausgabe in wenigen Monaten über 100000 Exemplare verkauft worden. In dem großen politischen Durcheinander, in dem sich das Land gegenwärtig befindet, scheinen viele Linke eine Antwort auf eine politische Situation gesucht zu haben, die sie an ihrer eigenen Existenz zweifeln läßt. Doch ist hier wirklich ein linker Sinnstifter am Werk? Wer eine inhaltliche Wegweisung sucht, wird aus dem Essay wenig Trost schöpfen können. Bobbio stellt vielmehr fest, daß das Links-Rechts-Schema lediglich eine räumliche Metapher sei und als Wortpaar nichts anderes als die Dichotomie politischer Gegensätze beschreibe. Der Inhalt der beiden Begriffe sei historisch variabel, sie seien deshalb auch nicht als "ontologische Begriffe" anzusehen, mit einem zeitlosen, immer gleichbleibenden Inhalt.
Und doch stellt die dichotomische Gegenüberstellung von links und rechts für Bobbio keine bloße Worthülse dar. Scharfsinnig arbeitet er die gegenseitige Bezogenheit von Rechten und Linken als eine Art Grundprinzip der politischen Demokratie heraus. Das Gleichgewicht von links und rechts sieht er in der Demokratie immer als gefährdet an. Wird es zugunsten der einen Seite völlig aufgehoben, endet das in linkem oder rechtem Extremismus. Im Grunde läuft das auf eine theoretische Neudefinition der Totalitarismustheorie hinaus, die in Italien freilich nie wissenschaftliche Bedeutung hatte. Auch Bobbio nimmt an keiner Stelle seines Essays darauf Bezug. Es wäre bei ihm freilich auch eine Totalitarismustheorie in linker Absicht. Bobbio fühlt sich dem "Polarstern" des Gleichheitsprinzips verpflichtet. Deshalb führt er als wichtigstes Beispiel für linken Extremismus auch nur das "Jakobinertum" an, dem er auf der extremen Rechten Faschismus und Nationalsozialismus entgegensetzt. Der Kommunismus, gleich welcher Prägung, kommt in seinem Links-Rechts-Schema merkwürdigerweise nirgends vor.
Was bleibt also? Einerseits eine "rechte Mitte", freiheitlich orientiert, aber das Gleichheitsideal einseitig auf die Gleichheit vor dem Gesetz beschränkend. Auf der anderen Seite eine "linke Mitte", zugleich egalitär und freiheitlich orientiert, "für die wir heute den Ausdruck ,Liberalsozialismus' verwenden können". Und das ist für Bobbio in der politischen Realität die in Italien soeben untergegangene Sozialdemokratie. WOLFGANG SCHIEDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der große alte Bobbio vergewissert sich
Norberto Bobbio: Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung. Aus dem Italienischen von Moshe Kahn. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1994. 95 Seiten, 14,80 Mark.
"Manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern. Werch ein Illtum!" Mit diesem lyrischen Kalauer von Ernst Jandl ließe sich der Inhalt des Essays von Norberto Bobbo zusammenfassen, wenn dem Autor die Sache nicht zu ernst wäre. Er betont zwar immer wieder, nicht werten, sondern einfach referieren zu wollen. Doch am Ende läßt er die Katze doch aus dem Sack und bekennt, sich immer als "Linker" verstanden und dem Begriff "links" deshalb auch immer eine positive, dem Begriff "rechts" dagegen eine negative Bedeutung beigemessen zu haben. Daran hält er fest. Der ganze Essay dient dem großen alten Mann der politischen Philosophie in Italien deshalb eigentlich der Selbstvergewisserung.
In Italien sind von der Originalausgabe in wenigen Monaten über 100000 Exemplare verkauft worden. In dem großen politischen Durcheinander, in dem sich das Land gegenwärtig befindet, scheinen viele Linke eine Antwort auf eine politische Situation gesucht zu haben, die sie an ihrer eigenen Existenz zweifeln läßt. Doch ist hier wirklich ein linker Sinnstifter am Werk? Wer eine inhaltliche Wegweisung sucht, wird aus dem Essay wenig Trost schöpfen können. Bobbio stellt vielmehr fest, daß das Links-Rechts-Schema lediglich eine räumliche Metapher sei und als Wortpaar nichts anderes als die Dichotomie politischer Gegensätze beschreibe. Der Inhalt der beiden Begriffe sei historisch variabel, sie seien deshalb auch nicht als "ontologische Begriffe" anzusehen, mit einem zeitlosen, immer gleichbleibenden Inhalt.
Und doch stellt die dichotomische Gegenüberstellung von links und rechts für Bobbio keine bloße Worthülse dar. Scharfsinnig arbeitet er die gegenseitige Bezogenheit von Rechten und Linken als eine Art Grundprinzip der politischen Demokratie heraus. Das Gleichgewicht von links und rechts sieht er in der Demokratie immer als gefährdet an. Wird es zugunsten der einen Seite völlig aufgehoben, endet das in linkem oder rechtem Extremismus. Im Grunde läuft das auf eine theoretische Neudefinition der Totalitarismustheorie hinaus, die in Italien freilich nie wissenschaftliche Bedeutung hatte. Auch Bobbio nimmt an keiner Stelle seines Essays darauf Bezug. Es wäre bei ihm freilich auch eine Totalitarismustheorie in linker Absicht. Bobbio fühlt sich dem "Polarstern" des Gleichheitsprinzips verpflichtet. Deshalb führt er als wichtigstes Beispiel für linken Extremismus auch nur das "Jakobinertum" an, dem er auf der extremen Rechten Faschismus und Nationalsozialismus entgegensetzt. Der Kommunismus, gleich welcher Prägung, kommt in seinem Links-Rechts-Schema merkwürdigerweise nirgends vor.
Was bleibt also? Einerseits eine "rechte Mitte", freiheitlich orientiert, aber das Gleichheitsideal einseitig auf die Gleichheit vor dem Gesetz beschränkend. Auf der anderen Seite eine "linke Mitte", zugleich egalitär und freiheitlich orientiert, "für die wir heute den Ausdruck ,Liberalsozialismus' verwenden können". Und das ist für Bobbio in der politischen Realität die in Italien soeben untergegangene Sozialdemokratie. WOLFGANG SCHIEDER
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensentin Marlen Hobrack stellt Überlegungen an zum Links-Rechts-Schema in der Politik. Aktuelle Handreiche dazu scheint ihr Noberto Bobbios Buch von 1994 weiterhin zu sein. Wenn der Autor fragt, ob die Unterscheidung zwischen den politischen Extremen obsolet sei und wie die Argumente zu dieser These lauten könnten, lernt Hobrack etwas über die innere Interdependez des Schemas wie auch über wesentliche Unterscheidungsmerkmale der beiden Seiten und darüber, wer ein Interesse an der Aufhebung des Schemas haben könnte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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