Die gegenwärtigen Debatten um die Präimplantationsdiagnostik, die Forschung an embryonalen Stammzellen und das Klonen zielen selten einzig auf den Austausch moralisch-ethischer Argumente. Häufiger geht es auch und vor allem um die Begründung mindestens national, wenn nicht sogar international durchSetzbarer rechtlicher Normen. Besonders Kritiker der Forschung plädieren angesichts von Reproduktionstourismus, Stammzellimporten und internationalem Forschungstransfer für internationale Regulierungen. Inwieweit aber legitimieren ethische Unzulässigkeitsurteile auch rechtliche Verbote? Und unter welchen Bedingungen sind supra- oder internationale Regulierungen in einem moralisch kontroversen Bereich wie dem der Embryonenforschung legitim? Die in bioethischen Debatten verbreitete Selbstverständlichkeit, mit welcher von der moralischen auf die rechtliche und von der nationalen auf die internationale Diskussionsebene gewechselt wird, gilt es zu hinterfragen. Dieses Buch diskutiert unter Verweis auf bereits etablierte nationale und supranationale Regulierungsmaßnahmen, ob eine grenzüberschreitende Nutzung unterschiedlicher moralischer und rechtlicher Standards eine Harmonisierung der Forschungsregulationen erforderlich macht oder die Koexistenz unterschiedlicher moralischer und rechtlicher Standards ethisch akzeptabel sein kann.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2008Was kann ein Vierzeller in die Waagschale werfen?
Soll man die Frage, wie es um die Menschenwürde des Embryos steht, mit einem Leitfaden für Diplomaten beantworten? Zwei Bände geben Antwort.
Über kaum einen zweiten Satz besteht unter den praktischen Philosophen der Neuzeit ein solch hohes Maß an Übereinstimmung wie über die Forderung, dass aus dem Naturzustand herauszugehen sei. Die Menschen, anthropologisch wie sozialphilosophisch als Mängelwesen erkannt, wären längst zugrunde gegangen, hätten sie es nicht verstanden, ihre natürliche Ausstattung kulturell zu überformen und so ihre defizitäre erste durch eine selbstgeschaffene zweite Natur zu stabilisieren und zu domestizieren.
Die neuzeitliche Philosophie machte sich diesen Befund in doppelter Weise zunutze. Zum einen führte sie die Selbsterhaltungsleistung der Menschengattung gegen die überkommene Deutungshoheit der Theologie ins Feld, zum anderen suchte sie die Mitwirkung an dem Projekt der Kultivierung des naturhaft Gegebenen als Aufgabe eines jeden Gesellschaftsmitglieds auszuweisen. Wer sich dieser Mitwirkung versage, so wie die Südseebewohner, die in Kants Worten ihr Leben "bloß auf Müßiggang, Ergötzlichkeit, Fortpflanzung, mit einem Wort auf Genuss" abstellen, verkenne, was er seiner Würde als Mitglied des Reichs der Zwecke schuldig sei, und verdiene deshalb moralischen Tadel.
In der gegenwärtigen bioethischen Diskussion ist der Verweis auf die Bildungsfähigkeit und Bildungsbedürftigkeit des Menschen einem tiefgreifenden Bedeutungswandel unterzogen worden. Zum einen sind aus pflichtbegründenden Eigenschaften statusbegründende Merkmale geworden. Begründungstopoi, die ursprünglich dazu bestimmt waren, die Theologen zurück- und die Faulen zurechtzuweisen, werden nunmehr eingesetzt, um den Ausschluss solcher Lebewesen aus der menschlichen Rechtsgemeinschaft zu begründen, die aus biologischen Gründen zu rationaler Selbstbildung noch nicht imstande sind.
Grenze der Biologisierung.
Zum anderen wird das Projekt der Selbstkultivierung des Menschengeschlechts des moralischen Impulses beraubt, der den Aufklärern noch selbstverständlich war, und im Namen eines radikal säkularisierten Autonomieverständnisses auf die quasi ingenieurwissenschaftliche Perspektive technischer Selbstverbesserung zusammengestrichen.
Die Unbefangenheit, mit der diese folgenschweren begriffsstrategischen Umstellungen vorgenommen werden, lässt sich an Dorothee Brockhages Streitschrift gegen die von ihr im Einklang mit ihrem Lehrer Dieter Birnbacher beklagte "Naturalisierung der Menschenwürde" studieren. Mit dem Gestus der Selbstverständlichkeit belehrt uns die Autorin, dass die Zuerkennung und Verletzbarkeit menschlicher Würde spätestens seit der Aufklärung prinzipiell Ich-Bewusstsein, Selbstbestimmungsfähigkeit und Vernunft voraussetzten. Gegenüber Embryonen bestehe deshalb kein striktes Verletzungsverbot, sondern lediglich die in dem Gedanken der Gattungssolidarität wurzelnde Pflicht, sie nicht grundlos um die Chance zu ihrer Weiterentwicklung zu bringen. Eine ernstzunehmende Eingriffsschranke liegt darin nicht. Nach Brockhages Überzeugung entspricht es nämlich der "Idee der Menschenwürde und ihren klassischen Inhalten Rationalität, Freiheit und Perfektibilität", "die menschliche Natur als ,Material' der Selbstbestimmung und Selbstveränderung der Gattung freizugeben". Was soll ein Vierzeller gegen eine derart hochgestimmte Rhetorik noch in die Waagschale werfen können?
Die Crux derartiger Thesen besteht allerdings darin, dass sie tendenziell zu viel beweisen. Wenn die Zuerkennung von Menschenwürde "zu einem den aktuellen Fähigkeiten vorgelagerten Zeitpunkt in jedem Fall der besonderen Begründung (bedarf)", muss das Gleiche in Bezug auf solche Menschen gelten, die die betreffenden Fähigkeiten entweder nie erlangt oder wieder verloren haben. Brockhage versucht, diesem Problem mit den üblichen Beschwichtigungsformeln zu begegnen. Nicht-mehr-Personen werde man bereits aus Eigeninteresse ein Lebensrecht nicht absprechen wollen, und kleinen Kindern sei schon um der allgemeinen Rechtssicherheit willen ein umfassender Lebensschutz zuzubilligen. Diese Argumente sind aber offensichtlich unzureichend. Der Rechtssicherheit wird auch Genüge getan, wenn der volle Personalitätsschutz erst zu einem fest definierten Zeitpunkt nach der Geburt einsetzt. Und wenn man erst einmal den Lebenssinn einseitig auf die Fähigkeit zur Selbstmächtigkeit festgelegt hat, ist ein Eigeninteresse am Fortbestand eines umfassenden Lebensschutzes nach dem endgültigen Verlust dieser Fähigkeit nicht konsistent begründbar.
Brockhage scheint die Schwäche ihrer Argumentation selbst zu spüren. Jedenfalls schiebt sie die Versicherung nach, der Bezug der Menschenwürde auf Vernünftigkeit dürfe "nicht im Sinne einer Bindung an die entsprechenden empirischen Voraussetzungen bei dem konkreten menschlichen Individuum missverstanden werden". Wie aber will eine Autorin, die das Speziesargument als naturalistisch ablehnt, diesen Bezug denn sonst verstehen? Eine Antwort darauf findet man bei Brockhage nicht. Indem sie ihrer Konstruktion die Härten zu nehmen sucht, entzieht sie ihr unversehens die Grundlage.
Minou Friele, ebenfalls eine Schülerin Birnbachers, verfolgt in ihrer Arbeit über die "Rechtsethik der Embryonenforschung" eine andere und auf den ersten Blick aussichtsreichere Argumentationsstrategie. Zwar gründet auch für Friele die Würde des Menschen vornehmlich in dessen Fähigkeit, bestimmte Bewusstseinsleistungen zu erbringen und Interessen zu entwickeln. Da jedoch eine Einigung in dieser Frage nicht zu erwarten sei, empfehle es sich, sie aus der weiteren Diskussion so weit wie möglich auszuklammern und sich stattdessen auf jene Gefahren einer unzureichend regulierten biomedizinischen Forschung zu konzentrieren, deren Beachtlichkeit allgemein anerkannt sei. Niemand wolle, dass die Biotechnologie zur Ausbeutung von Frauen, zur Diskriminierung Behinderter oder zum Verlust reproduktiver Selbstbestimmung führe. Diese Übereinstimmung solle man zur Etablierung rechtlicher Mindeststandards nutzen, die national und möglichst auch international konsensfähig seien. Eine solche Aufgabe sei bereits anspruchsvoll genug. "Sie durch ein Beharren auf moralischen Positionen hinauszuschieben, birgt das Risiko, dass die Durchsetzung von unzweifelhaft berechtigten Ansprüchen, etwa den Schutz von wissenschaftlich motivierten Übergriffen gegenüber Patienten, vernachlässigt wird."
Die verbannte Personenfrage.
Als verhandlungstaktischer Ratschlag verstanden ist dies eine Selbstverständlichkeit. Ein niedriges Schutzniveau ist besser als überhaupt kein Schutz, und wenn sich mehr nicht durchsetzen lässt, nimmt man eben das wenige. Friele beansprucht freilich, nicht lediglich einen Leitfaden für Diplomaten vorzulegen, sondern eine philosophische Abhandlung. Ihr Programm eines Minimalschutzes betrachtet sie keineswegs nur als eine der diskursiven Not geschuldete Behelfslösung, sondern als die einzig angemessene Antwort auf die für liberale Demokratien grundlegende "rechtsmoralische Frage, welche Freiheitseinschränkungen berechtigt Anerkennung von allen Normadressaten erwarten dürfen - das heißt auch von denjenigen, deren Interessen und Wünsche durch sie behindert werden".
Da ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung einen Personstatus von Embryonen nicht anerkennt, darf dieser bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Embryonenforschung keine Rolle spielen - auf diese schlichte These laufen Frieles philosophische Erörterungen hinaus. Entgegen ihrer Ankündigung lässt die Verfasserin damit die Statusfrage keineswegs offen. Der Embryo selbst würde, wenn man ihn fragen könnte, der in seiner Tötung liegenden Freiheitseinschränkung schwerlich zustimmen. Nur weil Friele ihn von vornherein aus dem Kreis der relevanten Normadressaten herausdefiniert hat, kann sie hernach zu dem Schluss gelangen, seine Belange dürften den Befürwortern der Embryonenforschung nicht entgegengehalten werden.
Hinter den zeitgeistgemäßen Formeln von Demokratie, Liberalität und guten Gründen versteckt sich mithin ein klassischer Zirkelschluss. Wie man es auch wendet, um die Statusproblematik kommt man nicht herum. Wer die Bücher von Brockhage und Friele gelesen hat, ist in dieser Frage allerdings nicht klüger als zuvor.
MICHAEL PAWLIK.
Dorothee Brockhage: "Die Naturalisierung der Menschenwürde in der deutschen bioethischen Diskussion nach 1945". Lit Verlag, Berlin 2007. 248 S., br., 24,90 [Euro].
Minou B. Friele: "Rechtsethik der Embryonenforschung". Zur Rechtsharmonisierung in moralisch umstrittenen Bereichen. mentis Verlag, Paderborn 2008. 280 S., br., 34,- [Euro].
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Soll man die Frage, wie es um die Menschenwürde des Embryos steht, mit einem Leitfaden für Diplomaten beantworten? Zwei Bände geben Antwort.
Über kaum einen zweiten Satz besteht unter den praktischen Philosophen der Neuzeit ein solch hohes Maß an Übereinstimmung wie über die Forderung, dass aus dem Naturzustand herauszugehen sei. Die Menschen, anthropologisch wie sozialphilosophisch als Mängelwesen erkannt, wären längst zugrunde gegangen, hätten sie es nicht verstanden, ihre natürliche Ausstattung kulturell zu überformen und so ihre defizitäre erste durch eine selbstgeschaffene zweite Natur zu stabilisieren und zu domestizieren.
Die neuzeitliche Philosophie machte sich diesen Befund in doppelter Weise zunutze. Zum einen führte sie die Selbsterhaltungsleistung der Menschengattung gegen die überkommene Deutungshoheit der Theologie ins Feld, zum anderen suchte sie die Mitwirkung an dem Projekt der Kultivierung des naturhaft Gegebenen als Aufgabe eines jeden Gesellschaftsmitglieds auszuweisen. Wer sich dieser Mitwirkung versage, so wie die Südseebewohner, die in Kants Worten ihr Leben "bloß auf Müßiggang, Ergötzlichkeit, Fortpflanzung, mit einem Wort auf Genuss" abstellen, verkenne, was er seiner Würde als Mitglied des Reichs der Zwecke schuldig sei, und verdiene deshalb moralischen Tadel.
In der gegenwärtigen bioethischen Diskussion ist der Verweis auf die Bildungsfähigkeit und Bildungsbedürftigkeit des Menschen einem tiefgreifenden Bedeutungswandel unterzogen worden. Zum einen sind aus pflichtbegründenden Eigenschaften statusbegründende Merkmale geworden. Begründungstopoi, die ursprünglich dazu bestimmt waren, die Theologen zurück- und die Faulen zurechtzuweisen, werden nunmehr eingesetzt, um den Ausschluss solcher Lebewesen aus der menschlichen Rechtsgemeinschaft zu begründen, die aus biologischen Gründen zu rationaler Selbstbildung noch nicht imstande sind.
Grenze der Biologisierung.
Zum anderen wird das Projekt der Selbstkultivierung des Menschengeschlechts des moralischen Impulses beraubt, der den Aufklärern noch selbstverständlich war, und im Namen eines radikal säkularisierten Autonomieverständnisses auf die quasi ingenieurwissenschaftliche Perspektive technischer Selbstverbesserung zusammengestrichen.
Die Unbefangenheit, mit der diese folgenschweren begriffsstrategischen Umstellungen vorgenommen werden, lässt sich an Dorothee Brockhages Streitschrift gegen die von ihr im Einklang mit ihrem Lehrer Dieter Birnbacher beklagte "Naturalisierung der Menschenwürde" studieren. Mit dem Gestus der Selbstverständlichkeit belehrt uns die Autorin, dass die Zuerkennung und Verletzbarkeit menschlicher Würde spätestens seit der Aufklärung prinzipiell Ich-Bewusstsein, Selbstbestimmungsfähigkeit und Vernunft voraussetzten. Gegenüber Embryonen bestehe deshalb kein striktes Verletzungsverbot, sondern lediglich die in dem Gedanken der Gattungssolidarität wurzelnde Pflicht, sie nicht grundlos um die Chance zu ihrer Weiterentwicklung zu bringen. Eine ernstzunehmende Eingriffsschranke liegt darin nicht. Nach Brockhages Überzeugung entspricht es nämlich der "Idee der Menschenwürde und ihren klassischen Inhalten Rationalität, Freiheit und Perfektibilität", "die menschliche Natur als ,Material' der Selbstbestimmung und Selbstveränderung der Gattung freizugeben". Was soll ein Vierzeller gegen eine derart hochgestimmte Rhetorik noch in die Waagschale werfen können?
Die Crux derartiger Thesen besteht allerdings darin, dass sie tendenziell zu viel beweisen. Wenn die Zuerkennung von Menschenwürde "zu einem den aktuellen Fähigkeiten vorgelagerten Zeitpunkt in jedem Fall der besonderen Begründung (bedarf)", muss das Gleiche in Bezug auf solche Menschen gelten, die die betreffenden Fähigkeiten entweder nie erlangt oder wieder verloren haben. Brockhage versucht, diesem Problem mit den üblichen Beschwichtigungsformeln zu begegnen. Nicht-mehr-Personen werde man bereits aus Eigeninteresse ein Lebensrecht nicht absprechen wollen, und kleinen Kindern sei schon um der allgemeinen Rechtssicherheit willen ein umfassender Lebensschutz zuzubilligen. Diese Argumente sind aber offensichtlich unzureichend. Der Rechtssicherheit wird auch Genüge getan, wenn der volle Personalitätsschutz erst zu einem fest definierten Zeitpunkt nach der Geburt einsetzt. Und wenn man erst einmal den Lebenssinn einseitig auf die Fähigkeit zur Selbstmächtigkeit festgelegt hat, ist ein Eigeninteresse am Fortbestand eines umfassenden Lebensschutzes nach dem endgültigen Verlust dieser Fähigkeit nicht konsistent begründbar.
Brockhage scheint die Schwäche ihrer Argumentation selbst zu spüren. Jedenfalls schiebt sie die Versicherung nach, der Bezug der Menschenwürde auf Vernünftigkeit dürfe "nicht im Sinne einer Bindung an die entsprechenden empirischen Voraussetzungen bei dem konkreten menschlichen Individuum missverstanden werden". Wie aber will eine Autorin, die das Speziesargument als naturalistisch ablehnt, diesen Bezug denn sonst verstehen? Eine Antwort darauf findet man bei Brockhage nicht. Indem sie ihrer Konstruktion die Härten zu nehmen sucht, entzieht sie ihr unversehens die Grundlage.
Minou Friele, ebenfalls eine Schülerin Birnbachers, verfolgt in ihrer Arbeit über die "Rechtsethik der Embryonenforschung" eine andere und auf den ersten Blick aussichtsreichere Argumentationsstrategie. Zwar gründet auch für Friele die Würde des Menschen vornehmlich in dessen Fähigkeit, bestimmte Bewusstseinsleistungen zu erbringen und Interessen zu entwickeln. Da jedoch eine Einigung in dieser Frage nicht zu erwarten sei, empfehle es sich, sie aus der weiteren Diskussion so weit wie möglich auszuklammern und sich stattdessen auf jene Gefahren einer unzureichend regulierten biomedizinischen Forschung zu konzentrieren, deren Beachtlichkeit allgemein anerkannt sei. Niemand wolle, dass die Biotechnologie zur Ausbeutung von Frauen, zur Diskriminierung Behinderter oder zum Verlust reproduktiver Selbstbestimmung führe. Diese Übereinstimmung solle man zur Etablierung rechtlicher Mindeststandards nutzen, die national und möglichst auch international konsensfähig seien. Eine solche Aufgabe sei bereits anspruchsvoll genug. "Sie durch ein Beharren auf moralischen Positionen hinauszuschieben, birgt das Risiko, dass die Durchsetzung von unzweifelhaft berechtigten Ansprüchen, etwa den Schutz von wissenschaftlich motivierten Übergriffen gegenüber Patienten, vernachlässigt wird."
Die verbannte Personenfrage.
Als verhandlungstaktischer Ratschlag verstanden ist dies eine Selbstverständlichkeit. Ein niedriges Schutzniveau ist besser als überhaupt kein Schutz, und wenn sich mehr nicht durchsetzen lässt, nimmt man eben das wenige. Friele beansprucht freilich, nicht lediglich einen Leitfaden für Diplomaten vorzulegen, sondern eine philosophische Abhandlung. Ihr Programm eines Minimalschutzes betrachtet sie keineswegs nur als eine der diskursiven Not geschuldete Behelfslösung, sondern als die einzig angemessene Antwort auf die für liberale Demokratien grundlegende "rechtsmoralische Frage, welche Freiheitseinschränkungen berechtigt Anerkennung von allen Normadressaten erwarten dürfen - das heißt auch von denjenigen, deren Interessen und Wünsche durch sie behindert werden".
Da ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung einen Personstatus von Embryonen nicht anerkennt, darf dieser bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Embryonenforschung keine Rolle spielen - auf diese schlichte These laufen Frieles philosophische Erörterungen hinaus. Entgegen ihrer Ankündigung lässt die Verfasserin damit die Statusfrage keineswegs offen. Der Embryo selbst würde, wenn man ihn fragen könnte, der in seiner Tötung liegenden Freiheitseinschränkung schwerlich zustimmen. Nur weil Friele ihn von vornherein aus dem Kreis der relevanten Normadressaten herausdefiniert hat, kann sie hernach zu dem Schluss gelangen, seine Belange dürften den Befürwortern der Embryonenforschung nicht entgegengehalten werden.
Hinter den zeitgeistgemäßen Formeln von Demokratie, Liberalität und guten Gründen versteckt sich mithin ein klassischer Zirkelschluss. Wie man es auch wendet, um die Statusproblematik kommt man nicht herum. Wer die Bücher von Brockhage und Friele gelesen hat, ist in dieser Frage allerdings nicht klüger als zuvor.
MICHAEL PAWLIK.
Dorothee Brockhage: "Die Naturalisierung der Menschenwürde in der deutschen bioethischen Diskussion nach 1945". Lit Verlag, Berlin 2007. 248 S., br., 24,90 [Euro].
Minou B. Friele: "Rechtsethik der Embryonenforschung". Zur Rechtsharmonisierung in moralisch umstrittenen Bereichen. mentis Verlag, Paderborn 2008. 280 S., br., 34,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gespannt lässt sich Michael Pawlik auf Minou B. Frieles Argumentationsstrategie ein, um in der Frage der Statusproblematik innerhalb der bioethischen Diskussion weiter zu kommen. Das Buch liest er weniger als Leitfaden denn als philosophische Abhandlung, die den Minimalschutz als ultimative Handlungsanweisung ausgibt. Wenn der Rezensent am Ende der Lektüre feststellen muss, dass die Autorin den Personenstatus des Embryos in der Frage der Zulässigkeit der Embryonenforschung schlicht für nicht ausschlaggebend hält, scheint er enttäuscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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