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Das vereinte Deutschland erlebte in den letzten 13 Jahren mehrere rechtsextremistisch und antizivil motivierte Gewaltwellen. Darüber hinaus sympathisiert ein - bisher allerdings eher kleiner - Teil der Bevölkerung mit rechtsextremistischen Ideen. Angesichts der historischen Erfahrung mit dem mörderischen nationalsozialistischen System existiert in Deutschland zurecht eine besondere Sensibilität im Umgang mit diesem Thema. Allerdings besteht gerade deshalb die Gefahr, dass in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion die Problematik entweder verharmlost oder dramatisiert wird.…mehr

Produktbeschreibung
Das vereinte Deutschland erlebte in den letzten 13 Jahren mehrere rechtsextremistisch und antizivil motivierte Gewaltwellen. Darüber hinaus sympathisiert ein - bisher allerdings eher kleiner - Teil der Bevölkerung mit rechtsextremistischen Ideen. Angesichts der historischen Erfahrung mit dem mörderischen nationalsozialistischen System existiert in Deutschland zurecht eine besondere Sensibilität im Umgang mit diesem Thema. Allerdings besteht gerade deshalb die Gefahr, dass in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion die Problematik entweder verharmlost oder dramatisiert wird. Ausgehend von einer handbuchartigen Darstellung und Kritik der wichtigsten empirischen Untersuchungen und theoretischen Erklärungsansätze zu Rechtsextremismus und Jugendgewalt hat das Autorenteam vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungslinien im geteilten und vereinten Deutschland in vier Kleinstädten in Niedersachsen, Brandenburg, Bayern und Thüringen eine umfangreiche standardisierte Befragung und gleichzeitig eine Vielzahl von Interviews mit Jugendlichen, Politikern, Sozialarbeitern und Jugendhelfern durchgeführt. Mit der Erfassung von rechtsextremistischen und antizivilen Milieus, Denkstrukturen, Sprachregelungen, Verhaltensweisen und Dispositionen leistet die Untersuchung einen wichtigen Beitrag zur weiterhin notwendigen Diskussion dieser Einstellungen und Verhaltensweisen. Die vorliegende Untersuchung kann und will kein repräsentatives Bild extremistischer und anti-/nichtziviler Potenziale und Gefährdungen unter Jugendlichen in Deutschland zeichnen. Gleichwohl ermöglicht die Fokussierung auf kleinstädtische Milieus am Beispiel von Einbeck, Neuruppin, Deggendorf und Arnstadt, die sowohl eine West-Ost- als auch eine Nord-Süd-Kontrastierung zulassen, eine erfolgversprechende Tiefenanalyse vorhandener Einstellungen und Handlungsorientierungen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Ideologie, politischen Zielen und Erscheinungsformen des Rechtsextremismus soll zugleich Hinweise auf mögliche Präventionsstrategien liefern.
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Autorenporträt
Klaus Schroeder, geb. in Lübeck-Travemünde, ist promovierter Soziologe und habilitierter Politikwissenschaftler. Er leitet an der FU Berlin neben dem Forschungsverbund SED-Staat die Arbeitsstelle Politik und Technik und arbeitet als Professor am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin.
Im Rahmen seiner Forschungsarbeiten zur deutschen Teilungsgeschichte, zur DDR und zur Wiedervereinigung hat er mehrere Bücher verfasst.

Monika Deutz-Schroeder, geb. in Aachen, studierte Politologie und Soziologie an der Freien Universität Berlin und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2004

Auf Indikatorensuche
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland

Klaus Schroeder: Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003. 617 Seiten, 48,- [Euro].

Joachim Perels (Herausgeber): Der Rechtsradikalismus - ein Randphänomen? Kritische Analysen. Offizin Verlag, Hannover 2003. 147 Seiten, 9,80 [Euro].

Wer hierzulande Debatten über Rechtsextremismus verfolgt, trifft auf viel Alarmismus und Überzeichnung. Gerade auch empirische Studien - samt ihrer theoretischen Basis - offenbaren oft mehr über politische Gesinnungen ihrer Autoren als über Ursachen und Verbreitung von Rechtsextremismus. Klaus Schroeder setzt nun einen wichtigen Kontrapunkt. In seinem unaufgeregten Buch skizziert er zunächst die Entwicklung des Rechtsextremismus in Ost- und Westdeutschland seit 1945. Daraufhin diskutiert er einschlägige Erklärungsansätze und Umfragen.

Schroeder sensibilisiert für genauere Unterscheidungen. Wer Begriffe überdehne, könne kaum die Wirklichkeit präzise erfassen. Mehrfach kritisiert er deshalb expansive Definitionen der Begriffe Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus - beides Begriffe, die manche Studien für deckungsgleich halten. Gewiß äußerten sich fast alle Rechtsextremisten fremdenfeindlich, etwa wenn sie erklären, alle Ausländer sollten Deutschland besser verlassen. Doch warnt er davor, Befragte ohne weiteres als rechtsextrem zu bezeichnen, die zusätzliche Zuwanderung skeptisch beurteilen. Schroeder veranschaulicht methodische Probleme, indem er an eine schwammige Frage aus der Sinus-Studie erinnert: "Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen?" Halten Befragte, die hier mit Ja antworten, Hitler ohne seinen Judenmord für einen großen Staatsmann, oder meinen sie, andere bejahten eine solche Frage? Einige Autoren betrachten, so Schroeder, sogar die Ablehnung von Abtreibungen als einen Indikator für rechtsextreme Gesinnung - doch Abtreibung ist in Deutschland bekanntlich straffrei, aber rechtswidrig. Zu viele Studien stellen laut Schroeder durch ungenaue Fragen falsche Diagnosen, weshalb sie dann meist Therapievorschläge machen, die ihr Ziel verfehlen.

Nach ausführlicher Kritik an teilweise suggestiven Befragungen entwickelt Schroeder selbst einen standardisierten Fragebogen - mit vielen üblichen, aber präziser formulierten Fragen; zu den Indikatoren für eine rechtsextreme Gesinnung zählt er ein dem Nationalsozialismus nahes Geschichtsbild, Nationalismus, Biologismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiparlamentarismus. Im Unterschied zu anderen Studien verzichtet Schroeder auf den Indikator "Gewaltbereitschaft". Begründung: Zwar gebe es unter Rechtsextremisten viel Gewaltbereitschaft, aber auch weit darüber hinaus, und zwar ohne politische Gesinnung, nicht zuletzt unter und zwischen Ausländern und Aussiedlern. Dann hätte er allerdings weitere Indikatoren für rechtsextreme Gesinnung weglassen müssen. Mit seinen Fragebögen begibt er sich in vier deutsche Kleinstädte - Neuruppin in Brandenburg, Einbeck in Niedersachsen, Arnstadt in Thüringen und Deggendorf in Bayern. Also je zwei Städte im Osten und Westen beziehungsweise Norden und Süden, alles Orte ohne rechtsextreme Szene. In diesen vier "normalen" deutschen Städten befragen Schroeder und seine Mitarbeiter insgesamt knapp 1000 Jugendliche.

Schroeder nennt seine Ergebnisse typisch, aber nicht repräsentativ. Insgesamt verfügen, so seine Bilanz, lediglich 2,1 Prozent der Befragten über eine im engeren Sinne rechtsextreme Einstellung, bei weicheren Kriterien 6 Prozent. 13,4 Prozent äußern sich stark fremdenfeindlich, wobei Gesinnung bekanntlich nicht automatisch zu entsprechendem Verhalten führt. In Einbeck und Neuruppin tragen mehr Jugendliche ein rechtsextremes Weltbild in sich als in Arnstadt und Deggendorf. Also in diesem Punkt eher ein Kontrast zwischen Nord und Süd als Ost und West. Erwartungsgemäß plädieren mehr ost- als westdeutsche, mehr männliche als weibliche Schüler und mehr Hauptschüler als Gymnasiasten zum Beispiel für die "Reinhaltung des Deutschtums" (insgesamt knapp 15 Prozent). Besorgniserregend ist die geringe Zahl an Jugendlichen, die gegen rechtsextremes Denken immunisiert ist - 50 Prozent -, ebenso wie die hohe Ablehnung beziehungsweise Gleichgültigkeit, auf die das politische System der Bundesrepublik bei vielen Jugendlichen stößt. Schroeders Studie leidet etwas unter diversen Wiederholungen, überzeugt aber durch methodische Seriosität und abgewogene Analyse, jenseits von Dramatisierung und Verharmlosung.

Ähnlich wie Schroeder präsentiert Joachim Perels' Sammelband differenzierte Gedanken, etwa zu den Wurzeln von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in der DDR, in der bereits ein erhebliches Potential an "Prolet-Ariern" agierte. Allerdings finden sich in Perels' Buch auch zahlreiche Versuche, Grenzen zwischen politischer Mitte und Rechtsextremismus zu vernebeln, gerade auch durch stumpfe, entgrenzte Termini. Der Herausgeber befindet bereits im ersten Satz seiner Einleitung forsch: "Der Rechtsradikalismus ist kein bloßes Randphänomen." Eine Aussage, die der Titel seines Buches noch bezweifelt.

Ein Autor des Bandes unterstellt den Vertriebenenverbänden, "gewöhnlich . . . Geschichtsrevisionismus" zu betreiben. Dann allerdings äußert er sich selbst apologetisch über die Vertreibung: "Die Umsiedlung erfolgte nicht aus rassistischen, sondern antifaschistischen Gründen. Sie sollte dem damaligen Verständnis zufolge das künftige Konfliktpotential in Osteuropa verringern . . ." Hitlers Massenmord als Legitimation für die Vertreibung? Läßt sich der Diktator Stalin, zeitweise Hitlers Pakt-Partner, präzise als "Antifaschist" erfassen? Stalin agierte eher als mörderischer Expansionist und Imperialist. Wer versucht, Stalins Vertreibung zu beschönigen, kann kaum heutige Vertreibungen ächten. Perels' Buch erinnert an Kurt Tucholsky: "Der Leser hat es gut; er kann sich seine Schriftsteller aussuchen."

HARALD BERGSDORF

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Einigermaßen beeindruckt zeigt sich Eckhard Jesse von dieser umfangreichen Studie zu einem aktuellen Thema. Mit einem der gängigen Vorurteile räume der Band freilich gleich auf: eine signifikant größere Neigung zum Rechtsextremismus unter Jugendlichen lasse sich im Osten Deutschlands nicht feststellen. Untersuchungen, die anderes zu belegen scheinen, werden im vorliegenden Band, so jedenfalls der Rezensent, in "beeindruckender" Weise in Frage gestellt. Warum allerdings eine Testbehauptung wie "Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken" nicht als Umfrage-Indikator für Rechtsextremismus taugen soll, bleibt unerläutert. Interessant allemal die vom Wissenschaftler-Team um Herausgeber Schroeder erbrachten Ergebnisse: Als sehr viel weiter verbreitet denn wirklicher Extremismus erweisen sich Mangel an Toleranz und Indifferenz gegenüber der Demokratie. Und dies, überraschend genug, im Norden Deutschlands deutlich stärker als im Süden. Der Rezensent hält diese Studie offensichtlich für wichtig, kritisiert nur, dass sie mit "Tabellen und Grafiken überfrachtet" ist.

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