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Der Autor bietet in diesem Buch eine repräsentative Auswahl von Rechtsfällen, die in den Jahren 1495-1806 vor dem Reichskammergericht, dem obersten Gericht in der Frühen Neuzeit, verhandelt wurden. Das Buch stellt die Konflikte und Probleme der Menschen dieser Epoche erzählend dar, macht den kulturellen und sozialen Rahmen sichtbar und vermittelt eine Vorstellung von der Wirkungsweise dieses Gerichtes.

Produktbeschreibung
Der Autor bietet in diesem Buch eine repräsentative Auswahl von Rechtsfällen, die in den Jahren 1495-1806 vor dem Reichskammergericht, dem obersten Gericht in der Frühen Neuzeit, verhandelt wurden. Das Buch stellt die Konflikte und Probleme der Menschen dieser Epoche erzählend dar, macht den kulturellen und sozialen Rahmen sichtbar und vermittelt eine Vorstellung von der Wirkungsweise dieses Gerichtes.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.1995

Kühler Kopf unter der Perücke
Beim Reichskammergericht herrschte oberinstanzliche Sachlichkeit

Eine bösartige Legende, die wie alle Legenden ein langes Leben hat, behauptet, das Reichskammergericht habe sich mit seinen Fällen erst dann beschäftigt, wenn die an Stricken am Dachboden aufgehängten Akten zu Boden stürzten, weil die Stricke vom Alter morsch geworden waren oder Mäuse sie durchgebissen hatten. Die Geschichte ist frei erfunden, aber was geschah nun eigentlich wirklich am Reichskammergericht in Wetzlar, über dessen Tätigkeit - oder besser Untätigkeit - man vor kurzem noch spottete?

Der Frankfurter Rechtshistoriker Bernhard Diestelkamp widmet seit über dreißig Jahren den beiden obersten Reichsgerichten, dem Reichshofrat in Wien und dem Reichskammergericht, intensive Studien. Er ist Herausgeber einer inzwischen auf über zwanzig Bände angewachsenen Reihe "Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich".

Auf seine Initiative widmete in diesem Frühjahr das Frankfurter Stadtarchiv diesem Thema eine Ausstellung unter dem Titel "Frieden durch Recht. Das Reichskammergericht von 1495 bis 1806", die unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs des Europarates Daniel Turschys stand. Ein prachtvoller, im Verlag Philipp von Zabern in Mainz herausgebrachter Katalog ergänzte die Ausstellung und wies auf die Bedeutung des Reichskammergerichtes hin. Die Frage, die sich einem aufdrängt, konnte dieser Katalog aber auch nicht klären: Wenn es nicht die reißenden oder von Mäusen zerfressenen Stricke waren, die den Ablauf der Verfahren bestimmte, was war es dann? Wie ging das Gericht, das erst in Speyer und ab 1693 in Wetzlar tagte, mit seinen Klägern um?

Die Frage ist leicht gestellt und schwer beantwortet. Das Gericht hinterließ etwa 75000 Akten. Nach dem Ende des Reiches 1806 beschloß der Deutsche Bund als Nachfolger des Reiches, diese Akten auf die Zuständigkeit der Länder zu verteilen und nur einen Kernbestand in Wetzlar zu belassen. Die Prozeßakten wurden also in alle Winde zerstreut. Einen etwa doppelt so großen Aktenbestand über Reichshofratsprozesse beherbergt das Hof- und Staatsarchiv in Wien. Wer je mit ihm zu arbeiten versuchte, weiß, welche enormen Schwierigkeiten zu überwinden sind.

Daß ein Überblick über das Rechtssystem des Alten Reiches und sein Funktionieren in der Praxis nur in der Aufarbeitung von Prozessen möglich ist, davon waren alle überzeugt, die sich mit der Geschichte des Alten Reiches befassen. Aber wie soll man das angesichts der Aktenberge bewerkstelligen? Der Versuch Diestelkamps, von den Prozessen her die Tätigkeit des Reichskammergerichts darzustellen und zu beurteilen, stellt hier einen wichtigen Schritt dar. Diestelkamp beginnt mit einem kurzen Überblick über die Geschichte des Gerichts. Drei Eigenarten stellt er dabei besonders heraus: "Das Heilige Römische Reich hat den Schritt zu einer modernen Staatsform in Gestalt eines Verwaltungs- und Steuerstaates nicht geschafft, es war - wie man gesagt hat - bloßer Justizstaat" geblieben. Damit wird klar, wie wichtig ein funktionierendes oberstes Gericht war.

Das Reichskammergericht bildete außerdem, gemeinsam mit dem Reichshofrat, die Klammer, die das Reich zusammenhielt. Und schließlich war es insbesondere ein vom Kaiser unabhängiges Gericht der Reichsstände. Das zeigte sich darin, daß der Kaiser nur seinen Vertreter, den Kammerrichter und die beiden Präsidenten, einen katholischen und einen evangelischen, bezahlte, während die sechzehn bis fünfundzwanzig Beisitzer vom Reich über die Reichskreise unterhalten wurden. Schon 1495 bei seiner Gründung war festgelegt worden, daß das Reichskammergericht nicht am Ort des kaiserlichen Hofes tagen dürfte. Dies ist, wie Diestelkamp zu Recht herausstellt, in der europäischen Rechtsgeschichte einmalig.

Diestelkamp stellt insgesamt fünfundzwanzig Rechtsprozesse vor. Was die Lektüre etwas mühsam macht, ist die Tatsache, daß in den meisten Fällen die Urteile nicht bekannt sind. Urteilsbücher sind erst seit dem Umzug des Gerichts nach Wetzlar 1693 vorhanden. Dafür referiert Diestelkamp die erhalten gebliebenen Schriftsätze. Dadurch gewinnt man zwar einen guten Einblick in die Problematik der Prozesse. Die Schriftsätze erweisen sich jedoch vor zwei bis vier Jahrhunderten auch nicht viel ehrlicher und interessanter als heute. Es waren ja vorwiegend Zivilprozesse, die das Reichskammergericht behandelte. In die Strafprozesse griff es nur ein, wenn es sich um Rechtsverweigerungen beziehungsweise offensichtliche Verfahrensfehler handelte.

Welchen Eindruck erhält man durch die Lektüre dieses Buches? Wer Sensationen erwartet, wird enttäuscht. Die hier vorgestellten Untertanenprozesse etwa führten nur in seltenen Fällen zu einem für die Untertanen positiven Urteil. Es sind meist indirekte Einwirkungen des Gerichtes und weniger Urteile, die dem Kläger zugute kamen. Beeindruckend ist die vom Gericht ausgehende Rechtskultur, die hier an einigen Beispielen demonstriert wird und die auch auf die Urteile der obersten Appellationsgerichte in den Ländern ausstrahlte. Das gilt insbesondere auch für die von Diestelkamp vorgestellten Hexenprozesse, die, wenn sie vor das Reichskammergericht kamen, ihre hysterische Aufgeregtheit einbüßten und von der kühleren Atmosphäre eines hohen Gerichts profitierten. Ganz klar war die Haltung des Gerichts bei offenkundiger Rechtsverweigerung. Hier wurde, wenn es der Fall verlangte, auch rasch und energisch eingegriffen. Es wäre zuviel gesagt, wollte man von einer vom Reichskammergericht ausgehenden allgemeinen Rechtssicherheit sprechen. Aber das Gericht trug sicherlich dazu bei, daß Fürstenwillkür und Unrecht Schranken gesetzt wurden.

Die fünfundzwanzig klug ausgewählten Fälle zeigen auch, welch wichtiges sozialgeschichtliches Material in diesen Akten steckt und von welch hoher Gelehrsamkeit die Verfahren vor Gericht zeugen. Das Buch macht deutlich, daß es sich lohnt, an diese Aktenberge heranzugehen, die heute mit Hilfe elektronischer Geräte etwas von ihrem Schrecken verloren haben. KARL OTMAR FREIHERR VON ARETIN

Bernhard Diestelkamp: "Rechtsfälle aus dem Alten Reich." Denkwürdige Prozesse vor dem Reichskammergericht. C. H. Beck Verlag, München 1995. 320 Seiten, geb., 78,- DM.

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