Zum WerkDie Bundesrepublik Deutschland besteht seit über 70 Jahren. Errichtet wurde sie auf den Trümmern des kriegsverwüsteten Deutschland. Sie ist zwar nur noch ein Torso der drei Deutschen Reiche davor, entwickelte sich aber, erst recht nach dem Anschluss der DDR, zu einem der stabilsten und erfolgreichsten deutschen Staaten. Basis dafür war die Ausformung als freiheitlich demokratischer Rechtsstaat. Uwe Wesel schildert die wichtigsten Stationen dieser Erfolgsgeschichte auf die ihm eigene, faszinierende Art.Das Werk behandelt die vier Epochen:- Besatzungszeit 1945 - 1949- Von Adenauer bis Erhard 1949 - 1966- Von der ersten großen Koalition bis zur Wiedervereinigung 1966 - 1990- Von der Wiedervereinigung bis heuteZahlreiche Einzelthemen kommen zur Sprache: Besatzungsregime, Nürnberger Prozesse, Entnazifizierung und NS-Aufarbeitung, Währungsreform, Bildung der Bundesländer und der Verfassungen, Bundesgerichte (insbesondere das Bundesverfassungsgericht), Entwicklung von Öffentlichem Recht, Strafrecht und Zivilrecht, Soziales, Arbeitsrecht, Wirtschaftsordnung, Verbraucherschutz, Umweltschutz, Steuerrecht, EWG und Europäische Union, Euro-Einführung, Globalisierung und Migration.Vorteile auf einen Blick- erstmals wird das Thema so umfassend in einer Einzeldarstellung behandelt- hoch anschaulich durch viele Fallbeispiele höchstrichterlicher Entscheidungen, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts- leichte und spannende Lektüre, für die der Autor wie kein anderer stehtZielgruppeFür politisch, historisch und rechtshistorisch interessierte Leser. Für Studierende.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2019Es gibt ja Karlsruhe
Knapper und anschaulicher geht es kaum: Uwe Wesel legt eine Rechtsgeschichte der Bundesrepublik vor.
Von Michael Stolleis
Pünktlich zum siebzigsten Geburtstag unseres Staates legt der Berliner Rechtshistoriker Uwe Wesel eine "Rechtsgeschichte der Bundesrepublik" vor, ein schmales, informatives und für Nicht- oder Anfängerjuristen mühelos lesbares Buch. In vier großen Kapiteln (Besatzungszeit, Adenauer und Erhard, Große Koalition bis Wiedervereinigung, Wiedervereinigung bis heute) skizziert Wesel zunächst die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen, um dann dort die rechtshistorisch relevanten Fälle illustrierend und kommentierend einzubauen. Die Fälle kennzeichnen die Hauptgebiete des Rechts. Dazu gehören zunächst die Verfolgung von NS-Verbrechen, die beiden frühen Parteiverbote sowie die wichtigsten Entscheidungen der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts, die Wegemarken für die Zukunft bilden. Knapper und anschaulicher kann man es kaum machen.
Dass die Rechtsprechung so großen Raum einnimmt, liegt an der für die Bundesrepublik typischen Dominanz von Rechtsstaat und Richterrecht, noch einmal intensiviert durch den seit dem Lüth-Fall von 1958 überragenden Einfluss des Verfassungsrechts. Wesel kennzeichnet die Wegemarken der Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderzeit, der Konsolidierung der Demokratie im Inneren und der wachsenden internationalen Anerkennung, besonders aber der Umgestaltung des bürgerlichen Rechts durch die Vorgaben des Grundgesetzes und den Wertewandel der Gesellschaft selbst. Etwas zu knapp geraten scheinen dem Rezensenten die entsprechenden Vorgänge im öffentlichen Recht des Interventionsstaates, die zu neuen Kooperationsformen von der kommunalen Ebene bis zur Bundespolitik geführt haben. Hinzu kommt die Steuerung von Produktion und Konsumtion, von Wettbewerb und Kapitalmarkt durch das Recht der Europäischen Union. Seit längerem ist evident, dass die Dynamik des modernen öffentlichen Rechts und des Europarechts die Bereiche des klassischen Privatrechts übertrifft. Aber es ist einzusehen: Einzelheiten des öffentlichen Rechts, so der Autor, würden "den Rahmen dieser Darstellung sprengen".
Die verbleibenden Stoffmassen sind noch verästelt genug. Wachsende alte und ganz neue Rechtsgebiete machen den Überblick immer schwerer, etwa im Sozialrecht, Umweltrecht, Datenschutzrecht, Telekommunikationsrecht sowie im großen Block des Arbeits- und Wirtschaftsrechts. Die Verflechtungen mit dem primären und sekundären Europarecht samt der Luxemburger Rechtsprechung kommen hinzu. Das internationale Recht, das sich heute als Mélange von klassischem Völkerrecht, Verträgen aller Art und Normen nichtstaatlicher Akteure darstellt, konnte nur angedeutet werden. Uwe Wesel schildert jedenfalls mit Tempo und klarem Urteil, was auf so knappem Raum nur irgend möglich ist. Er fasst einprägsam zusammen, vermeidet Fachjargon, nutzt vor allem seinen gelegentlich sarkastischen Sprachwitz. Seine Präferenzen liegen bei der Beschreibung der schwierigen Häutungen des Ehe- und Familienrechts, bei den langfristigen Trends des sozialen Ausgleichs und bei den Modernisierungseffekten via Bundesverfassungsgericht.
Ein solches Buch muss dem Fortschreiten der Zeiten folgen und ebenso Unterbrechungen zulassen, wenn der Zusammenhang der Sache es erfordert. Das ist insgesamt gut gelungen. Nur gegen Ende wächst der Druck der Aktualität. Die strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Erbe der DDR, die Euro-Krise, die griechischen Staatsschulden und die Flüchtlingswelle nehmen verhältnismäßig viel Raum ein. Leider fällt die Rechtsgeschichte der DDR ganz aus, obwohl sie doch bis in die Gegenwart ihre Tiefenwirkungen zeigt. Gewiss, könnte Wesel entgegnen, sie gehörte staatsrechtlich nicht zur BRD 1949 - 1989, und danach war sie "Beitrittsgebiet". Aber sie war doch, ohne Rechtsstaat zu sein, eine Rechtsordnung auf deutschem Boden. Sollen wir nichts mehr über sie wissen?
Wesel teilt im Vorwort mit, er habe das Buch mit der Hand geschrieben und eine studentische Hilfskraft habe es ihm "sehr genau" auf den PC übersetzt. Dieses Lob kann der Rezensent angesichts mancher Schnitzer nicht ganz teilen. Aber das lässt sich hoffentlich demnächst korrigieren. Wesels Buch leitet den Leser in höchst informativer, spannender und kritischer Weise durch die zurückliegenden siebzig Jahre, in denen sich nacheinander Rechtsstaat, Sozialstaat und Demokratie entwickeln konnten, in denen es Krisen gab und weiterhin gibt. Der letzte augenzwinkernd geschriebene Satz lautet: "Man muss eben optimistisch sein und außerdem gibt es das Bundesverfassungsgericht." Ob das reicht, wissen wir alle nicht.
Uwe Wesel: "Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland". Von der Besatzungszeit bis zur Gegenwart.
C. H. Beck Verlag, München 2019.
276 S., geb., 29,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Knapper und anschaulicher geht es kaum: Uwe Wesel legt eine Rechtsgeschichte der Bundesrepublik vor.
Von Michael Stolleis
Pünktlich zum siebzigsten Geburtstag unseres Staates legt der Berliner Rechtshistoriker Uwe Wesel eine "Rechtsgeschichte der Bundesrepublik" vor, ein schmales, informatives und für Nicht- oder Anfängerjuristen mühelos lesbares Buch. In vier großen Kapiteln (Besatzungszeit, Adenauer und Erhard, Große Koalition bis Wiedervereinigung, Wiedervereinigung bis heute) skizziert Wesel zunächst die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen, um dann dort die rechtshistorisch relevanten Fälle illustrierend und kommentierend einzubauen. Die Fälle kennzeichnen die Hauptgebiete des Rechts. Dazu gehören zunächst die Verfolgung von NS-Verbrechen, die beiden frühen Parteiverbote sowie die wichtigsten Entscheidungen der obersten Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts, die Wegemarken für die Zukunft bilden. Knapper und anschaulicher kann man es kaum machen.
Dass die Rechtsprechung so großen Raum einnimmt, liegt an der für die Bundesrepublik typischen Dominanz von Rechtsstaat und Richterrecht, noch einmal intensiviert durch den seit dem Lüth-Fall von 1958 überragenden Einfluss des Verfassungsrechts. Wesel kennzeichnet die Wegemarken der Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderzeit, der Konsolidierung der Demokratie im Inneren und der wachsenden internationalen Anerkennung, besonders aber der Umgestaltung des bürgerlichen Rechts durch die Vorgaben des Grundgesetzes und den Wertewandel der Gesellschaft selbst. Etwas zu knapp geraten scheinen dem Rezensenten die entsprechenden Vorgänge im öffentlichen Recht des Interventionsstaates, die zu neuen Kooperationsformen von der kommunalen Ebene bis zur Bundespolitik geführt haben. Hinzu kommt die Steuerung von Produktion und Konsumtion, von Wettbewerb und Kapitalmarkt durch das Recht der Europäischen Union. Seit längerem ist evident, dass die Dynamik des modernen öffentlichen Rechts und des Europarechts die Bereiche des klassischen Privatrechts übertrifft. Aber es ist einzusehen: Einzelheiten des öffentlichen Rechts, so der Autor, würden "den Rahmen dieser Darstellung sprengen".
Die verbleibenden Stoffmassen sind noch verästelt genug. Wachsende alte und ganz neue Rechtsgebiete machen den Überblick immer schwerer, etwa im Sozialrecht, Umweltrecht, Datenschutzrecht, Telekommunikationsrecht sowie im großen Block des Arbeits- und Wirtschaftsrechts. Die Verflechtungen mit dem primären und sekundären Europarecht samt der Luxemburger Rechtsprechung kommen hinzu. Das internationale Recht, das sich heute als Mélange von klassischem Völkerrecht, Verträgen aller Art und Normen nichtstaatlicher Akteure darstellt, konnte nur angedeutet werden. Uwe Wesel schildert jedenfalls mit Tempo und klarem Urteil, was auf so knappem Raum nur irgend möglich ist. Er fasst einprägsam zusammen, vermeidet Fachjargon, nutzt vor allem seinen gelegentlich sarkastischen Sprachwitz. Seine Präferenzen liegen bei der Beschreibung der schwierigen Häutungen des Ehe- und Familienrechts, bei den langfristigen Trends des sozialen Ausgleichs und bei den Modernisierungseffekten via Bundesverfassungsgericht.
Ein solches Buch muss dem Fortschreiten der Zeiten folgen und ebenso Unterbrechungen zulassen, wenn der Zusammenhang der Sache es erfordert. Das ist insgesamt gut gelungen. Nur gegen Ende wächst der Druck der Aktualität. Die strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Erbe der DDR, die Euro-Krise, die griechischen Staatsschulden und die Flüchtlingswelle nehmen verhältnismäßig viel Raum ein. Leider fällt die Rechtsgeschichte der DDR ganz aus, obwohl sie doch bis in die Gegenwart ihre Tiefenwirkungen zeigt. Gewiss, könnte Wesel entgegnen, sie gehörte staatsrechtlich nicht zur BRD 1949 - 1989, und danach war sie "Beitrittsgebiet". Aber sie war doch, ohne Rechtsstaat zu sein, eine Rechtsordnung auf deutschem Boden. Sollen wir nichts mehr über sie wissen?
Wesel teilt im Vorwort mit, er habe das Buch mit der Hand geschrieben und eine studentische Hilfskraft habe es ihm "sehr genau" auf den PC übersetzt. Dieses Lob kann der Rezensent angesichts mancher Schnitzer nicht ganz teilen. Aber das lässt sich hoffentlich demnächst korrigieren. Wesels Buch leitet den Leser in höchst informativer, spannender und kritischer Weise durch die zurückliegenden siebzig Jahre, in denen sich nacheinander Rechtsstaat, Sozialstaat und Demokratie entwickeln konnten, in denen es Krisen gab und weiterhin gibt. Der letzte augenzwinkernd geschriebene Satz lautet: "Man muss eben optimistisch sein und außerdem gibt es das Bundesverfassungsgericht." Ob das reicht, wissen wir alle nicht.
Uwe Wesel: "Rechtsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland". Von der Besatzungszeit bis zur Gegenwart.
C. H. Beck Verlag, München 2019.
276 S., geb., 29,80 [Euro].
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