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Angesichts der Globalisierung und der von ihr aufgeworfenen Probleme für das nationale und das internationale Recht gewinnt die Rechtsphilosophie immer stärker an Bedeutung. Zugleich verbinden sich rechtstheoretische Fragen wieder zunehmend mit philosophischen Überlegungen. Der vorliegende Band versammelt 20 Beiträge namhafter Rechtstheoretiker und Philosophen, die die eigenständige Begriffsbildung und die Entwicklung neuer Theorieansätze auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie zum Ziel haben. Das Spektrum reicht dabei von grundbegrifflichen Klärungen bis hin zu konkreten Problemstellungen des…mehr

Produktbeschreibung
Angesichts der Globalisierung und der von ihr aufgeworfenen Probleme für das nationale und das internationale Recht gewinnt die Rechtsphilosophie immer stärker an Bedeutung. Zugleich verbinden sich rechtstheoretische Fragen wieder zunehmend mit philosophischen Überlegungen. Der vorliegende Band versammelt 20 Beiträge namhafter Rechtstheoretiker und Philosophen, die die eigenständige Begriffsbildung und die Entwicklung neuer Theorieansätze auf dem Gebiet der Rechtsphilosophie zum Ziel haben. Das Spektrum reicht dabei von grundbegrifflichen Klärungen bis hin zu konkreten Problemstellungen des globalisierten Rechts und bietet einen umfassenden Überblick über die aktuelle deutsche und internationale Debatte. Mit Beiträgen u. a. von Robert Alexy, Klaus Günther, Gunther Teubner, Otfried Höffe und Jürgen Habermas.
Autorenporträt
Brugger, WinfriedWinfried Brugger ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Heidelberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2009

Bloße Begriffsanalyse ist ausgereizt

Die Rechtsphilosophie ist in die Defensive geraten - und ihre Vertreter wissen das. Wie organisieren sie ihre Verteidigung? Ein Sammelband klärt auf.

Als Anselm von Feuerbach, der Gründervater der modernen deutschen Strafrechtswissenschaft, im Jahre 1804 seine Antrittsvorlesung an der Universität Landshut zu halten hat, gibt er ihr den Titel "Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnisse zur positiven Rechtswissenschaft". Feuerbach weiß, was er seinem neuen Dienstherrn schuldig ist. "Der Rechtsgelehrte im Staat", so führt er aus, sei "Diener des Positivgesetzes, und er schändet seinen Beruf, wenn er gegen die Heiligkeit dieses Gesetzes auch nur im mindesten sich vergisst". Jedoch ist Feuerbach sich darüber im Klaren, dass das Urteil des jungen Hegel über die Reichsverfassung - sie stehe isoliert vom Geist der Zeit in der Welt - auch für das bestehende Strafrechtssystem gilt. Es ist hoffnungslos überholt und muss durch eine neue, bessere Ordnung ersetzt werden. Das künftige Strafrecht soll nach Feuerbachs Überzeugung nichts anderes sein als ein kodifiziertes Vernunftrecht. Zwar obliegt es dem staatlichen Gesetzgeber, dieses Recht in Kraft zu setzen. Der wahre législateur aber ist der Philosoph, der ihn über das von der Vernunft Gebotene belehrt.

Die sich seit dem 19. Jahrhundert vollziehende Konsolidierung und Ausziselierung des Rechtsstoffs hat dieser rechtsphilosophischen Selbstermächtigung rasch den Boden entzogen, und heute, im Zeitalter der Vollpositivierung und des hochgezüchteten juristischen Spezialistentums, erscheint sie nicht einmal mehr anmaßend, sondern geradezu rührend unterkomplex. Die heutige Rechtsphilosophie tritt denn auch weitaus bescheidener auf. In der Aufsatzsammlung über "Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert", einem repräsentativen Querschnitt durch das gegenwärtige rechtsphilosophische Meinungsspektrum in Deutschland, sind trotz des pompösen Titels die Selbstzweifel nicht zu überhören. Die Rechtsphilosophie leide unter ihrer Selbstisolation und einem Mangel an Themen (Eric Hilgendorf), sie vermöge weder den inhaltlichen Erwartungen der heutigen Rechtspraxis noch den erkenntnistheoretischen Standards ihrer Nachbarwissenschaften gerecht zu werden (Werner Krawietz). Die Rechtsphilosophie ist seit geraumer Zeit in die Defensive geraten, und ihre Vertreter wissen das. Wie organisieren sie ihre Verteidigung?

Eine verbreitete Antwort lautet, die Rechtsphilosophie möge auf die Formulierung normativer Standards verzichten und sich in die sichere Zitadelle der Begriffsanalyse zurückziehen. Nur in Gestalt einer Allgemeinen Rechtslehre oder Rechtstheorie habe die Rechtsphilosophie reelle Überlebenschancen. Auch unter den Autoren des vorliegenden Bandes findet diese Empfehlung breite Resonanz. Im Vergleich mit der älteren Diskussion über Naturrecht und Rechtspositivismus ist dabei ein beträchtlicher Zuwachs an methodischer Reflektiertheit und terminologischer Schärfe zu verzeichnen. An die Stelle des alten, weltanschaulich überhöhten Entweder-oder ist die Einsicht getreten, dass die Antworten auf die Frage nach dem Begriff des Rechts unterschiedlich ausfallen können, je nachdem ob der Fragende die Teilnehmer- oder die Beobachterperspektive einnimmt und ob er die faktische Geltung oder die Legitimität rechtlicher Normen zum Thema macht (Robert Alexy, Peter Koller).

Der Erregungswert der dabei erzielten Ergebnisse verhält sich allerdings nicht selten umgekehrt proportional zu dem in ihre Herleitung investierten Scharfsinn. Selbst die altgediente Radbruchsche Formel erlebt einen neuen Frühling: Zum Begriff des Rechts als eines Mediums des Interessenausgleichs gehöre es, dass es nicht "total ungerecht" sein dürfe, indem es einige Individuen überhaupt nicht berücksichtige (Dietmar v. d. Pfordten). Alle diese Thesen sind wohlbegründet und können breiter Anerkennung sicher sein, aber neu und überraschend sind sie nicht im Geringsten. Die Karte der Begriffsanalyse ist, wie es scheint, im Wesentlichen ausgereizt. Der Bestand wird routiniert und eloquent verwaltet, aber kaum noch gemehrt.

Chancen-, aber auch risikoreicher für eine unter Druck geratene Disziplin ist es, sich dem Publikum dadurch zu empfehlen, dass sie allgemein interessierenden Themen neue, aufschlussreiche Facetten abzugewinnen weiß. Auch unter den Autoren des vorliegenden Bandes findet sich eine Reihe von Anhängern einer solchen Vorwärtsverteidigung. Selbständige theoretische Ansätze wie etwa der Versuch, die klassischen Probleme der Rechtsphilosophie von einer neuartigen Anthropologie menschlichen Handelns her zu in den Blick zu nehmen (Winfried Brugger), sind dabei allerdings die Ausnahme. Erwartungsgemäß sind die meisten Autoren entweder diskurs- oder systemtheoretisch inspiriert. Auch die Arbeitsteilung zwischen beiden Fraktionen hält sich im Rahmen des Üblichen. Die Diskurstheoretiker sind für das Herzerwärmende zuständig: den Entwurf einer friedens- und freiheitssichernden weltbürgerlichen Ordnung (Jürgen Habermas) und den Nachweis, dass der Menschenrechtsgedanke erst in diskurstheoretischer Einkleidung ganz zu sich selbst komme (Klaus Günther). Die Systemtheoretiker finden hingegen ihr Hauptvergnügen darin, Wasser in den Wein der universalistischen Emphase zu gießen: durch die These, dass die Evolution von Gesellschaft und Recht bislang gerade kein allgemeingültiges Muster der Modernisierung hervorgebracht habe (Krawietz), und durch eine Lesart der Menschenrechte, die diese nicht als Erfüllung einer hochgemuten Freiheitsidee, sondern lediglich als Aufhalter, als "Begrenzung gesellschaftlicher Destruktionspotentiale gegenüber Leib und Seele" begreift (Gunther Teubner).

Das Für und Wider dieser Positionen ist hinlänglich bekannt. Die Diskurstheoretiker arbeiten mit überstarken Idealisierungen. So pariert Günther das Bedenken, es gebe normative Garantien, die der Möglichkeit einer diskursiven Revision von vornherein nicht ausgesetzt werden sollten, mit dem Argument, er setze selbstverständlich einen allseits offenen und rational geführten Diskurs voraus. Aber damit definiert er die Folgen des Sündenfalls aus dem Recht heraus. Dass vernünftige Leute in einem vernünftigen Verfahren zu vernünftigen Ergebnissen kommen werden, ist plausibel. Aber gilt das auch für die Abgeordneten des Hessischen Landtags? Die Systemtheoretiker hingegen neigen dazu, mit einem theoretischen Aufwand von der Größe eines Berges dogmatische Mäuse zu gebären. So laufen die am Beispiel des Konflikts zwischen der Not der Aids-Kranken und der vom Patentrecht geschützten Preispolitik der Pharmakonzerne entwickelten Überlegungen Teubners auf die Forderung hinaus, künftig müssten Gesundheitsbelange in stärkerem Maße als bisher in wirtschaftliche Rationalität eingebaut werden. Hätte man dieses Fazit nicht auch einfacher haben können?

Der Gesamteindruck ist zwiespältig. Die Disziplin Rechtsphilosophie funktioniert, daran ist kein Zweifel. Der Argumentationsstandard ist hoch, der theoretische Aufwand beträchtlich. Was aber weitgehend fehlt, ist das Innovative, Verblüffende, Provozierende. In ihrer Nischenexistenz hat sich die Rechtsphilosophie gut eingerichtet. Ihre Rolle in der sich intellektuell neu formierenden Welt des 21. Jahrhunderts hat sie allerdings bislang noch nicht gefunden.

MICHAEL PAWLIK

Winfried Brugger, Ulfrid Neumann, Stephan Kirste (Hrsg.): "Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 480 S., br., 16,- [Euro].

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