Mit Red Team Blues hat Cory Doctorow einen Finanzthriller verfasst, der gegen so ziemlich jede Regel des modernen Romans verstößt und sich beharrlich den Konventionen jeglicher Genres verweigert. Was den Roman dennoch so unterhaltsam macht, erfahrt ihr in dieser Rezension.
Das rote Team greift
an, das blaue Team verteidigt …
Alleine schon die Ausgangslage ist mehr als nur ungewöhnlich:…mehrMit Red Team Blues hat Cory Doctorow einen Finanzthriller verfasst, der gegen so ziemlich jede Regel des modernen Romans verstößt und sich beharrlich den Konventionen jeglicher Genres verweigert. Was den Roman dennoch so unterhaltsam macht, erfahrt ihr in dieser Rezension.
Das rote Team greift an, das blaue Team verteidigt …
Alleine schon die Ausgangslage ist mehr als nur ungewöhnlich: Unsere Hauptfigur ist ein beinahe siebzig Jahre alter forensischer Buchhalter, der mithilfe seines Laptops die Finanzströme der Welt durchschaut, spielerisch mit Kryptowährungen und Co. umgeht, dabei Geldwäsche und andere kriminelle Aktivitäten aufdeckt und sich mit faulen Behörden, gierigen Tech-Start-ups und gnadenlosen Drogenbanden anlegt, während er wahlweise Whisky oder Hanf-Gummibärchen zu sich nimmt – Was kann da schon schief gehen?
Und tatsächlich scheint es auf den ersten Blick viele Punkte zu geben, die wir als Leser kritisieren könnten: So ist das Ausgangsszenario – abgesehen vom Krypto-Rahmen - nicht sonderlich innovativ: ein alternder Held, der einen allerletzten Job erledigen möchte, bevor er sich endgültig zur Ruhe setzt und dabei in große Schwierigkeiten gerät – das haben wir so oder so ähnlich schon öfters gehört.
Unkonventionelle Strukturen
Darüber hinaus scheint „Red Team Blues“ nicht dem üblichen Aufbau eines Romans zu folgen: So ist der eigentliche und größte Spannungsbogen nach gut der Hälfte des (viel zu kurzen) Romans abgeschlossen und die entscheidenden Fragen sind zu diesem Zeitpunkt bereits geklärt.
Hinzu kommt ein recht ungewöhnliches Verständnis des Autors für Timing und Beschreibungen. Während die meisten Action-Szenen und eigentlich alle relevanten Entwicklungen sozusagen „Off-Screen“ vonstattengehen, kommen wir in den Genuss vieler – dafür aber nicht sonderlich ausführlicher – Beschreibungen von Essen, Alkohol und Sex.
Irgendwo in einer nicht weit entfernten Zukunft
Und dennoch habe ich mich durchweg hervorragend unterhalten gefühlt. Doch woran liegt das? Vielleicht am interessanten Szenario, das Doctorow vor uns aufbaut. Dass sich der Roman dennoch wie ein Science-Fiction-Roman anfühlt, hat in erster Linie damit zu tun, dass unsere Handlung weitestgehend im Silicon Valley in San Francisco angesiedelt ist.
Wir bewegen uns also nicht in einer Zukunftsvision, sondern viel mehr in einer Parallelwelt. Als eine der bedeutendsten Keimzellen des technologischen Fortschritts zeigt die Region dabei ihre zwei bekannten Gesichter: Auf der einen Seite die glänzende Metropole, in der jede Woche neue Start-Ups entstehen von Abermilliarden von Dollars umgesetzt werden, auf der anderen Seite in direkter Tuchfühlung bitterste Armut und der alltägliche Kampf ums Überleben.
Die Untiefen der Finanzbranche
Diese Umgebung gibt auch die bestimmenden Motive des Romans vor. Doctorow zeigt uns dabei auf, wie neue Errungenschaften wie Krypto-Währungen von herkömmlichen Kriminellen und bekannten Institutionen missbraucht werden. Ich bin kein Experte auf dem Finanzmarkt und auch nicht vernarrt in Kryptowährungen, aber die von ihm entworfenen Szenarien sind auch für mich extrem faszinierend und haben dazu geführt, dass ich mich tiefer in das Thema eingelesen habe.
Spezialwissen muss man übrigens nicht haben – auch ohne den entsprechenden Hintergrund kann man die Geschichten genießen, auch wenn es das Lesevergnügen steigert, wenn man beispielsweise weiß, was ein Ledger oder eine Blockchain ist.
Unterhaltsamer Erzähler
Es schadet sicherlich auch nicht, dass unser Autor ein unterhaltsamer Erzähler ist. Trotz des oben angeschriebenen ungewöhnlichen Poltaufbaus herrscht in der ganzen – alleine aus der Perspektive von Martin Hench erzählten – Geschichte ein hohes Erzähltempo vor. Neben vielen Monologen hilft es, dass Doctorow durchaus dazu in der Lage ist, zeitliche Abläufe sprachlich zu verdichten, wenn er denn nur will.
Freunde gepflegter Action-Szenen könnten hingegen enttäuscht werden. Trotz des Geldwäsche-Rahmens und der Verstrickung diverser Behörden und krimineller Vereinigungen sehen wir meist nur die Ergebnisse der zu erwartenden Eskalationen.
Sympathisches Figurenensemble
Das ist insoweit konsequent, als dass unsere Hauptfigur Martin Hench nun einmal auf die siebzig zugeht und keinen Expendables-Verschnitt oder auch nur einen Detektiv der alten Schule darstellt. Auch sonst handelt es sich bei ihm eine ungewöhnliche Figur. Hench bewegt sich seit der Dotcom-Blase im Fahrwasser bekannter Tech-Größen und verdient sein Geld als eine Art forensischer Cyber-/Krypto-/Finanzbuchhalter. Seine Aufgabe ist es dabei, in den Wirren finanzieller, tatsächlicher und rechtlicher Konstruktionen Daten und Informationen auf nicht immer ganz legalen Wegen zu beschaffen.
Fazit
Cory Doctorow spielt in Red Team Blues mit der Erwartungshaltung seiner Leser und liefert einen in jeglicher Hinsicht ungewöhnlichen, dafür aber nicht weniger unterhaltsamen, brisanten und hochaktuellen Roman ab!