Jemand stirbt, doch wird nicht ihm allein Gewalt angetan; der Tod zeichnet auch die, die bleiben. Um der Erschütterung zu begegnen, muß sie überführt werden in Sprache. Dies zu tun, setzen die Gedichte von Kerstin Preiwuß eine Bewegung unterhalb der Bewußtseinsschwelle in Gang, die das Reden und das Erkennen verändern wird und den Tod selbst zur Sprache bringt, als läge er dem Ich dieser Gedichte auf der Zunge. Letztlich sind es die Worte, die einen Weg zurück weisen in die Welt, wie sie vor der Erschütterung war und nach ihr wieder sein wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2012Dämon im Idiom
Eine Weise von Sprache, Liebe und Tod mimt der neue Gedichtband "Rede" der Leipziger Lyrikerin Kerstin Preiwuß. Langue und parole wie Eros und Thanatos gehen in diesem zwölfteiligen, weitgehend im Parlando gehaltenen Langgedicht der studierten Linguistin und Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Hand in Hand. Im Spannungsfeld von Mallarmé, Wittgenstein und Roman Jakobson lässt Preiwuß dabei ihre oft zarten, zuweilen ironisch oder auch erotisch angehauchten Verse zwischen den Polen Sprachvertrauen und Sprachkritik oszillieren: "verschwende mich / schütte mich aus / der haut fährt mein dämon idiom". Fein austarierte Zeilenbrüche, die hier noch nicht wie bei manchem Zeitgenossen einem alles nivellierenden Blocksatz gewichen sind, fungieren immer wieder als Dreh- und Angelpunkte für wechselnde Wortverbindungen und Sinnverschiebungsketten: "atme es aus es atmete sich ein / wort ist eine pore ist haut sein". Preiwuß hat dieses Verfahren gezielter syntaktischer Vexierspiele zwar nicht erfunden, nutzt es aber stilsicher, um aus sprachlicher Reduktion, gespickt mit Reimen und Homophonien, Klang und Fülle zu gewinnen. Leider gerät so manche inszenierte Kapriole unfreiwillig komisch: "dein schädel stülpt seinen inhalt um wie ein gugelhupf / den du aus der form stürzen musst um ihn zu genießen." Dafür entschädigen nicht wenige überzeugend ins lyrische Bild gesetzte Gedanken über Liebe und Sinnlichkeit: "die kunst einen rücken zu streicheln / das wäre was." Dann meldet sich wieder der Tod. (Kerstin Preiwuß: "Rede". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 87 S., br., 8,- [Euro].) aake
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Weise von Sprache, Liebe und Tod mimt der neue Gedichtband "Rede" der Leipziger Lyrikerin Kerstin Preiwuß. Langue und parole wie Eros und Thanatos gehen in diesem zwölfteiligen, weitgehend im Parlando gehaltenen Langgedicht der studierten Linguistin und Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Hand in Hand. Im Spannungsfeld von Mallarmé, Wittgenstein und Roman Jakobson lässt Preiwuß dabei ihre oft zarten, zuweilen ironisch oder auch erotisch angehauchten Verse zwischen den Polen Sprachvertrauen und Sprachkritik oszillieren: "verschwende mich / schütte mich aus / der haut fährt mein dämon idiom". Fein austarierte Zeilenbrüche, die hier noch nicht wie bei manchem Zeitgenossen einem alles nivellierenden Blocksatz gewichen sind, fungieren immer wieder als Dreh- und Angelpunkte für wechselnde Wortverbindungen und Sinnverschiebungsketten: "atme es aus es atmete sich ein / wort ist eine pore ist haut sein". Preiwuß hat dieses Verfahren gezielter syntaktischer Vexierspiele zwar nicht erfunden, nutzt es aber stilsicher, um aus sprachlicher Reduktion, gespickt mit Reimen und Homophonien, Klang und Fülle zu gewinnen. Leider gerät so manche inszenierte Kapriole unfreiwillig komisch: "dein schädel stülpt seinen inhalt um wie ein gugelhupf / den du aus der form stürzen musst um ihn zu genießen." Dafür entschädigen nicht wenige überzeugend ins lyrische Bild gesetzte Gedanken über Liebe und Sinnlichkeit: "die kunst einen rücken zu streicheln / das wäre was." Dann meldet sich wieder der Tod. (Kerstin Preiwuß: "Rede". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 87 S., br., 8,- [Euro].) aake
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»Preiwuß hat dieses Verfahren gezielter syntaktischer Vexierspiele zwar nicht erfunden, nutzt es aber stilsicher um aus sprachlicher Reduktion ... Klang und Fülle zu gewinnen.« Frankfurter Allgemeine Zeitung 20120621