Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2014Wir führen Krieg im Irak, weil wir im Irak Krieg führen
Rückkehr in Albträume: In seinem Debütband "Wir erschossen auch Hunde" erzählt Phil Klay Geschichten von Soldaten im Einsatz. Man sollte sie lesen, denn dieser Autor weiß, worüber er schreibt.
Von Sandra Kegel
Die drängenden Fragen der Gegenwart scheuen Gegenwartsautoren hierzulande wie Veganer Gerichte mit Fleisch. Vielleicht haben die Romanciers bloß keine Lust, dorthin zu gehen, wo es weh tut, in die Kampfzonen, die Kriegsgebiete, die Krisenherde, von denen es ja nicht wenige gibt. Doch was uns heute politisch und gesellschaftlich umtreibt, findet literarisch kaum Beachtung, sondern wird im Fernsehspiel, gern auch sonntagabends im "Tatort" verhandelt. Begibt sich ein Autor doch einmal auf die Spur der Aktualität - zum Beispiel mit Bundeswehrsoldaten an den Hindukusch -, ist es garantiert ein Journalist, wie im Fall von Linus Reichlin und Dirk Kurbjuweit, die beide Romane über Afghanistan veröffentlicht haben.
"Kriegsbraut" aus der Feder des "Spiegel"-Redakteurs Kurbjuweit erzählt zwar konventionell, aber interessant von der Problematik deutscher Kriegseinsätze und beruht auf akribischen Nachforschungen des Autors, der mehrmals in Kabul war. Sein Kollege Reichlin äußerte anlässlich seines Romans "Das Leuchten in der Ferne" hingegen nonchalant, seinen Stoff allein aus Büchern, Gesprächen und dem Internet gezogen zu haben. Gerade weil es Schriftstellern, anders als Journalisten oder Historikern, weniger um äußere Fakten als um innere Wahrheiten zu tun ist, wünscht man sich hier aber besondere Sorgfalt im Umgang mit der Wirklichkeit. Wie das aussehen könnte, führt jetzt ein junger Amerikaner vor, Phil Klay, der, gerade einunddreißig Jahre alt, mit seinem literarischen Debüt in der englischsprachigen Welt für Furore sorgt.
"Redeployment" - zu Deutsch etwa Neueinsatz oder Umgruppierung - heißt seine Sammlung von zwölf Kurzgeschichten, die, verfasst in einer direkten, schnörkellosen Sprache, von amerikanischen Soldaten vor, während und nach ihrem Einsatz im Irak handelt. Jede Geschichte ist aus der Perspektive eines anderen Erzählers geschildert, und jede Geschichte arbeitet ein anderes Dilemma, einen anderen schwierigen Moment heraus. Ekstase und Ekel, Stolz und Mitleid, Angst und Übermut; was der Krieg mit Menschen anrichtet und welche widersprüchlichen Empfindungen er die schwerbewaffneten Männer durchmachen lässt, ausgesetzt in einem Land, das sie nicht kennen, das sie nicht verstehen und das sie im staatlichen Auftrag zerstören sollen - davon handelt dieses inhaltlich vielgestaltige und moralisch komplexe Debüt.
Der deutsche Titel "Wir erschossen auch Hunde", der den ersten Satz des Buchs zitiert, ist zwar in seiner Drastik auffälliger, verliert aber dafür die Zweideutigkeit des Originals. Denn es geht in diesen Storys längst nicht nur um die Härte des Krieges an sich und die seelische Grausamkeit auf Schlachtfeldern im Allgemeinen. Sondern eben auch, mit grimmigem Humor und bei Gott nicht politisch korrekt abgemildert, um die Umdeutung jener Eindrücke, die auch Soldaten oft nur aus Kriegsfilmen im Kino kennen, sowie um die Wiedereingliederungsversuche der Veteranen im zivilen Leben, mit denkbar grotesken Folgen.
Phil Klay weiß, wovon er spricht. Nach seinem Studium am Ivy-League-College Dartmouth ging der 1983 geborene Autor zu den Marines und diente von 2007 bis 2008 in der irakischen Provinz An-Albar. Sein Buch ist keine autobiographische Fiktion, sondern erarbeitet sich das Denken und Fühlen, den Witz, die Angst und die Abgebrühtheit der Soldaten mit der Präzision eines Scharfschützen. Zugleich ist das Buch auch eine böse Satire auf all jene Bücher, die im Krieg die Begegnung mit der harten, umgeschminkten "Welt-wie-sie-wirklich-ist" außerhalb der Blase Amerikas beschwören.
Geschickt vermeidet Klay die Klischees vom Aufenthalt im Herzen der Finsternis. Derer bedienen sich hier allenfalls noch die Veteranen, um in der Bar eine Frau zu beeindrucken. In Wirklichkeit aber ist alles komplizierter. "Wie viele Vietnam-Veteranen braucht man, um eine Glühbirne reinzudrehen?", zitiert Klay einen Veteranen-Witz. Antwort: "Du kannst dir das nicht vorstellen, du warst nicht dabei."
Gleich in der Eingangsgeschichte, "Truppenverlegung", erkundet der Autor das Innenleben eines Soldaten, der, in Tarnmontur und das Gewehr zwischen den Knien, die Heimreise über Kuweit in einer Linienmaschine antreten muss. Die Bilder getöteter Kinder sind sehr gegenwärtig, als er sich zwischen die aufgeräumten Urlauber in den Sessel fallen lässt. Der innere Film reißt aber auch nicht ab, als er den steifen Empfang am Stützpunkt in Lejeune längst überstanden hat und wieder bei der Familie ist.
Beklemmend ist der Moment, als der Erzähler mit seiner Frau zum Einkaufen nach Wilmington fährt und sich erinnert, wie er das letzte Mal eine Straße in einer Stadt entlanglief. Da beobachtete ein Marine die Dächer gegenüber, ein anderer die Fensterfront im Obergeschoss, und der letzte sicherte nach hinten. Das steckt ihm im Blut, und es macht ihn fast verrückt, dass er jetzt, hier, in Wilmington, keine Krieger um sich hat und keine Waffe zur Hand. "Du erschrickst zehnmal, weil du merkst, dass sie nicht da ist." Stattdessen steht er bei American Eagle Outfitters in der Umkleidekabine und will sie nicht mehr verlassen.
Die posttraumatische Belastungsstörung, die Soldaten aus dem Krieg mitbringen, zeigt sich hier weniger als Störung, sondern eher als gesteigerte Wachheit. Sie sehen und hören anders als früher, jedes kleinste Detail bemerken sie und würden wohl eine Zehn-Cent-Münze in zwanzig Meter Entfernung entdecken. Zugleich haben sie den ganzen Block im Visier - Fähigkeiten, die im Alltag einer amerikanischen Kleinstadt unbrauchbar sind.
Ein verstörter Pastor kommt in den von Hannes Meyer flüssig übersetzten Storys ebenso zu Wort wie ein Jurastudent der NYU, der mit Freunden seine künftigen Chancen auslotet. Bob betrachtet den Irak-Krieg eher existentialistisch: "Wir führten Krieg im Irak, weil wir im Irak Krieg führten." Und die Erzählung "Geld als Waffensystem" handelt vom Zynismus des Systems, das lieber Baseball-Trikots in den Irak liefert als die dringend benötigte Wasserleitung, weil das bessere Bilder bringt. "Wenn Sie hier Erfolg haben wollen, Finger weg von großen, ehrgeizigen Projekten", wird ein Neuankömmling gewarnt. "Wir sind hier im Irak. Bringen Sie Witwen Bienenzucht bei." Das bringt die meisten Punkte.
Ein anderer Marine schildert, wie er zuhause, je nachdem, ob er mit Konservativen redet oder mit Liberalen, den Krieg jeweils kritisiert oder verteidigt. Klay tut keines von beidem, sondern beschreibt in immer neuen Varianten, wie Krieg erfahren wird, ganz konkret in der Uniform - und wie er klingt. Denn so schwer Krieg in Worten zu fassen ist, bringt er doch eine eigene Sprache hervor, für die Klay, einst Assistent von Richard Ford, ein gutes Ohr beweist. Neben dem Jargon fasziniert ihn die Verkürzungsmanie der Soldaten. Eine Erzählung besteht fast nur aus Akronymen, und das Glossar am Ende des Buchs ist hilfreich, um all die "OIF", und "IED" zu entschlüsseln.
Der Vorgesetzte eines Platoons kommt nicht darüber hinweg, dass er seine Marines in die Todeszone geschickt hat. Doch die innere Logik von Kriegen, die auf Zerstörung und Vernichtung ausgerichtet sind, lässt sich nicht aushebeln. Mancher reagiert darauf mit Hybris. "Das Seltsame am Leben als Veteran ist, dass man sich wirklich als etwas Besseres fühlt als andere Menschen", heißt es an einer Stelle.
Amerikanische Kritiker haben Phil Klays Debüt, das soeben mit dem amerikanischen National Book ausgezeichnet wurde, mit Tim O'Briens Erzählsammlung "The Things, they carried" verglichen, die als wichtigste literarische Auseinandersetzung mit dem Vietnam-Krieg gilt. Doch eher lässt sich ein Bezug zu Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" herstellen. Das Epos über den Ersten Weltkrieg von 1929, das bis heute als meistgelesenes Buch der deutschen Literatur gilt und erst kürzlich in einer überarbeiteten Fassung erschien, in der sämtliche ursprünglichen Streichungen zurückgenommen wurden, überrascht bei neuerlicher Lektüre nicht nur durch den unheimlich modernen, unprätentiösen Ton existentieller Verlassenheit. Erst heute fällt auf, wie sehr dieser Text nicht nur von den traumatischen Fronterlebnissen des jungen Paul Böhmer handelt, sondern mindestens so sehr von den Nachwirkungen des Krieges auf eine ganze Generation. Remarque selbst sah seinen Roman immer schon eher als ein "Nachkriegsbuch" an, wie Thomas F. Schneider in seinem aufschlussreichen Nachwort schreibt. Den Erfolg erklärte sich sein Autor damit, dass es die Frage stellt, was aus den Menschen geworden ist, die auf diese Weise mit dem Tod konfrontiert waren. Hundert Jahre später schreibt Phil Klay, so alt wie damals Remarque, über einen Krieg unserer Zeit. Wer künftig in der "Tagesschau" Menschen sieht, die irgendwo in Tarnuniformen aus Flugzeugträgern steigen, hat dann zumindest eine Ahnung davon, was in ihnen vorgeht.
Phil Klay: "Wir erschossen auch Hunde". Stories.
Aus dem Amerikanischen von Hannes Meyer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 300 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rückkehr in Albträume: In seinem Debütband "Wir erschossen auch Hunde" erzählt Phil Klay Geschichten von Soldaten im Einsatz. Man sollte sie lesen, denn dieser Autor weiß, worüber er schreibt.
Von Sandra Kegel
Die drängenden Fragen der Gegenwart scheuen Gegenwartsautoren hierzulande wie Veganer Gerichte mit Fleisch. Vielleicht haben die Romanciers bloß keine Lust, dorthin zu gehen, wo es weh tut, in die Kampfzonen, die Kriegsgebiete, die Krisenherde, von denen es ja nicht wenige gibt. Doch was uns heute politisch und gesellschaftlich umtreibt, findet literarisch kaum Beachtung, sondern wird im Fernsehspiel, gern auch sonntagabends im "Tatort" verhandelt. Begibt sich ein Autor doch einmal auf die Spur der Aktualität - zum Beispiel mit Bundeswehrsoldaten an den Hindukusch -, ist es garantiert ein Journalist, wie im Fall von Linus Reichlin und Dirk Kurbjuweit, die beide Romane über Afghanistan veröffentlicht haben.
"Kriegsbraut" aus der Feder des "Spiegel"-Redakteurs Kurbjuweit erzählt zwar konventionell, aber interessant von der Problematik deutscher Kriegseinsätze und beruht auf akribischen Nachforschungen des Autors, der mehrmals in Kabul war. Sein Kollege Reichlin äußerte anlässlich seines Romans "Das Leuchten in der Ferne" hingegen nonchalant, seinen Stoff allein aus Büchern, Gesprächen und dem Internet gezogen zu haben. Gerade weil es Schriftstellern, anders als Journalisten oder Historikern, weniger um äußere Fakten als um innere Wahrheiten zu tun ist, wünscht man sich hier aber besondere Sorgfalt im Umgang mit der Wirklichkeit. Wie das aussehen könnte, führt jetzt ein junger Amerikaner vor, Phil Klay, der, gerade einunddreißig Jahre alt, mit seinem literarischen Debüt in der englischsprachigen Welt für Furore sorgt.
"Redeployment" - zu Deutsch etwa Neueinsatz oder Umgruppierung - heißt seine Sammlung von zwölf Kurzgeschichten, die, verfasst in einer direkten, schnörkellosen Sprache, von amerikanischen Soldaten vor, während und nach ihrem Einsatz im Irak handelt. Jede Geschichte ist aus der Perspektive eines anderen Erzählers geschildert, und jede Geschichte arbeitet ein anderes Dilemma, einen anderen schwierigen Moment heraus. Ekstase und Ekel, Stolz und Mitleid, Angst und Übermut; was der Krieg mit Menschen anrichtet und welche widersprüchlichen Empfindungen er die schwerbewaffneten Männer durchmachen lässt, ausgesetzt in einem Land, das sie nicht kennen, das sie nicht verstehen und das sie im staatlichen Auftrag zerstören sollen - davon handelt dieses inhaltlich vielgestaltige und moralisch komplexe Debüt.
Der deutsche Titel "Wir erschossen auch Hunde", der den ersten Satz des Buchs zitiert, ist zwar in seiner Drastik auffälliger, verliert aber dafür die Zweideutigkeit des Originals. Denn es geht in diesen Storys längst nicht nur um die Härte des Krieges an sich und die seelische Grausamkeit auf Schlachtfeldern im Allgemeinen. Sondern eben auch, mit grimmigem Humor und bei Gott nicht politisch korrekt abgemildert, um die Umdeutung jener Eindrücke, die auch Soldaten oft nur aus Kriegsfilmen im Kino kennen, sowie um die Wiedereingliederungsversuche der Veteranen im zivilen Leben, mit denkbar grotesken Folgen.
Phil Klay weiß, wovon er spricht. Nach seinem Studium am Ivy-League-College Dartmouth ging der 1983 geborene Autor zu den Marines und diente von 2007 bis 2008 in der irakischen Provinz An-Albar. Sein Buch ist keine autobiographische Fiktion, sondern erarbeitet sich das Denken und Fühlen, den Witz, die Angst und die Abgebrühtheit der Soldaten mit der Präzision eines Scharfschützen. Zugleich ist das Buch auch eine böse Satire auf all jene Bücher, die im Krieg die Begegnung mit der harten, umgeschminkten "Welt-wie-sie-wirklich-ist" außerhalb der Blase Amerikas beschwören.
Geschickt vermeidet Klay die Klischees vom Aufenthalt im Herzen der Finsternis. Derer bedienen sich hier allenfalls noch die Veteranen, um in der Bar eine Frau zu beeindrucken. In Wirklichkeit aber ist alles komplizierter. "Wie viele Vietnam-Veteranen braucht man, um eine Glühbirne reinzudrehen?", zitiert Klay einen Veteranen-Witz. Antwort: "Du kannst dir das nicht vorstellen, du warst nicht dabei."
Gleich in der Eingangsgeschichte, "Truppenverlegung", erkundet der Autor das Innenleben eines Soldaten, der, in Tarnmontur und das Gewehr zwischen den Knien, die Heimreise über Kuweit in einer Linienmaschine antreten muss. Die Bilder getöteter Kinder sind sehr gegenwärtig, als er sich zwischen die aufgeräumten Urlauber in den Sessel fallen lässt. Der innere Film reißt aber auch nicht ab, als er den steifen Empfang am Stützpunkt in Lejeune längst überstanden hat und wieder bei der Familie ist.
Beklemmend ist der Moment, als der Erzähler mit seiner Frau zum Einkaufen nach Wilmington fährt und sich erinnert, wie er das letzte Mal eine Straße in einer Stadt entlanglief. Da beobachtete ein Marine die Dächer gegenüber, ein anderer die Fensterfront im Obergeschoss, und der letzte sicherte nach hinten. Das steckt ihm im Blut, und es macht ihn fast verrückt, dass er jetzt, hier, in Wilmington, keine Krieger um sich hat und keine Waffe zur Hand. "Du erschrickst zehnmal, weil du merkst, dass sie nicht da ist." Stattdessen steht er bei American Eagle Outfitters in der Umkleidekabine und will sie nicht mehr verlassen.
Die posttraumatische Belastungsstörung, die Soldaten aus dem Krieg mitbringen, zeigt sich hier weniger als Störung, sondern eher als gesteigerte Wachheit. Sie sehen und hören anders als früher, jedes kleinste Detail bemerken sie und würden wohl eine Zehn-Cent-Münze in zwanzig Meter Entfernung entdecken. Zugleich haben sie den ganzen Block im Visier - Fähigkeiten, die im Alltag einer amerikanischen Kleinstadt unbrauchbar sind.
Ein verstörter Pastor kommt in den von Hannes Meyer flüssig übersetzten Storys ebenso zu Wort wie ein Jurastudent der NYU, der mit Freunden seine künftigen Chancen auslotet. Bob betrachtet den Irak-Krieg eher existentialistisch: "Wir führten Krieg im Irak, weil wir im Irak Krieg führten." Und die Erzählung "Geld als Waffensystem" handelt vom Zynismus des Systems, das lieber Baseball-Trikots in den Irak liefert als die dringend benötigte Wasserleitung, weil das bessere Bilder bringt. "Wenn Sie hier Erfolg haben wollen, Finger weg von großen, ehrgeizigen Projekten", wird ein Neuankömmling gewarnt. "Wir sind hier im Irak. Bringen Sie Witwen Bienenzucht bei." Das bringt die meisten Punkte.
Ein anderer Marine schildert, wie er zuhause, je nachdem, ob er mit Konservativen redet oder mit Liberalen, den Krieg jeweils kritisiert oder verteidigt. Klay tut keines von beidem, sondern beschreibt in immer neuen Varianten, wie Krieg erfahren wird, ganz konkret in der Uniform - und wie er klingt. Denn so schwer Krieg in Worten zu fassen ist, bringt er doch eine eigene Sprache hervor, für die Klay, einst Assistent von Richard Ford, ein gutes Ohr beweist. Neben dem Jargon fasziniert ihn die Verkürzungsmanie der Soldaten. Eine Erzählung besteht fast nur aus Akronymen, und das Glossar am Ende des Buchs ist hilfreich, um all die "OIF", und "IED" zu entschlüsseln.
Der Vorgesetzte eines Platoons kommt nicht darüber hinweg, dass er seine Marines in die Todeszone geschickt hat. Doch die innere Logik von Kriegen, die auf Zerstörung und Vernichtung ausgerichtet sind, lässt sich nicht aushebeln. Mancher reagiert darauf mit Hybris. "Das Seltsame am Leben als Veteran ist, dass man sich wirklich als etwas Besseres fühlt als andere Menschen", heißt es an einer Stelle.
Amerikanische Kritiker haben Phil Klays Debüt, das soeben mit dem amerikanischen National Book ausgezeichnet wurde, mit Tim O'Briens Erzählsammlung "The Things, they carried" verglichen, die als wichtigste literarische Auseinandersetzung mit dem Vietnam-Krieg gilt. Doch eher lässt sich ein Bezug zu Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" herstellen. Das Epos über den Ersten Weltkrieg von 1929, das bis heute als meistgelesenes Buch der deutschen Literatur gilt und erst kürzlich in einer überarbeiteten Fassung erschien, in der sämtliche ursprünglichen Streichungen zurückgenommen wurden, überrascht bei neuerlicher Lektüre nicht nur durch den unheimlich modernen, unprätentiösen Ton existentieller Verlassenheit. Erst heute fällt auf, wie sehr dieser Text nicht nur von den traumatischen Fronterlebnissen des jungen Paul Böhmer handelt, sondern mindestens so sehr von den Nachwirkungen des Krieges auf eine ganze Generation. Remarque selbst sah seinen Roman immer schon eher als ein "Nachkriegsbuch" an, wie Thomas F. Schneider in seinem aufschlussreichen Nachwort schreibt. Den Erfolg erklärte sich sein Autor damit, dass es die Frage stellt, was aus den Menschen geworden ist, die auf diese Weise mit dem Tod konfrontiert waren. Hundert Jahre später schreibt Phil Klay, so alt wie damals Remarque, über einen Krieg unserer Zeit. Wer künftig in der "Tagesschau" Menschen sieht, die irgendwo in Tarnuniformen aus Flugzeugträgern steigen, hat dann zumindest eine Ahnung davon, was in ihnen vorgeht.
Phil Klay: "Wir erschossen auch Hunde". Stories.
Aus dem Amerikanischen von Hannes Meyer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 300 S., br., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.12.2014Warnstufe
Orange
Phil Klays mit dem National Book Award
ausgezeichneter Erzählungsband
„Wir erschosssen auch Hunde“
über die Veteranen des Irakkriegs
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Was Menschen im Krieg machen, ist vergleichsweise leicht herauszufinden. Die Nachrichten sind voll davon. Was der Krieg mit den Menschen macht, die ihn überleben, ist schwieriger in Erfahrung zu bringen. Natürlich gibt es inzwischen „PTBS“, die post-traumatische Belastungsstörung, die Universalerklärung für die Probleme von Kriegsveteranen beim Versuch, wieder ins zivile Leben zurückzukehren, für ihre Depressionen, ihre plötzliche Anpassungsunfähigkeit und ihr Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit. Aber verstanden hat man damit eigentlich doch nichts.
Dafür ist es womöglich viel besser, einfach erst einmal die kurze, aber irrsinnig suggestive kaum 15 Seiten umfassende Geschichte „Truppenverlegung“ zu lesen in dem soeben erschienenen Band „Wir erschossen auch Hunde“ des 1983 geborenen amerikanischen Autors und Journalisten Phil Klay. Zwischen Januar 2007 und Februar 2008 war Klay in der irakischen Provinz Al-Anbar stationiert, danach studierte er Geisteswissenschaften und war eine Weile Assistent des Schriftstellers Richard Ford.
In karger, sehr zügiger – von Hannes Meyer gewandt ins Deutsche übertragenen – Diktion schildert Klay in „Truppenverlegung“ die Rückkehr eines amerikanischen Soldaten aus dem Irak. Es beginnt im Flugzeug „Da sitzt man dann. Gerade war man noch mitten im Krieg, und jetzt lehnt man sich in einem Plüschsessel zurück, schaut sich die kleine Düse der Klimaanlage an und denkt, Scheiße, was ist hier eigentlich los?“
Und was dem Soldaten dann in den Sinn kommt, ist das blanke Grauen: „Man will sich an zu Hause erinnern, aber plötzlich ist man im Folterhaus. Man sieht die Leichenteile im Schrank und den Verrückten im Käfig. Der hat gegackert wie ein Huhn. Sein Kopf war auf Kokosnuss-Größe zusammengeschrumpft. Es dauert ein bisschen, bis man sich an Docs Erklärung erinnert, dass sie dem Quecksilber in den Schädel gespritzt haben, aber deshalb versteht man es noch lange nicht.“
Man ist längst schwer infiziert mit Versionen dieses Szenarios, im Hollywood-Kriegsfilm ist die Veteranen-Rückkehr ja fast ein eigenes Subgenre, in Oliver Stones „Geboren am 4. Juli“ etwa oder Michael Ciminos „Die durch die Hölle gehen“. Und dennoch gelingt es Klay, einen hier sofort wieder zu packen. Der literarische Aufwand ist allerdings denkbar gering. Erzählt wird in der ersten Person, der Sound ist eher journalistisch, Kriegsreportage-Paranoia-Stakkato: „Also das hier ist mal eine Erfahrung: Deine Frau fährt mit dir zum Einkaufen nach Wilmington. Als Du das letzte Mal eine Straße in der Stadt entlangspaziert bist, ging der Marine an der Spitze ganz am Rand und beobachtet die Dächer gegenüber. Der Marine dahinter behält die Fenster im Obergeschoss im Auge, der dahinter die Fenster darunter und so weiter bis unten auf die Straße, und der letzte sichert nach hinten. In einer Stadt können sie dich aus tausend Ecken erwischen. Das macht dich verrückt.“
Und wie man in der Szene dann an dieses Gefühl herangeführt wird, während der Erzähler mit seiner Frau einkauft, und wie man am Ende selbst fast körperlich nachempfinden zu können glaubt, was in einem Mann mit diesen Erfahrungen jetzt vorgeht – das ist wirklich eindrucksvoll montiert: „In Wilmington hast Du keinen Squad, keinen Partner, nicht mal eine Waffe. Du erschrickst zehnmal, weil Du merkst, dass sie nicht da ist. Du bist sicher, also müsstest du auf Warnstufe Weiß sein, bist Du aber nicht. Stattdessen stehst Du bei American Eagle Outfitters. Deine Frau gibt dir Klamotten zum Anprobieren, und du gehst in die enge Umkleide. Du schließt die Tür und willst sie nicht mehr aufmachen. Und draußen vor dem Fenster laufen Leute vorbei, als wäre nichts. Leute, die keine Ahnung haben, wo Falludscha ist. Die kommen in ihrem ganzen Leben nicht mal in die Nähe von Orange.“
Orange. Warnstufe Orange – das ist Militär-Jargon für „hohes Risiko eines terroristischen Angriffs“: „Orange sieht so aus: Man sieht und hört anders als vorher. (. . .) Man nimmt jedes Detail seiner Umgebung wahr, jedes einzelne. Ich konnte eine Zehn-Cent-Münze aus zwanzig Metern Entfernung finden. (. . .) Sieben Monate lang. Das ist also Orange. Und dann geht man unbewaffnet in Wilmington einkaufen und meint, man kommt einfach so auf Weiß runter? Das dauert ewig. Am Ende war ich voll auf Adrenalin. Cheryl ließ mich nicht fahren. Ich hätte wohl ununterbrochen Vollgas gegeben.“
Man muss das hier etwas ausführlicher zitieren, weil der Stil mitten in den so kühlen wie berührenden Zauber der zwölf Irakkriegs-Geschichten dieses Buchs führt, das von den Niederlagen und Verlierern auf der Seite der vermeintlichen Gewinner handelt und in deren Mittelpunkt als Ich-Erzähler immer ein anderer amerikanischer Soldat steht. Warnstufe Orange ist nämlich in gewisser Weise das Prinzip dieser Literatur. Der Zoom, der harte Schnitt, die lakonische Konzentration allein auf das, was als nächstes wichtig sein wird. So gekonnt eingesetzt wie hier kann einen die Lektüre wirklich immer wieder unerwartet heftig treffen.
Eine glatte Selbstverständlichkeit ist das übrigens überhaupt nicht. Dieser Stil, der seine Vorbilder so genau studiert hat und zweifellos auch noch weiß, dass der Leser von den Vor-Bildern nicht wenige im Kopf hat, dieser Stil ist in einemexistenziell aufgeladenen Genre wie der Kriegserzählung auch eine schwere Hypothek. Man bewegt sich schließlich auf einem verflucht schmalen Grat, wenn man mit erzählerischen Mitteln jongliert, die ihre Macht so deutlich nicht nur aus vorangegangenen überwältigenden Kunsterfahrungen beziehen, sondern auch aus sehr ähnlich erzählten Tatsachenberichten wie Sebastian Jungers Afghanistan-Reportage „War – Ein Jahr im Krieg“. Man trägt schnell zu dick auf. Klay nicht.
Aber macht all dies allein das Buch schon zu einer guten Antwort auf die Frage, was es im Westen heute eigentlich noch bedeuten kann, vom Krieg zu erzählen? In dem Westen, der längst im postheroischen Zeitalter angekommen ist, in dem die Schrecken und Widersprüche des Krieges akribisch und allgemein zugänglich dokumentiert sind. Und in dem Westen, der erkennen muss, dass er in Zukunft womöglich mehr zu verlieren als zu gewinnen hat, weshalb ihm die guten Gründe für seine Politik auszugehen drohen, der Sinn sowieso. Ist also unter diesen Bedingungen „Wir erschossen auch Hunde“ schon wegen seiner stilsicheren, informiert-ökonomischen Erzählweise eine gute Antwort auf die Frage, was es im Westen noch bedeuten kann, vom Krieg zu erzählen?
Nein. Dass diese Antwort so eindrucksvoll ist, dürfte vor allem damit zu tun haben, dass der Stil hier mit voller Absicht auch wieder hinausführt aus dem Zauber, weil die kühle Lakonie auch seine Hauptfiguren nicht verschont. Mit anderen Worten: Als Quintessenz bleibt von den literarisierten Schreckensszenarien dieser Art meist, dass man sich als Zivilist im Grunde nicht vorstellen kann, was es bedeutet, zu kämpfen. Das aber ist Klay zu einfach. Er baut lieber einen Witz ein oder lässt seine Figuren abgeklärt über die klischeehaften Erwartungen zu Hause reflektieren – oder gleich trocken bilanzieren: „Ich habe drüben hauptsächlich erfahren, dass, ja, auch harte Männer sich in die Hose pissen, wenn es schlimm genug wird, und dass es, nein, gar nicht angenehm ist, wenn man beschossen wird, vielen Dank, aber ansonsten hatte ich meinen Kommilitonen eigentlich nur die Einsicht voraus, dass Menschen schlimm und schrecklich sind.“
Kein Wunder, dass Klay die Entfremdung der Zivilbevölkerung von den Veteranen längst auch in Kommentaren für die New York Times thematisiert. Es sei nicht einfach nur so, dass sich die einen nichts vorstellen könnten und die anderen nichts erklären. Die Auszeichnung von „Wir erschossen auch Hunde“ mit dem National Book Award schien zuletzt selten so zwingend zu sein wie in diesem Jahr.
„Eine Zehn-Cent-Münze
konnte ich aus zwanzig Metern
Entfernung finden.“
Phil Klay: Wir erschossen auch Hunde. Roman. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 301 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Orange
Phil Klays mit dem National Book Award
ausgezeichneter Erzählungsband
„Wir erschosssen auch Hunde“
über die Veteranen des Irakkriegs
VON JENS-CHRISTIAN RABE
Was Menschen im Krieg machen, ist vergleichsweise leicht herauszufinden. Die Nachrichten sind voll davon. Was der Krieg mit den Menschen macht, die ihn überleben, ist schwieriger in Erfahrung zu bringen. Natürlich gibt es inzwischen „PTBS“, die post-traumatische Belastungsstörung, die Universalerklärung für die Probleme von Kriegsveteranen beim Versuch, wieder ins zivile Leben zurückzukehren, für ihre Depressionen, ihre plötzliche Anpassungsunfähigkeit und ihr Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit. Aber verstanden hat man damit eigentlich doch nichts.
Dafür ist es womöglich viel besser, einfach erst einmal die kurze, aber irrsinnig suggestive kaum 15 Seiten umfassende Geschichte „Truppenverlegung“ zu lesen in dem soeben erschienenen Band „Wir erschossen auch Hunde“ des 1983 geborenen amerikanischen Autors und Journalisten Phil Klay. Zwischen Januar 2007 und Februar 2008 war Klay in der irakischen Provinz Al-Anbar stationiert, danach studierte er Geisteswissenschaften und war eine Weile Assistent des Schriftstellers Richard Ford.
In karger, sehr zügiger – von Hannes Meyer gewandt ins Deutsche übertragenen – Diktion schildert Klay in „Truppenverlegung“ die Rückkehr eines amerikanischen Soldaten aus dem Irak. Es beginnt im Flugzeug „Da sitzt man dann. Gerade war man noch mitten im Krieg, und jetzt lehnt man sich in einem Plüschsessel zurück, schaut sich die kleine Düse der Klimaanlage an und denkt, Scheiße, was ist hier eigentlich los?“
Und was dem Soldaten dann in den Sinn kommt, ist das blanke Grauen: „Man will sich an zu Hause erinnern, aber plötzlich ist man im Folterhaus. Man sieht die Leichenteile im Schrank und den Verrückten im Käfig. Der hat gegackert wie ein Huhn. Sein Kopf war auf Kokosnuss-Größe zusammengeschrumpft. Es dauert ein bisschen, bis man sich an Docs Erklärung erinnert, dass sie dem Quecksilber in den Schädel gespritzt haben, aber deshalb versteht man es noch lange nicht.“
Man ist längst schwer infiziert mit Versionen dieses Szenarios, im Hollywood-Kriegsfilm ist die Veteranen-Rückkehr ja fast ein eigenes Subgenre, in Oliver Stones „Geboren am 4. Juli“ etwa oder Michael Ciminos „Die durch die Hölle gehen“. Und dennoch gelingt es Klay, einen hier sofort wieder zu packen. Der literarische Aufwand ist allerdings denkbar gering. Erzählt wird in der ersten Person, der Sound ist eher journalistisch, Kriegsreportage-Paranoia-Stakkato: „Also das hier ist mal eine Erfahrung: Deine Frau fährt mit dir zum Einkaufen nach Wilmington. Als Du das letzte Mal eine Straße in der Stadt entlangspaziert bist, ging der Marine an der Spitze ganz am Rand und beobachtet die Dächer gegenüber. Der Marine dahinter behält die Fenster im Obergeschoss im Auge, der dahinter die Fenster darunter und so weiter bis unten auf die Straße, und der letzte sichert nach hinten. In einer Stadt können sie dich aus tausend Ecken erwischen. Das macht dich verrückt.“
Und wie man in der Szene dann an dieses Gefühl herangeführt wird, während der Erzähler mit seiner Frau einkauft, und wie man am Ende selbst fast körperlich nachempfinden zu können glaubt, was in einem Mann mit diesen Erfahrungen jetzt vorgeht – das ist wirklich eindrucksvoll montiert: „In Wilmington hast Du keinen Squad, keinen Partner, nicht mal eine Waffe. Du erschrickst zehnmal, weil Du merkst, dass sie nicht da ist. Du bist sicher, also müsstest du auf Warnstufe Weiß sein, bist Du aber nicht. Stattdessen stehst Du bei American Eagle Outfitters. Deine Frau gibt dir Klamotten zum Anprobieren, und du gehst in die enge Umkleide. Du schließt die Tür und willst sie nicht mehr aufmachen. Und draußen vor dem Fenster laufen Leute vorbei, als wäre nichts. Leute, die keine Ahnung haben, wo Falludscha ist. Die kommen in ihrem ganzen Leben nicht mal in die Nähe von Orange.“
Orange. Warnstufe Orange – das ist Militär-Jargon für „hohes Risiko eines terroristischen Angriffs“: „Orange sieht so aus: Man sieht und hört anders als vorher. (. . .) Man nimmt jedes Detail seiner Umgebung wahr, jedes einzelne. Ich konnte eine Zehn-Cent-Münze aus zwanzig Metern Entfernung finden. (. . .) Sieben Monate lang. Das ist also Orange. Und dann geht man unbewaffnet in Wilmington einkaufen und meint, man kommt einfach so auf Weiß runter? Das dauert ewig. Am Ende war ich voll auf Adrenalin. Cheryl ließ mich nicht fahren. Ich hätte wohl ununterbrochen Vollgas gegeben.“
Man muss das hier etwas ausführlicher zitieren, weil der Stil mitten in den so kühlen wie berührenden Zauber der zwölf Irakkriegs-Geschichten dieses Buchs führt, das von den Niederlagen und Verlierern auf der Seite der vermeintlichen Gewinner handelt und in deren Mittelpunkt als Ich-Erzähler immer ein anderer amerikanischer Soldat steht. Warnstufe Orange ist nämlich in gewisser Weise das Prinzip dieser Literatur. Der Zoom, der harte Schnitt, die lakonische Konzentration allein auf das, was als nächstes wichtig sein wird. So gekonnt eingesetzt wie hier kann einen die Lektüre wirklich immer wieder unerwartet heftig treffen.
Eine glatte Selbstverständlichkeit ist das übrigens überhaupt nicht. Dieser Stil, der seine Vorbilder so genau studiert hat und zweifellos auch noch weiß, dass der Leser von den Vor-Bildern nicht wenige im Kopf hat, dieser Stil ist in einemexistenziell aufgeladenen Genre wie der Kriegserzählung auch eine schwere Hypothek. Man bewegt sich schließlich auf einem verflucht schmalen Grat, wenn man mit erzählerischen Mitteln jongliert, die ihre Macht so deutlich nicht nur aus vorangegangenen überwältigenden Kunsterfahrungen beziehen, sondern auch aus sehr ähnlich erzählten Tatsachenberichten wie Sebastian Jungers Afghanistan-Reportage „War – Ein Jahr im Krieg“. Man trägt schnell zu dick auf. Klay nicht.
Aber macht all dies allein das Buch schon zu einer guten Antwort auf die Frage, was es im Westen heute eigentlich noch bedeuten kann, vom Krieg zu erzählen? In dem Westen, der längst im postheroischen Zeitalter angekommen ist, in dem die Schrecken und Widersprüche des Krieges akribisch und allgemein zugänglich dokumentiert sind. Und in dem Westen, der erkennen muss, dass er in Zukunft womöglich mehr zu verlieren als zu gewinnen hat, weshalb ihm die guten Gründe für seine Politik auszugehen drohen, der Sinn sowieso. Ist also unter diesen Bedingungen „Wir erschossen auch Hunde“ schon wegen seiner stilsicheren, informiert-ökonomischen Erzählweise eine gute Antwort auf die Frage, was es im Westen noch bedeuten kann, vom Krieg zu erzählen?
Nein. Dass diese Antwort so eindrucksvoll ist, dürfte vor allem damit zu tun haben, dass der Stil hier mit voller Absicht auch wieder hinausführt aus dem Zauber, weil die kühle Lakonie auch seine Hauptfiguren nicht verschont. Mit anderen Worten: Als Quintessenz bleibt von den literarisierten Schreckensszenarien dieser Art meist, dass man sich als Zivilist im Grunde nicht vorstellen kann, was es bedeutet, zu kämpfen. Das aber ist Klay zu einfach. Er baut lieber einen Witz ein oder lässt seine Figuren abgeklärt über die klischeehaften Erwartungen zu Hause reflektieren – oder gleich trocken bilanzieren: „Ich habe drüben hauptsächlich erfahren, dass, ja, auch harte Männer sich in die Hose pissen, wenn es schlimm genug wird, und dass es, nein, gar nicht angenehm ist, wenn man beschossen wird, vielen Dank, aber ansonsten hatte ich meinen Kommilitonen eigentlich nur die Einsicht voraus, dass Menschen schlimm und schrecklich sind.“
Kein Wunder, dass Klay die Entfremdung der Zivilbevölkerung von den Veteranen längst auch in Kommentaren für die New York Times thematisiert. Es sei nicht einfach nur so, dass sich die einen nichts vorstellen könnten und die anderen nichts erklären. Die Auszeichnung von „Wir erschossen auch Hunde“ mit dem National Book Award schien zuletzt selten so zwingend zu sein wie in diesem Jahr.
„Eine Zehn-Cent-Münze
konnte ich aus zwanzig Metern
Entfernung finden.“
Phil Klay: Wir erschossen auch Hunde. Roman. Aus dem Englischen von Hannes Meyer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 301 Seiten, 16,99 Euro. E-Book 14,99 Euro.
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