Die Verfasserin liefert eine umfangreiche Historiografie der koreanischen Bildungsentwicklung von der Ära der „Öffnung“ im 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart und widmet sich damit einer Weltregion, die im Rahmen europäischer Bildungsforschung nur selten in den Blick genommen wurde. Wegen ihrer analytisch-vergleichenden Deskriptionen von Bildungsphänomenen gehört diese Untersuchung gleichermaßen in das Themengebiet der Vergleichenden Erziehungswissenschaft und in das Feld der internationalen historischen Bildungsforschung. Die durchziehenden Chiffren sind der Transfer und die Rolle der Reform- und Alternativpädagogik im internationalen Kontext. Der Transfer von Bildungskonzepten ist in der Vergleichenden Erziehungswissenschaft eine zentrale Frage. Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, sind Forschungen über den Beobachtungsraum hinaus erforderlich. Denn die Zentralfrage des Transfers subsumiert zahlreiche Unterfragen: nach der Übertragbarkeit angesichts nationaler oder kultureller Spezifika, nach den gesellschaftlichen Verhältnissen einerseits und den Bildungsverhältnissen andererseits sowie nach autochthoner oder fremd gesteuerter Entwicklung in diesem Prozess. Nicht zuletzt spielen auch Fragen der internationalen Machtverteilung eine bedeutsame Rolle. Im Falle Koreas ist dieser Aspekt besonders komplex: Hier treffen Kolonialpädagogik – einer nichtwestlichen Kolonialmacht –, Pädagogik der „Dritten Welt“ oder der „Entwicklungsländer“ sowie ein rasanter Modernisierungsprozess oft unvermittelt aufeinander. Diese vielschichtige Problematik bedarf klarer Schwerpunktsetzungen. Die Verfasserin wählt als Anknüpfungspunkt den derzeitigen Aufschwung der südkoreanischen Alternativpädagogik, deren Theorien und Praxen sich großenteils auf reformpädagogische Ansätze stützen. Allerdings zeigen sich Verschiebungen, nicht nur in der zeitlichen Abfolge der Aneignung, sondern auch bei ihrer inhaltlichen und begrifflichen Ausgestaltung. Diese lassen sich nur erfassen durch eine umfassende Darstellung und Analyse der Rezeption und der unterschiedlichen Transferwege – ein Komplex, den die Verfasserin mit historischen und systematischen Abgrenzungen bearbeitet. Damit gelingt ihr, die verflochtene Problematik des „doppelten Transfers“ in der koreanischen Bildungsentwicklung zu verdeutlichen. Besonders überzeugend hierin ist ihre These der spezifischen Hybridität der pädagogischen Gesamterscheinung Südkoreas im Zuge der Bildungsmodernisierung und -okzidentalisierung. Dieses Werk stiftet somit nicht nur beachtliche Impulse für den deutschsprachigen Forschungsraum, sondern bietet zudem der internationalen historischen Bildungsforschung ein neues Vergleichsparadigma an.