Im Jahr 2017 feiern evangelische Christen weltweit 500 Jahre Reformation. Ein Ereignis, das mit der Veröffentlichung der 95 Thesen Martin Luthers zum Ablasshandel im Jahr 1517 ursprünglich verknüpft ist, in seiner Breite und Tiefe aber von epochaler Wirkung war wie kaum eines davor oder danach. Susanne Claußen geht der Frage nach, wie sich die Reformation in Wiesbaden und Umgebung im Kleinen vollzogen hat. Der vom Evangelischen Dekanat Wiesbaden und der Stabsstelle "Wiesbadener Identität - Engagement - Bürgerbeteiligung" herausgegebene Band ist eine spannende Reformationsgeschichte des heutigen Stadtgebietes Wiesbadens, eine lokalgeschichtliche Spurensuche nach Wurzeln, Formen und Auswirkungen der Reformation in Wiesbaden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2017Reformation im Kleinen
WIESBADEN. In seiner Aufstellung für das Jahr 1524 begnügt der Wiesbadener Rechnungsmeister Ludwig Endtstein sich nicht mit der Auflistung von nüchternen Zahlen und Fakten. Er kommentiert sie auch. So finden sich dort nicht nur die Beträge, die der Kirche für das Zelebrieren von heiligen Messen gezahlt wurden, sondern auch die Anmerkung, dass eine Predigt über das Evangelium sicher besser gewesen wäre. Dass der Buchhalter seine Meinung sogar in das Rechnungswesen einfließen ließ, sei ein Beleg dafür, wie sehr die Forderungen der Reformation die Bevölkerung auch fern von Wittenberg bewegt hätten. So sieht es jedenfalls Susanne Claußen, die Autorin eines Buches, das die Stadt Wiesbaden und das evangelische Dekanat 500 Jahre nach dem Thesenanschlag im Societäts-Verlag herausgebracht haben.
Auf 156 Seiten geht die promovierte Kulturwissenschaftlerin der Frage nach, welche Wirkung Martin Luthers Thesen in Wiesbaden hatten. Sie zeigt, dass der Übergang zu dem was sich heute "evangelisch" nennt, zunächst in der Forderung zum Ausdruck kam, die Bibel in der Volkssprache auszulegen, anstatt nur lateinische Messen zu lesen. Später waren Wiesbadener Pfarrer Zeugen des neuen Glaubens. Nach 1570 wurden schließlich neue Kirchenordnungen erlassen. Claußen, die in Wiesbaden ein Büro für Religion und Kulturen hat, hält sich an die reichlich vorhandenen lokalen Quellen.
Dabei stellt sie beispielsweise fest, dass die Reformation am Klarissenkloster Klarenthal im Westen Wiesbadens spurlos vorüberging. Es sei keine theologische Kritik an der Einrichtung geübt worden, berichtet Claußen. Plünderungen, wie sie die Rheingauer Klöster trafen, blieben den Klarissen zunächst erspart. "Die Wiesbadener haben ihr Kloster nicht angegriffen", konstatiert Claußen. "Sie waren mit ihm einverstanden." Dagegen wurde Klarenthal später allerdings von kaiserlichen Truppen und 1553 schließlich von der Pest heimgesucht. Dass der neue Glaube die Klarissen verschonte, ist symptomatisch für Claußens Hauptthese. Sie läuft darauf hinaus, dass die Reformation in Wiesbaden viel Zeit brauchte und relativ milde vonstattenging.
EWALD HETRODT
Susanne Claußen: "Reformation wagen", Societäts-Verlag, Frankfurt 2017, 156 Seiten, 19,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
WIESBADEN. In seiner Aufstellung für das Jahr 1524 begnügt der Wiesbadener Rechnungsmeister Ludwig Endtstein sich nicht mit der Auflistung von nüchternen Zahlen und Fakten. Er kommentiert sie auch. So finden sich dort nicht nur die Beträge, die der Kirche für das Zelebrieren von heiligen Messen gezahlt wurden, sondern auch die Anmerkung, dass eine Predigt über das Evangelium sicher besser gewesen wäre. Dass der Buchhalter seine Meinung sogar in das Rechnungswesen einfließen ließ, sei ein Beleg dafür, wie sehr die Forderungen der Reformation die Bevölkerung auch fern von Wittenberg bewegt hätten. So sieht es jedenfalls Susanne Claußen, die Autorin eines Buches, das die Stadt Wiesbaden und das evangelische Dekanat 500 Jahre nach dem Thesenanschlag im Societäts-Verlag herausgebracht haben.
Auf 156 Seiten geht die promovierte Kulturwissenschaftlerin der Frage nach, welche Wirkung Martin Luthers Thesen in Wiesbaden hatten. Sie zeigt, dass der Übergang zu dem was sich heute "evangelisch" nennt, zunächst in der Forderung zum Ausdruck kam, die Bibel in der Volkssprache auszulegen, anstatt nur lateinische Messen zu lesen. Später waren Wiesbadener Pfarrer Zeugen des neuen Glaubens. Nach 1570 wurden schließlich neue Kirchenordnungen erlassen. Claußen, die in Wiesbaden ein Büro für Religion und Kulturen hat, hält sich an die reichlich vorhandenen lokalen Quellen.
Dabei stellt sie beispielsweise fest, dass die Reformation am Klarissenkloster Klarenthal im Westen Wiesbadens spurlos vorüberging. Es sei keine theologische Kritik an der Einrichtung geübt worden, berichtet Claußen. Plünderungen, wie sie die Rheingauer Klöster trafen, blieben den Klarissen zunächst erspart. "Die Wiesbadener haben ihr Kloster nicht angegriffen", konstatiert Claußen. "Sie waren mit ihm einverstanden." Dagegen wurde Klarenthal später allerdings von kaiserlichen Truppen und 1553 schließlich von der Pest heimgesucht. Dass der neue Glaube die Klarissen verschonte, ist symptomatisch für Claußens Hauptthese. Sie läuft darauf hinaus, dass die Reformation in Wiesbaden viel Zeit brauchte und relativ milde vonstattenging.
EWALD HETRODT
Susanne Claußen: "Reformation wagen", Societäts-Verlag, Frankfurt 2017, 156 Seiten, 19,80 Euro.
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