Produktdetails
- Verlag: Kindler
- Originaltitel: Le dit de Tianyi
- Seitenzahl: 471
- Abmessung: 195mm
- Gewicht: 536g
- ISBN-13: 9783463404103
- ISBN-10: 3463404109
- Artikelnr.: 09913834
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Joseph Hanimann ist von dem vor drei Jahren in Frankreich erschienenen Debütroman des chinesischen Autors, der seit 25 Jahren in Paris lebt, sehr angetan. Er preist Cheng als Vermittler der asiatischen und europäischen Kultur, wobei er ihn als Autor charakterisiert, der Vertrautes fremd erscheinen lässt. Der Roman, in dem ein im Exil lebender Maler nach China zurückkehrt und dort seinen Freund und seine Jugendliebe sucht, mische "kontemplative, fiktive, dokumentarische und autobiografische Aspekte", betont der Rezensent, der besonders von der "Engführung der Kulturen" in dem Buch fasziniert ist. Einzig der Titel hat den ansonsten begeisterten Rezensenten geärgert, weil er ihm zu "klischeehaft" geraten ist und der sprachlichen Feinheit des Autors keineswegs gerecht wird, wie er moniert. Ansonsten sei die Übersetzung aber gelungen, lobt Hanimann abschließend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2002Reispapier und Leinwand
François Chengs westöstlicher Bildungsroman
Subtiler noch als die Kunst, Fremdes vertraut zu machen, ist jene, einen Schimmer von Fremdheit auf das Vertraute zurückstrahlen zu lassen. So ein Künstler ist der seit einem halben Jahrhundert in Paris lebende François Cheng. Chinesische und europäische Kultur sind so sehr seine jeweils zweite Natur, daß das Wort "Kulturvermittler" bei ihm fast schon eine Beleidigung wäre. Er ist Begegnung in Person: Schriftsteller, Dichter, Kunstkenner, Kalligraph, Übersetzer, der uns in seinen Büchern die chinesische Malerei und das chinesische Denken aus intimster Kenntnis von Quattrocento und Impressionismus, Hegel und Heidegger nahezubringen vermag. Der vor drei Jahren auf französisch erschienene Erstlingsroman des Fünfundsiebzigjährigen verknüpft nun kontemplative, fiktive, dokumentarische und autobiographische Aspekte. Wie der Autor selbst 1948 bei seiner Ankunft in Frankreich lernt auch die Romanfigur Tianyi als Student die fremde Welt des Abendlands kennen. Im Unterschied zum Autor François Cheng kehrt aber der Maler Tianyi im Roman nach einigen Jahren Exil wieder nach China zurück und gerät ins Getriebe der Revolution. In drei großen Kapitelfolgen - Aufbruch, Umweg, Rückkehr - wird die Lebensgeschichte des Malers erzählt, der nach einer ärmlichen, aber glücklichen Kindheit in der Provinz Jiangxi seine Lehr- und Wanderjahre im Westen verbringt. Was den Zeichenschüler und seinen dichtenden Intimfreund Haolang in der chinesischen Provinzstadt von ferne als neues Menschenbild faszinierte und bei Romain Rolland oder André Gide in den erträumten Vorstellungsräumen von Rhein, Donau, Alpen und Mittelmeer vorschwebte, wird für den Ankömmling unmittelbar sinnlich erfahrbar. Schwer liegen dem Studenten Tianyi die Folianten mit ihrem kompakten Druckschriftbild in der Hand, wie abzählbare Gewichtsteine individualisierter Originalität, während die leichten, fast durchsichtigen Reispapierbahnen seiner Heimat mit den Tuschbildern noch aus der Erinnerung rascheln, als wäre ihr Jahrtausende alter Fluß aus dem Pinsel unversiegbar.
Was den an der Form hinter den Formen geschulten Maler aber mehr interessiert, ist die Art, wie die europäischen Künstler zu ihren gegenständlichen, realistisch greifbaren Figuren finden. Dem vierteiligen Weg zur Vision mit dem "dritten Auge" - der vom Sehen über das Nichtsehen und das ins Nichtsehen Sich-Versenken zum neuen Sehen führt - entspreche im Westen die dramatisierende Triade der Dialektik, lernt Tianyi auf seinen Reisen. Cimabue, Duccio, Fra Angelico und auch Giotto sind ihm in ihrer Statik noch zugänglich. Bei Masaccio und seinen Nachfolgern hingegen, so scheint dem jungen Museumsbesucher, setzt sich der Mensch in einem neuartigen Raum plötzlich fieberhaft in Szene. Und können Tianyis europäische Freunde beim Kopieren in den Uffizien selbstbewußt über ihre großen Vorfahren herziehen, so bleibt dem Fremden nur seine Fremdheit - und zugleich auch die befremdliche Erfahrung, wie wertvoll ihm plötzlich selbst die bisher verachtete chinesische Klischeeschönheit eines über Bambusbüsche fliegenden Kranichs vorkommt. François Chengs romanhafte Engführung der Kulturen arbeitet mehr mit nuancierender Hochachtung als mit dem Schmelztiegel ungefährer Gemeinsamkeiten.
Gleichzeitig ist dieser westöstliche Bildungsroman aber auch eine zeithistorisch verwobene Geschichte von Freundschaft und Liebe. Tianyis Freund Haolang, eine Art Gegen-Ich des Erzählers, bleibt ebenso wie Yumei, Tianyis Jugendliebe, in China. Der Freund durchlebt dort im japanisch-chinesischen Krieg die heroische Zeit des kommunistischen Untergrunds, gerät dann in Konflikt mit dem revolutionären Regime und verschwindet in einem Straflager des hohen Nordens. Der später aus Frankreich zurückkehrende Tianyi erfährt vom Selbstmord Yumeis und findet auch sonst kaum noch Spuren seiner Familie, nicht einmal Gräber. Mit regimewidrigen Äußerungen über die Größe der europäischen Malerei läßt er sich absichtlich festnehmen und ebenfalls in die infernalischen Straflager verbannen, in der Hoffnung, den verschollenen Freund Haolang dort wiederzufinden.
Die Geschichte wird im Grenzgebiet zwischen mündlich direkter und ausgefeilt niedergeschriebener Sprache erzählt. In einem Vorwort schildert der Autor seine eigene Reise zu seinem ehemaligen Exilkumpan, dem in einer chinesischen Irrenanstalt vor sich hin alternden Tianyi. Dieser überreicht ihm die Manuskriptstapel seiner Lebensgeschichte und liefert in einer kunstvollen Mischung aus Präzision und detailverliebter Abweichung gleichzeitig die mündliche Fassung dessen mit, was wir als Roman lesen. "Le dit de Tianyi" (etwa: Das Lied von Tianyi) heißt der französische Originaltitel in subtiler Indifferenz zwischen vernommener und entzifferter Sprache, auch zwischen Erzähler und Gegenstand der Erzählung: Und wie drei Aggregatzustände des Erzählens folgen die drei Kapitelüberschriften "Epos des Aufbruchs", "Bericht über einen Umweg", "Mythos der Rückkehr" aufeinander. Dieser sprachliche Resonanzraum ist im klischeehaften Übersetzungstitel verlorengegangen. Das ist mehr als ein Schönheitsfehler des sonst gut übersetzten Romans: Ein Sinnfehler bei einem Werk, das gerade ohne exotische Einfärbung auskommen will.
JOSEPH HANIMANN.
François Cheng: "Regenbogen überm Jangtse". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Sigrid Vagt. Kindler Verlag, Berlin 2001. 472 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
François Chengs westöstlicher Bildungsroman
Subtiler noch als die Kunst, Fremdes vertraut zu machen, ist jene, einen Schimmer von Fremdheit auf das Vertraute zurückstrahlen zu lassen. So ein Künstler ist der seit einem halben Jahrhundert in Paris lebende François Cheng. Chinesische und europäische Kultur sind so sehr seine jeweils zweite Natur, daß das Wort "Kulturvermittler" bei ihm fast schon eine Beleidigung wäre. Er ist Begegnung in Person: Schriftsteller, Dichter, Kunstkenner, Kalligraph, Übersetzer, der uns in seinen Büchern die chinesische Malerei und das chinesische Denken aus intimster Kenntnis von Quattrocento und Impressionismus, Hegel und Heidegger nahezubringen vermag. Der vor drei Jahren auf französisch erschienene Erstlingsroman des Fünfundsiebzigjährigen verknüpft nun kontemplative, fiktive, dokumentarische und autobiographische Aspekte. Wie der Autor selbst 1948 bei seiner Ankunft in Frankreich lernt auch die Romanfigur Tianyi als Student die fremde Welt des Abendlands kennen. Im Unterschied zum Autor François Cheng kehrt aber der Maler Tianyi im Roman nach einigen Jahren Exil wieder nach China zurück und gerät ins Getriebe der Revolution. In drei großen Kapitelfolgen - Aufbruch, Umweg, Rückkehr - wird die Lebensgeschichte des Malers erzählt, der nach einer ärmlichen, aber glücklichen Kindheit in der Provinz Jiangxi seine Lehr- und Wanderjahre im Westen verbringt. Was den Zeichenschüler und seinen dichtenden Intimfreund Haolang in der chinesischen Provinzstadt von ferne als neues Menschenbild faszinierte und bei Romain Rolland oder André Gide in den erträumten Vorstellungsräumen von Rhein, Donau, Alpen und Mittelmeer vorschwebte, wird für den Ankömmling unmittelbar sinnlich erfahrbar. Schwer liegen dem Studenten Tianyi die Folianten mit ihrem kompakten Druckschriftbild in der Hand, wie abzählbare Gewichtsteine individualisierter Originalität, während die leichten, fast durchsichtigen Reispapierbahnen seiner Heimat mit den Tuschbildern noch aus der Erinnerung rascheln, als wäre ihr Jahrtausende alter Fluß aus dem Pinsel unversiegbar.
Was den an der Form hinter den Formen geschulten Maler aber mehr interessiert, ist die Art, wie die europäischen Künstler zu ihren gegenständlichen, realistisch greifbaren Figuren finden. Dem vierteiligen Weg zur Vision mit dem "dritten Auge" - der vom Sehen über das Nichtsehen und das ins Nichtsehen Sich-Versenken zum neuen Sehen führt - entspreche im Westen die dramatisierende Triade der Dialektik, lernt Tianyi auf seinen Reisen. Cimabue, Duccio, Fra Angelico und auch Giotto sind ihm in ihrer Statik noch zugänglich. Bei Masaccio und seinen Nachfolgern hingegen, so scheint dem jungen Museumsbesucher, setzt sich der Mensch in einem neuartigen Raum plötzlich fieberhaft in Szene. Und können Tianyis europäische Freunde beim Kopieren in den Uffizien selbstbewußt über ihre großen Vorfahren herziehen, so bleibt dem Fremden nur seine Fremdheit - und zugleich auch die befremdliche Erfahrung, wie wertvoll ihm plötzlich selbst die bisher verachtete chinesische Klischeeschönheit eines über Bambusbüsche fliegenden Kranichs vorkommt. François Chengs romanhafte Engführung der Kulturen arbeitet mehr mit nuancierender Hochachtung als mit dem Schmelztiegel ungefährer Gemeinsamkeiten.
Gleichzeitig ist dieser westöstliche Bildungsroman aber auch eine zeithistorisch verwobene Geschichte von Freundschaft und Liebe. Tianyis Freund Haolang, eine Art Gegen-Ich des Erzählers, bleibt ebenso wie Yumei, Tianyis Jugendliebe, in China. Der Freund durchlebt dort im japanisch-chinesischen Krieg die heroische Zeit des kommunistischen Untergrunds, gerät dann in Konflikt mit dem revolutionären Regime und verschwindet in einem Straflager des hohen Nordens. Der später aus Frankreich zurückkehrende Tianyi erfährt vom Selbstmord Yumeis und findet auch sonst kaum noch Spuren seiner Familie, nicht einmal Gräber. Mit regimewidrigen Äußerungen über die Größe der europäischen Malerei läßt er sich absichtlich festnehmen und ebenfalls in die infernalischen Straflager verbannen, in der Hoffnung, den verschollenen Freund Haolang dort wiederzufinden.
Die Geschichte wird im Grenzgebiet zwischen mündlich direkter und ausgefeilt niedergeschriebener Sprache erzählt. In einem Vorwort schildert der Autor seine eigene Reise zu seinem ehemaligen Exilkumpan, dem in einer chinesischen Irrenanstalt vor sich hin alternden Tianyi. Dieser überreicht ihm die Manuskriptstapel seiner Lebensgeschichte und liefert in einer kunstvollen Mischung aus Präzision und detailverliebter Abweichung gleichzeitig die mündliche Fassung dessen mit, was wir als Roman lesen. "Le dit de Tianyi" (etwa: Das Lied von Tianyi) heißt der französische Originaltitel in subtiler Indifferenz zwischen vernommener und entzifferter Sprache, auch zwischen Erzähler und Gegenstand der Erzählung: Und wie drei Aggregatzustände des Erzählens folgen die drei Kapitelüberschriften "Epos des Aufbruchs", "Bericht über einen Umweg", "Mythos der Rückkehr" aufeinander. Dieser sprachliche Resonanzraum ist im klischeehaften Übersetzungstitel verlorengegangen. Das ist mehr als ein Schönheitsfehler des sonst gut übersetzten Romans: Ein Sinnfehler bei einem Werk, das gerade ohne exotische Einfärbung auskommen will.
JOSEPH HANIMANN.
François Cheng: "Regenbogen überm Jangtse". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Sigrid Vagt. Kindler Verlag, Berlin 2001. 472 S., geb., 22,90 [Euro].
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