In Deutschland werden mehr als 12 000 Menschen zu den sogenannten Reichsbürgern gerechnet. Für sie ist die Bundesrepublik kein souveränes Staatsgebilde, sondern bestehen die Deutschen Reiche aus der Zeit vor 1945 fort. Gegenwärtig würden fremde Mächte im Hintergrund die Fäden ziehen. Manche von ihnen gründen auch eigene Reiche, wie etwa der "König von Deutschland" in Wittenberg, stellen eigene Pässe und Führerscheine aus. Viele erkennen die deutschen Behörden nicht an, verweigern Bußgeldzahlungen und Steuern. Lange Zeit hielt der deutsche Staat die Angehörigen dieser Szene für "Spinner" und tat sie als ungefährlich ab - bis im Oktober 2016 ein Polizist in Franken von einem Reichsbürger erschossen wurde.Der ausgewiesene Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit beleuchtet zusammen mit zehn Fachleuten die Ideologie und die Akteure der verschiedenen Reichsbürger-Gruppierungen. Sie analysieren deren Weltbild und beschreiben, wie ihnen angemessen begegnet werden kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2017Sie leugnen nicht nur die Verfassung
Und Waffen haben leider einige von ihnen auch: Ein Sammelband widmet sich den Umtrieben der "Reichsbürger".
Von Justus Bender
Manche Bücher beginnen schon vor dem Inhaltsverzeichnis, auf der Seite mit der ISBN-Nummer. Dort steht in diesem Buch ein Satz, der das Verstrickte des Themas, das Bizarre der behandelten Personen in einer hübschen Randbemerkung zusammenfasst. Zum "Zwecke der besseren Lesbarkeit", lautet die "Editorische Bemerkung", habe man sich entschieden, den "Reichsbürger"-Begriff "ohne Anführungszeichen zu verwenden". Solche Kleinigkeiten sind der Stoff, aus dem die Träume von "Reichsbürgern" sind. Keine Gänsefüßchen! Das klingt für die Querulanten nach Anerkennung, nach grammatikalischem Punktsieg. Und schon ist man mittendrin in der verschworenen Welt der Verfassungsleugner.
Sie interessieren nicht mehr bloß einen kleinen Kreis. Schuld ist einerseits jener Polizistenmord, der die ganze "Reichsbürger"-Debatte in ein Davor und ein Danach spaltet: Am 19. Oktober 2016 erschoss ein "Reichsbürger" einen SEK-Beamten im bayerischen Georgensmünd. Die lange als Spektrum ideologischer Clowns verlachte Szene war in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit über Nacht zu einer ernsten Bedrohung geworden. Dass es in Deutschland 12 800 Personen dieser Sorte gibt, verleiht dem Buch seine Dringlichkeit.
Auf der anderen Seite sind es die himmelschreienden Begründungen der "Reichsbürger". Wenn aus deutschen Amtsstuben berichtet wird, wie "Reichsbürger" die Existenz der Behörde leugnen und den Beamten in bis zu 30 Seiten langen Briefen mit "Vertragsstrafen" von 500 000 000 000 000 Dollar drohen, geht es dem Leser wie im Ratschlag des Buches an die Beamten: "lachen, lochen, abheften". Genauso, wenn ein Auto fahrender "Reichsbürger" die Bezahlung eines Knöllchens ablehnt, seine ganze Bauernschläue darauf verwendet und vom Amt die trockene Antwort bekommt: Wer schon die Gültigkeit der Straßenverkehrsordnung anzweifelt, möge sich doch bitte mal der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) stellen. Und weil das Gutachten nicht beigebracht worden sei, komme nun das Unvermeidliche: Entzug des Führerscheins. Da feiert das Amt seinen kleinen Triumph über die "reichsbürgerlichen" Begründungspirouetten.
Doch das Amüsement fällt schwerer, je mehr der Leser über die "Reichsbürger" lernt. Dass sie sich in vier Milieus gliedern, zum Beispiel: die Rechtsextremen, die traditionellen "Reichsbürger", die Selbstverwalter und die Souveränisten. Dass sie mit Quatschargumenten und aggressiver Energie die Verfassungsorgane delegitimieren wollen. Dass in etlichen Fällen Mandatsträger und Funktionäre der AfD mit "Reichsbürger"-Phrasen" aufgefallen sind. Auch andere Beschreibungen lehren das Fürchten. Wie viele der Spinner bis an die Zähne bewaffnet sind zum Beispiel; dass Antisemitismus ein "zentrales Element ihrer Ideologie" ist - und wie der Verfassungsschutz wenige Monate vor dem Polizistenmord von Georgensmünd noch mitteilte, die Szene stelle "keine konkrete Gefahr" dar, also ahnungslos war. Ein Umstand, der die Autoren zu einer gewissen Häme verleitet.
Vielleicht kann ein solides Sachbuch überhaupt nur diese Schwäche haben: Dass die Autoren den Ernst der Lage im Ton nachträglicher Besserwisserei beschreiben. Schließlich besitzen auch die Behörden vor einem Verbrechen keine Glaskugel. Und auch heute müssen sie nicht davon ausgehen, dass die zersplitterte Szene den Verfassungsstaat ernstlich bedroht.
Das Räsonieren der "Reichsbürger" wird zwar in vielen Verästelungen dargestellt, aber wirklich deutlich hat man die Leute nicht vor Augen. Warum etwa vor allem Männer für "Reichsbürger"-Theorien empfänglich werden, erfährt der Leser nur im Ansatz. Wie die "Editorische Bemerkung" zu Beginn ist deshalb auch das Literaturverzeichnis am Ende von Bedeutung: Dort ist Dirk Wilkings "Reichsbürger. Ein Handbuch" aus dem Jahre 2015 aufgeführt. Als gute Ergänzung handelt es von den gängigen Neurosen unter der Belegschaft der "BRD GmbH" - einer Scheinfirma mit verdächtig hohem Krankenstand.
Andreas Speit (Hrsg.): "Reichsbürger". Die unterschätzte Gefahr.
Ch. Links Verlag, Berlin 2017.
216 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und Waffen haben leider einige von ihnen auch: Ein Sammelband widmet sich den Umtrieben der "Reichsbürger".
Von Justus Bender
Manche Bücher beginnen schon vor dem Inhaltsverzeichnis, auf der Seite mit der ISBN-Nummer. Dort steht in diesem Buch ein Satz, der das Verstrickte des Themas, das Bizarre der behandelten Personen in einer hübschen Randbemerkung zusammenfasst. Zum "Zwecke der besseren Lesbarkeit", lautet die "Editorische Bemerkung", habe man sich entschieden, den "Reichsbürger"-Begriff "ohne Anführungszeichen zu verwenden". Solche Kleinigkeiten sind der Stoff, aus dem die Träume von "Reichsbürgern" sind. Keine Gänsefüßchen! Das klingt für die Querulanten nach Anerkennung, nach grammatikalischem Punktsieg. Und schon ist man mittendrin in der verschworenen Welt der Verfassungsleugner.
Sie interessieren nicht mehr bloß einen kleinen Kreis. Schuld ist einerseits jener Polizistenmord, der die ganze "Reichsbürger"-Debatte in ein Davor und ein Danach spaltet: Am 19. Oktober 2016 erschoss ein "Reichsbürger" einen SEK-Beamten im bayerischen Georgensmünd. Die lange als Spektrum ideologischer Clowns verlachte Szene war in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit über Nacht zu einer ernsten Bedrohung geworden. Dass es in Deutschland 12 800 Personen dieser Sorte gibt, verleiht dem Buch seine Dringlichkeit.
Auf der anderen Seite sind es die himmelschreienden Begründungen der "Reichsbürger". Wenn aus deutschen Amtsstuben berichtet wird, wie "Reichsbürger" die Existenz der Behörde leugnen und den Beamten in bis zu 30 Seiten langen Briefen mit "Vertragsstrafen" von 500 000 000 000 000 Dollar drohen, geht es dem Leser wie im Ratschlag des Buches an die Beamten: "lachen, lochen, abheften". Genauso, wenn ein Auto fahrender "Reichsbürger" die Bezahlung eines Knöllchens ablehnt, seine ganze Bauernschläue darauf verwendet und vom Amt die trockene Antwort bekommt: Wer schon die Gültigkeit der Straßenverkehrsordnung anzweifelt, möge sich doch bitte mal der medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) stellen. Und weil das Gutachten nicht beigebracht worden sei, komme nun das Unvermeidliche: Entzug des Führerscheins. Da feiert das Amt seinen kleinen Triumph über die "reichsbürgerlichen" Begründungspirouetten.
Doch das Amüsement fällt schwerer, je mehr der Leser über die "Reichsbürger" lernt. Dass sie sich in vier Milieus gliedern, zum Beispiel: die Rechtsextremen, die traditionellen "Reichsbürger", die Selbstverwalter und die Souveränisten. Dass sie mit Quatschargumenten und aggressiver Energie die Verfassungsorgane delegitimieren wollen. Dass in etlichen Fällen Mandatsträger und Funktionäre der AfD mit "Reichsbürger"-Phrasen" aufgefallen sind. Auch andere Beschreibungen lehren das Fürchten. Wie viele der Spinner bis an die Zähne bewaffnet sind zum Beispiel; dass Antisemitismus ein "zentrales Element ihrer Ideologie" ist - und wie der Verfassungsschutz wenige Monate vor dem Polizistenmord von Georgensmünd noch mitteilte, die Szene stelle "keine konkrete Gefahr" dar, also ahnungslos war. Ein Umstand, der die Autoren zu einer gewissen Häme verleitet.
Vielleicht kann ein solides Sachbuch überhaupt nur diese Schwäche haben: Dass die Autoren den Ernst der Lage im Ton nachträglicher Besserwisserei beschreiben. Schließlich besitzen auch die Behörden vor einem Verbrechen keine Glaskugel. Und auch heute müssen sie nicht davon ausgehen, dass die zersplitterte Szene den Verfassungsstaat ernstlich bedroht.
Das Räsonieren der "Reichsbürger" wird zwar in vielen Verästelungen dargestellt, aber wirklich deutlich hat man die Leute nicht vor Augen. Warum etwa vor allem Männer für "Reichsbürger"-Theorien empfänglich werden, erfährt der Leser nur im Ansatz. Wie die "Editorische Bemerkung" zu Beginn ist deshalb auch das Literaturverzeichnis am Ende von Bedeutung: Dort ist Dirk Wilkings "Reichsbürger. Ein Handbuch" aus dem Jahre 2015 aufgeführt. Als gute Ergänzung handelt es von den gängigen Neurosen unter der Belegschaft der "BRD GmbH" - einer Scheinfirma mit verdächtig hohem Krankenstand.
Andreas Speit (Hrsg.): "Reichsbürger". Die unterschätzte Gefahr.
Ch. Links Verlag, Berlin 2017.
216 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main