Robert Bohn analysiert die deutsche Besatzungspolitik in Norwegen von 1940 bis 1945 erstmals auf der Basis aller verfügbaren Akten. Im Mittelpunkt stehen die Machtstruktur in der Behörde des Reichskommissars Terboven und deren Auseinandersetzung mit den norwegischen und deutschen zivilen und militärischen Stellen sowie die politischen und wirtschaftlichen Neuordnungsbestrebungen. Ferner analysiert Bohn die wehrwirtschaftlichen Vorhaben der Wehrmacht und die Kollaboration der norwegischen Wirtschaft.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.02.2001Das "Brudervolk" ausplündern
Das nationalsozialistische Besatzungsregime in Norwegen
Robert Bohn: Reichskommissariat Norwegen. "Nationalsozialistische Neuordnung" und Kriegswirtschaft. Beiträge zur Militärgeschichte Band 54. R. Oldenbourg Verlag, München 2000. XIV, 506 Seiten, 88,- Mark.
Das deutsche Besatzungsregime in Nordeuropa im Zweiten Weltkrieg stand bisher im Schatten der intensiven Aufmerksamkeit, die Polen, die Sowjetunion und Frankreich auf sich gelenkt haben. Überdies erscheint die Besatzungszeit aus norwegischer Perspektive als eine alles beherrschende Konfrontation zwischen einem heroisierten Widerstand und einer kleinen Clique von kollaborierenden Landesverrätern um V. Quisling und seine "Nasjonal Samling". Hier markiert das Buch von Robert Bohn einen wichtigen Baustein der Zeitgeschichtsforschung zu dem zentralen Thema der politischen, ökonomischen und territorialen "Neuordnung" Europas unter dem Hakenkreuz, und zwar in doppelter Hinsicht.
Zum einen wird zum erstenmal auf Grund umfangreicher deutscher und norwegischer Archivalien ein sehr differenziertes und aspektreiches Bild der Okkupationsverwaltung mit einem Schwerpunkt auf der kriegswirtschaftlichen Ausbeutung des Landes erstellt. Zum anderen geschieht dies mit einer wissenschaftlich akribischen Unvoreingenommenheit, die ganz bewußt auf die - von vielen Norwegern verdrängte - breite Grauzone pragmatischer Zusammenarbeit zwischen deutschen Besatzern und norwegischen Behörden und Persönlichkeiten jenseits von Résistance und Kollaboration abhebt.
Bohn konzentriert sich zunächst auf die Persönlichkeit des Reichskommissars für die besetzten norwegischen Gebiete, den Essener Gauleiter und Göring-Intimus Josef Terboven, jenen ehrgeizigen Technokraten der Macht und "unumschränkten Herrn von Norwegen" (Goebbels), und auf die Instrumentarien seiner Herrschaft im Geflecht der verschiedenen Machtzentren: die Behörde des Reichskommissars, den Höheren SS- und Polizeiführer, Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst, das SS- und Polizeigericht und den Einsatzstab der NSDAP. Schon hier wird deutlich, wie intensiv diese Instrumentarien zugleich in das bekannte Gerangel um Einfluß, Kompetenzen und Macht der Ministerien und Parteiapparate in Berlin eingebunden, geradezu ein Spiegelbild des polykratischen Staatsaufbaus im Reich waren und wie vehement das sprichwörtliche Kompetenzenchaos von der Reichshauptstadt aus in die Besatzungsgebiete ausstrahlte.
Vielfältig waren denn auch die Konfliktfelder, in denen sich Terboven behaupten mußte und am Ende auch mit brutaler Ellbogenkraft und durch Ausspielen seiner persönlichen Beziehungen zu Hitler als "alter Kämpfer" mehr oder weniger behaupten konnte. Insbesondere mit dem Wehrmachtsbefehlshaber von Falkenhorst lag er im Dauerstreit, wenn dieser für seine zeitweise auf 400 000 Mann angewachsene Besatzungsarmee uferlose und ruinöse Forderungen nach einheimischen Baumaterialien, Geldern und Arbeitskräften stellte. Nicht minder konfliktträchtig waren die Beziehungen zu den einzelnen Reichsministerien, zu dem verachteten Quisling, zu den lokalen und regionalen Verwaltungen vor Ort und zum SD, der bisweilen mit norwegischen Wirtschaftsführern gegen den Reichskommissar intrigierte.
Die grundlegende Frage nach der Mobilisierung der norwegischen Wirtschafts- und Finanzkraft für den Unterhalt der Besatzungsmacht sowie für die Versorgung der Bevölkerung und der Kriegswirtschaft im Reich und nach den Auswirkungen dieser Mobilisierung auf die Besatzungspolitik wird aus mehreren Blickwinkeln behandelt: Norwegen in den deutschen großraumwirtschaftlichen Plänen, die Mobilisierung der norwegischen Wirtschaft, Finanzpolitik als Mittel der Besatzungspolitik, Wehrmacht und Wirtschaft und die norwegische Wirtschaft im Zugriff der deutschen Rüstungsindustrie.
Zwar blieb den Norwegern das schwere Schicksal der Völker Ost- und Südosteuropas erspart. Aber auch sie hatten die Last einer Besatzungspolitik zu tragen, die sich dem "freien Spiel der Kräfte" und der Dynamik steigender Ansprüche verschrieben hatte, zum Experimentierfeld rivalisierender Interessen wurde, keine konstruktive Zukunftsperspektive bot und unter dem Diktat widerstreitender Zielsetzungen stand, die auch Terboven nicht auf einen Nenner bringen konnte.
Galt es langfristig, Norwegen in einen - noch sehr diffus konzipierten - europäischen "Großwirtschaftsraum" unter deutscher Führung einzubauen und dafür seine Wirtschafts- und Finanzkraft allen Belastungen zum Trotz stabil und intakt zu halten, vor allem auch um die Bevölkerung nicht zu sehr gegen die Besatzungsmacht aufzubringen, so lautete das Gebot der deutschen Kriegs- und Ernährungswirtschaft, dem Land kurzfristig das Äußerste an Lieferungen - besonders Fisch, Eisenerz und Nichteisenmetalle wie Aluminium - abzupressen, selbst auf die Gefahr einer inflationären Zerstörung der Währung. Wurde dem "germanischen Brudervolk" großspurig die Aufnahme als integraler Bestandteil in das "Großgermanische Reich" nach dem Krieg versprochen, so mußte es doch tagtäglich die Demütigungen der Ausplünderung erleben, dies in einem Ausmaß, das sogar Quisling schrittweise auf Distanz zu Berlin gehen ließ.
Hoffnungen auf einen gleichberechtigten Status in der deutschen "Großraumwirtschaft" wurden schon im Ansatz dadurch zerstört, daß die private Großwirtschaft wie der Krupp-Konzern und die IG Farben, energisch unterstützt von Terboven, der seit seiner Essener Zeit intime Beziehungen zu ihr pflegte, auf dem Wege einer "kalten Revolution" (Terboven) erpresserisch mehrheitliche Kapitalbeteiligungen und Konzessionen in der norwegischen Volkswirtschaft durchdrückte.
Dennoch kann Bohn konkret nachweisen, wie häufig zwischen dem umtriebigen und durchsetzungsfähigen Leiter der Hauptabteilung Volkswirtschaft im Reichskommissariat, dem Hamburger Senator Carlo Otte, und seinen Abteilungsleitern auf der einen und Persönlichkeiten der norwegischen Industrie, Schiffahrt und Wirtschaftsverwaltung sowie der Behörden und Verbände auf der anderen Seite an Quisling und seiner Regierung vorbei eine vertrauensvolle Kooperation gepflegt wurde. Otte trat dann als Anwalt der norwegischen Wirtschaft auf, wenn es galt, überzogene Forderungen der Wehrmacht abzuwehren. Überwachung und Lenkung der norwegischen Volkswirtschaft waren in deutscher Hand, die Verwaltung blieb den Norwegern überlassen. Diese aus Druck, Eigennutz und Gewinnstreben gespeiste Zusammenarbeit mag mit erklären, warum Wirtschaft und Finanzen Norwegens vergleichsweise wenig beschädigt den Krieg überstanden haben.
Bohns überzeugendes Buch bricht mit liebgewordenen Tabus, ohne je in den Verdacht der Apologie zu geraten. Es informiert übersichtlich und mit zahlreichen Diagrammen, Tabellen und Tafeln.
BERND JÜRGEN WENDT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das nationalsozialistische Besatzungsregime in Norwegen
Robert Bohn: Reichskommissariat Norwegen. "Nationalsozialistische Neuordnung" und Kriegswirtschaft. Beiträge zur Militärgeschichte Band 54. R. Oldenbourg Verlag, München 2000. XIV, 506 Seiten, 88,- Mark.
Das deutsche Besatzungsregime in Nordeuropa im Zweiten Weltkrieg stand bisher im Schatten der intensiven Aufmerksamkeit, die Polen, die Sowjetunion und Frankreich auf sich gelenkt haben. Überdies erscheint die Besatzungszeit aus norwegischer Perspektive als eine alles beherrschende Konfrontation zwischen einem heroisierten Widerstand und einer kleinen Clique von kollaborierenden Landesverrätern um V. Quisling und seine "Nasjonal Samling". Hier markiert das Buch von Robert Bohn einen wichtigen Baustein der Zeitgeschichtsforschung zu dem zentralen Thema der politischen, ökonomischen und territorialen "Neuordnung" Europas unter dem Hakenkreuz, und zwar in doppelter Hinsicht.
Zum einen wird zum erstenmal auf Grund umfangreicher deutscher und norwegischer Archivalien ein sehr differenziertes und aspektreiches Bild der Okkupationsverwaltung mit einem Schwerpunkt auf der kriegswirtschaftlichen Ausbeutung des Landes erstellt. Zum anderen geschieht dies mit einer wissenschaftlich akribischen Unvoreingenommenheit, die ganz bewußt auf die - von vielen Norwegern verdrängte - breite Grauzone pragmatischer Zusammenarbeit zwischen deutschen Besatzern und norwegischen Behörden und Persönlichkeiten jenseits von Résistance und Kollaboration abhebt.
Bohn konzentriert sich zunächst auf die Persönlichkeit des Reichskommissars für die besetzten norwegischen Gebiete, den Essener Gauleiter und Göring-Intimus Josef Terboven, jenen ehrgeizigen Technokraten der Macht und "unumschränkten Herrn von Norwegen" (Goebbels), und auf die Instrumentarien seiner Herrschaft im Geflecht der verschiedenen Machtzentren: die Behörde des Reichskommissars, den Höheren SS- und Polizeiführer, Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst, das SS- und Polizeigericht und den Einsatzstab der NSDAP. Schon hier wird deutlich, wie intensiv diese Instrumentarien zugleich in das bekannte Gerangel um Einfluß, Kompetenzen und Macht der Ministerien und Parteiapparate in Berlin eingebunden, geradezu ein Spiegelbild des polykratischen Staatsaufbaus im Reich waren und wie vehement das sprichwörtliche Kompetenzenchaos von der Reichshauptstadt aus in die Besatzungsgebiete ausstrahlte.
Vielfältig waren denn auch die Konfliktfelder, in denen sich Terboven behaupten mußte und am Ende auch mit brutaler Ellbogenkraft und durch Ausspielen seiner persönlichen Beziehungen zu Hitler als "alter Kämpfer" mehr oder weniger behaupten konnte. Insbesondere mit dem Wehrmachtsbefehlshaber von Falkenhorst lag er im Dauerstreit, wenn dieser für seine zeitweise auf 400 000 Mann angewachsene Besatzungsarmee uferlose und ruinöse Forderungen nach einheimischen Baumaterialien, Geldern und Arbeitskräften stellte. Nicht minder konfliktträchtig waren die Beziehungen zu den einzelnen Reichsministerien, zu dem verachteten Quisling, zu den lokalen und regionalen Verwaltungen vor Ort und zum SD, der bisweilen mit norwegischen Wirtschaftsführern gegen den Reichskommissar intrigierte.
Die grundlegende Frage nach der Mobilisierung der norwegischen Wirtschafts- und Finanzkraft für den Unterhalt der Besatzungsmacht sowie für die Versorgung der Bevölkerung und der Kriegswirtschaft im Reich und nach den Auswirkungen dieser Mobilisierung auf die Besatzungspolitik wird aus mehreren Blickwinkeln behandelt: Norwegen in den deutschen großraumwirtschaftlichen Plänen, die Mobilisierung der norwegischen Wirtschaft, Finanzpolitik als Mittel der Besatzungspolitik, Wehrmacht und Wirtschaft und die norwegische Wirtschaft im Zugriff der deutschen Rüstungsindustrie.
Zwar blieb den Norwegern das schwere Schicksal der Völker Ost- und Südosteuropas erspart. Aber auch sie hatten die Last einer Besatzungspolitik zu tragen, die sich dem "freien Spiel der Kräfte" und der Dynamik steigender Ansprüche verschrieben hatte, zum Experimentierfeld rivalisierender Interessen wurde, keine konstruktive Zukunftsperspektive bot und unter dem Diktat widerstreitender Zielsetzungen stand, die auch Terboven nicht auf einen Nenner bringen konnte.
Galt es langfristig, Norwegen in einen - noch sehr diffus konzipierten - europäischen "Großwirtschaftsraum" unter deutscher Führung einzubauen und dafür seine Wirtschafts- und Finanzkraft allen Belastungen zum Trotz stabil und intakt zu halten, vor allem auch um die Bevölkerung nicht zu sehr gegen die Besatzungsmacht aufzubringen, so lautete das Gebot der deutschen Kriegs- und Ernährungswirtschaft, dem Land kurzfristig das Äußerste an Lieferungen - besonders Fisch, Eisenerz und Nichteisenmetalle wie Aluminium - abzupressen, selbst auf die Gefahr einer inflationären Zerstörung der Währung. Wurde dem "germanischen Brudervolk" großspurig die Aufnahme als integraler Bestandteil in das "Großgermanische Reich" nach dem Krieg versprochen, so mußte es doch tagtäglich die Demütigungen der Ausplünderung erleben, dies in einem Ausmaß, das sogar Quisling schrittweise auf Distanz zu Berlin gehen ließ.
Hoffnungen auf einen gleichberechtigten Status in der deutschen "Großraumwirtschaft" wurden schon im Ansatz dadurch zerstört, daß die private Großwirtschaft wie der Krupp-Konzern und die IG Farben, energisch unterstützt von Terboven, der seit seiner Essener Zeit intime Beziehungen zu ihr pflegte, auf dem Wege einer "kalten Revolution" (Terboven) erpresserisch mehrheitliche Kapitalbeteiligungen und Konzessionen in der norwegischen Volkswirtschaft durchdrückte.
Dennoch kann Bohn konkret nachweisen, wie häufig zwischen dem umtriebigen und durchsetzungsfähigen Leiter der Hauptabteilung Volkswirtschaft im Reichskommissariat, dem Hamburger Senator Carlo Otte, und seinen Abteilungsleitern auf der einen und Persönlichkeiten der norwegischen Industrie, Schiffahrt und Wirtschaftsverwaltung sowie der Behörden und Verbände auf der anderen Seite an Quisling und seiner Regierung vorbei eine vertrauensvolle Kooperation gepflegt wurde. Otte trat dann als Anwalt der norwegischen Wirtschaft auf, wenn es galt, überzogene Forderungen der Wehrmacht abzuwehren. Überwachung und Lenkung der norwegischen Volkswirtschaft waren in deutscher Hand, die Verwaltung blieb den Norwegern überlassen. Diese aus Druck, Eigennutz und Gewinnstreben gespeiste Zusammenarbeit mag mit erklären, warum Wirtschaft und Finanzen Norwegens vergleichsweise wenig beschädigt den Krieg überstanden haben.
Bohns überzeugendes Buch bricht mit liebgewordenen Tabus, ohne je in den Verdacht der Apologie zu geraten. Es informiert übersichtlich und mit zahlreichen Diagrammen, Tabellen und Tafeln.
BERND JÜRGEN WENDT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "wichtigen Baustein" der Zeitgeschichtsforschung bezeichnet Rezensent Bernd Jürgen Wendt dieses "überzeugende" Buch. Zum ersten Mal werde hier ein "sehr differenziertes und aspektreiches Bild der Okkupationsverwaltung mit einem Schwerpunkt auf die kriegswirtschaftliche Ausbeutung" Norwegens erstellt - auf der Basis umfangreicher deutscher und norwegischer "Archivalien". Dies geschieht nach Ansicht des Rezensenten außerdem "mit einer wissenschaftlich akribischen Unvoreingenommenheit", die auf die von Norwegen verdrängte "breite Grauzone pragmatischer Zusammenarbeit zwischen norwegischen Behörden und deutschen Besatzern" und Persönlichkeiten "jenseits von Kollaboration und Resistance" abhebe. Wendt skizziert kurz Themenkomplexe und stellt zentrale Personen auf deutscher und norwegischer Seite vor. Man erfährt auch, dass zahlreiche Diagramme, Tabellen und Tafeln die Studie ergänzen. Bohn bricht, so der Rezensent, mit liebgewordenen Tabus, ohne "je in den Verdacht der Apologie zu geraten".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Bohns überzeugendes Buch bricht mit liebgewordenen Tabus, ohne je in den Verdacht der Apologie zu geraten. Es informiert übersichtlich und mit zahlreichen Diagrammen, Tabellen und Tafeln." Bernd Jürgen Wendt, in: FAZ vom 10.2.2001 "Die spannend geschriebene, auch für den wirtschaftlichen Laien verständlicheArbeit stützt sich neben der Auswertung der einschlägigen Literatur auf einen ausgesprochen breiten Quellenbestand in deutschen und norwegischen Archiven." Martin Moll, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 61/2002