Der in den späten 1930er Jahren entstandene Roman Reise ans Ende des Frühlings mit dem Untertitel 'Blitz in vier Farben', ist einer der provokantesten Romane Vitomil Zupans. 'Die ungewöhnliche Erzählung über die Hass-Liebe-Beziehung zwischen einem Gymnasialprofessor und seinem Schüler knapp vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs stellte bei ihrer Erstveröffentlichung 1972 zusammen mit dem abenteuerlichen Lebensweg ihres Autors eine extravagante Sensation innerhalb der slowenischen Literatur- und Kulturszene dar. Jahrzehnte nach seiner Entstehung hat der Roman nichts von seinem Charme, seiner Ironie und dem Humor, der aus den zahlreichen Facetten des spontanen Selbstbekenntnisses des Professors spricht, verloren. Eine Handlung im eigentlichen Sinn gibt es kaum, auch der gesellschaftliche und historische Kontext sind lediglich skizziert. Im Verhältnis zu seinem unkonventionellen Alter Ego entfaltet sich das aufgewühlte Innenleben des Protagonisten nach und nach zu einer wild wuchernden Trinkerphantasmagorie und mündet in den hilflosen Versuch, aus der kleinbürgerlichen Beengtheit auszusteigen, der aber keine rechten Resultate zeitigt und auch nicht zeitigen kann. Trotzdem bleibt das Ende offen: für die Rückkehr in die alten Rahmenbedingungen; oder für die Wiederholung des Kreises.' (Alenka Koron)
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Frankfurter Allgemeine ZeitungWas für ein Zwiegeschrei
Vitomil Zupans slowenischer Meisterroman "Reise ans Ende des Frühlings"
Wie haben wir es gut! Seit etwa zwei Jahrzehnten sind wir in der glücklichen Lage, mehr und mehr kulturelle Inseln und Landstriche kennenzulernen, die von einer halbhundertjährigen Eiszeit befreit worden sind. Es tun sich Kontinente des Verdrängten auf, lanciert durch kleine Verlage und kluge Herausgeber. So gibt es nicht mehr nur eine Tschechische oder Polnische, sondern nun auch eine Slowenische Bibliothek, die uns Namen bringt wie aus einer Zauberflasche: Pregelj, Kveder, Bartol oder Rozanc und mit diesen Namen Welten einer Erzählkunst, von denen wir keine Ahnung hatten und die sich nun öffnen - wenn wir es denn wollen.
Herausragendes Beispiel dieser österreichisch-slowenischen Reihe ist Vitomil Zupan. Er wurde geboren, als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Bohemien, Partisan, Häftling, Widerstandskämpfer gegen die Deutschen und zu kommunistischen Zeiten mal gepriesen, mal verfemt, weshalb er lange Jahre im Gefängnis verbrachte. Zupan starb 1987 an dem Ort, wo er geboren wurde: Ljubljana. Er schrieb Gedichte, Drehbücher und Romane.
Jetzt liegt in der Übersetzung von Aleksander Studen-Kirchner eines seiner Hauptwerke vor: "Reise ans Ende des Frühlings". Ist es ein Roman? Es ist auf jeden Fall, so der Untertitel, ein "Blitz in vier Farben", in den dreißiger Jahren entstanden, erst 1972 veröffentlicht. Célines "Reise ans Ende der Nacht" dürfte den Titel angeregt haben, aber mehr vielleicht auch nicht. Ein Lehrer wird von einem Schüler namens Tajsi förmlich in die Irre getrieben, aber er genießt es. Tajsi könnte Rimbaud sein, so direkt geht er auf Menschen zu, flegelt herum und ignoriert Tabus.
Das fasziniert den erzählenden Lehrer, der - so weit das Halb-Autobiographische - auch Schriftsteller ist. Bald bringt er dem Jungen seine Frau Sonja mit ihrem himmelblauen Unterhöschen nah, mit der es etwas langweilig wurde, und fortan beginnt der Gatte, sich selbst wieder für die Gattin zu interessieren. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis ist zwar komplex, doch Tajsi ist kein Tadzio aus "Tod in Venedig", wie man leicht vermuten könnte. Er führt ein undurchschaubares Leben, macht sich über den Lehrer lustig, führt ihn an der Nase herum, lockt ihn mit Zoten zu den Frauen. Andererseits ist auch Tajsi schriftstellerisch tätig, was den Lehrer beeindruckt, aber auch verächtliche Wortkaskaden provoziert.
Dieser Lehrer ist zynisch bis dort hinaus, dann doch wieder zärtlich und weinerlich, wobei der Alkohol immer ein Wörtchen mitzureden hat. Nächtliche Trinktouren führen zu Verbrüderungen und Hasstiraden und zu einem großen Auftritt in einer Schädelsammlung. Er findet den Schädel seines alten Kumpels Jaka und pfeift ihm einen Trauermarsch, "Du wirst kein Kommissbrot mehr fressen", putzt ihm die Zähne, lässt ihn schnäuzen und macht sich zu seinem Narren. Sonja wird schwanger, Tajsi bekommt wieder bessere Noten, und man fragt sich, wofür? Zumal nach und nach klar wird: Der Erzähler und sein Schüler sind austauschbar, ja, unterschiedliche Versionen desselben Selbst.
Manchmal erscheint des Erzählers wirres Denken wie ein freier Engelssturz, ein bodenloser Fall der Assoziationen oder besser: als Dialog, als Zwiegeschrei zwischen Dostojewski und Strindberg, die beide von einem Kellner namens Wenedikt Jerofejew ("Moskau-Petuschki") mit Cocktails aus Parfüm, Sprit und höllischen Reinigungsmitteln bedient werden, bis sie nicht nur die Engel singen hören. Der Erzähler bläht sich einmal auf wie ein Ballon und weiß nicht, ob er im nächsten Moment nicht in eine Streichholzschachtel kriechen wird. Mitten hinein in die Seiten springen immer wieder rhythmische Sequenzen, Lyrik fällt wie Blitz, und der Leser reibt sich die Augen.
Mit Zupan kann man Türen auf- und zuschlagen, in andere Geschichten und Schädel hineinschauen, die doch auch unsere sind - sein Buch ist eine slowenische Liebeserklärung an die Unzurechnungsfähigkeit.
ELMAR SCHENKEL
Vitomil Zupan: "Reise ans Ende des Frühlings". Blitz in vier Farben. Roman.
Aus dem Slowenischen von Aleksander Studen-Kirchner. Wieser und Drava Verlag, Klagenfurt 2013. 239 S., geb., 21,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vitomil Zupans slowenischer Meisterroman "Reise ans Ende des Frühlings"
Wie haben wir es gut! Seit etwa zwei Jahrzehnten sind wir in der glücklichen Lage, mehr und mehr kulturelle Inseln und Landstriche kennenzulernen, die von einer halbhundertjährigen Eiszeit befreit worden sind. Es tun sich Kontinente des Verdrängten auf, lanciert durch kleine Verlage und kluge Herausgeber. So gibt es nicht mehr nur eine Tschechische oder Polnische, sondern nun auch eine Slowenische Bibliothek, die uns Namen bringt wie aus einer Zauberflasche: Pregelj, Kveder, Bartol oder Rozanc und mit diesen Namen Welten einer Erzählkunst, von denen wir keine Ahnung hatten und die sich nun öffnen - wenn wir es denn wollen.
Herausragendes Beispiel dieser österreichisch-slowenischen Reihe ist Vitomil Zupan. Er wurde geboren, als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Bohemien, Partisan, Häftling, Widerstandskämpfer gegen die Deutschen und zu kommunistischen Zeiten mal gepriesen, mal verfemt, weshalb er lange Jahre im Gefängnis verbrachte. Zupan starb 1987 an dem Ort, wo er geboren wurde: Ljubljana. Er schrieb Gedichte, Drehbücher und Romane.
Jetzt liegt in der Übersetzung von Aleksander Studen-Kirchner eines seiner Hauptwerke vor: "Reise ans Ende des Frühlings". Ist es ein Roman? Es ist auf jeden Fall, so der Untertitel, ein "Blitz in vier Farben", in den dreißiger Jahren entstanden, erst 1972 veröffentlicht. Célines "Reise ans Ende der Nacht" dürfte den Titel angeregt haben, aber mehr vielleicht auch nicht. Ein Lehrer wird von einem Schüler namens Tajsi förmlich in die Irre getrieben, aber er genießt es. Tajsi könnte Rimbaud sein, so direkt geht er auf Menschen zu, flegelt herum und ignoriert Tabus.
Das fasziniert den erzählenden Lehrer, der - so weit das Halb-Autobiographische - auch Schriftsteller ist. Bald bringt er dem Jungen seine Frau Sonja mit ihrem himmelblauen Unterhöschen nah, mit der es etwas langweilig wurde, und fortan beginnt der Gatte, sich selbst wieder für die Gattin zu interessieren. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis ist zwar komplex, doch Tajsi ist kein Tadzio aus "Tod in Venedig", wie man leicht vermuten könnte. Er führt ein undurchschaubares Leben, macht sich über den Lehrer lustig, führt ihn an der Nase herum, lockt ihn mit Zoten zu den Frauen. Andererseits ist auch Tajsi schriftstellerisch tätig, was den Lehrer beeindruckt, aber auch verächtliche Wortkaskaden provoziert.
Dieser Lehrer ist zynisch bis dort hinaus, dann doch wieder zärtlich und weinerlich, wobei der Alkohol immer ein Wörtchen mitzureden hat. Nächtliche Trinktouren führen zu Verbrüderungen und Hasstiraden und zu einem großen Auftritt in einer Schädelsammlung. Er findet den Schädel seines alten Kumpels Jaka und pfeift ihm einen Trauermarsch, "Du wirst kein Kommissbrot mehr fressen", putzt ihm die Zähne, lässt ihn schnäuzen und macht sich zu seinem Narren. Sonja wird schwanger, Tajsi bekommt wieder bessere Noten, und man fragt sich, wofür? Zumal nach und nach klar wird: Der Erzähler und sein Schüler sind austauschbar, ja, unterschiedliche Versionen desselben Selbst.
Manchmal erscheint des Erzählers wirres Denken wie ein freier Engelssturz, ein bodenloser Fall der Assoziationen oder besser: als Dialog, als Zwiegeschrei zwischen Dostojewski und Strindberg, die beide von einem Kellner namens Wenedikt Jerofejew ("Moskau-Petuschki") mit Cocktails aus Parfüm, Sprit und höllischen Reinigungsmitteln bedient werden, bis sie nicht nur die Engel singen hören. Der Erzähler bläht sich einmal auf wie ein Ballon und weiß nicht, ob er im nächsten Moment nicht in eine Streichholzschachtel kriechen wird. Mitten hinein in die Seiten springen immer wieder rhythmische Sequenzen, Lyrik fällt wie Blitz, und der Leser reibt sich die Augen.
Mit Zupan kann man Türen auf- und zuschlagen, in andere Geschichten und Schädel hineinschauen, die doch auch unsere sind - sein Buch ist eine slowenische Liebeserklärung an die Unzurechnungsfähigkeit.
ELMAR SCHENKEL
Vitomil Zupan: "Reise ans Ende des Frühlings". Blitz in vier Farben. Roman.
Aus dem Slowenischen von Aleksander Studen-Kirchner. Wieser und Drava Verlag, Klagenfurt 2013. 239 S., geb., 21,- [Euro].
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