Marktplatzangebote
5 Angebote ab € 2,00 €
  • Broschiertes Buch

Von einem Arzt mit hellseherischen Gaben, seiner Liebe, seinen Konflikten und seinem Scheitern handelt dieser vielgestaltige, meisterhafte Roman, der wie alle Bücher dieser großen russischen Erzählerin voller Geschichten, aber auch voller Geheimnisse steckt.
Russland am Ende der Revolution. Der berühmte Gynäkologe Pawel Kukotzki will sich den allgegenwärtigen Zwängen des neuen Systems nicht unterordnen und flüchtet in die Rolle des verantwortungslosen Trinkers. Doch dann rettet er einer jungen Frau mit einer fast aussichtslosen Operation das Leben und verliebt sich in sie. Jelena zieht mit…mehr

Produktbeschreibung
Von einem Arzt mit hellseherischen Gaben, seiner Liebe, seinen Konflikten und seinem Scheitern handelt dieser vielgestaltige, meisterhafte Roman, der wie alle Bücher dieser großen russischen Erzählerin voller Geschichten, aber auch voller Geheimnisse steckt.
Russland am Ende der Revolution. Der berühmte Gynäkologe Pawel Kukotzki will sich den allgegenwärtigen Zwängen des neuen Systems nicht unterordnen und flüchtet in die Rolle des verantwortungslosen Trinkers. Doch dann rettet er einer jungen Frau mit einer fast aussichtslosen Operation das Leben und verliebt sich in sie. Jelena zieht mit ihrer Tochter Tanja zu Pawel - und erhält am selben Tag die Nachricht vom Tod ihres Mannes. Das Gefühl, an seinem Tod mitschuldig zu sein, wird sie nie wieder verlassen. Über viele Jahre leben Pawel und Jelena in einer harmonischen Ehe. Es gelingt ihnen immer wieder, sich dem gierigen Griff des Sowjetregimes zu entziehen - bis eine schreckliche Auseinandersetzung ihr Glück zerstört. Vor dem Hintergrund eines halben Jahrhunderts russischer Geschichte erzählt dieses grandiose Epos von Schuld und Sühne, von Glück und Verzweiflung, von Leben und Tod.
Autorenporträt
Ljudmila Ulitzkaja, geboren 1943 bei Jekaterinburg, wuchs in Moskau auf. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. 1996 erhielt sie in Frankreich für ihre Erzählung 'Sonetschka' den Prix Medicis, 2001 den Booker Prize Rußland und im Jahr 2014 den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2001

Fortpflanzung, Erbschaft, Tod
Ljudmila Ulitzkajas Roman über die Geheimnisse des Lebens: „Reise in den siebenten Himmel”
Ein Arzt hat einen geheimnisvollen Röntgenblick und kann mit bloßen Augen die Organe seiner Patientinnen sehen; eine Frau gibt das Leben zugunsten einer anderen, mystischen Realität auf und kann damit in die Zukunft blicken – Ljudmila Ulitzkaja steht mit diesen Visionären in bester russischer Tradition. Den Röntgenblick kennt man aus Odojewskijs Erzählung Der Improvisator aus den Russischen Nächten, und der Ausstieg aus der Wirklichkeit wurde spätestens mit Gogols Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen zu einem beliebten literarischen Topos. Und gerade die postsowjetische Postmoderne steigt immer wieder aus, arrangiert Zeitreisen mit Hilfe von halluzinogenen Drogen oder erzeugt medial virtuelle Realitäten. Das sind die Verfahren, die Sorokin, Pelewin und Pavel Pepperstejn anwenden.
Ljudmila Ulitzkaja ist deutlich traditioneller als ihre avantgardistischen Zeitgenossen. Dem intellektuellen Experiment zieht sie das lebensnahe Erzählen vor. Wie schon in ihrem RomanMedea” setzt sie auch in Reise in den siebenten Himmel” auf epische Breite. Auch hier steht wieder eine Familie im Zentrum. Erzählt werden die Lebensläufe ihrer Mitglieder. Da ist erstens der Arzt Pawel Kusotzki, der „berühmteste Gynäkologe des Landes”, der lange Zeit keine Liebesbeziehungen eingeht, weil er, sobald er mit einer Frau liiert ist, seinen magischen Röntgenblick verliert. Die einzige Frau, die seinen „Innenblick” nicht zum Verlöschen bringt, ist Jelena, eine technische Zeichnerin, der er durch einen ärztlichen Eingriff – Entfernung der Gebärmutter – das Leben gerettet hat und die er schließlich heiratet. Erzählt wird auch das Leben von Tanja, der Tochter Jelenas, die Kusotzki adoptiert hat und die von den Eltern alles geboten bekommt; doch nach einem ruhmreichen Anfang hängt sie Studium und Arbeit an den Nagel und schließt sich den „Nachtmenschen” an: denen, die sich vom Leben treiben lassen, die so leben, wie es ihnen gefällt.
Der Roman rollt außerdem auch die Lebensgeschichten derer auf, die der Familie Kusotzki auf die eine oder andere Weise verbunden sind: die der von beiden Kusotzkis angenommenen Ziehtochter Toma, deren leibliche Mutter bei einer illegalen Abtreibung stirbt; die der halb blinden Haushälterin Wassilissa, die ihre Stärke aus einem fast archaischen Glauben an Gott nimmt. Und die von Kusotzkis Freund Goldberg, „einem jüdischen Don Quijote, der es immer schaffte, ins Gefängnis zu kommen. ” Die Familiensaga beginnt im Zweiten Weltkrieg, als Kusotzki sich in seine Patientin Jelena verliebt, und sie endet, nach seinem Tod und nach dem Ende der Sowjetunion, mit der Geburt seines Urenkels. Dazwischen liegen Stalinismus, Tauwetter, die auch an der sowjetischen Jugend nicht spurlos vorübergegangene Revolte von 1968. Der rote Faden, der die familiäre Figurenschar verbindet, ist jedoch nicht die Politik, sondern die Biologie. Geburt und Tod, Erbmasse und Genetik sind die Themen im Hause Kusotzki, und jedes Familienmitglied sieht die Dinge anders. Kusotzkis wichtigstes Vorhaben ist es, auf die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs hinzuwirken. Dieser war im Stalinismus verboten, und illegale Abbrüche mitsamt ihrer oft tödlichen Folgen gehörten zum Alltag. Gerade an Kusotzkis Projekt, das die Frauen vor den gefährlichen Konsequenzen ihrer Biologie bewahren wollte, zerbricht die Beziehung zu seiner eigenen Frau. „Das sind Verbrecherinnen, die ihre eigenen Kinder töten”, so ihre Sicht der Dinge. Damit war „das eheliche Glück von Jelena und Pawel dahin, verdorrt. ”
Um das Gesundheitsministerium von der Dringlichkeit seines Projekts zu überzeugen, stellt Kusotzki dem zuständigen Funktionär ein Glas mit einer aufgeschnittenen Gebärmutter auf den Schreibtisch: „Sehen Sie sich das an. Das ist eine schwangere Gebärmutter mit einer eingewachsenen Zwiebel. Die Zwiebel wird in den Gebärmutterhals eingebracht und wächst dort an. Das Wurzelsystem durchdringt den Embryo und wird dann zusammen mit diesem herausgezogen. Wenn es gut geht, natürlich. Die missglückten Fälle landen bei mir auf dem Tisch oder gleich auf dem Friedhof. Häufiger letzteres. ” Der Funktionär ist zwar verschreckt, aber handeln will er nicht. Es dauert noch viele Jahre, bis der Schwangerschaftsabbruch in der Sowjetunion legalisiert wird.
Während Kusotzki sich mit Unfruchtbarkeit, Fehlgeburten, mit neuen chirurgischen Methoden beschäftigt, ist sein genialer, aber lebenstechnisch wenig geschickter Freund Goldberg mit Genetik befasst. Er entwirft ein Evolutionsmodell, das den politischen Faktor für die Entwicklung des Menschen mit berücksichtigt. Die Schlussfolgerung, die er daraus zieht, sieht so aus, dass die Sowjetmacht negativ auf die Evolution der Menschheit gewirkt hat, denn: „Je fügsamer ein Mensch, desto weniger wertvoll seine Persönlichkeit. ” Goldbergs „wissenschaftliche Geschwätzigkeit” bringt ihn bald ein viertes Mal ins Gefängnis.
Übrigens ist Ljudmila Ulitzkaja selbst von Haus aus Genetikerin. Ihre literarische Stärke zeigt sich vor allem im Porträt, in der kurzen Form (so zum Beispiel in den Erzählungen des Bandes Olgas Haus, der 1999 bei Volk & Welt erschienen ist). Ihre Romane wirken demgegenüber wie überdimensionale Vergrößerungen, die Porträts werden in ein Panorama gefasst. Dabei leidet zuweilen die pointierte Darstellung, verliert ihre scharfen Ränder und zerfließt. Doch für die Themen, die sie für Reise in den siebenten Himmel gewählt hat, Fortpflanzung, Erbschaft, Tod, braucht sie gerade die lange Form, die Familiensaga. Das Leben eines jeden Familienmitglieds entspricht einem ganz bestimmten genetischen Programm – und wenn Toma, die in einer intellektuellen Familie aufgewachsen ist, am Schluss noch genauso spießig und kleinbürgerlich ist, wie sie es von ihrer Herkunft eigentlich sein müsste, dann scheint der Roman die Unausweichlichkeit des Erbmaterials zu behaupten.
SCHAMMA SCHAHADAT
LJUDMILA ULITZKAJA: Reise in den siebenten Himmel. Roman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt. Verlag Volk & Welt, Berlin 2001. 510 Seiten, 48 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.03.2001

Man sieht nur mit dem Mikroskop gut
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar: Ulitzkajas Familiensaga

Ein Verfahren, das in der russischen Gegenwartsliteratur derzeit oft angewendet wird, ist die Affirmation. Historische Entwicklungen oder literarische Traditionen werden verfremdet, indem man sie bestätigt. In Pelewins "Generation P" sind es der Jargon der Werbung und die Sprache der sowjetischen Propaganda, die konsequent bis zur Selbstparodie beschworen werden. Sorokin ahmt in "Der himmelblaue Speck" die russischen Klassiker so vortrefflich nach, daß am Ende des Romans auch der gesamte literarische Kanon in Frage gestellt ist.

Auch bei der 1943 geborenen Ljudmila Ulitzkaja spielt das Prinzip Affirmation eine Rolle, wenn sie auch auf traditionellere und dezentere Art und Weise damit umgeht als ihre männlichen Schriftstellerkollegen. Denn nicht um zu parodieren knüpft Ulitzkaja an die Form der alten russischen Romanepen an, sondern um jene Monumentalität zu erzielen, in der das moderne Individuum in all seinen gesellschaftlichen Verstrickungen erst deutlich sichtbar wird. Mit ihren Büchern ist es, als blicke man durch ein Mikroskop auf eine Zellkultur. Zwar potenziert sich mit jeder Bewegung der Linse die Zahl der Details, die man wahrnimmt, dafür ist jeder noch so kleine Ausschnitt gestochen scharf.

Und wie erst Unmengen an menschlichem Erbmaterial entschlüsselt werden müssen, um darin ein kleines Gen zu entdecken, so muß man auch in den Büchern von Ulitzkaja die Lebensläufe und Konflikte zahlreicher Generationen verfolgen, um die Tragik eines einzelnen Menschen begreifen zu können.

"Reise in den siebenten Himmel" erzählt von der Großfamilie des angesehenen Frauenarztes und Wissenschaftlers Pawel Kukotzki. Bis zum Urenkelkind werden fast alle Familienmitglieder vom ersten Moment ihres Lebens an beschrieben: Pawels Frau Jelena, eine technische Zeichnerin, die allmählich das Gedächtnis verliert, Pawels Haushälterin Wassilissa, die nach einer Operation an den Augen ihre Sehkraft wiedererhält, Pawels Adoptivtöchter Tanja und Toma, die eine unfähig, mit ihrer Begabung umzugehen, die andere zu bodenständig für ihren Wissensdurst. Mit der Geburt von Pawels Urenkelkind ist schließlich nicht nur die Familiensaga, sondern auch der Kommunismus zu Ende.

Virtuos verknüpft Ulitzkaja die politischen Entwicklungen mit der Anatomie des weiblichen Körpers. Im Stalinismus macht sich Pawel für die Legalisierung der Abtreibung stark, später setzt er sich mit dem menschlichen Genom und der Vererbungslehre auseinander. Jelenas Verfall ist genauso unaufhaltsam wie der Niedergang der Sowjetunion, und aufgrund der mangelhaften sanitären Verhältnisse stirbt Tanja an einer Fehlgeburt.

Auch wenn Ulitzkaja - die Autorin ist selbst Genetikerin von Beruf - ihre Figuren bisweilen benutzt, um medizinisch-ethische Debatten auszutragen, bleibt das Hauptaugenmerk dennoch stets auf die privaten Wirrnisse der Protagonisten gerichtet. In dieser Familiensaga bedingt mit tragischer Konsequenz jedes Leben den Verlauf eines anderen. Pawels ungestümer Wissensdurst ist schuld am Scheitern der Ehe und an Jelenas Dahinvegetieren, Jelenas Sterben antizipiert das ihrer Tochter. Am Ende scheint alles so klar und entschlüsselt, aber auch so unabänderlich zu sein wie ein genetischer Code.

VERENA MAYER

Heute abend, 20.15 Uhr, Buchhandlung Kiepert, Hardenbergstraße 4-5, Charlottenburg.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Viele halten sie für die beste zeitgenössische russische Autorin. Und es ist nicht schwer zu verstehen, warum." BOOKLIST