Gianrico Carofiglio, selbst als Antimafia-Richter in Bari tätig, weiß genau, wovon er schreibt: Als hervorragender Kenner des italienischen Justizsystems brachte er im Laufe seiner Karriere zahlreiche Mafiosi hinter Gitter und konnte sich jahrelang nur mit Begleitschutz öffentlich bewegen. Wohl wissend, dass die italienische Justiz alles andere als perfekt ist, hat er sich dennoch dafür entschieden, innerhalb des Systems zu wirken, nicht außerhalb. Darin gleicht er seinem Helden Guido Guerrieri, der den Kampf um die Gerechtigkeit niemals aufgibt.
Avvocato Guido Guerrieri, frisch geschieden und geschüttelt von einer tiefen Lebenskrise, übernimmt einen fast aussichtslosen Fall: Er verteidigt einen des Mordes angeklagten Immigranten aus dem Senegal, der ohne seine Hilfe verloren wäre. Es beginnt ein nervenzerreißender Kampf gegen rassistische Vorurteile, eine voreingenommene Justiz und eine erdrückende Last von Indizien … Bari, die Hauptstadt Apuliens, Tor Italiens zum Orient, Zentrum des Verbrechens, ist mit seinen engen Gassen, vornehmen Bürgerhäusern und seinem Mittelmeerhafen immer Protagonist in Gianrico Carofiglios Romanen. Der andere ist der Avvocato Guido Guerrieri, der mit seiner Verletzlichkeit, seiner menschlichen Integrität und seinem Humor Italiens Leserherzen im Sturm eroberte. Mit „Reise in die Nacht“ hat der preisgekrönte Autor die üblichen Grenzen des Genres „Gerichtskrimi“ weit überschritten – und nicht nur das Publikum, sondern auch die Literaturkritik von seinem Rang als herausragendem Schriftstellertalent überzeugt.
Avvocato Guido Guerrieri, frisch geschieden und geschüttelt von einer tiefen Lebenskrise, übernimmt einen fast aussichtslosen Fall: Er verteidigt einen des Mordes angeklagten Immigranten aus dem Senegal, der ohne seine Hilfe verloren wäre. Es beginnt ein nervenzerreißender Kampf gegen rassistische Vorurteile, eine voreingenommene Justiz und eine erdrückende Last von Indizien … Bari, die Hauptstadt Apuliens, Tor Italiens zum Orient, Zentrum des Verbrechens, ist mit seinen engen Gassen, vornehmen Bürgerhäusern und seinem Mittelmeerhafen immer Protagonist in Gianrico Carofiglios Romanen. Der andere ist der Avvocato Guido Guerrieri, der mit seiner Verletzlichkeit, seiner menschlichen Integrität und seinem Humor Italiens Leserherzen im Sturm eroberte. Mit „Reise in die Nacht“ hat der preisgekrönte Autor die üblichen Grenzen des Genres „Gerichtskrimi“ weit überschritten – und nicht nur das Publikum, sondern auch die Literaturkritik von seinem Rang als herausragendem Schriftstellertalent überzeugt.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Oje, schon wieder ein Italien-Krimi, stöhnt der Rezensent. Doch an diesem im Original bereits 2002 erschienen Buch von Gianrico Carofiglio hat Hannes Hintermeier Gefallen gefunden. Zwar kommt auch Carofiglios Held, der Staatsanwalt Guerrieri, nicht ohne das kultiviert Lebensweltliche, ohne guten Wein und gute Pasta aus, glücklicherweise aber konnte der Rezensent feststellen, dass der Hauptaspekt des Textes ein anderer ist. Carofiglios Stärke erkennt Hintermeier in der raffinierten Dialogführung in den auf diese Weise höchst realistisch wirkenden Gerichtsszenen. Diese "miniaturisierten Psychodramen", die Konturierung mancher Nebenfigur sowie der "Schatten der Melancholie" auf einigen Szenen haben den Rezensenten überzeugt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2007Der neue Mann aus Apulien
Warum nicht Bari? Gianrico Carofiglios Rechtsanwalt ermittelt
Man fragt sich immer, ob es in Italien eigentlich etwas anderes gibt als "Anti-Mafia-Staatsanwälte". Aber das Etikett ist eben auch ein Marketinginstrument, zumal wenn man eine Laufbahn als Schriftsteller einschlägt, wie es der 1961 in Bari geborene und auch heute dort lebende Gianrico Carofiglio erfolgreich getan hat. Drei Romane um den Rechtsanwalt Guido Guerrieri sind seit 2002 in Italien erschienen, fünf Literaturpreise, zwei Verfilmungen und etliche hunderttausend verkaufte Exemplare später kommt der Autor von heute an auch auf den deutschen Markt. Goldmann liefert zunächst "In freiem Fall" als Hardcover, im April folgt Carofiglios Debüt "Reise in die Nacht" ebendort als Taschenbuch.
Madonna, was hat die Leon da losgetreten? Eine Schwemme von Italien-Krimis, die oft in Buchform nur nachholen, was dereinst Vico Torriani audiophon schon bewältigte - das gesungene Kochrezept. Carofiglio ist auch nicht mehr der erste Jurist, der ins Krimifach wechselt, aber immerhin hat er so viel Spieltrieb, dass er als Autor die Verteidigung übernimmt. Sein leichtfüßig daherkommender Enddreißiger hat die Ehefrau eingebüßt, vergräbt sich in seinen Fällen, ohne darüber den Genuss zu vergessen. Er führt ein kultiviertes Dasein mit Lyrik, Musik aller Art, gutem Wein und dito Essen. Das Lebensweltliche - Rezepte, Musik- und Buchtipps - spielt eine wichtige Rolle, aber es gewinnt zum Glück nicht die Oberhand.
Denn die aktuelle Mandantin fordert den ganzen Advokaten: Martina Fumai klagt gegen ihren früheren Lebensgefährten, der sie mit allen Schikanen physischen und psychischen Terrors verfolgt. Da er der Sohn eines hohen Richters ist, will es sich in der überschaubaren Justizwelt der apulischen Hafenstadt niemand mit seinem Vater verderben. Nur Guerrieri traut sich, weil er sich in seiner angenehmen Eitelkeit ohnehin einiges zutraut und weil die Fumai mit einer rätselhaften Begleiterin aufläuft - einer Ordensfrau, die Jeans und Lederjacke trägt und chinesisches Boxen unterrichtet. Der Kasus endet blutig; der Hinweis Spätfolgen von Kindesmissbrauch muss hier genügen.
Carofiglios eigentliche Stärke ist das Gerichtssaaldrama; in dessen Regelwerk der Finten und Scharaden kennt er sich aus; hier gelingen ihm Dialoge, deren Raffinesse man leicht unterschätzt, weil sie so realistisch daherkommen. Seine miniaturisierten Psychodramen, die sich in Blickwechseln, in den Details der Sitzordnung oder in der Interpretation der Verfahrensregeln manifestieren, überzeugen.
Und beiläufig gelingen dem Autor auch Nebenfiguren wie die Staatsanwältin Alessandra Mantovani. Eine Venezianerin, die der Liebe wegen nach Bari zog und dann sitzengelassen wurde, kämpft sich als tapferes mittelaltes Mädchen durch eine Karriere, um die andere sie beneiden. Der Schatten der Melancholie fällt auf solche Szenen, wenn Alessandra Guido, den sie auch persönlich schätzt, ohne sich den Luxus weiterer Annäherung zu gestatten, gesteht, dass sie sich nach Palermo versetzen lässt. "Ich fühlte mich wie einer, der zuschaut, wie das Leben verrinnt ... Sie hatte kleine rote Flecken im Gesicht; und Falten, die mir bis dahin nie aufgefallen waren."
HANNES HINTERMEIER
Gianrico Carofiglio: "Reise in die Nacht". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Claudia Schmitt. Goldmann Verlag, München 2007. 223 S., geb., 17,95 [Euro].
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Warum nicht Bari? Gianrico Carofiglios Rechtsanwalt ermittelt
Man fragt sich immer, ob es in Italien eigentlich etwas anderes gibt als "Anti-Mafia-Staatsanwälte". Aber das Etikett ist eben auch ein Marketinginstrument, zumal wenn man eine Laufbahn als Schriftsteller einschlägt, wie es der 1961 in Bari geborene und auch heute dort lebende Gianrico Carofiglio erfolgreich getan hat. Drei Romane um den Rechtsanwalt Guido Guerrieri sind seit 2002 in Italien erschienen, fünf Literaturpreise, zwei Verfilmungen und etliche hunderttausend verkaufte Exemplare später kommt der Autor von heute an auch auf den deutschen Markt. Goldmann liefert zunächst "In freiem Fall" als Hardcover, im April folgt Carofiglios Debüt "Reise in die Nacht" ebendort als Taschenbuch.
Madonna, was hat die Leon da losgetreten? Eine Schwemme von Italien-Krimis, die oft in Buchform nur nachholen, was dereinst Vico Torriani audiophon schon bewältigte - das gesungene Kochrezept. Carofiglio ist auch nicht mehr der erste Jurist, der ins Krimifach wechselt, aber immerhin hat er so viel Spieltrieb, dass er als Autor die Verteidigung übernimmt. Sein leichtfüßig daherkommender Enddreißiger hat die Ehefrau eingebüßt, vergräbt sich in seinen Fällen, ohne darüber den Genuss zu vergessen. Er führt ein kultiviertes Dasein mit Lyrik, Musik aller Art, gutem Wein und dito Essen. Das Lebensweltliche - Rezepte, Musik- und Buchtipps - spielt eine wichtige Rolle, aber es gewinnt zum Glück nicht die Oberhand.
Denn die aktuelle Mandantin fordert den ganzen Advokaten: Martina Fumai klagt gegen ihren früheren Lebensgefährten, der sie mit allen Schikanen physischen und psychischen Terrors verfolgt. Da er der Sohn eines hohen Richters ist, will es sich in der überschaubaren Justizwelt der apulischen Hafenstadt niemand mit seinem Vater verderben. Nur Guerrieri traut sich, weil er sich in seiner angenehmen Eitelkeit ohnehin einiges zutraut und weil die Fumai mit einer rätselhaften Begleiterin aufläuft - einer Ordensfrau, die Jeans und Lederjacke trägt und chinesisches Boxen unterrichtet. Der Kasus endet blutig; der Hinweis Spätfolgen von Kindesmissbrauch muss hier genügen.
Carofiglios eigentliche Stärke ist das Gerichtssaaldrama; in dessen Regelwerk der Finten und Scharaden kennt er sich aus; hier gelingen ihm Dialoge, deren Raffinesse man leicht unterschätzt, weil sie so realistisch daherkommen. Seine miniaturisierten Psychodramen, die sich in Blickwechseln, in den Details der Sitzordnung oder in der Interpretation der Verfahrensregeln manifestieren, überzeugen.
Und beiläufig gelingen dem Autor auch Nebenfiguren wie die Staatsanwältin Alessandra Mantovani. Eine Venezianerin, die der Liebe wegen nach Bari zog und dann sitzengelassen wurde, kämpft sich als tapferes mittelaltes Mädchen durch eine Karriere, um die andere sie beneiden. Der Schatten der Melancholie fällt auf solche Szenen, wenn Alessandra Guido, den sie auch persönlich schätzt, ohne sich den Luxus weiterer Annäherung zu gestatten, gesteht, dass sie sich nach Palermo versetzen lässt. "Ich fühlte mich wie einer, der zuschaut, wie das Leben verrinnt ... Sie hatte kleine rote Flecken im Gesicht; und Falten, die mir bis dahin nie aufgefallen waren."
HANNES HINTERMEIER
Gianrico Carofiglio: "Reise in die Nacht". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Claudia Schmitt. Goldmann Verlag, München 2007. 223 S., geb., 17,95 [Euro].
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