Der erste Teil der Tagebücher von Aleksandar Tisma - dem großen europäischen Erzähler -, der kurz nach seinem Tod auf seinen eigenen Wunsch erscheint. Analytisch klar wie in seinen späteren Romanen zeichnet der junge Tisma seinen inneren Werdegang auf: die Unbehaustheit bei den zerstrittenen Eltern, die Suche nach dem wahren Leben im Bereich der Sexualität und die heimliche Sehnsucht nach Ruhm und Unsterblichkeit.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2004Die ideale Frau
Es ist nicht immer angenehm, in Aleksandar Tismas großartigen Tagebüchern zu lesen
Die Tagebücher von Aleksandar Tisma bieten verstörende Lektüre. Als Jüngling von achtzehn Jahren, der schreiben wollte, aber nicht recht wusste wie und worüber, hat er sie 1942 begonnen und erst 2001, als weltberühmter Autor, der seinem literarischen Werk gegenüber geradezu gleichgültig geworden war, beendet. 1200 Seiten umfasst die serbische Auswahl dieses Buchs der Selbstbezichtigung, dessen Autor sich nicht sorgte, der Nachwelt ein unsympathisches, mitunter abstoßendes Zeugnis seiner selbst zu hinterlassen. Mit kalter Leidenschaft sezierte da ein Narziss, der nur in die düsteren Züge seines Selbstbildes verliebt war, über sechs Jahrzehnte sein Streben und Trachten, seine Eitelkeit und Scham, seine Gier nach Frauen, Anerkennung und Erfolg, die sich allmählich abmilderte und endlich in der Apotheose wunschlosen Gleichmuts erlosch.
Die große Konfession erschüttert zweifach, durch die selbstverletzende Energie, mit der sich hier jemand den Prozess macht, in dem er selbst als Ankläger, Angeklagter und Zeuge auftritt und keinen Verteidiger zulässt. Und durch die Entschiedenheit, mit der er sich dabei auf wenige Grundfragen seiner Existenz konzentriert und wichtige Facetten seines Lebens ebenso rigoros außer Betracht lässt wie politische Ereignisse der Epoche, die sein eigenes und das Leben von Millionen beeinflussten, gefährdeten, zerstörten. Tismas Frau soll über das autobiografische Riesenwerk einmal gesagt haben, es wäre darin nicht einmal Platz für die kleinste Notiz über die Geburt ihres gemeinsamen Sohnes gewesen. Dieses Diarium wurde in einem Krieg begonnen, der in ihm gleichwohl nur als Kulisse für die sexuellen und geistigen Abenteuer eines jungen Mannes firmiert, und wurde nach einem Krieg beendet, der einen alten Mann vornehmlich als Bestätigung seines Menschen- und Geschichtsbildes beschäftigte.
Nun sind die Tagebücher aus den Jahren 1942 bis 1951 auf deutsch erschienen, und die Auswahl, die sich mit hilfreichen Kommentaren vornehm zurückhält, lässt uns nicht wissen, ob sie den ersten Band einer großen Edition darstellt oder es mit ihr schon das Bewenden haben wird. Sinnvoll ist die Beschränkung auf das erste von sechs Jahrzehnten jedenfalls, fasst sie doch jenen Zeitraum, in dem die meisten von Tismas Romanen und Erzählungen spielen werden, und ist an seinem Ende der junge Mann doch das geworden, was er von Anfang an sein wollte: ein Schriftsteller. Dies ist sein Tagebuch jener Jahre vor allem: die Entwicklungsgeschichte eines Jünglings, der mit seiner Herkunft, seinen Begierden hadert und alles, was er leidet, einzig zum Zwecke analysiert, dass es ihn seiner Bestimmung näherbringe.
Der Sohn einer ungarischen Jüdin und eines Serben wächst in der mehrsprachigen Wojwodina auf, genauer, in der Batschka, jenem fruchtbaren Landstrich an der Donau, der sich zwischen Novi Sad und Belgrad erstreckt. Offenbar war sich Tisma anfangs nicht sicher, ob er das Ungarische oder das Serbische zu seiner Literatursprache machen sollte, eine Tatsache, die den 19-jährigen hellsichtig „den egoistischen Hintergrund von Nationalismen” erkennen ließ: „Während ich schwankte, in welcher Sprache ich schreiben, das heißt, welchem Volk ich angehören will, war ich fast gleichgültig gegenüber einer Auferstehung des serbischen beziehungsweise jugoslawischen Staats. Seit ich jedoch zu dem . . . Entschluss gelangt bin, ein serbischer Schriftsteller zu werden, besorgt mich das Schicksal des Serbentums – ich möchte, dass das Volk, für das ich schreibe, möglichst stark und bedeutend ist.”
Der Mann an der Front
Von diesem Volk, das damals von den Truppen der Wehrmacht und der alliierten Ungarn drangsaliert wurde, ist in den Aufzeichnungen jedoch kaum die Rede. Im Winter 1942 hatten ungarische Einheiten in der berüchtigten Razzia von Novi-Sad rund 1500 Juden und Serben an der zugefrorenen Donau erschlagen und unter das aufgehackte Eis gestoßen. Um der Lebensgefahr zu entrinnen, war Tisma darauf zum Studium nach Budapest ausgewichen. Aber ob in Budapest oder in Novi-Sad, was ihn in seinem Journal beschäftigt, das sind nicht die Ermordeten, die er mit eigenen Augen gesehen hat, nicht die Gefahren, denen er selber ausgesetzt ist; es sind, mit obsessiver Ausschließlichkeit, die Frauen, an denen er sich jetzt erproben muss, und die Bücher, die er morgen schreiben wird. Dass überhaupt Krieg ist, erfährt man wie nebenhin aus der Bemerkung, dass eine hübsche Ärztin, mit der der junge Mann ein Verhältnis eingeht, eigentlich verheiratet und ihr „Mann an der Front” ist.
„In meinen Träumereien war die Frau immer ein Objekt der Leidenschaft, eine Sache, die es duldet, dass wir sie zu unserem Vergnügen nehmen und benutzen. Die Erkenntnis, dass es nicht so ist, dass auch die Frauen an uns ihr Vergnügen haben wollen, war eine Enttäuschung für mich. Eine Prostituierte jedoch, die ich kaufe, ist tatsächlich nur ein Gegenstand, an dem ich meine Leidenschaft verwirkliche – also die ideale Frau.” Passagen wie diese finden sich unzählige in den adoleszenten Tagebüchern eines Künstlers, der später für seinen schonungslosen Blick in menschliche Abgründe, für seine hohe Kunst gerühmt werden sollte, den Menschen frei von Illusionen und den Zurüstungen einer ihm nur äußerlichen Moral erfasst zu haben. Es ist nicht immer angenehm, den Diaristen dabei zu beobachten, wie er im Tagebuch noch gewissermaßen den Rohstoff selber preist, den er erst später in eine Literatur zu verwandeln wusste, die moralisch ist, ohne zu moralisieren.
Wie lebt man im Krieg, wie überlebt man, wenn Nachbarn deportiert werden, Freunde zu den Partisanen gehen, andere als Kollaborateure rasch Karriere machen? „Ich gehe baden, spazieren, kuriere mich aus. Ich bin sehr zufrieden, vielleicht auch glücklich. In mir vollkommene Ruhe.” Ein solcher Satz ist 1943 ein Skandalon, gerade weil er eine unleugbare Wahrheit fasst: Auch im Krieg, in der Diktatur leben die Menschen nicht fortwährend im Ausnahmezustand. Als im Oktober 1944 die Wehrmacht vertrieben ist und die Partisanen ihre neue Ordnung in Jugoslawien errichten, notiert Tisma gar: „Für mich, der ich diese dreieinhalb Jahre mehr oder weniger nur mit mir selbst verbracht habe, bedeutet diese Veränderung nichts Wesentliches.”
Immerhin eine Veränderung bedeutete es aber schon. Kaum waren die faschistischen Gesetze außer Kraft, entdeckte Tisma sein Judentum, von dem er vorher nicht die geringste Andeutung machte. Ich „denke an Schmerz und Scham wegen meiner halbjüdischen Herkunft und an die Scham wegen dieser Scham”, schreibt er, und noch 1947, als er der Kommunistischen Partei beitreten will und einen Lebenslauf vorlegen muss, erwähnt er die „Rassenscham”, unter der er in seiner Jugend so wie an seiner „bürgerlichen Herkunft” gelitten habe. Der Kommunistischen Partei blieb er nicht lange treu. Die „Scham wegen der Scham” aber schmerzte ein Leben lang fort: sie ist Tismas besten Werken eingebrannt.
KARL-MARKUS GAUSS
ALEKSANDAR TISMA: Reise in mein vergessenes Ich. Tagebuch 1942 – 1951. Aus dem Serbischen von Barbara Antkowiak. Carl Hanser Verlag, München 2003. 320 Seiten, 21,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Es ist nicht immer angenehm, in Aleksandar Tismas großartigen Tagebüchern zu lesen
Die Tagebücher von Aleksandar Tisma bieten verstörende Lektüre. Als Jüngling von achtzehn Jahren, der schreiben wollte, aber nicht recht wusste wie und worüber, hat er sie 1942 begonnen und erst 2001, als weltberühmter Autor, der seinem literarischen Werk gegenüber geradezu gleichgültig geworden war, beendet. 1200 Seiten umfasst die serbische Auswahl dieses Buchs der Selbstbezichtigung, dessen Autor sich nicht sorgte, der Nachwelt ein unsympathisches, mitunter abstoßendes Zeugnis seiner selbst zu hinterlassen. Mit kalter Leidenschaft sezierte da ein Narziss, der nur in die düsteren Züge seines Selbstbildes verliebt war, über sechs Jahrzehnte sein Streben und Trachten, seine Eitelkeit und Scham, seine Gier nach Frauen, Anerkennung und Erfolg, die sich allmählich abmilderte und endlich in der Apotheose wunschlosen Gleichmuts erlosch.
Die große Konfession erschüttert zweifach, durch die selbstverletzende Energie, mit der sich hier jemand den Prozess macht, in dem er selbst als Ankläger, Angeklagter und Zeuge auftritt und keinen Verteidiger zulässt. Und durch die Entschiedenheit, mit der er sich dabei auf wenige Grundfragen seiner Existenz konzentriert und wichtige Facetten seines Lebens ebenso rigoros außer Betracht lässt wie politische Ereignisse der Epoche, die sein eigenes und das Leben von Millionen beeinflussten, gefährdeten, zerstörten. Tismas Frau soll über das autobiografische Riesenwerk einmal gesagt haben, es wäre darin nicht einmal Platz für die kleinste Notiz über die Geburt ihres gemeinsamen Sohnes gewesen. Dieses Diarium wurde in einem Krieg begonnen, der in ihm gleichwohl nur als Kulisse für die sexuellen und geistigen Abenteuer eines jungen Mannes firmiert, und wurde nach einem Krieg beendet, der einen alten Mann vornehmlich als Bestätigung seines Menschen- und Geschichtsbildes beschäftigte.
Nun sind die Tagebücher aus den Jahren 1942 bis 1951 auf deutsch erschienen, und die Auswahl, die sich mit hilfreichen Kommentaren vornehm zurückhält, lässt uns nicht wissen, ob sie den ersten Band einer großen Edition darstellt oder es mit ihr schon das Bewenden haben wird. Sinnvoll ist die Beschränkung auf das erste von sechs Jahrzehnten jedenfalls, fasst sie doch jenen Zeitraum, in dem die meisten von Tismas Romanen und Erzählungen spielen werden, und ist an seinem Ende der junge Mann doch das geworden, was er von Anfang an sein wollte: ein Schriftsteller. Dies ist sein Tagebuch jener Jahre vor allem: die Entwicklungsgeschichte eines Jünglings, der mit seiner Herkunft, seinen Begierden hadert und alles, was er leidet, einzig zum Zwecke analysiert, dass es ihn seiner Bestimmung näherbringe.
Der Sohn einer ungarischen Jüdin und eines Serben wächst in der mehrsprachigen Wojwodina auf, genauer, in der Batschka, jenem fruchtbaren Landstrich an der Donau, der sich zwischen Novi Sad und Belgrad erstreckt. Offenbar war sich Tisma anfangs nicht sicher, ob er das Ungarische oder das Serbische zu seiner Literatursprache machen sollte, eine Tatsache, die den 19-jährigen hellsichtig „den egoistischen Hintergrund von Nationalismen” erkennen ließ: „Während ich schwankte, in welcher Sprache ich schreiben, das heißt, welchem Volk ich angehören will, war ich fast gleichgültig gegenüber einer Auferstehung des serbischen beziehungsweise jugoslawischen Staats. Seit ich jedoch zu dem . . . Entschluss gelangt bin, ein serbischer Schriftsteller zu werden, besorgt mich das Schicksal des Serbentums – ich möchte, dass das Volk, für das ich schreibe, möglichst stark und bedeutend ist.”
Der Mann an der Front
Von diesem Volk, das damals von den Truppen der Wehrmacht und der alliierten Ungarn drangsaliert wurde, ist in den Aufzeichnungen jedoch kaum die Rede. Im Winter 1942 hatten ungarische Einheiten in der berüchtigten Razzia von Novi-Sad rund 1500 Juden und Serben an der zugefrorenen Donau erschlagen und unter das aufgehackte Eis gestoßen. Um der Lebensgefahr zu entrinnen, war Tisma darauf zum Studium nach Budapest ausgewichen. Aber ob in Budapest oder in Novi-Sad, was ihn in seinem Journal beschäftigt, das sind nicht die Ermordeten, die er mit eigenen Augen gesehen hat, nicht die Gefahren, denen er selber ausgesetzt ist; es sind, mit obsessiver Ausschließlichkeit, die Frauen, an denen er sich jetzt erproben muss, und die Bücher, die er morgen schreiben wird. Dass überhaupt Krieg ist, erfährt man wie nebenhin aus der Bemerkung, dass eine hübsche Ärztin, mit der der junge Mann ein Verhältnis eingeht, eigentlich verheiratet und ihr „Mann an der Front” ist.
„In meinen Träumereien war die Frau immer ein Objekt der Leidenschaft, eine Sache, die es duldet, dass wir sie zu unserem Vergnügen nehmen und benutzen. Die Erkenntnis, dass es nicht so ist, dass auch die Frauen an uns ihr Vergnügen haben wollen, war eine Enttäuschung für mich. Eine Prostituierte jedoch, die ich kaufe, ist tatsächlich nur ein Gegenstand, an dem ich meine Leidenschaft verwirkliche – also die ideale Frau.” Passagen wie diese finden sich unzählige in den adoleszenten Tagebüchern eines Künstlers, der später für seinen schonungslosen Blick in menschliche Abgründe, für seine hohe Kunst gerühmt werden sollte, den Menschen frei von Illusionen und den Zurüstungen einer ihm nur äußerlichen Moral erfasst zu haben. Es ist nicht immer angenehm, den Diaristen dabei zu beobachten, wie er im Tagebuch noch gewissermaßen den Rohstoff selber preist, den er erst später in eine Literatur zu verwandeln wusste, die moralisch ist, ohne zu moralisieren.
Wie lebt man im Krieg, wie überlebt man, wenn Nachbarn deportiert werden, Freunde zu den Partisanen gehen, andere als Kollaborateure rasch Karriere machen? „Ich gehe baden, spazieren, kuriere mich aus. Ich bin sehr zufrieden, vielleicht auch glücklich. In mir vollkommene Ruhe.” Ein solcher Satz ist 1943 ein Skandalon, gerade weil er eine unleugbare Wahrheit fasst: Auch im Krieg, in der Diktatur leben die Menschen nicht fortwährend im Ausnahmezustand. Als im Oktober 1944 die Wehrmacht vertrieben ist und die Partisanen ihre neue Ordnung in Jugoslawien errichten, notiert Tisma gar: „Für mich, der ich diese dreieinhalb Jahre mehr oder weniger nur mit mir selbst verbracht habe, bedeutet diese Veränderung nichts Wesentliches.”
Immerhin eine Veränderung bedeutete es aber schon. Kaum waren die faschistischen Gesetze außer Kraft, entdeckte Tisma sein Judentum, von dem er vorher nicht die geringste Andeutung machte. Ich „denke an Schmerz und Scham wegen meiner halbjüdischen Herkunft und an die Scham wegen dieser Scham”, schreibt er, und noch 1947, als er der Kommunistischen Partei beitreten will und einen Lebenslauf vorlegen muss, erwähnt er die „Rassenscham”, unter der er in seiner Jugend so wie an seiner „bürgerlichen Herkunft” gelitten habe. Der Kommunistischen Partei blieb er nicht lange treu. Die „Scham wegen der Scham” aber schmerzte ein Leben lang fort: sie ist Tismas besten Werken eingebrannt.
KARL-MARKUS GAUSS
ALEKSANDAR TISMA: Reise in mein vergessenes Ich. Tagebuch 1942 – 1951. Aus dem Serbischen von Barbara Antkowiak. Carl Hanser Verlag, München 2003. 320 Seiten, 21,50 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003Harem statt Sozialismus
Fanatische Jagd nach Neuem: Aleksandar Tismas Tagebücher 1942 bis 1951 / Von Paul Ingendaay
Wenn die Kriterien für die Beurteilung literarischer Leistung auch schwammig sind, den Moden und dem Markt unterworfen, so war doch eines für die Königlich-Schwedische Akademie immer klar: Kein wahrhaft skandalöser Schriftsteller darf den Nobelpreis erhalten. Einer, der verneint, dessen Überzeugungen nicht in eine Festrede passen und der zum Beispiel sagt: "Kultur ist sowieso nur eine Illusion." Oder der Sätze von sich gibt wie: "Jeder Mensch hat sein Weltgefühl. Nach meinem Weltgefühl ist der Mensch ein sehr niedriges Wesen." Aus diesen Gründen und noch einigen mehr, etwa der Verteidigung der serbischen Politik im Balkankrieg, verstand es sich von selbst, daß dem Serben Aleksandar Tisma (1924 bis 2003) die höchste literarische Auszeichnung versagt bleiben mußte.
Im deutschsprachigen Raum spielte auch die Zeit gegen ihn. Tismas wichtigste Romane erschienen bei uns mit gut zehnjähriger Verspätung und in wirrer Werkfolge: "Der Gebrauch des Menschen" (im Original 1980, deutsch 1991), "Treue und Verrat" (1983/1999), "Das Buch Blam" (1985/1995) und "Kapo" (1987/1997). Als für Tisma dann endlich der Ruhm kam, lag sein Lebenswerk fast abgeschlossen hinter ihm, Bücher über die Zerstörung des Vielvölkergemischs in der Voyvodina durch die ungarisch-deutschen Besatzer, über Komplizen, Anpasser und Duckmäuser, Vertreibung, Folter und Mord. Der Autor hatte dieses weit zurückliegende Gemetzel überlebt, aber das war auch alles. Mitte der neunziger Jahre erzählte er, es genüge ihm, durch die Städte zu laufen, Menschen im Café zu betrachten oder ruhig in einem Hotelbett zu liegen und gar nichts zu tun.
Jetzt erscheinen unter dem Titel "Reise in mein vergessenes Ich" die Tagebücher aus den Jahren 1942 bis 1951. Übersetzt hat sie wie immer die stilsichere Barbara Antkowiak, deren Anteil an Tismas Erfolg selbst dem in die Augen springt, der des Serbischen nicht mächtig ist. Wir lesen von einem Achtzehn- bis Siebenundzwanzigjährigen in genau jener Lebensetappe, die viele Jahre später den Stoff für sein kapitales literarisches Werk bilden wird, also einen Bildungsroman mit ungewissem Ausgang. Zeile für Zeile schwingen in den Notaten des jungen Mannes die Bücher mit, von denen Tisma noch nicht wissen konnte, daß er sie schreiben würde, und die er nur deshalb schrieb, weil sie für ihn die einzige denkbare Reaktion auf die Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts waren. Soviel gestauter Ehrgeiz, soviel verflossene Zeit nötigt Respekt ab.
Wie liest man ein solches Tagebuch? Teils staunend, teils bewundernd, und manchmal zuckt man vor der Selbstentblößung dieses erbarmungslosen Analytikers zurück. "In letzter Zeit habe ich in meinem Liebesleben gewisse Fortschritte gemacht", schreibt der Vierundzwanzigjährige im August 1948. "Während ich vor drei Jahren zu den Prostituierten ging, jage ich jetzt im ,Parkhotel' nach angeschlagenen Frauen - Träumerinnen, unsicheren, unbefriedigten Kreaturen. Für ein paar Stunden verschaffe ich ihnen die Illusion einer außergewöhnlichen Begegnung und nehme jeden Abend problemlos eine in Besitz. So ähnlich wie kurz nach dem Krieg in Maribor, aber die technischen Hilfsmittel sind perfekter: Orchester, Radio, Likör." Das Repräsentative an dieser Passage sind Tismas gewaltiger sexueller Appetit und die Beutezüge unter jungen Frauen, die das Tagebuch ohne Verklemmtheit oder Zerknirschung protokolliert, einschließlich der Geschlechtskrankheiten. Das weniger offensichtliche Motiv liegt in Eitelkeit und Selbstsucht, Zügen, die schon der neunzehnjährige Tisma an sich beobachtet und die er mit einem sinnvollen Lebensentwurf in politisch chaotischen Zeiten zu verrechnen sucht. "Mein Egoismus: Ich möchte, daß die Menschheit in ihren Hoffnungen auf die Nachkriegszeit enttäuscht und betrogen wird; so würde mein Skeptizismus gerechtfertigt und, was das Wichtigste ist, akzeptiert." Er sei "in erster Linie ein Negator", schreibt er am selben Tag. "Ich fühle mich schlecht in einer Gesellschaft, die positiv ist oder nach dem Positiven strebt, sogar in einer, die sich einbildet, positiv zu sein."
Diese Haltung ist das Programm, das nach literarischem Ausdruck verlangt. Tisma weiß früh, wozu er berufen ist. "Heute habe ich meine erste Erzählung geschrieben", heißt es im August 1943. "Ich finde sie gut. Wenn ich am Leben bleibe, den Willen aufbringe und arbeite, kann ich Erfolg haben." Wenn die Texte ins Stocken geraten, wie es immer wieder geschieht, folgen Selbstkritik und neue Reflexion über die ästhetischen Mittel. Das literarische Koordinatensystem des gefräßigen Lesers verzeichnet Dostojewski, Sándor Márai, André Gide, Thomas Mann und vor allem Marcel Proust. Der Zwanzigjährige notiert, er brauche "Prousts Methode mit allem, was dazugehört: Metaphern, Assoziationen, Randbemerkungen. Nur durch sie kann ich die Unermeßlichkeit der Erlebnisse ausdrücken, die in mir darauf warten, fixiert und analysiert zu werden." Der hohe Ton ist kein Zufall. Auch wenn diese Aufzeichnungen kein reines Künstlertagebuch darstellen, läßt sich darin das Entstehen einer Romantheorie verfolgen. Im Februar 1944 erkennt Tisma seine "gewaltige Aufgabe", nämlich "zu erläutern ohne Standpunkt".
Kurz darauf fühlt er sich zum erstenmal "von Proust befreit" und stellt fest: "Uns verbindet einzig die Klarheit des psychologischen Blicks, die ich im Roman über Draga praktiziert habe. (. . .) Aber die Quelle seines Idealismus liegt im Bedürfnis, die Vergangenheit zu schönen, während sich mein Idealismus aus viel realerem Boden nährt: der Größe des Schmerzes und der Hoffnung auf große Augenblicke der Zukunft." Nimmt man den Optimismus der letzten Worte weg, der von der Geschichte kurz darauf zermalmt wird, stimmt alles an diesem Befund, nur daß die allermeisten Werke vorläufig in der Schublade bleiben. Immerhin lernt Tisma, daß er beim Erzählen auf traditionelle Chronologie zugunsten psychologischer Analyse verzichten muß und daß guter Stil voraussetzt, überflüssige Epitheta zu streichen. Zu den literarischen Projekten, die im Tagebuch ihre Geisterexistenz führen, gehören neben dem "Roman über Draga" (der eine unglückliche Liebesbeziehung verarbeiten soll) eine Handvoll Erzählungen sowie der Roman "Das Jahr einundvierzig", von dem der Sechsundzwanzigjährige hoffnungsfroh sagt, er werde "ein richtiger epischer Roman à la ,Tom Jones', überlegen, kühl, ironisch erzählt".
Der Alltag, der solche Pläne erstickt, dringt jedoch nur durch einen Filter ins Tagebuch, was auch eine Frage der Vorsicht war. Aus den Selbstauskünften Tismas wissen wir mehr über das chronologische Gerüst seiner Vita als aus den jetzt vorliegenden Notaten. Im Januar 1942, ein halbes Jahr vor Einsetzen des Tagebuchs, findet in Novi Sad die berüchtigte Razzia durch Ungarn und Deutsche statt, bei der 1400 Menschen, vor allem Serben und Juden, umgebracht werden. Aleksandar Tisma, der Sohn eines Serben und einer ungarischen Jüdin, übersiedelt nach Budapest, um den Massenverhaftungen zu entgehen. 1944 wird er zur Zwangsarbeit in Transsylvanien eingezogen, dann schließt er sich der Jugoslawischen Befreiungsarmee an. In Novi Sad laufen unterdessen die Liquidierungen der kommunistischen Gegenwelle. "Ich machte mich klein, um nicht zerschmettert zu werden", hat Tisma dazu in dieser Zeitung geschrieben (F.A.Z. vom 6. Mai 1995).
Sich wegducken, um unerkannt zu überleben, dieser Reflex bestimmt viele Seiten des Tagebuchs, besonders dort, wo es von Tismas halbherzig betriebener journalistischer Karriere handelt. Wegen der "Rassenscham" des Halbjuden, wegen seiner bourgeoisen Instinkte und einem Hang zu Verneinung und Dekadenz fühlt er sich als Außenseiter. Im April 1948 schreibt er die frechen Zeilen: "Könnte ich wählen zwischen der Realisierung des Sozialismus und einem Harem - als Quelle persönlichen Glücks -, würde ich mich immer für das zweite entscheiden." Drei Monate später zerfällt unter Tismas kaltem Blick die kommunistische Ideologie in Stücke, weil der sowjetische Kurs "die Diktatur des Proletariats in eine Tyrannei der Partei verzerrt".
Erst auf den letzten Tagebuchseiten deutet sich an, daß die kreativen Energien einer ganz anderen Idee als dem Hier und Jetzt des kommunistischen Alltags dienen könnten. Am 9. Dezember 1950 heißt es: "Ein Poet unserer Generation zu sein bedeutet, das Absterben des Alten zu besingen, die fanatische Jagd nach etwas Neuem, das das Alte ablösen soll, und die Trauer, weil es dieses Neue nicht gibt. - Oder alles miteinander lächerlich zu machen." Am Ende wurde weniger und viel mehr daraus. Denn die "ständige Suche nach Zuflucht in den ruhigen Seitenarmen, wo das Wasser stinkend und abgestanden, aber ungefährlich ist", führt Tisma schließlich zum Thema seines Lebens: den Toten und Verschwundenen einer Region, die es längst nicht mehr gab.
Der blendend geschriebene Bericht "Die Meridiane Mitteleuropas", der auf das Tagebuch folgt, liefert die Probe aufs Exempel. Er zeigt schon alle Tugenden des fertigen Schriftstellers. Hier finden sich nicht nur Stil und Erzählhaltung der späteren Romane vorgebildet. Die Reise nach Warschau, Danzig, Krakau, Wien und Budapest im Herbst 1961 offenbart auch den für Tisma typischen Erinnerungsblick, der sich als Negativkopie der Proustschen Poetik der Wiedererweckung erweist. Denn die Erinnerung dient nicht der ästhetischen Fixierung verstreuter Lebensdetails, sondern führt die längst fällige Begegnung mit den Gespenstern der Vergangenheit herbei. Das alles auf mitteleuropäischem Terrain, "dessen Merkmale in mir widerhallten wie die Schritte in dem Haus, in dem ich gelebt habe". Aleksandar Tisma erkennt: "Ich reiste gewissermaßen durch mein weiteres, vergessenes Ich." Es ist dort, in ihm selbst, wo die namenlosen Toten der vierziger Jahre auf ihren Chronisten gewartet haben.
Aleksandar Tisma: "Reise in mein vergessenes Ich". Tagebuch 1942-1951. Die Meridiane Mitteleuropas. Aus dem Serbischen übersetzt von Barbara Antkowiak. Hanser Verlag, München 2003. 320 S., geb., 21,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fanatische Jagd nach Neuem: Aleksandar Tismas Tagebücher 1942 bis 1951 / Von Paul Ingendaay
Wenn die Kriterien für die Beurteilung literarischer Leistung auch schwammig sind, den Moden und dem Markt unterworfen, so war doch eines für die Königlich-Schwedische Akademie immer klar: Kein wahrhaft skandalöser Schriftsteller darf den Nobelpreis erhalten. Einer, der verneint, dessen Überzeugungen nicht in eine Festrede passen und der zum Beispiel sagt: "Kultur ist sowieso nur eine Illusion." Oder der Sätze von sich gibt wie: "Jeder Mensch hat sein Weltgefühl. Nach meinem Weltgefühl ist der Mensch ein sehr niedriges Wesen." Aus diesen Gründen und noch einigen mehr, etwa der Verteidigung der serbischen Politik im Balkankrieg, verstand es sich von selbst, daß dem Serben Aleksandar Tisma (1924 bis 2003) die höchste literarische Auszeichnung versagt bleiben mußte.
Im deutschsprachigen Raum spielte auch die Zeit gegen ihn. Tismas wichtigste Romane erschienen bei uns mit gut zehnjähriger Verspätung und in wirrer Werkfolge: "Der Gebrauch des Menschen" (im Original 1980, deutsch 1991), "Treue und Verrat" (1983/1999), "Das Buch Blam" (1985/1995) und "Kapo" (1987/1997). Als für Tisma dann endlich der Ruhm kam, lag sein Lebenswerk fast abgeschlossen hinter ihm, Bücher über die Zerstörung des Vielvölkergemischs in der Voyvodina durch die ungarisch-deutschen Besatzer, über Komplizen, Anpasser und Duckmäuser, Vertreibung, Folter und Mord. Der Autor hatte dieses weit zurückliegende Gemetzel überlebt, aber das war auch alles. Mitte der neunziger Jahre erzählte er, es genüge ihm, durch die Städte zu laufen, Menschen im Café zu betrachten oder ruhig in einem Hotelbett zu liegen und gar nichts zu tun.
Jetzt erscheinen unter dem Titel "Reise in mein vergessenes Ich" die Tagebücher aus den Jahren 1942 bis 1951. Übersetzt hat sie wie immer die stilsichere Barbara Antkowiak, deren Anteil an Tismas Erfolg selbst dem in die Augen springt, der des Serbischen nicht mächtig ist. Wir lesen von einem Achtzehn- bis Siebenundzwanzigjährigen in genau jener Lebensetappe, die viele Jahre später den Stoff für sein kapitales literarisches Werk bilden wird, also einen Bildungsroman mit ungewissem Ausgang. Zeile für Zeile schwingen in den Notaten des jungen Mannes die Bücher mit, von denen Tisma noch nicht wissen konnte, daß er sie schreiben würde, und die er nur deshalb schrieb, weil sie für ihn die einzige denkbare Reaktion auf die Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts waren. Soviel gestauter Ehrgeiz, soviel verflossene Zeit nötigt Respekt ab.
Wie liest man ein solches Tagebuch? Teils staunend, teils bewundernd, und manchmal zuckt man vor der Selbstentblößung dieses erbarmungslosen Analytikers zurück. "In letzter Zeit habe ich in meinem Liebesleben gewisse Fortschritte gemacht", schreibt der Vierundzwanzigjährige im August 1948. "Während ich vor drei Jahren zu den Prostituierten ging, jage ich jetzt im ,Parkhotel' nach angeschlagenen Frauen - Träumerinnen, unsicheren, unbefriedigten Kreaturen. Für ein paar Stunden verschaffe ich ihnen die Illusion einer außergewöhnlichen Begegnung und nehme jeden Abend problemlos eine in Besitz. So ähnlich wie kurz nach dem Krieg in Maribor, aber die technischen Hilfsmittel sind perfekter: Orchester, Radio, Likör." Das Repräsentative an dieser Passage sind Tismas gewaltiger sexueller Appetit und die Beutezüge unter jungen Frauen, die das Tagebuch ohne Verklemmtheit oder Zerknirschung protokolliert, einschließlich der Geschlechtskrankheiten. Das weniger offensichtliche Motiv liegt in Eitelkeit und Selbstsucht, Zügen, die schon der neunzehnjährige Tisma an sich beobachtet und die er mit einem sinnvollen Lebensentwurf in politisch chaotischen Zeiten zu verrechnen sucht. "Mein Egoismus: Ich möchte, daß die Menschheit in ihren Hoffnungen auf die Nachkriegszeit enttäuscht und betrogen wird; so würde mein Skeptizismus gerechtfertigt und, was das Wichtigste ist, akzeptiert." Er sei "in erster Linie ein Negator", schreibt er am selben Tag. "Ich fühle mich schlecht in einer Gesellschaft, die positiv ist oder nach dem Positiven strebt, sogar in einer, die sich einbildet, positiv zu sein."
Diese Haltung ist das Programm, das nach literarischem Ausdruck verlangt. Tisma weiß früh, wozu er berufen ist. "Heute habe ich meine erste Erzählung geschrieben", heißt es im August 1943. "Ich finde sie gut. Wenn ich am Leben bleibe, den Willen aufbringe und arbeite, kann ich Erfolg haben." Wenn die Texte ins Stocken geraten, wie es immer wieder geschieht, folgen Selbstkritik und neue Reflexion über die ästhetischen Mittel. Das literarische Koordinatensystem des gefräßigen Lesers verzeichnet Dostojewski, Sándor Márai, André Gide, Thomas Mann und vor allem Marcel Proust. Der Zwanzigjährige notiert, er brauche "Prousts Methode mit allem, was dazugehört: Metaphern, Assoziationen, Randbemerkungen. Nur durch sie kann ich die Unermeßlichkeit der Erlebnisse ausdrücken, die in mir darauf warten, fixiert und analysiert zu werden." Der hohe Ton ist kein Zufall. Auch wenn diese Aufzeichnungen kein reines Künstlertagebuch darstellen, läßt sich darin das Entstehen einer Romantheorie verfolgen. Im Februar 1944 erkennt Tisma seine "gewaltige Aufgabe", nämlich "zu erläutern ohne Standpunkt".
Kurz darauf fühlt er sich zum erstenmal "von Proust befreit" und stellt fest: "Uns verbindet einzig die Klarheit des psychologischen Blicks, die ich im Roman über Draga praktiziert habe. (. . .) Aber die Quelle seines Idealismus liegt im Bedürfnis, die Vergangenheit zu schönen, während sich mein Idealismus aus viel realerem Boden nährt: der Größe des Schmerzes und der Hoffnung auf große Augenblicke der Zukunft." Nimmt man den Optimismus der letzten Worte weg, der von der Geschichte kurz darauf zermalmt wird, stimmt alles an diesem Befund, nur daß die allermeisten Werke vorläufig in der Schublade bleiben. Immerhin lernt Tisma, daß er beim Erzählen auf traditionelle Chronologie zugunsten psychologischer Analyse verzichten muß und daß guter Stil voraussetzt, überflüssige Epitheta zu streichen. Zu den literarischen Projekten, die im Tagebuch ihre Geisterexistenz führen, gehören neben dem "Roman über Draga" (der eine unglückliche Liebesbeziehung verarbeiten soll) eine Handvoll Erzählungen sowie der Roman "Das Jahr einundvierzig", von dem der Sechsundzwanzigjährige hoffnungsfroh sagt, er werde "ein richtiger epischer Roman à la ,Tom Jones', überlegen, kühl, ironisch erzählt".
Der Alltag, der solche Pläne erstickt, dringt jedoch nur durch einen Filter ins Tagebuch, was auch eine Frage der Vorsicht war. Aus den Selbstauskünften Tismas wissen wir mehr über das chronologische Gerüst seiner Vita als aus den jetzt vorliegenden Notaten. Im Januar 1942, ein halbes Jahr vor Einsetzen des Tagebuchs, findet in Novi Sad die berüchtigte Razzia durch Ungarn und Deutsche statt, bei der 1400 Menschen, vor allem Serben und Juden, umgebracht werden. Aleksandar Tisma, der Sohn eines Serben und einer ungarischen Jüdin, übersiedelt nach Budapest, um den Massenverhaftungen zu entgehen. 1944 wird er zur Zwangsarbeit in Transsylvanien eingezogen, dann schließt er sich der Jugoslawischen Befreiungsarmee an. In Novi Sad laufen unterdessen die Liquidierungen der kommunistischen Gegenwelle. "Ich machte mich klein, um nicht zerschmettert zu werden", hat Tisma dazu in dieser Zeitung geschrieben (F.A.Z. vom 6. Mai 1995).
Sich wegducken, um unerkannt zu überleben, dieser Reflex bestimmt viele Seiten des Tagebuchs, besonders dort, wo es von Tismas halbherzig betriebener journalistischer Karriere handelt. Wegen der "Rassenscham" des Halbjuden, wegen seiner bourgeoisen Instinkte und einem Hang zu Verneinung und Dekadenz fühlt er sich als Außenseiter. Im April 1948 schreibt er die frechen Zeilen: "Könnte ich wählen zwischen der Realisierung des Sozialismus und einem Harem - als Quelle persönlichen Glücks -, würde ich mich immer für das zweite entscheiden." Drei Monate später zerfällt unter Tismas kaltem Blick die kommunistische Ideologie in Stücke, weil der sowjetische Kurs "die Diktatur des Proletariats in eine Tyrannei der Partei verzerrt".
Erst auf den letzten Tagebuchseiten deutet sich an, daß die kreativen Energien einer ganz anderen Idee als dem Hier und Jetzt des kommunistischen Alltags dienen könnten. Am 9. Dezember 1950 heißt es: "Ein Poet unserer Generation zu sein bedeutet, das Absterben des Alten zu besingen, die fanatische Jagd nach etwas Neuem, das das Alte ablösen soll, und die Trauer, weil es dieses Neue nicht gibt. - Oder alles miteinander lächerlich zu machen." Am Ende wurde weniger und viel mehr daraus. Denn die "ständige Suche nach Zuflucht in den ruhigen Seitenarmen, wo das Wasser stinkend und abgestanden, aber ungefährlich ist", führt Tisma schließlich zum Thema seines Lebens: den Toten und Verschwundenen einer Region, die es längst nicht mehr gab.
Der blendend geschriebene Bericht "Die Meridiane Mitteleuropas", der auf das Tagebuch folgt, liefert die Probe aufs Exempel. Er zeigt schon alle Tugenden des fertigen Schriftstellers. Hier finden sich nicht nur Stil und Erzählhaltung der späteren Romane vorgebildet. Die Reise nach Warschau, Danzig, Krakau, Wien und Budapest im Herbst 1961 offenbart auch den für Tisma typischen Erinnerungsblick, der sich als Negativkopie der Proustschen Poetik der Wiedererweckung erweist. Denn die Erinnerung dient nicht der ästhetischen Fixierung verstreuter Lebensdetails, sondern führt die längst fällige Begegnung mit den Gespenstern der Vergangenheit herbei. Das alles auf mitteleuropäischem Terrain, "dessen Merkmale in mir widerhallten wie die Schritte in dem Haus, in dem ich gelebt habe". Aleksandar Tisma erkennt: "Ich reiste gewissermaßen durch mein weiteres, vergessenes Ich." Es ist dort, in ihm selbst, wo die namenlosen Toten der vierziger Jahre auf ihren Chronisten gewartet haben.
Aleksandar Tisma: "Reise in mein vergessenes Ich". Tagebuch 1942-1951. Die Meridiane Mitteleuropas. Aus dem Serbischen übersetzt von Barbara Antkowiak. Hanser Verlag, München 2003. 320 S., geb., 21,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Tief beeindruckt lässt Aleksandar Tismas Tagebuch von 1942 bis 1951 den Rezensenten Andreas Breitenstein zurück, der sich immer wieder versichern muss, dass dies die Aufzeichnungen eines kaum Erwachsenen sind. Schonungslos gegen sich selbst lasse Tisma den Leser in den "Urgrund seines Schaffens" schauen, was das Journal sowohl zu einer "Zumutung" wie zu einer beispiellosen "Tapferkeit vor dem Leser" mache. Möglich wird diese Wirkung auch durch die "geschmeidige Übersetzung", lobt Breitenstein. Das Tagebuch des serbischen Schriftstellers zeigt für unseren Rezensenten deutlich die autodestruktive Energie des gerade werdenden Schriftstellers, Tismas Fixierung aufs Private und vor allem die Frauen wirke da geradezu zwanghaft. Der Kern des späteren Erzählens von Tisma, das Nazi Pogrom von Novi Sad, wird ausgespart, das Trauma des Überlebenden wird aber zum Subtext für alle Einträge, erklärt Breitenstein. Die vielsagende wechselseitige Ausgrenzung von persönlicher und literarischer Entwicklung macht für ihn schließlich den großen Reiz des Buchs aus: "Kaum will man glauben, dass aus soviel Lebensangst solche Souveränität, aus so viel Verwirrung solche Klarheit, aus so viel Vorläufigkeit solche Form entstehen konnte."
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"Zu den eindruckvollsten Leseerfahrungen, die man in den neunziger Jahren machen konnte, gehören die Erzählwerke des serbisch-jüdischen Schriftstellers Aleksandar Tisma ... Über die Entwicklung des nicht mehr jungen Mannes zum Jahrhundert-Autor werden die nächsten Bände Auskunft geben. Einen intimen Blick ins Getriebe seines literarischen Mottos gewährt bereits dieser. Um immer wieder erhebt sich bereits im Tagebuch aus der Misere, kalt und unbestechlich, der große Selbst- und Menschenbeobachter."
Wolfgang Schneider, Literaturen, 09/03
"Tisma hat mit seinem Tagebuch ein erstaunliches und zugleich bestürzendes, ein einzigartiges Vermächtnis hinterlassen. Seine Kämpfe, seine Genüsse lassen erahnen, wie er zum Stoff seiner Romane und Erzählungen fand. Die Aufzeichnungen der späteren Jahre erwarten wir mit Ungeduld."
Stephan Schurr, Frankfurter Rundschau, 26.11.03
"...eine Entdeckung."
Martin Ebel, Berliner Zeitung, 16.01.04
"Das Tagebuch Aleksandar Tismas macht den Leser zum Zeugen, wie sich die Kunst der Beschreibung des großen Schriftstellers langsam entwickelt."
Cornelius Hell, Die Furche, 15.01.04
"Das Tagebuch erzählt nicht nur vom geistigen Erwachen eines jungen Autors, es dient auch als Vademekum der wichtigesten Bücher des 20.Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung Osteuropas. Von Dickens und Huxley, Capek und Lenow, Gorki, Gontscharow, Dostojewski und anderen ist die Rede. Vielleicht hat der 2003 verstorbene Tisma das Tagebuch aus diesem Grund zur Veröffentlichung freigegeben, gleichsam als letzten Liebesdienst an der Literatur...Ein bemerkenswerter Band."
Erwin Riess, Die Presse, 07.02.04
Wolfgang Schneider, Literaturen, 09/03
"Tisma hat mit seinem Tagebuch ein erstaunliches und zugleich bestürzendes, ein einzigartiges Vermächtnis hinterlassen. Seine Kämpfe, seine Genüsse lassen erahnen, wie er zum Stoff seiner Romane und Erzählungen fand. Die Aufzeichnungen der späteren Jahre erwarten wir mit Ungeduld."
Stephan Schurr, Frankfurter Rundschau, 26.11.03
"...eine Entdeckung."
Martin Ebel, Berliner Zeitung, 16.01.04
"Das Tagebuch Aleksandar Tismas macht den Leser zum Zeugen, wie sich die Kunst der Beschreibung des großen Schriftstellers langsam entwickelt."
Cornelius Hell, Die Furche, 15.01.04
"Das Tagebuch erzählt nicht nur vom geistigen Erwachen eines jungen Autors, es dient auch als Vademekum der wichtigesten Bücher des 20.Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung Osteuropas. Von Dickens und Huxley, Capek und Lenow, Gorki, Gontscharow, Dostojewski und anderen ist die Rede. Vielleicht hat der 2003 verstorbene Tisma das Tagebuch aus diesem Grund zur Veröffentlichung freigegeben, gleichsam als letzten Liebesdienst an der Literatur...Ein bemerkenswerter Band."
Erwin Riess, Die Presse, 07.02.04