Produktdetails
- Verlag: Ed. Leipzig
- ISBN-13: 9783361009691
- Artikelnr.: 24236258
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2015Der Süße Fluss vor
der Katastrophe
Auf seinen Reisen lernte der Prinz zu Wied-Neuwied
Brasilien noch als unberührtes Paradies kennen
VON MICHAELA METZ
Tonnen toter Fische treiben derzeit im Rio Doce. Arsen, Aluminium, Blei, Kupfer und Quecksilber aus der Eisenerzmine Samarco haben dem 843 Kilometer langen „Süßen Fluss“ Brasiliens nach dem Bruch eines Staudamms den Garaus gemacht. Sein bläulicher Schimmer ist einem schlammigen, verseuchten Rot gewichen.
Umso schmerzhafter lesen sich nun die neu aufgelegten und umfassend illustrierten Reisebeschreibungen des Prinzen Maximilian zu Wied-Neuwied aus den Jahren 1815 – 1817, dem der Anblick auf eben jenen Rio Doce damals den Atem raubte: „An diesem Flusse, der an herrlichen Naturscenen und an naturhistorischen Merkwürdigkeiten so reich ist, findet der Forscher auf lange Zeit Beschäftigung und die mannigfaltigsten Genüsse“, schreibt der rheinische Zoologe, Ethnologe und Naturforscher. „Die Ufer dieses schönen Stromes sind von einem dichten Urwalde bedeckt, der eine große Menge verschiedener Thierarten ernährt. (. . .) Fische leben in Menge darin. (. . .) Aus den Wäldern schallt das Geschrey einer Menge von Affen hervor.“ Außerdem sah er „eine der größten Zierden der brasilianischen Wälder, den prachtvollen Ara; Tapire, Rehe, Jaguare, Panther und „den hier lebenden Ureinwohner, den rohen, wilden Botokuden“. Die Tapire, Großkatzen und die Botokuden hat die „zivilisierte Welt“ schon lange vor der aktuellen Umweltkatastrophe zur Strecke gebracht. Sie sind längst ausgestorben.
Auch deshalb ist der Bericht des Prinzen Maximilian zu Wied-Neuwied kostbar: In dem von ihm bereisten Gebiet des brasilianischen Küstenregenwalds nördlich von Rio de Janeiro und der Buschsavanne, der Caatinga, sind heute kaum mehr als fünf Prozent der ursprünglichen Flora und Fauna erhalten. Das führt der Zoologe und Wissenschaftsjournalist Matthias Glaubrecht in seinem kritischen Nachwort aus.
Inspiriert und ermuntert von Alexander von Humboldt, der Brasilien nie betreten hat, entschließt sich Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied, auf eigene Kosten eine Expedition nach Brasilien zu unternehmen. Kurz vor der Ankunft in Rio notiert er: „Die Hitze wurde jetzt am Mittage . . . immer drückender; von einer Tasse Thee geriet man sogleich in starke Transpiration.“ Über die neue brasilianische Hauptstadt schreibt er: „Rio de Janeiro, welches in der letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts nur 2500 Einwohner . . . zählte, hat sich nun zum Range einer der ersten Städte der neuen Welt erhoben.“ Auf seiner zweijährigen Reise legt er unter dem Pseudonym Baron von Braunsberg mehr als 2000 Kilometer zurück. Von Rio de Janeiro aus durch die Küstenprovinzen nach Salvador da Bahia.
Als „künstlerischer Chronist“ dokumentiert der „rheinische Humboldt“ in Wort und Bild die Flora und Fauna Brasiliens, entdeckt unbekannte Pflanzen, Tiere und Indiovölker. Zwei junge Deutsche schließen sich der „Tropa“ an: der preußische Botaniker Friedrich Sellow, der später im Rio Doce ertrinken sollte, und der Vogelkundler Georg Wilhelm Freyreiss. „Wir hatten 16 Maulthiere angeschafft, deren jedes zwey hölzerne, mit roher Ochsenhaut überzogene . . . Kisten trug, und zehn Menschen, theils zur Wartung unserer Thiere, theils als Jäger in unsere Dienste genommen.“ Abends finden sie oft gastfreundliches Quartier, auch ein Vorläufer des Samba zeigt sich schon: „Der Sohn des Hauses, der sich recht gut auf die Verfertigung von Guitarren verstand, spielte, und die übrigen jungen Leute tanzten die Banduca, wobey sie mit dem Körper sonderbare Verdrehungen machten“, schreibt Wied in seinem Reisebuch.
Fehlt nur noch das künftige Nationalgetränk, die Caipirinha. Wurde sie von findigen Indios im Dschungel erstmals gemixt, im Kampf gegen die Hitze? Wied notiert: „Die jungen Indier . . . giengen mit einigen Gefäßen in die Gesträuche und sammelten das zwischen den Blättern der Bromelia-Stauden befindliche Wasser. Dieses Wasser . . . war schwarz und schmutzig, wir fanden sogar Froschlaich und junge Frösche darin. Man goß es durch ein Tuch, vermischte es mit etwas Branntwein, Limonensaft und Zucker, und so gab es uns eine herrliche Erquickung.“
Den weniger angepassten Indios ergeht es jedoch schlecht, vor allem den Botokuden: „Der Ausrottungskrieg gegen sie wurde mit um so größerer Erbitterung und Grausamkeit geführt, je fester man sich überzeugt hielt, dass sie alle in ihre Hände gefallenen Feinde töteten und ihr Fleisch verzehrten“, stellt der Forscher fest. Zunehmend rückt die ethnologische Betrachtung der „Waldmenschen“ in den Fokus.
Zunächst beschreibt Wied-Neuwied die Indios als „Barbaren, welche noch im rohen Zustande der Natur existieren“. Vor allem die gefürchteten Botokuden, die große Holzscheiben in Lippen und Ohrläppchen tragen, interessieren ihn. In Rio Grande de Belmonze lernt er den 17-jährigen Quäck (Kuek) kennen. Der junge Botokude wird sein Reisebegleiter und kommt sogar mit nach Europa.
Von Salvador da Bahia schiffen sich die Forschungsreisenden auf der Princesa Carlota ein und treffen am 1. Juli 1817 in Portugal ein. Dort sieht Wied die Schiffe der österreichischen Brasilien-Expedition, die sich auf den Weg nach Brasilien macht. Mit dabei sind die bayerischen Naturforscher Johann Baptist Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius, die er bei der Aufarbeitung seiner Forschungsarbeiten als Konkurrenten sehen wird.
Quäk, der Botokude, wird Kammerdiener auf Schloss Neuwied. 1832 lässt der Prinz den Exoten im Gehrock mit hohem Kragen malen. Kurz darauf stirbt der entwurzelte Indio. Volltrunken stürzt er aus einem Fenster und erfriert. Den Schädel seines langjährigen Begleiters überlässt der Prinz der Abteilung für „fremde Racen“ in der Anthropologischen Sammlung der Universität Bonn. Lange gilt er als verschollen und taucht erst 2007 wieder auf. 2010 bitten die Brasilianer, Quäks Schädel den Nachfahren der Krenak-Indianer zurückzugeben. Im Mai 2011 wird der Schädel nach Brasilien übergeführt.
Mit 84 Jahren stirbt der „rheinische Humboldt“ auf Schloss Neuwied. Nach seinem Tod gerät er in Vergessenheit, seine Sammlung löst sich auf, sodass sich die Objekte heute unter anderem in Berlin, London, New York, Washington, Philadelphia und in Privatbesitz befinden.
Was Brasilien betrifft, irrte er, als er sich von der Unzerstörbarkeit der gewaltigen Tropennatur überzeugt zeigte: „Das Thierreich, das Pflanzenreich und selbst die leblose Natur sind über den Einfluss des Europäers erhaben und werden ihre Originalität behalten; ihr Reichtum wird nie versiegen, und würden selbst Brasiliens Grundfesten nach Gold und Edelsteinen durchwühlt.“
Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied: Reise nach Brasilien in den Jahren 1815 bis 1817. Die Andere Bibliothek, Berlin 2015. 540 Seiten, 89 Euro.
Viele der Arten, die der
Forschungsreisende vorfand,
sind heute ausgestorben
Das Goldkopflöwenäffchen (großes Bild) gilt heute
wegen der Rodung des Regenwaldes als nahezu ausgerottet. Rechts oben: Schifffahrt auf dem Rio Doce im Dezember 1815. Ein Aquarell von Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied,
der sich selbst nur für einen mäßig begabten Künstler hielt. Darunter: Abbildung von vier Botokuden-Physiognomien und einem Mumienkopf, gezeichnet mithilfe einer Camera Lucida von dem deutschen Gärtner und Naturforscher
Friedrich Sellow. Den Laubkleber, einen kleinen Frosch,
entdeckten die Reisenden oft auf Bromelienstauden.
Abb.: Aus dem besprochenen Band
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der Katastrophe
Auf seinen Reisen lernte der Prinz zu Wied-Neuwied
Brasilien noch als unberührtes Paradies kennen
VON MICHAELA METZ
Tonnen toter Fische treiben derzeit im Rio Doce. Arsen, Aluminium, Blei, Kupfer und Quecksilber aus der Eisenerzmine Samarco haben dem 843 Kilometer langen „Süßen Fluss“ Brasiliens nach dem Bruch eines Staudamms den Garaus gemacht. Sein bläulicher Schimmer ist einem schlammigen, verseuchten Rot gewichen.
Umso schmerzhafter lesen sich nun die neu aufgelegten und umfassend illustrierten Reisebeschreibungen des Prinzen Maximilian zu Wied-Neuwied aus den Jahren 1815 – 1817, dem der Anblick auf eben jenen Rio Doce damals den Atem raubte: „An diesem Flusse, der an herrlichen Naturscenen und an naturhistorischen Merkwürdigkeiten so reich ist, findet der Forscher auf lange Zeit Beschäftigung und die mannigfaltigsten Genüsse“, schreibt der rheinische Zoologe, Ethnologe und Naturforscher. „Die Ufer dieses schönen Stromes sind von einem dichten Urwalde bedeckt, der eine große Menge verschiedener Thierarten ernährt. (. . .) Fische leben in Menge darin. (. . .) Aus den Wäldern schallt das Geschrey einer Menge von Affen hervor.“ Außerdem sah er „eine der größten Zierden der brasilianischen Wälder, den prachtvollen Ara; Tapire, Rehe, Jaguare, Panther und „den hier lebenden Ureinwohner, den rohen, wilden Botokuden“. Die Tapire, Großkatzen und die Botokuden hat die „zivilisierte Welt“ schon lange vor der aktuellen Umweltkatastrophe zur Strecke gebracht. Sie sind längst ausgestorben.
Auch deshalb ist der Bericht des Prinzen Maximilian zu Wied-Neuwied kostbar: In dem von ihm bereisten Gebiet des brasilianischen Küstenregenwalds nördlich von Rio de Janeiro und der Buschsavanne, der Caatinga, sind heute kaum mehr als fünf Prozent der ursprünglichen Flora und Fauna erhalten. Das führt der Zoologe und Wissenschaftsjournalist Matthias Glaubrecht in seinem kritischen Nachwort aus.
Inspiriert und ermuntert von Alexander von Humboldt, der Brasilien nie betreten hat, entschließt sich Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied, auf eigene Kosten eine Expedition nach Brasilien zu unternehmen. Kurz vor der Ankunft in Rio notiert er: „Die Hitze wurde jetzt am Mittage . . . immer drückender; von einer Tasse Thee geriet man sogleich in starke Transpiration.“ Über die neue brasilianische Hauptstadt schreibt er: „Rio de Janeiro, welches in der letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts nur 2500 Einwohner . . . zählte, hat sich nun zum Range einer der ersten Städte der neuen Welt erhoben.“ Auf seiner zweijährigen Reise legt er unter dem Pseudonym Baron von Braunsberg mehr als 2000 Kilometer zurück. Von Rio de Janeiro aus durch die Küstenprovinzen nach Salvador da Bahia.
Als „künstlerischer Chronist“ dokumentiert der „rheinische Humboldt“ in Wort und Bild die Flora und Fauna Brasiliens, entdeckt unbekannte Pflanzen, Tiere und Indiovölker. Zwei junge Deutsche schließen sich der „Tropa“ an: der preußische Botaniker Friedrich Sellow, der später im Rio Doce ertrinken sollte, und der Vogelkundler Georg Wilhelm Freyreiss. „Wir hatten 16 Maulthiere angeschafft, deren jedes zwey hölzerne, mit roher Ochsenhaut überzogene . . . Kisten trug, und zehn Menschen, theils zur Wartung unserer Thiere, theils als Jäger in unsere Dienste genommen.“ Abends finden sie oft gastfreundliches Quartier, auch ein Vorläufer des Samba zeigt sich schon: „Der Sohn des Hauses, der sich recht gut auf die Verfertigung von Guitarren verstand, spielte, und die übrigen jungen Leute tanzten die Banduca, wobey sie mit dem Körper sonderbare Verdrehungen machten“, schreibt Wied in seinem Reisebuch.
Fehlt nur noch das künftige Nationalgetränk, die Caipirinha. Wurde sie von findigen Indios im Dschungel erstmals gemixt, im Kampf gegen die Hitze? Wied notiert: „Die jungen Indier . . . giengen mit einigen Gefäßen in die Gesträuche und sammelten das zwischen den Blättern der Bromelia-Stauden befindliche Wasser. Dieses Wasser . . . war schwarz und schmutzig, wir fanden sogar Froschlaich und junge Frösche darin. Man goß es durch ein Tuch, vermischte es mit etwas Branntwein, Limonensaft und Zucker, und so gab es uns eine herrliche Erquickung.“
Den weniger angepassten Indios ergeht es jedoch schlecht, vor allem den Botokuden: „Der Ausrottungskrieg gegen sie wurde mit um so größerer Erbitterung und Grausamkeit geführt, je fester man sich überzeugt hielt, dass sie alle in ihre Hände gefallenen Feinde töteten und ihr Fleisch verzehrten“, stellt der Forscher fest. Zunehmend rückt die ethnologische Betrachtung der „Waldmenschen“ in den Fokus.
Zunächst beschreibt Wied-Neuwied die Indios als „Barbaren, welche noch im rohen Zustande der Natur existieren“. Vor allem die gefürchteten Botokuden, die große Holzscheiben in Lippen und Ohrläppchen tragen, interessieren ihn. In Rio Grande de Belmonze lernt er den 17-jährigen Quäck (Kuek) kennen. Der junge Botokude wird sein Reisebegleiter und kommt sogar mit nach Europa.
Von Salvador da Bahia schiffen sich die Forschungsreisenden auf der Princesa Carlota ein und treffen am 1. Juli 1817 in Portugal ein. Dort sieht Wied die Schiffe der österreichischen Brasilien-Expedition, die sich auf den Weg nach Brasilien macht. Mit dabei sind die bayerischen Naturforscher Johann Baptist Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius, die er bei der Aufarbeitung seiner Forschungsarbeiten als Konkurrenten sehen wird.
Quäk, der Botokude, wird Kammerdiener auf Schloss Neuwied. 1832 lässt der Prinz den Exoten im Gehrock mit hohem Kragen malen. Kurz darauf stirbt der entwurzelte Indio. Volltrunken stürzt er aus einem Fenster und erfriert. Den Schädel seines langjährigen Begleiters überlässt der Prinz der Abteilung für „fremde Racen“ in der Anthropologischen Sammlung der Universität Bonn. Lange gilt er als verschollen und taucht erst 2007 wieder auf. 2010 bitten die Brasilianer, Quäks Schädel den Nachfahren der Krenak-Indianer zurückzugeben. Im Mai 2011 wird der Schädel nach Brasilien übergeführt.
Mit 84 Jahren stirbt der „rheinische Humboldt“ auf Schloss Neuwied. Nach seinem Tod gerät er in Vergessenheit, seine Sammlung löst sich auf, sodass sich die Objekte heute unter anderem in Berlin, London, New York, Washington, Philadelphia und in Privatbesitz befinden.
Was Brasilien betrifft, irrte er, als er sich von der Unzerstörbarkeit der gewaltigen Tropennatur überzeugt zeigte: „Das Thierreich, das Pflanzenreich und selbst die leblose Natur sind über den Einfluss des Europäers erhaben und werden ihre Originalität behalten; ihr Reichtum wird nie versiegen, und würden selbst Brasiliens Grundfesten nach Gold und Edelsteinen durchwühlt.“
Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied: Reise nach Brasilien in den Jahren 1815 bis 1817. Die Andere Bibliothek, Berlin 2015. 540 Seiten, 89 Euro.
Viele der Arten, die der
Forschungsreisende vorfand,
sind heute ausgestorben
Das Goldkopflöwenäffchen (großes Bild) gilt heute
wegen der Rodung des Regenwaldes als nahezu ausgerottet. Rechts oben: Schifffahrt auf dem Rio Doce im Dezember 1815. Ein Aquarell von Maximilian Prinz zu Wied-Neuwied,
der sich selbst nur für einen mäßig begabten Künstler hielt. Darunter: Abbildung von vier Botokuden-Physiognomien und einem Mumienkopf, gezeichnet mithilfe einer Camera Lucida von dem deutschen Gärtner und Naturforscher
Friedrich Sellow. Den Laubkleber, einen kleinen Frosch,
entdeckten die Reisenden oft auf Bromelienstauden.
Abb.: Aus dem besprochenen Band
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