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Julius Werkazy, billige Stoffhosen und braunes Jackett, ist ein Detektiv alten Schlages. Er gehört zu den eher Unerfolgreichen seines Gewerbes. Warum also bittet der mysteriöse Landesgründer von Kalino ausgerechnet ihn um Hilfe? Radek Knapps neuer Roman gehört in eine Reihe mit den Büchern eines Paul Auster und Philip K. Dick. Der Anruf, den Julius Werkazy eines Morgens entgegennimmt, setzt die Ereignisse wie ein großes Schwungrad in Gang. Wenig später befindet Werkazysich im Zug nach Kalino, das kaum jemand vor ihm hat betreten dürfen. Wie ein rollender Tresor fahren die vier Waggons in den…mehr

Produktbeschreibung
Julius Werkazy, billige Stoffhosen und braunes Jackett, ist ein Detektiv alten Schlages. Er gehört zu den eher Unerfolgreichen seines Gewerbes. Warum also bittet der mysteriöse Landesgründer von Kalino ausgerechnet
ihn um Hilfe? Radek Knapps neuer Roman gehört in eine Reihe mit den Büchern eines Paul Auster und Philip K. Dick.
Der Anruf, den Julius Werkazy eines Morgens entgegennimmt, setzt die Ereignisse wie ein großes Schwungrad in Gang. Wenig später befindet Werkazysich im Zug nach Kalino, das kaum jemand vor ihm hat betreten dürfen. Wie ein rollender Tresor fahren die vier Waggons in den Bahnhof ein. Und sogleichnach seiner Ankunft stellt sich ihm der Landesgründer vor: "Die Wahlist nicht zufällig auf Sie gefallen", sagt F. Osmos, "aber lassen Sie mich aufden Kern meines Anliegens kommen: Vor einigen Tagen hat es den ersten Todesfall in Kalino gegeben." Werkazy erhält den Auftrag, schleunigst dieses Unglück aufzuklären. Dazu muss er hinter das Geheimnis der Kalinianer kommen:Niemand dort scheint älter als dreißig zu sein. Doch F. Osmos hat Julius Werkazy nicht die ganze Wahrheit gesagt Unvergessliche Gestalten bevölkern Radek Knapps magischen, auf faszinierende Weise altmodischen Detektivroman.
Autorenporträt
Radek Knapp, geb. 1964 in Warschau, lebt seit 1976 in Wien, wo er Philosophie studierte und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Auszeichnungen mit dem Aspekte-Literaturpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2012

Wie wahrt man das Papiergesicht?

Überall nur Schönheitswahn und Konsumdenken: In seinem satirischen Zukunftsroman erzählt Radek Knapp von Osteuropa als einem Schlachtfeld gnadenloser Großkonzerne.

Wenn ich schon sterben muss, dann suche ich mir die Todesursache selber aus": Man muss viel Selbstvertrauen haben, um als junger Möchtegernliterat einem weltberühmten Schriftsteller, der ihn warnt, das Schreiben sei eine "brotlose Kunst", an der man sterben könne, eine solche Antwort entgegenzuschleudern. Genauso soll sich aber die erste Begegnung zwischen dem polnisch-österreichischen Autor Radek Knapp und dem Science-Fiction-Meister Stanislaw Lem abgespielt haben, und Radek Knapp wird wohl weder seine damalige Arroganz noch die Tatsache bereut haben, dass er, statt den Rat zu befolgen, tatsächlich Schriftsteller geworden ist. Sein Wortwechsel mit Lem war immerhin der Beginn einer wunderbaren, zwanzig Jahre währenden Freundschaft, und sein Eintritt ins Literatenleben konnte sich auch sehen lassen: Für sein Debüt, den Erzählband "Franio", bekam er den "Aspekte"- Literaturpreis, sein erster Roman "Herrn Kukas Empfehlungen" wurde für viele Osteuropäer, die dank ihm den Härtetest der ersten Reise in den Westen gut überstanden haben, zu einer Art Kultbuch.

Erstaunlicherweise hat Radek Knapp in den folgenden dreizehn Jahren seine Fangemeinde nur zweimal erfreut: mit dem Episodenroman "Papiertiger" und den "Gebrauchsanweisungen für Polen", in denen er zur Abwechslung die Deutschen mit Ratschlägen versorgte, die sich in sein chaotisches Geburtsland wagen wollten. Nun legt er endlich einen neuen Roman vor, bei dessen Lektüre Leser in Ost und West gleichermaßen Spaß haben, aber auch in gemeinsame Nachdenklichkeit verfallen dürften. Knapp schlägt diesmal recht scharfe gesellschaftskritische Töne an, auch wenn er die Handlung in Form eines Detektivromans kleidet, in eine futuristische Szenerie versetzt und mit der ihm eigenen, satirischen Note versieht.

Der Detektiv Julius Werkazy, Hauptfigur des Romans, ist weder geschickt noch erfolgreich, sein Äußeres und seine Umgangsformen lassen zu wünschen übrig, und Bescheidenheit ist nicht seine hervorstechende Eigenschaft. Da ihm die moderne Technik so fremd ist, dass er "einen Prozessor für eine ausgestorbene Fischart" hält, hat er einen Partner namens Bruno, eine skurrile Gestalt mit einer Schwäche für mittelalterliche Küchengeräte und überdurchschnittlichem technischen Verstand. Seine Detektei ist also nicht gerade die erste Adresse der Branche, und doch soll ausgerechnet er einen besonders schwierigen Fall lösen: den ersten Mord in der Geschichte von Kalino. Der Auftrag kommt einem Befehl gleich, denn er wird ihm telefonisch von deren Herrscher F. Osmos erteilt.

Dass Kalino keine gewöhnliche Stadt ist, wusste Werkazy schon früher: Aus der Ferne erinnerte sie "an eine gut ausgebaute Festung", der hohe Zaun, der sie umgab, funkelte "wie ein mit Millionen von Sensoren durchsetzter lebendiger Organismus". Wie ungewöhnlich, weiß er jedoch erst, als er sie von innen sieht: Der Bahnhof hat "kein Wartezimmer, keine Kasse, geschweige denn einen Fahrplan", die Häuser sind alle aus einem phosphorisierenden Baumaterial gefertigt und haben Eingangstüren, die weder Klinken noch Knäufe besitzen.

Die Kalinianer selbst, die zu solchen in einem "Metamorphosenzentrum" mittels einer "Extraktion" geworden sind, machen alle einen jungen, sportlichen Eindruck, was ihre Annahme, sie seien unsterblich, sogar plausibel macht. Sie bewegen sich mit Hilfe von "K-Mobilen", benutzen "Translokationsschirme", auf denen sie jede Alltagssituation, ein Date eingeschlossen, "vorsimulieren" können, und kommunizieren mittels eines "Gerlan", einer kalinianischen Variante des Handys. Abends vergnügen sie sich in Entspannungslokalen bei einem Getränk namens "Dreifinger", für ihr Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl sorgen Mitarbeiter der "Nahrungsfabrik" und gutgeschulte "Perfektionsdiener".

All das wird von einer kleinen Gruppe normalersterblicher Menschen gesteuert, die von den Kalinianern als "Papiergesichter" bezeichnet werden und ihrem Chef Osmos Tag und Nacht zur Seite stehen. Einer dieser Helfer war Buschart, Vizedirektor der Nahrungsfabrik, dessen plötzliches Verschwinden, hinter dem man einen Mord vermutet, Werkazy aufklären soll. Der Fall scheint insofern einfach, als der Vermisste gerne Kletterausflüge in die gefährliche "Kalinoschlucht" unternahm: "Wenn jemand hineinfällt, bleibt nichts mehr von ihm übrig."

Bald stellt sich aber heraus, dass hinter Buscharts (angeblichem) Tod ein Geheimnis steckt, ein teuflischer Plan, der weniger die Zukunft der Kalino-Bewohner als die der restlichen Bevölkerung gefährdet. Osmos will aus allen Menschen Kalinianer machen, und das ist auch der Grund dafür, dass er Werkazy in sein Reich gelockt hat. "Wenn ich Kalino nicht nach außen bringe", erklärt er ihm, "wird es sich von selbst dorthin ausbreiten. . . . Unsere Mitmenschen da draußen wollen kein Gold mehr, sondern ein hübsches Gesicht und das Gefühl, das sie so bis in alle Ewigkeit weitermachen können. Kalino ist das neue Gold." Allerdings muss er bald feststellen, dass er in dem Detektiv einen gewieften Gegenspieler gefunden hat und dass dieser keineswegs der Einzige ist, der seinen Plan missbilligt.

Man muss keine weiteren Details der Handlung kennen, um zu ahnen, worauf Radek Knapps satirischer Zukunftsroman abzielt oder besser: um zu merken, dass das, was anfangs nach einem Zukunftsroman aussieht, eine ziemlich genaue Beschreibung der Gegenwart ist. Es geht um Schönheitswahn, Konsumdenken, Diktat der Werbung und Jagd nach der ewigen Jugend. Um die Macht der Konzerne, die Aggressivität der Unterhaltungsindustrie und die Überpräsenz der elektronischen Medien, die uns Menschen zu einer gedankenlosen, leicht manipulierbaren Masse machen.

Wie groß Radek Knapps Zorn ist, kann man nicht zuletzt an dem Namen Kalino erkennen. Damit spielt er auf das ihm vertraute Osteuropa an, wo die Symptome unserer kollektiven Erkrankung noch sichtbarer sind als im Westen. Früher ein Synonym der Rückständigkeit, ist es nach der Wende zu einem Schlachtfeld gnadenloser Großkonzerne geworden, die der dortigen Bevölkerung das Konsumdenken als neue Religion verkaufen und unzählige begeisterte Anhänger finden.

Was also tun, um diesen Prozess aufzuhalten, um die "Kalinisierung" unserer Gesellschaft zu stoppen? Die Antwort scheint in dem Namen zu stecken, den der Autor den Nicht-Kalinianern verpasst. Denn was assoziiert man mit dem Wort "Papiergesicht"? Zartheit? Vergänglichkeit? Vielleicht aber auch: Worte, die man zu Papier bringt? Und damit Gedanken, die dahinterstecken? Um sich den Herrschern der heutigen Welt zu widersetzten, scheint Radek Knapp zu sagen, sollte der Mensch endlich anfangen, selbständig und kritisch zu denken, sich auf seine Individualität zu besinnen. Oder, um mit seinem Meister Stanislaw Lem zu sprechen: "Der Mensch sollte sich besser bemühen, selber intelligent zu werden."

MARTA KIJOWSKA

Radek Knapp: "Reise nach Kalino". Roman.

Piper Verlag, München 2012. 254 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lieber selber denken, schönes Motto für Radek Knapps lang erwarteten neuen Roman wäre das. Marta Kijowska jedenfalls erkennt sehr deutlich, worauf Knapp mit seiner Sci-Fi-Detektivstory abzielt, in der eine abgehalfterte Spürnase den Auftrag erhält, einen Mord in der seltsam futuristischen Stadt Kalino aufzuklären, deren Bewohner sich an Getränken namens "Dreifinger" laben und die von sogenannten "Papiergesichtern" kontrolliert wird. Das ganze entpuppt sich vor den Augen der Rezensentin dann bald als Satire. Indem Knapp nämlich scheinbar eine Zukunftswelt entfaltet, schildert und kritisiert er laut Kijowska schlicht und ergreifend die osteuropäische Gegenwart mit Konsumdenken, Schönheits- und Jugendwahn, allgegenwärtiger Werbung und einer Technik, die das Individuum ausradiert.

© Perlentaucher Medien GmbH
"(...) kein üblicher Krimi, keine übliche Science-Fiction-Story, eigentümlich altmodisch und magisch, dazu mit einem feinen, tief sitzenden Humor ausgekleidet.", P.S., 04.10.2012