Nach Alexander von Humboldt und Georg Forster: Adelbert von Chamisso in der Anderen Bibliothek. Eine Reise um die Welt, wie sie farbprächtiger nicht sein kann. Mit den erstmals vollständig versammelten 140 Lithographien von Ludwig Choris - berührend-brillante Dokumente, die eine untergegangene außereuropäische Welt lebendig festhalten. Als Autor von Peter Schlehmils wundersamer Geschichte und als Dichter ist er weltberühmt geworden; als Kustos des Berliner Botanischen Gartens und Leiter des Herbariums ist er wenigen bekannt - und als Weltreisenden, mit dem »Hauptstück« seiner Lebensgeschichte, müssen ihn die meisten Leser erst noch kennenlernen: 1836 stellte Adelbert von Chamisso sein letztes Werk vor, die Reise um die Welt - vor fast zwei Jahrhunderten auf einem russischen Expeditionsschiff als Botaniker; unternommen zur Erkundung der kürzesten Verbindung von Europa nach Asien, vom Pazifik her. Auf der Brigg »Rurik« begleitete ihn während der Jahre 1815-1818 auch Ludwig YorkChoris als offizieller Zeichner und Maler, ein junger deutschstämmiger Russe, der in Paris später Bildbände veröffentlichte - illustriert mit Lithografien, die »Louis« Choris nach Zeichnungen fertigte - einer der größten Zeichner und Maler, die jemals den Pazifik bereisten. Die damals sensationelle Weltumseglung, die zweite in der russischen Geschichte, führte Chamisso von Kopenhagen über Teneriffa, Brasilien und Chile nach Alaska, San Francisco, Hawaii und in die südpazifische Inselwelt. In Chamissos »Klassiker« Reise um die Welt sind der anekdotische Reiseerzähler, der Naturforscher von enzyklopädischem Interesse, der aufklärerische Ethnologe und der enthusiastisch lebensbilanzierende Dichter vereint.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012Traurige Aleuten
Als Dichter weltberühmt, ist Chamisso als Weltenbummler zu entdecken: 1836 stellte er seine Reise auf einem russischen Expeditionsschiff vor. Jetzt erscheint sie erstmals mit den vollständig versammelten Lithographien von Ludwig Choris.
Von Günter de Bruyn
In der Märchennovelle "Peter Schlemihls wundersame Geschichte", die in fast alle Sprachen der Welt übersetzt wurde, hatte sich der zum Berliner gewordene Franzose Adelbert von Chamisso 1813 eine Weltreise in Siebenmeilenstiefeln erträumt. Dass er zwei Jahre später ohne die märchenhafte Fußbekleidung tatsächlich zu einer Weltreise aufbrechen konnte, hatte er unter anderem auch Julius Eduard Hitzig zu verdanken, seinem Freund, Verleger und erstem Biographen, für dessen Kinder der "Peter Schlemihl" eigentlich bestimmt gewesen war. In Hitzigs Verlag war während der Befreiungskriege das "Deutsch-Russische Volksblatt" erschienen, das von dem in russischen Diensten stehenden Theaterdichter August von Kotzebue herausgegeben worden war. Von ihm hatte Hitzig von einer in Russland geplanten Weltumseglung erfahren, die unter der Leitung von Kotzebues Sohn, des Marineleutnants Otto von Kotzebue, stehen sollte und für die man noch auf der Suche nach einem Naturwissenschaftler war. Chamisso, der ein leidenschaftlich betriebenes Studium der Botanik hinter sich hatte, das ihm später auch den Lebensunterhalt sichern sollte, bewarb sich um diesen Posten, und da er Empfehlungsschreiben von Professoren der Berliner Universität vorlegen konnte, wurde er zusammen mit einem Maler und einem zweiten Naturwissenschaftler zum wissenschaftlichen Begleiter der Forschungsreise erwählt.
Veranlasst und finanziert wurde die in Sankt Petersburg startende Weltumseglung, der sich Chamisso in Kopenhagen anschließen konnte, von dem im Ruhestand lebenden russischen Staatskanzler und Außenminister Graf Nikolai Petrowitsch Rumjanzew, der ein dafür geeignetes Schiff hatte bauen lassen, das den Namen des legendären Gründers des russischen Reiches "Rurik" führte und, da es offiziell als Kriegsschiff galt, auch bewaffnet war. Hauptzweck der Expedition war die Erkundung des nördlichen Seeweges zwischen Europa und dem Pazifik, der für Russland, das damals Besitzungen und Handelsstützpunkte an der amerikanischen Westküste von Alaska bis San Francisco hatte, von großer wirtschaftlicher Bedeutung war. Da die Versuche, diese Passage von Osten her zu erkunden, schon mehrfach am Polareis gescheitert waren, sollte es die "Rurik" nun vom Westen her versuchen.
Sie segelte deshalb, von Sankt Petersburg kommend, über Ostsee, Nordsee und Atlantik um die Südspitze Südamerikas herum in den Pazifik und erkundete nach Versuchen, die arktische Durchfahrt zu finden, die pazifische Inselwelt, die noch nicht gänzlich erforscht worden war. Zwar erreichte die Expedition, die vom Juli 1815 bis zum August 1818 unterwegs war, ihren Hauptzweck nicht (die arktische Passage wurde erst durch die beginnende Klimaerwärmung zusehends schiffbar), konnte aber auf ihrer gesamten Route, die auf der Rückreise durch den Indischen Ozean und südlich um Afrika herum führte, den Wissenschaften neue Kenntnisse liefern und die Weltkarte in Einzelheiten ergänzen, um eine Chamisso-Insel zum Beispiel und einen Kotzebue-Sund.
Chamisso, dessen wissenschaftliche Werke seine poetischen an Umfang übertreffen, hat die auf der Weltreise gemachten botanischen und zoologischen Entdeckungen in den Jahren danach in Spezialarbeiten festgehalten, für die ihm die Berliner Universität den Doktortitel verlieh. In seiner später geschriebenen Reisebeschreibung werden diese speziellen wissenschaftlichen Fragen nur am Rande berührt.
Unter den zahlreichen Neuausgaben, die von Chamissos "Reise um die Welt" seit ihrem Erstdruck im Jahr 1836 von verschiedenen Verlagen angeboten wurden, stellt der hier zu besprechende großformatige Sonderband der "Anderen Bibliothek" seiner Illustrationen wegen eine Besonderheit dar. Erstmalig nämlich werden darin alle Lithographien des Malers und Zeichners wiedergegeben, der neben Chamisso an der Weltreise beteiligt war. Er hieß, wie aus dem Anhang dieser Ausgabe zu erfahren ist, Ludwig (auch Ludovik, Login oder Louis) Choris, war als Sohn deutscher Eltern 1795 in der Ukraine geboren worden, hatte in Sankt Petersburg seine Ausbildung erhalten und war auch in Paris und New Orleans tätig gewesen, bis er 1828 in Mexiko von Banditen ermordet wurde. Dessen Bilder also, die Chamissos Beschreibungen von Menschen, Landschaften, Pflanzen und Tieren aus fremden Zonen anschaulich ergänzen, sind das Einzigartige dieses Bandes, der, wie anzunehmen, ganz im Sinne Chamissos gestaltet ist. Er selbst hat die "schöne und getreue Bildergalerie" seines Reisegefährten als gute Ergänzung seiner Schilderungen bezeichnet. "Wir haben oft für überflüssig geachtet zu beschreiben, was dem Auge darzustellen der geschickte Künstler berufen war", heißt es in einer Passage des Reisebuches, die leider in dieser Ausgabe fehlt.
Zu den Vorzügen des Bandes gehört neben der reichen Ausstattung mit den hundertfünfzig Lithographien und einigen Weltkarten mit der Expeditionsroute auch das Nachwort von Matthias Glaubrecht, das vor allem dem Wissenschaftler Chamisso gewidmet ist. Der als Kurator am Berliner Naturkundemuseum tätige Glaubrecht informiert hier nicht nur fachkundig über Chamissos nicht geringe Bedeutung als Naturwissenschaftler, sondern auch über das Schicksal und den Verbleib der von diesem angelegten naturkundlichen Sammlungen, die teilweise erhalten geblieben sind. Freunde des Dichters, die auch den Wissenschaftler in ihm zu schätzen wissen, werden hier manch neue Erkenntnis gewinnen können, und für wissenschaftsgeschichtlich Interessierte sowie für Liebhaber historischer Reisebeschreibungen ist der farbenprächtige Band besonders empfehlenswert.Für Leser dagegen, die an Chamissos vollständiger Reisebeschreibung Interesse haben, gilt diese Empfehlung nur eingeschränkt. Alten Gepflogenheiten bei Herausgabe von Einzelausgaben der "Reise" folgend, ist auch hier Vollständigkeit nicht angestrebt. Der Originaltext ist nicht nur umfangreicher, sondern auch formal uneinheitlich. Der hier gebrachte Text zählt seiner Erzählweise und seines autobiographischen Gehalts wegen eindeutig zu Chamissos poetischen Werken, während man das von dem hier Fehlenden, das die leichte Lesbarkeit verringert hätte, nicht so eindeutig sagen kann. Die vollständige Fassung der "Reise", die man in besseren Werkausgaben wie der des Winkler Verlags und auch des Hanser Verlags findet, besteht aus zwei Teilen, die unterschiedlichen Charakter haben und zu verschiedenen Zeiten entstanden sind. Der erste Teil, die erzählende Reisebeschreibung, ist erst in den Jahren 1834 und 1835, also drei Jahre vor Chamissos Tod, entstanden, während der zweite, mehr wissenschaftliche Teil unmittelbar nach der Reise in den Jahren 1818 und 1819 für den von Kapitän Otto von Kotzebue herausgegebenen Gesamtbericht über die Expedition geschrieben wurde, dessen deutsche Fassung in drei Bänden 1821 in Weimar erschien.
Obwohl Chamisso auf der Reise kein Tagebuch führte, sondern sich mit gelegentlichen Notizen begnügte, hat er den ersten Teil des Buchs mit "Tagebuch" überschrieben, weil er seiner Erzählung von dem dreijährigen Leben auf den Meeren, das oft von längeren Landaufenthalten unterbrochen wurde, einen chronologischen Rahmen gegeben hat. Der zweite Teil, "Ansichten und Bemerkungen" betitelt, ist dagegen geographisch gegliedert und den wissenschaftlichen Ergebnissen der Forschung gewidmet, beschränkt sich aber nicht auf Chamissos Spezialgebiete, sondern bezieht auch die Erkundungen geographischer, ethnographischer und sprachwissenschaftlicher Art mit ein. Chamisso hat diesen zweiten Teil, dessen Erstdruck 1821 wenig beachtet wurde, offensichtlich als notwendige Ergänzung des ersten empfunden, die Herausgeber der Einzelausgaben aber waren, und sind es auch in diesem Fall, dieser Ansicht nicht.
Um den Lesern die oft trockenen wissenschaftlichen Erörterungen und die beträchtliche Erweiterung des Umfangs nicht zuzumuten, wird also auch hier auf die "Ansichten und Bemerkungen" verzichtet, wodurch dem Leser neben vielem anderen Interessanten auch die Hinweise auf die in Hawaii herrschenden bordellartigen Zustände, die, der Prüderie der Zeit gehorchend, in Latein gemacht werden, entgehen. Da durch diese Amputation aber auch die zum Verständnis des ersten Teils wichtige Erzählung von Chamissos Freundschaftsverhältnis zu Kadu, einem Eingeborenen der Karolinen-Inseln, beseitigt worden wäre, wird diese Passage als "Anhang" dem "Tagebuch" beigegeben - ein philologisch etwas befremdlicher, aber doch verständlicher Kompromiss.
Leser, die spannende Seeabenteuer suchen, werden an Chamissos Weltumseglung kaum Freude haben, und zwar nicht, weil die Seeleute auf dieser Expedition keine erlebten, sondern weil der Autor sie nicht in der Form von Abenteuerromanen erzählt. Er will dem Leser nicht Spannung bereiten, sondern ihm das Fremde nahebringen, das ihm südlich und nördlich des Äquators begegnet ist. Die Brigg, ein Zweimaster, der unter russischer Kriegsflagge fährt und deshalb in den Häfen fremder Länder als Staatsbesuch geehrt wird, ist zwar auch bestückt mit acht leichten Kanonen, aber diese werden fast nur zu friedlichen Zwecken, nämlich zum Salutschießen, benutzt. Neben dem Ärger darüber, dass die Matrosen und Offiziere der Schiffsbesatzung die Arbeit des Wissenschaftlers nicht achten, wird natürlich auch von den Gefahren, Nöten und Qualen einer Schiffsreise berichtet, doch werden solche Misshelligkeiten wie Orkane, Seekrankheiten oder Insektenplagen immer nur am Rande behandelt, weil das Hauptinteresse des Erzählers den Menschen der fremden Kulturkreise gilt. Die Beschreibung ihrer Lebensweisen und Sprachen zeugt von einem liebevollen Verständnis, das aber nie, selbst nicht an den lieblichen Südseegestaden, in Schwärmerei ausartet, sondern immer objektiv zu bleiben versucht.
Obwohl Chamisso nicht ahnen konnte, dass einige der Inseln im zwanzigsten Jahrhundert das Opfer von Atombombenversuchen werden würden, sind seine Berichte, über die Aleuten zum Beispiel, von leiser Trauer grundiert. Denn ihm ist klar, dass die Entdeckung unbekannter Kulturen auch deren Kolonisierung, zum Teil auch Versklavung bedeutete und damit auch ihren späteren Untergang. Die Verbrechen der Kolonialmächte, denen die Forscher mehrmals begegnen, werden von Chamisso deutlich als solche benannt und angeprangert, und gegen die damals in Europa übliche Unsitte, Menschen anderer Kulturen "Wilde" zu nennen, erhebt er "feierlichen Protest".
Der als Angehöriger des französischen Adels Geborene, der im Laufe des Lebens zum bedeutenden Botaniker und zum deutschen Dichter wurde, erweist sich auch in der Welt- und Menschenbetrachtung seiner Reisebeschreibung als liberal denkender Menschenfreund.
Adelbert von Chamisso: "Reise um die Welt". Ill. mit kolorierten Lithographien.
Die Andere Bibliothek, Berlin 2012. 450 S., geb., 99,- [Euro]; Subskr.-Preis bis Januar 2013: 79,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als Dichter weltberühmt, ist Chamisso als Weltenbummler zu entdecken: 1836 stellte er seine Reise auf einem russischen Expeditionsschiff vor. Jetzt erscheint sie erstmals mit den vollständig versammelten Lithographien von Ludwig Choris.
Von Günter de Bruyn
In der Märchennovelle "Peter Schlemihls wundersame Geschichte", die in fast alle Sprachen der Welt übersetzt wurde, hatte sich der zum Berliner gewordene Franzose Adelbert von Chamisso 1813 eine Weltreise in Siebenmeilenstiefeln erträumt. Dass er zwei Jahre später ohne die märchenhafte Fußbekleidung tatsächlich zu einer Weltreise aufbrechen konnte, hatte er unter anderem auch Julius Eduard Hitzig zu verdanken, seinem Freund, Verleger und erstem Biographen, für dessen Kinder der "Peter Schlemihl" eigentlich bestimmt gewesen war. In Hitzigs Verlag war während der Befreiungskriege das "Deutsch-Russische Volksblatt" erschienen, das von dem in russischen Diensten stehenden Theaterdichter August von Kotzebue herausgegeben worden war. Von ihm hatte Hitzig von einer in Russland geplanten Weltumseglung erfahren, die unter der Leitung von Kotzebues Sohn, des Marineleutnants Otto von Kotzebue, stehen sollte und für die man noch auf der Suche nach einem Naturwissenschaftler war. Chamisso, der ein leidenschaftlich betriebenes Studium der Botanik hinter sich hatte, das ihm später auch den Lebensunterhalt sichern sollte, bewarb sich um diesen Posten, und da er Empfehlungsschreiben von Professoren der Berliner Universität vorlegen konnte, wurde er zusammen mit einem Maler und einem zweiten Naturwissenschaftler zum wissenschaftlichen Begleiter der Forschungsreise erwählt.
Veranlasst und finanziert wurde die in Sankt Petersburg startende Weltumseglung, der sich Chamisso in Kopenhagen anschließen konnte, von dem im Ruhestand lebenden russischen Staatskanzler und Außenminister Graf Nikolai Petrowitsch Rumjanzew, der ein dafür geeignetes Schiff hatte bauen lassen, das den Namen des legendären Gründers des russischen Reiches "Rurik" führte und, da es offiziell als Kriegsschiff galt, auch bewaffnet war. Hauptzweck der Expedition war die Erkundung des nördlichen Seeweges zwischen Europa und dem Pazifik, der für Russland, das damals Besitzungen und Handelsstützpunkte an der amerikanischen Westküste von Alaska bis San Francisco hatte, von großer wirtschaftlicher Bedeutung war. Da die Versuche, diese Passage von Osten her zu erkunden, schon mehrfach am Polareis gescheitert waren, sollte es die "Rurik" nun vom Westen her versuchen.
Sie segelte deshalb, von Sankt Petersburg kommend, über Ostsee, Nordsee und Atlantik um die Südspitze Südamerikas herum in den Pazifik und erkundete nach Versuchen, die arktische Durchfahrt zu finden, die pazifische Inselwelt, die noch nicht gänzlich erforscht worden war. Zwar erreichte die Expedition, die vom Juli 1815 bis zum August 1818 unterwegs war, ihren Hauptzweck nicht (die arktische Passage wurde erst durch die beginnende Klimaerwärmung zusehends schiffbar), konnte aber auf ihrer gesamten Route, die auf der Rückreise durch den Indischen Ozean und südlich um Afrika herum führte, den Wissenschaften neue Kenntnisse liefern und die Weltkarte in Einzelheiten ergänzen, um eine Chamisso-Insel zum Beispiel und einen Kotzebue-Sund.
Chamisso, dessen wissenschaftliche Werke seine poetischen an Umfang übertreffen, hat die auf der Weltreise gemachten botanischen und zoologischen Entdeckungen in den Jahren danach in Spezialarbeiten festgehalten, für die ihm die Berliner Universität den Doktortitel verlieh. In seiner später geschriebenen Reisebeschreibung werden diese speziellen wissenschaftlichen Fragen nur am Rande berührt.
Unter den zahlreichen Neuausgaben, die von Chamissos "Reise um die Welt" seit ihrem Erstdruck im Jahr 1836 von verschiedenen Verlagen angeboten wurden, stellt der hier zu besprechende großformatige Sonderband der "Anderen Bibliothek" seiner Illustrationen wegen eine Besonderheit dar. Erstmalig nämlich werden darin alle Lithographien des Malers und Zeichners wiedergegeben, der neben Chamisso an der Weltreise beteiligt war. Er hieß, wie aus dem Anhang dieser Ausgabe zu erfahren ist, Ludwig (auch Ludovik, Login oder Louis) Choris, war als Sohn deutscher Eltern 1795 in der Ukraine geboren worden, hatte in Sankt Petersburg seine Ausbildung erhalten und war auch in Paris und New Orleans tätig gewesen, bis er 1828 in Mexiko von Banditen ermordet wurde. Dessen Bilder also, die Chamissos Beschreibungen von Menschen, Landschaften, Pflanzen und Tieren aus fremden Zonen anschaulich ergänzen, sind das Einzigartige dieses Bandes, der, wie anzunehmen, ganz im Sinne Chamissos gestaltet ist. Er selbst hat die "schöne und getreue Bildergalerie" seines Reisegefährten als gute Ergänzung seiner Schilderungen bezeichnet. "Wir haben oft für überflüssig geachtet zu beschreiben, was dem Auge darzustellen der geschickte Künstler berufen war", heißt es in einer Passage des Reisebuches, die leider in dieser Ausgabe fehlt.
Zu den Vorzügen des Bandes gehört neben der reichen Ausstattung mit den hundertfünfzig Lithographien und einigen Weltkarten mit der Expeditionsroute auch das Nachwort von Matthias Glaubrecht, das vor allem dem Wissenschaftler Chamisso gewidmet ist. Der als Kurator am Berliner Naturkundemuseum tätige Glaubrecht informiert hier nicht nur fachkundig über Chamissos nicht geringe Bedeutung als Naturwissenschaftler, sondern auch über das Schicksal und den Verbleib der von diesem angelegten naturkundlichen Sammlungen, die teilweise erhalten geblieben sind. Freunde des Dichters, die auch den Wissenschaftler in ihm zu schätzen wissen, werden hier manch neue Erkenntnis gewinnen können, und für wissenschaftsgeschichtlich Interessierte sowie für Liebhaber historischer Reisebeschreibungen ist der farbenprächtige Band besonders empfehlenswert.Für Leser dagegen, die an Chamissos vollständiger Reisebeschreibung Interesse haben, gilt diese Empfehlung nur eingeschränkt. Alten Gepflogenheiten bei Herausgabe von Einzelausgaben der "Reise" folgend, ist auch hier Vollständigkeit nicht angestrebt. Der Originaltext ist nicht nur umfangreicher, sondern auch formal uneinheitlich. Der hier gebrachte Text zählt seiner Erzählweise und seines autobiographischen Gehalts wegen eindeutig zu Chamissos poetischen Werken, während man das von dem hier Fehlenden, das die leichte Lesbarkeit verringert hätte, nicht so eindeutig sagen kann. Die vollständige Fassung der "Reise", die man in besseren Werkausgaben wie der des Winkler Verlags und auch des Hanser Verlags findet, besteht aus zwei Teilen, die unterschiedlichen Charakter haben und zu verschiedenen Zeiten entstanden sind. Der erste Teil, die erzählende Reisebeschreibung, ist erst in den Jahren 1834 und 1835, also drei Jahre vor Chamissos Tod, entstanden, während der zweite, mehr wissenschaftliche Teil unmittelbar nach der Reise in den Jahren 1818 und 1819 für den von Kapitän Otto von Kotzebue herausgegebenen Gesamtbericht über die Expedition geschrieben wurde, dessen deutsche Fassung in drei Bänden 1821 in Weimar erschien.
Obwohl Chamisso auf der Reise kein Tagebuch führte, sondern sich mit gelegentlichen Notizen begnügte, hat er den ersten Teil des Buchs mit "Tagebuch" überschrieben, weil er seiner Erzählung von dem dreijährigen Leben auf den Meeren, das oft von längeren Landaufenthalten unterbrochen wurde, einen chronologischen Rahmen gegeben hat. Der zweite Teil, "Ansichten und Bemerkungen" betitelt, ist dagegen geographisch gegliedert und den wissenschaftlichen Ergebnissen der Forschung gewidmet, beschränkt sich aber nicht auf Chamissos Spezialgebiete, sondern bezieht auch die Erkundungen geographischer, ethnographischer und sprachwissenschaftlicher Art mit ein. Chamisso hat diesen zweiten Teil, dessen Erstdruck 1821 wenig beachtet wurde, offensichtlich als notwendige Ergänzung des ersten empfunden, die Herausgeber der Einzelausgaben aber waren, und sind es auch in diesem Fall, dieser Ansicht nicht.
Um den Lesern die oft trockenen wissenschaftlichen Erörterungen und die beträchtliche Erweiterung des Umfangs nicht zuzumuten, wird also auch hier auf die "Ansichten und Bemerkungen" verzichtet, wodurch dem Leser neben vielem anderen Interessanten auch die Hinweise auf die in Hawaii herrschenden bordellartigen Zustände, die, der Prüderie der Zeit gehorchend, in Latein gemacht werden, entgehen. Da durch diese Amputation aber auch die zum Verständnis des ersten Teils wichtige Erzählung von Chamissos Freundschaftsverhältnis zu Kadu, einem Eingeborenen der Karolinen-Inseln, beseitigt worden wäre, wird diese Passage als "Anhang" dem "Tagebuch" beigegeben - ein philologisch etwas befremdlicher, aber doch verständlicher Kompromiss.
Leser, die spannende Seeabenteuer suchen, werden an Chamissos Weltumseglung kaum Freude haben, und zwar nicht, weil die Seeleute auf dieser Expedition keine erlebten, sondern weil der Autor sie nicht in der Form von Abenteuerromanen erzählt. Er will dem Leser nicht Spannung bereiten, sondern ihm das Fremde nahebringen, das ihm südlich und nördlich des Äquators begegnet ist. Die Brigg, ein Zweimaster, der unter russischer Kriegsflagge fährt und deshalb in den Häfen fremder Länder als Staatsbesuch geehrt wird, ist zwar auch bestückt mit acht leichten Kanonen, aber diese werden fast nur zu friedlichen Zwecken, nämlich zum Salutschießen, benutzt. Neben dem Ärger darüber, dass die Matrosen und Offiziere der Schiffsbesatzung die Arbeit des Wissenschaftlers nicht achten, wird natürlich auch von den Gefahren, Nöten und Qualen einer Schiffsreise berichtet, doch werden solche Misshelligkeiten wie Orkane, Seekrankheiten oder Insektenplagen immer nur am Rande behandelt, weil das Hauptinteresse des Erzählers den Menschen der fremden Kulturkreise gilt. Die Beschreibung ihrer Lebensweisen und Sprachen zeugt von einem liebevollen Verständnis, das aber nie, selbst nicht an den lieblichen Südseegestaden, in Schwärmerei ausartet, sondern immer objektiv zu bleiben versucht.
Obwohl Chamisso nicht ahnen konnte, dass einige der Inseln im zwanzigsten Jahrhundert das Opfer von Atombombenversuchen werden würden, sind seine Berichte, über die Aleuten zum Beispiel, von leiser Trauer grundiert. Denn ihm ist klar, dass die Entdeckung unbekannter Kulturen auch deren Kolonisierung, zum Teil auch Versklavung bedeutete und damit auch ihren späteren Untergang. Die Verbrechen der Kolonialmächte, denen die Forscher mehrmals begegnen, werden von Chamisso deutlich als solche benannt und angeprangert, und gegen die damals in Europa übliche Unsitte, Menschen anderer Kulturen "Wilde" zu nennen, erhebt er "feierlichen Protest".
Der als Angehöriger des französischen Adels Geborene, der im Laufe des Lebens zum bedeutenden Botaniker und zum deutschen Dichter wurde, erweist sich auch in der Welt- und Menschenbetrachtung seiner Reisebeschreibung als liberal denkender Menschenfreund.
Adelbert von Chamisso: "Reise um die Welt". Ill. mit kolorierten Lithographien.
Die Andere Bibliothek, Berlin 2012. 450 S., geb., 99,- [Euro]; Subskr.-Preis bis Januar 2013: 79,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Lothar Müller ist ganz verliebt in diese neue Ausgabe von Adelbert von Chamissos "Reise um die Welt". Fasziniert folgt er den Reisebeschreibungen, die Chamissos Eindrücke etwa von der Umseglung des Kap Hoorn oder der Durchquerung des Indischen Ozeans in Richtung Kapstadt ebenso eindringlich wiedergeben wie seine zahlreichen Erinnerungen an Berlin. Der Kritiker ist nicht nur ganz angetan von der sprachlichen Schönheit dieser autobiografischen Prosa, sondern schätzt Chamisso auch als aufmerksamen Naturforscher, der die gesehenen Landschaften, Schiffstypen, Werkzeuge, Kultgegenstände und Personen eindrucksvoll beschreibt. Insbesondere lobt Müller aber die dieser Ausgabe erstmalig beigefügten farbigen Lithografien des Expeditionsmalers und Naturzeichners Ludwig Choris, der Chamisso auf seiner Reise begleitete und dessen Aufzeichnungen illustrierte. Auch wenn diese Ausgabe dem Rezensenten durch den Herausgeber Matthias Glaubrecht etwas zu "sparsam" kommentiert erscheint, kann er sie als wahre "Augenweide" nur unbedingt empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Fesselnder als mit dem Autor des Peter Schlemihls kann man die Welt nicht entdecken.« DENIS SCHECK