»Der absolute Prinz der Dunkelheit der modernen Mathematik«
David Foster Wallace über Kurt Gödel
Mit seinem Unvollständigkeitssatz stürzte Kurt Gödel die Mathematik in ihre schwerste Krise: Er entdeckte, dass jedes sinnvolle logische System Sätze enthalten muss, die wahr, aber niemals beweisbar sind.
Stephen Budiansky erzählt das Leben des brillanten Denkers - vom Wien der Vorkriegszeit über Gödels Flucht in die USA bis zu seinem neuen Wirkungskreis in Princeton, wo er auf Albert Einstein trifft, mit dem er später eng befreundet war.
Reise zu den Grenzen der Vernunft kann sich erstmals auf Gödels vollständigen Nachlass stützen und erkundet so auch die lähmenden Anfälle von Paranoia, die diesen genialen, aber zerquälten Menschen zuletzt das Leben kosten sollten.
David Foster Wallace über Kurt Gödel
Mit seinem Unvollständigkeitssatz stürzte Kurt Gödel die Mathematik in ihre schwerste Krise: Er entdeckte, dass jedes sinnvolle logische System Sätze enthalten muss, die wahr, aber niemals beweisbar sind.
Stephen Budiansky erzählt das Leben des brillanten Denkers - vom Wien der Vorkriegszeit über Gödels Flucht in die USA bis zu seinem neuen Wirkungskreis in Princeton, wo er auf Albert Einstein trifft, mit dem er später eng befreundet war.
Reise zu den Grenzen der Vernunft kann sich erstmals auf Gödels vollständigen Nachlass stützen und erkundet so auch die lähmenden Anfälle von Paranoia, die diesen genialen, aber zerquälten Menschen zuletzt das Leben kosten sollten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2023Das Kontinuum schlägt zurück
Als die Mathematiker die Grenzen der Beweisbarkeit einsehen mussten: Stephen Budiansky führt durch Leben und Werk des Logikers Kurt Gödel.
Anfang Dezember 1947 erschien vor Phillip Forman, Richter am US District Court in Trenton, New Jersey, ein hagerer Mann Anfang vierzig, um den Einbürgerungstest zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft abzulegen. Sieben Jahre und elf Monate zuvor war er buchstäblich mit dem letzten Zug aus dem Hitlerreich entkommen, über die Sowjetunion und den Pazifik nach Amerika geflohen und arbeitete jetzt am Institute for Advanced Study in Princeton. Woher er stamme, fragte ihn der Richter. "Aus Österreich", antwortete er, woraufhin Forman von ihm wissen wollte, welche Regierungsform es dort gegeben habe. "Es war eine Republik, aber die Verfassung war dergestalt, dass sich das Land letztendlich in eine Diktatur verwandelte." Das sei ganz schlimm, meinte Richter Forman, so etwas könne hier in den Vereinigten Staaten ja nie passieren. "O doch", erwiderte daraufhin der Einbürgerungskandidat: "Ich kann es beweisen."
Kurt Gödel wurde trotzdem Amerikaner. Der Richter überging seine Behauptung taktvoll, was wohl auch mit den beiden Freunden und Institutskollegen zu tun hatte, die Gödel damals nach Trenton begleiteten. Der eine war der Ökonom Oskar Morgenstern und der andere Albert Einstein, der Forman von seinem eigenen Einbürgerungsverfahren einige Jahre zuvor kannte. Einstein und Gödel waren zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Gemeinsam aber war ihnen - neben der hohen Wertschätzung füreinander - die Tatsache, dass ihnen die beiden wohl bedeutendsten wissenschaftlichen Einzelleistungen des zwanzigsten Jahrhunderts gelungen waren: Einstein vollendete 1915 die allgemeine Relativitätstheorie, die Raum und Zeit selbst als Gegenstand raumzeitlicher Veränderungen aufzufassen erlaubt. Und Gödel bewies 1931 die Existenz unbeweisbarer, aber gleichwohl wahrer - also unwiderlegbarer - mathematischer Sätze, indem er Aussagen über mathematische Sätze selbst als mathematische Sätze formulierte.
Mit ihren selbstreferenziellen Einsichten hatten Einstein und Gödel die wissenschaftlichen Weltbilder ihrer jeweiligen Disziplinen nachhaltig erschüttert. Doch während Einstein früh zur Kultfigur wurde, blieb Gödel bis zu seinem Tod im Januar 1978 jenseits der Fachkreise weitgehend unbekannt. Und so füllen Einstein-Biographien heute ganze Regale, über Gödel hingegen gibt es zwar ein 1996 erschienenes Standardwerk des amerikanischen Mathematikers John Dawson, der Zugang zu Gödels Nachlass in Princeton hatte, doch von der vollständigen Edition seiner in Gabelsberger-Kurzschrift abgefassten philosophischen Notizbücher durch die Philosophieprofessorin Eva-Maria Engelen ist der erste Band erst Ende 2019 erschienen (F.A.Z. vom 11. Juni 2021). Auch deswegen steht eine umfassende wissenschaftshistorischen Ansprüchen genügende Biographie Kurt Gödels bis heute aus.
Eine solche vorgelegt zu haben, beansprucht auch der amerikanische Wissenschaftsjournalist Stephen Budiansky nicht. Seine im Vorjahr erschienene "Reise zu den Grenzen der Vernunft" liegt nun auch auf Deutsch vor. Dort lautet der Untertitel allerdings "Kurt Gödel und die schwerste Krise der Mathematik", was einen fachwissenschaftlichen Fokus suggeriert und zugleich einen Grad an Kontextualisierung, den der Autor nicht leistet und auch gar nicht leisten will, obgleich er Teile der Notizbücher einsehen konnte und ihm ein Vorabexemplar eines Bandes von Engelens Edition zur Verfügung stand.
Zwar beleuchtet Budiansky ausführlich die Situation, in der sich die Mathematik befand, als 1931 Gödels Beweis über sie hereinbrach, und seine knappe allgemeinverständliche Erklärung des Beweises selbst ist ihm gut gelungen. Doch im Original lautet der Untertitel schlicht "The Life of Kurt Gödel", und genau darum handelt es sich hier: um die Schilderung eines Lebensweges, der 1906 in einem Mittelstands-Elternhaus im Brünn der k. u. k. Monarchie begann und über Wien nach Princeton führte. Ausgiebig schildert Budiansky die Atmosphäre im Wien der Zwischenkriegszeit, wo Gödel nicht nur seine berühmteste Entdeckung machte, sondern auch dem philosophiegeschichtlich bedeutenden "Wiener Kreis" angehörte. Etwas gedrängter fällt der Bericht über die Zeit an der amerikanischen Ostküste aus, wo Gödel die gesamte zweite Hälfte seines Lebens verbrachte.
All dies ist auch und vielleicht gerade für Leser, die mit Gödels wissenschaftlichem Werk schon etwas vertraut sind, eine fesselnde Lektüre voller Details über die Bedingungen, unter denen der Protagonist lebte und arbeitete: über die zeithistorischen, wissenschaftspolitischen und familiären, nicht zuletzt aber auch die medizinischen Verhältnisse. Denn der Mann, den sein Freund Einstein als den größten Logiker seit Aristoteles bezeichnete, wurde immer wieder von zuweilen schweren seelischen Krisen heimgesucht - eine Belastung, die ihn am Ende auch das Leben kostete, als er, aus lauter Angst, vergiftet zu werden, die Nahrungsaufnahme verweigerte. Aber auch diesseits seiner psychischen Probleme war Gödel eine oft exzentrische Persönlichkeit, wie nicht nur die Episode über seinen Einbürgerungstest zeigt. So mancher seiner Zeitgenossen hielt ihn zumindest zeitweise für verrückt.
Doch Budianskys Lebensbeschreibung zeigt zugleich einen Gödel, der zwischen den Krisen auch im fortgeschrittenen Alter immer wieder zu seiner außerordentlichen Geistesschärfe zurückfand und bedeutende wissenschaftliche Beiträge zu leisten vermochte. Zu dem komplexen Bild, das die nähere Beschäftigung mit diesem eigentümlichen Menschen entstehen lässt, gehören aber auch Details wie Gödels Reaktion auf den Brief, den er 1963 von dem jungen Mathematiker Paul Cohen bekam. Es ging um die sogenannte Kontinuumshypothese, von der Gödel in einer 1940 publizierten Arbeit bewiesen hatte, dass ihre Ungültigkeit nicht aus den üblichen Axiomen der Mengenlehre abgeleitet werden kann. Würde man jetzt noch zeigen, dass auch ihre Gültigkeit nicht innerhalb der Mengenlehre bewiesen werden kann, hätte man den konkreten Fall eines wahren, aber unbeweisbaren mengentheoretischen Satzes gefunden.
Cohen hatte nun genau das geschafft, woran Gödel gescheitert war - doch das bekümmerte diesen nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil: "Das Lesen Ihres Beweises", schrieb er an Cohen zurück, "hatte auf mich eine ähnlich angenehme Wirkung wie das Betrachten eines wirklich guten Theaterstücks." Gödels ästhetische Freude daran, dass und wie das Problem gelöst wurde, ließ Enttäuschung oder gar Neid auf den jungen Kollegen nicht einmal im Ansatz aufkommen.
Keine Frage, der Mensch Gödel wird einem hier nähergebracht als in vielen der bisher erschienenen Bücher über ihn. Um den Preis vielleicht der einen oder anderen Interpolation, mit der Budiansky sich seinen Gödel konsistenter macht, als es Daten und Dokumente vielleicht hergeben. So kauft er etwa Rudolf Carnap und dem chinesisch-amerikanischen Logiker Hao Wang einfach ab, Gödel habe in seiner Zeit im Wiener Kreis sozialistischen Ideen angehangen. Denn wie konnte jemand zwischen lauter sich dezidiert progressiv verortenden Freunden und Fachkollegen selbst ganz anders gedacht haben?
Doch spätestens aus der Princetoner Zeit sind von Gödel Äußerungen überliefert, die unvereinbar mit typisch "linken" Positionen sind. Budiansky hadert damit und wird darüber in einem Punkt sogar ein wenig irreführend. Dabei geht es um Gödels formallogische Formulierung des klassischen ontologischen Gottesbeweises, die Budiansky mit einer psychischen Krise Gödels im Jahr 1970 in Verbindung bringt, in welcher dieser auch eine Arbeit zum Kontinuum verfasste, die er wenig später zurückziehen musste. Dabei übergeht Budiansky aber völlig, dass Gödel sich ausweislich des 1995 erschienenen dritten Bandes der Ausgabe seiner "Gesammelten Werke" bereits seit etwa 1941 mit dem ontologischen Beweis befasst hatte und die Arbeit vor einigen Jahren computergestützt auf ihre formale Korrektheit überprüft worden ist.
Wie aus der bisher vorliegenden Edition der Notizbücher hervorgeht, hatte Gödel schon vor seiner Emigration nach Amerika dezidiert theologische Interessen. Der genaue Zusammenhang zwischen diesen und seiner Beschäftigung mit dem ontologischen Beweis bleibt allerdings offen. Nicht ganz geklärt ist auch, wo genau er 1947 in der amerikanischen Verfassung ein Einfallstor für die Errichtung einer Diktatur sah. Gödel hat sein Argument dem Richter Forman damals ja nicht näher erläutern dürfen und hat es, soweit bekannt, auch nicht aufgeschrieben.
Der Juraprofessor Enrique Guerra-Pujol von der University of Central Florida hat dieser Frage 2012 eine eigene Untersuchung gewidmet und vermutet, Gödels Argument müsse mit dem Artikel 5 der Verfassung zusammenhängen, der das Verfahren für Verfassungsänderungen regelt. Denn wenn man Artikel 5 auf sich selbst anwende, so Guerra-Pujol, wäre es denkbar, auf diesem Wege weitere Verfassungsänderungen zu erleichtern, um am Ende Bestimmungen wie die Gewaltenteilung auszuhebeln. Eine Selbstreferenzialität also. Dass sie ausgerechnet Gödel auffiel, ist nicht unplausibel. ULF VON RAUCHHAUPT
Stephen Budiansky: "Reise zu den Grenzen der Vernunft". Kurt Gödel und die schwerste Krise der Mathematik.
Aus dem Englischen von Hans-Peter Remmler. Propyläen Verlag, Berlin 2022. 464 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als die Mathematiker die Grenzen der Beweisbarkeit einsehen mussten: Stephen Budiansky führt durch Leben und Werk des Logikers Kurt Gödel.
Anfang Dezember 1947 erschien vor Phillip Forman, Richter am US District Court in Trenton, New Jersey, ein hagerer Mann Anfang vierzig, um den Einbürgerungstest zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft abzulegen. Sieben Jahre und elf Monate zuvor war er buchstäblich mit dem letzten Zug aus dem Hitlerreich entkommen, über die Sowjetunion und den Pazifik nach Amerika geflohen und arbeitete jetzt am Institute for Advanced Study in Princeton. Woher er stamme, fragte ihn der Richter. "Aus Österreich", antwortete er, woraufhin Forman von ihm wissen wollte, welche Regierungsform es dort gegeben habe. "Es war eine Republik, aber die Verfassung war dergestalt, dass sich das Land letztendlich in eine Diktatur verwandelte." Das sei ganz schlimm, meinte Richter Forman, so etwas könne hier in den Vereinigten Staaten ja nie passieren. "O doch", erwiderte daraufhin der Einbürgerungskandidat: "Ich kann es beweisen."
Kurt Gödel wurde trotzdem Amerikaner. Der Richter überging seine Behauptung taktvoll, was wohl auch mit den beiden Freunden und Institutskollegen zu tun hatte, die Gödel damals nach Trenton begleiteten. Der eine war der Ökonom Oskar Morgenstern und der andere Albert Einstein, der Forman von seinem eigenen Einbürgerungsverfahren einige Jahre zuvor kannte. Einstein und Gödel waren zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Gemeinsam aber war ihnen - neben der hohen Wertschätzung füreinander - die Tatsache, dass ihnen die beiden wohl bedeutendsten wissenschaftlichen Einzelleistungen des zwanzigsten Jahrhunderts gelungen waren: Einstein vollendete 1915 die allgemeine Relativitätstheorie, die Raum und Zeit selbst als Gegenstand raumzeitlicher Veränderungen aufzufassen erlaubt. Und Gödel bewies 1931 die Existenz unbeweisbarer, aber gleichwohl wahrer - also unwiderlegbarer - mathematischer Sätze, indem er Aussagen über mathematische Sätze selbst als mathematische Sätze formulierte.
Mit ihren selbstreferenziellen Einsichten hatten Einstein und Gödel die wissenschaftlichen Weltbilder ihrer jeweiligen Disziplinen nachhaltig erschüttert. Doch während Einstein früh zur Kultfigur wurde, blieb Gödel bis zu seinem Tod im Januar 1978 jenseits der Fachkreise weitgehend unbekannt. Und so füllen Einstein-Biographien heute ganze Regale, über Gödel hingegen gibt es zwar ein 1996 erschienenes Standardwerk des amerikanischen Mathematikers John Dawson, der Zugang zu Gödels Nachlass in Princeton hatte, doch von der vollständigen Edition seiner in Gabelsberger-Kurzschrift abgefassten philosophischen Notizbücher durch die Philosophieprofessorin Eva-Maria Engelen ist der erste Band erst Ende 2019 erschienen (F.A.Z. vom 11. Juni 2021). Auch deswegen steht eine umfassende wissenschaftshistorischen Ansprüchen genügende Biographie Kurt Gödels bis heute aus.
Eine solche vorgelegt zu haben, beansprucht auch der amerikanische Wissenschaftsjournalist Stephen Budiansky nicht. Seine im Vorjahr erschienene "Reise zu den Grenzen der Vernunft" liegt nun auch auf Deutsch vor. Dort lautet der Untertitel allerdings "Kurt Gödel und die schwerste Krise der Mathematik", was einen fachwissenschaftlichen Fokus suggeriert und zugleich einen Grad an Kontextualisierung, den der Autor nicht leistet und auch gar nicht leisten will, obgleich er Teile der Notizbücher einsehen konnte und ihm ein Vorabexemplar eines Bandes von Engelens Edition zur Verfügung stand.
Zwar beleuchtet Budiansky ausführlich die Situation, in der sich die Mathematik befand, als 1931 Gödels Beweis über sie hereinbrach, und seine knappe allgemeinverständliche Erklärung des Beweises selbst ist ihm gut gelungen. Doch im Original lautet der Untertitel schlicht "The Life of Kurt Gödel", und genau darum handelt es sich hier: um die Schilderung eines Lebensweges, der 1906 in einem Mittelstands-Elternhaus im Brünn der k. u. k. Monarchie begann und über Wien nach Princeton führte. Ausgiebig schildert Budiansky die Atmosphäre im Wien der Zwischenkriegszeit, wo Gödel nicht nur seine berühmteste Entdeckung machte, sondern auch dem philosophiegeschichtlich bedeutenden "Wiener Kreis" angehörte. Etwas gedrängter fällt der Bericht über die Zeit an der amerikanischen Ostküste aus, wo Gödel die gesamte zweite Hälfte seines Lebens verbrachte.
All dies ist auch und vielleicht gerade für Leser, die mit Gödels wissenschaftlichem Werk schon etwas vertraut sind, eine fesselnde Lektüre voller Details über die Bedingungen, unter denen der Protagonist lebte und arbeitete: über die zeithistorischen, wissenschaftspolitischen und familiären, nicht zuletzt aber auch die medizinischen Verhältnisse. Denn der Mann, den sein Freund Einstein als den größten Logiker seit Aristoteles bezeichnete, wurde immer wieder von zuweilen schweren seelischen Krisen heimgesucht - eine Belastung, die ihn am Ende auch das Leben kostete, als er, aus lauter Angst, vergiftet zu werden, die Nahrungsaufnahme verweigerte. Aber auch diesseits seiner psychischen Probleme war Gödel eine oft exzentrische Persönlichkeit, wie nicht nur die Episode über seinen Einbürgerungstest zeigt. So mancher seiner Zeitgenossen hielt ihn zumindest zeitweise für verrückt.
Doch Budianskys Lebensbeschreibung zeigt zugleich einen Gödel, der zwischen den Krisen auch im fortgeschrittenen Alter immer wieder zu seiner außerordentlichen Geistesschärfe zurückfand und bedeutende wissenschaftliche Beiträge zu leisten vermochte. Zu dem komplexen Bild, das die nähere Beschäftigung mit diesem eigentümlichen Menschen entstehen lässt, gehören aber auch Details wie Gödels Reaktion auf den Brief, den er 1963 von dem jungen Mathematiker Paul Cohen bekam. Es ging um die sogenannte Kontinuumshypothese, von der Gödel in einer 1940 publizierten Arbeit bewiesen hatte, dass ihre Ungültigkeit nicht aus den üblichen Axiomen der Mengenlehre abgeleitet werden kann. Würde man jetzt noch zeigen, dass auch ihre Gültigkeit nicht innerhalb der Mengenlehre bewiesen werden kann, hätte man den konkreten Fall eines wahren, aber unbeweisbaren mengentheoretischen Satzes gefunden.
Cohen hatte nun genau das geschafft, woran Gödel gescheitert war - doch das bekümmerte diesen nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil: "Das Lesen Ihres Beweises", schrieb er an Cohen zurück, "hatte auf mich eine ähnlich angenehme Wirkung wie das Betrachten eines wirklich guten Theaterstücks." Gödels ästhetische Freude daran, dass und wie das Problem gelöst wurde, ließ Enttäuschung oder gar Neid auf den jungen Kollegen nicht einmal im Ansatz aufkommen.
Keine Frage, der Mensch Gödel wird einem hier nähergebracht als in vielen der bisher erschienenen Bücher über ihn. Um den Preis vielleicht der einen oder anderen Interpolation, mit der Budiansky sich seinen Gödel konsistenter macht, als es Daten und Dokumente vielleicht hergeben. So kauft er etwa Rudolf Carnap und dem chinesisch-amerikanischen Logiker Hao Wang einfach ab, Gödel habe in seiner Zeit im Wiener Kreis sozialistischen Ideen angehangen. Denn wie konnte jemand zwischen lauter sich dezidiert progressiv verortenden Freunden und Fachkollegen selbst ganz anders gedacht haben?
Doch spätestens aus der Princetoner Zeit sind von Gödel Äußerungen überliefert, die unvereinbar mit typisch "linken" Positionen sind. Budiansky hadert damit und wird darüber in einem Punkt sogar ein wenig irreführend. Dabei geht es um Gödels formallogische Formulierung des klassischen ontologischen Gottesbeweises, die Budiansky mit einer psychischen Krise Gödels im Jahr 1970 in Verbindung bringt, in welcher dieser auch eine Arbeit zum Kontinuum verfasste, die er wenig später zurückziehen musste. Dabei übergeht Budiansky aber völlig, dass Gödel sich ausweislich des 1995 erschienenen dritten Bandes der Ausgabe seiner "Gesammelten Werke" bereits seit etwa 1941 mit dem ontologischen Beweis befasst hatte und die Arbeit vor einigen Jahren computergestützt auf ihre formale Korrektheit überprüft worden ist.
Wie aus der bisher vorliegenden Edition der Notizbücher hervorgeht, hatte Gödel schon vor seiner Emigration nach Amerika dezidiert theologische Interessen. Der genaue Zusammenhang zwischen diesen und seiner Beschäftigung mit dem ontologischen Beweis bleibt allerdings offen. Nicht ganz geklärt ist auch, wo genau er 1947 in der amerikanischen Verfassung ein Einfallstor für die Errichtung einer Diktatur sah. Gödel hat sein Argument dem Richter Forman damals ja nicht näher erläutern dürfen und hat es, soweit bekannt, auch nicht aufgeschrieben.
Der Juraprofessor Enrique Guerra-Pujol von der University of Central Florida hat dieser Frage 2012 eine eigene Untersuchung gewidmet und vermutet, Gödels Argument müsse mit dem Artikel 5 der Verfassung zusammenhängen, der das Verfahren für Verfassungsänderungen regelt. Denn wenn man Artikel 5 auf sich selbst anwende, so Guerra-Pujol, wäre es denkbar, auf diesem Wege weitere Verfassungsänderungen zu erleichtern, um am Ende Bestimmungen wie die Gewaltenteilung auszuhebeln. Eine Selbstreferenzialität also. Dass sie ausgerechnet Gödel auffiel, ist nicht unplausibel. ULF VON RAUCHHAUPT
Stephen Budiansky: "Reise zu den Grenzen der Vernunft". Kurt Gödel und die schwerste Krise der Mathematik.
Aus dem Englischen von Hans-Peter Remmler. Propyläen Verlag, Berlin 2022. 464 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Ulf von Rauchhaupt weiß nicht recht, ob Stephen Budianskys Biografie über den Mathematiker Kurt Gödel wissenschaftshistorischen Maßstäben genügt oder nicht. Der Anspruch ist da, meint Rauchhaupt, aber die Schilderung des Lebensweges des Menschen Gödel von Brünn bis Princeton überwiegt das Panorama der Mathematik anno 1931 im Buch, findet der Rezensent. Wer mit Gödels wissenschaftlichen Leistungen schon vertraut ist, meint er, bekommt allerdings "fesselnde Lektüre", detailreich und durchaus mit Exkursen in die Medizin, die Historie und die Wissenschaftspolitik. Kritisch sieht Rauchhaupt, dass der Autor seinen Gödel möglicherweise "konsistenter" macht, als die Quellen es hergeben.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Keine Frage, der Mensch Gödel wird einem hier nähergebracht als in vielen der bisher erschienenen Bücher über ihn." Ulf von Rauchhaupt Frankfurter Allgemeine Zeitung 20230314