Tom und Linda sind ein Paar, lange schon. Jetzt warten sie auf Jack, ihren Freund, und es könnten ein paar gute Stunden werden, die da vor ihnen liegen. Aber so einfach sind die Dinge nicht, denn Tom ist krank, sehr krank. Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit, und auch darum hat Jack sich aufgemacht, noch ein paar feine Sachen für ein Picknick eingekauft und auch seinen Fotoapparat mitgebracht, denn Jack ist Fotograf. Bilder von Tom und von Linda will er machen, etwas, das bleibt und der Erinnerung ein Gesicht gibt. Tom ist damit einverstanden, aber da ist so vieles, was ihm durch den Kopf geht, und nicht für alles will er Worte finden. Es ist der Schmerz des bevorstehenden Abschieds, der sich mit der Liebe zu seiner Frau vermischt zu einer zerstörerischen Eifersucht, die sich nicht besänftigen lassen will, als sei sie das letzte starke Lebensgefühl.
Fels erzählt mit großer Klarheit und mit einer Eindringlichkeit, der man sich nicht entziehen kann. So ist es eine einfache Geschichte geworden, die doch so rätselhaft ist wie das Leben selbst und so bezwingend wie die Liebe.
Fels erzählt mit großer Klarheit und mit einer Eindringlichkeit, der man sich nicht entziehen kann. So ist es eine einfache Geschichte geworden, die doch so rätselhaft ist wie das Leben selbst und so bezwingend wie die Liebe.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.10.2006Liebe ist stark, der Tod ist stärker
Ludwig Fels erzählt ein stilles Drama / Von Ernst Osterkamp
Es wird sehr viel geküßt in diesem kleinen Roman: "Sie küßte ihn. Es war, als fühlte er ihren Kuß am ganzen Körper, in der ganzen Seele, ihre Lippen das süßeste Gewicht der Welt. Er ließ die Augen geschlossen, und Worte wie Vergeben und Vergessen drängten sich ihm auf." Ist das Kitsch? Unter anderen Umständen vielleicht schon, nicht aber in diesem Buch. Denn hier küßt eine Frau ihren todkranken Mann, und beide wissen, daß er bald sterben wird. Ihr Kuß ist das intensivste Zeichen des Widerstands der Liebe gegen den unausweichlichen Tod. Es wird in diesem Roman nur deshalb so viel geküßt, weil allen klar ist, daß es kein Happy-ending geben kann.
Kein Satz fällt in diesem Buch so häufig wie der trivialste aller trivialen Sätze: "Ich liebe dich." Aber in dieser Geschichte ist der Satz "Ich liebe dich" nie trivial, wohl aber der quälendste aller Sätze. Denn er wirft hier kein Licht in die Zukunft mehr, sondern stößt immer, wenn ihn der Sterbende zu seiner Frau oder seine Frau zu dem Sterbenden sagt, an die unsichtbare Grenze des Todes, an der er seinen Sinn zu verlieren beginnt. Ein Mann und eine Frau sind einander in jahrzehntelanger Liebe zweifelsfrei und unbedingt zugetan, und nun droht der Tod die Liebe auszuhöhlen. Denn was bedeutet der Satz "Ich liebe dich", wenn das Ich, das ihn spricht, nur noch durch Medikamente stabilisiert und zugleich durch sie aufgelöst wird und das Du in demjenigen, der ihn spricht und dem es mit demselben Satz antwortet, immer auch den erblickt, der sehr bald nicht mehr da sein wird?
Die furchtbare Asymmetrie, die in die Liebe durch die tödliche Krankheit des einen Partners einzieht, wird verstärkt durch die Tatsache, daß es immer mehrere Überlebende gibt: in diesem Fall außer der Frau noch den gemeinsamen Freund fürs Leben, der in Gegenwart des Sterbenden in seiner Hilflosigkeit zu ihm und zu dessen Frau auch nichts anderes zu sagen weiß als "Ich liebe dich" und seine Liebe zu beiden mit Küssen zu bestätigen sucht. Es ist der Lebenshunger des Sterbenden, der die Eifersucht sich in seine Liebe einfressen läßt.
Auch geweint wird nicht selten in diesem Roman, aber das sind dann nicht Augenblicke der Sentimentalität, sondern spontane Fluchtversuche des Körpers aus der unerträglichen Spannung, die aus der Konfrontation des Absolutismus der Liebe mit dem Absolutismus des Todes erwächst. Geweint wird hier, um nicht im Angesicht des Todes "Ich liebe dich" zum anderen sagen zu müssen, denn dieser Satz bewirkt nichts gegen den Tod. Gewiß, man kann die Küsserei, das "Ich liebe dich"-Gestammel und die Heulerei in diesem Buch unerträglich finden. Aber sie stehen nur für die Unerträglichkeit der Sache selbst.
Ludwig Fels hat einen stillen kleinen Roman über die Liebe unter den Bedingungen des Sterbens geschrieben. Man kennt den Emotionsberserker der früheren Romane, vom radikal perspektivlosen "Unding der Liebe" (1981) bis zu der schwer verkraftbaren Gewalt- und Verzweiflungsorgie von "Bleeding Heart" (1993), jetzt stilistisch kaum wieder. Fels läßt seine frühere Neigung, expressive Metaphern pastos aufeinanderzuschichten, hier kaum noch zur Entfaltung gelangen: "Wie zermahlenes Glas war jetzt die Luft, die in ihn hineinleckte." Solche Sätze sind selten in diesem Buch, und dieser stilistischen Zurückhaltung verdankt die Geschichte nicht zuletzt ihre Intensität.
Fels hat sie wie ein vieraktiges Kammerspiel entworfen, in dem drei seit Jahrzehnten aufeinander eingespielte Figuren ihre Rollen neu zu definieren versuchen, weil eine von ihnen sterben muß. Tom, der seine Schmerzen nur unter ständiger Medikamentenzufuhr bewältigen kann, wird von seiner Frau Linda aus dem Hospital nach Hause geholt, wo er, wie er weiß und auch Linda weiß, bald sterben wird. Der langjährige Freund Jack, ein Fotograf, besucht die beiden, und mit dem Auftritt der Figur des Dritten zieht ununterdrückbar die Eifersucht in Toms Wahrnehmung ein; es ist die Eifersucht des auf die Position des Beobachters reduzierten Lebenshungrigen, der sterben muß, auf diejenigen, die weiterleben dürfen. Sie zerstört das harmonische Miteinander bei einem gemeinsamen Picknick, mit dem die drei an frühere Lebensrituale anzuschließen versuchen und doch nicht mehr anschließen können. Jack bringt die beiden nach Hause, und da gelingt es Tom dann irgendwie, zur Selbstverständlichkeit seiner Liebe zu Linda und zum seelischen Einklang wieder zurückzufinden: "Sie atmeten jetzt im Takt. Es war genug Luft da für sie und für ihn. Und wenn sie wollte, konnte sie mehr davon haben, als sie brauchte." Das alles entfaltet Fels, der auch als Dramatiker hervorgetreten ist, in lakonischen Dialogen, die von unausgesprochenen Emotionen vibrieren, und mit sparsamen erzählerischen Gesten zu einem Hymnus auf die Schönheit des Lebens. Es ist zu hoffen, daß dieses Buch, mit dem Ludwig Fels sich auf eindrucksvolle Weise als Erzähler zurückmeldet, trotz des unbegreiflich unattraktiven Schutzumschlags viele Leser findet.
Ludwig Fels: "Reise zum Mittelpunkt des Herzens". Roman. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2006. 159 S., geb., 17,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ludwig Fels erzählt ein stilles Drama / Von Ernst Osterkamp
Es wird sehr viel geküßt in diesem kleinen Roman: "Sie küßte ihn. Es war, als fühlte er ihren Kuß am ganzen Körper, in der ganzen Seele, ihre Lippen das süßeste Gewicht der Welt. Er ließ die Augen geschlossen, und Worte wie Vergeben und Vergessen drängten sich ihm auf." Ist das Kitsch? Unter anderen Umständen vielleicht schon, nicht aber in diesem Buch. Denn hier küßt eine Frau ihren todkranken Mann, und beide wissen, daß er bald sterben wird. Ihr Kuß ist das intensivste Zeichen des Widerstands der Liebe gegen den unausweichlichen Tod. Es wird in diesem Roman nur deshalb so viel geküßt, weil allen klar ist, daß es kein Happy-ending geben kann.
Kein Satz fällt in diesem Buch so häufig wie der trivialste aller trivialen Sätze: "Ich liebe dich." Aber in dieser Geschichte ist der Satz "Ich liebe dich" nie trivial, wohl aber der quälendste aller Sätze. Denn er wirft hier kein Licht in die Zukunft mehr, sondern stößt immer, wenn ihn der Sterbende zu seiner Frau oder seine Frau zu dem Sterbenden sagt, an die unsichtbare Grenze des Todes, an der er seinen Sinn zu verlieren beginnt. Ein Mann und eine Frau sind einander in jahrzehntelanger Liebe zweifelsfrei und unbedingt zugetan, und nun droht der Tod die Liebe auszuhöhlen. Denn was bedeutet der Satz "Ich liebe dich", wenn das Ich, das ihn spricht, nur noch durch Medikamente stabilisiert und zugleich durch sie aufgelöst wird und das Du in demjenigen, der ihn spricht und dem es mit demselben Satz antwortet, immer auch den erblickt, der sehr bald nicht mehr da sein wird?
Die furchtbare Asymmetrie, die in die Liebe durch die tödliche Krankheit des einen Partners einzieht, wird verstärkt durch die Tatsache, daß es immer mehrere Überlebende gibt: in diesem Fall außer der Frau noch den gemeinsamen Freund fürs Leben, der in Gegenwart des Sterbenden in seiner Hilflosigkeit zu ihm und zu dessen Frau auch nichts anderes zu sagen weiß als "Ich liebe dich" und seine Liebe zu beiden mit Küssen zu bestätigen sucht. Es ist der Lebenshunger des Sterbenden, der die Eifersucht sich in seine Liebe einfressen läßt.
Auch geweint wird nicht selten in diesem Roman, aber das sind dann nicht Augenblicke der Sentimentalität, sondern spontane Fluchtversuche des Körpers aus der unerträglichen Spannung, die aus der Konfrontation des Absolutismus der Liebe mit dem Absolutismus des Todes erwächst. Geweint wird hier, um nicht im Angesicht des Todes "Ich liebe dich" zum anderen sagen zu müssen, denn dieser Satz bewirkt nichts gegen den Tod. Gewiß, man kann die Küsserei, das "Ich liebe dich"-Gestammel und die Heulerei in diesem Buch unerträglich finden. Aber sie stehen nur für die Unerträglichkeit der Sache selbst.
Ludwig Fels hat einen stillen kleinen Roman über die Liebe unter den Bedingungen des Sterbens geschrieben. Man kennt den Emotionsberserker der früheren Romane, vom radikal perspektivlosen "Unding der Liebe" (1981) bis zu der schwer verkraftbaren Gewalt- und Verzweiflungsorgie von "Bleeding Heart" (1993), jetzt stilistisch kaum wieder. Fels läßt seine frühere Neigung, expressive Metaphern pastos aufeinanderzuschichten, hier kaum noch zur Entfaltung gelangen: "Wie zermahlenes Glas war jetzt die Luft, die in ihn hineinleckte." Solche Sätze sind selten in diesem Buch, und dieser stilistischen Zurückhaltung verdankt die Geschichte nicht zuletzt ihre Intensität.
Fels hat sie wie ein vieraktiges Kammerspiel entworfen, in dem drei seit Jahrzehnten aufeinander eingespielte Figuren ihre Rollen neu zu definieren versuchen, weil eine von ihnen sterben muß. Tom, der seine Schmerzen nur unter ständiger Medikamentenzufuhr bewältigen kann, wird von seiner Frau Linda aus dem Hospital nach Hause geholt, wo er, wie er weiß und auch Linda weiß, bald sterben wird. Der langjährige Freund Jack, ein Fotograf, besucht die beiden, und mit dem Auftritt der Figur des Dritten zieht ununterdrückbar die Eifersucht in Toms Wahrnehmung ein; es ist die Eifersucht des auf die Position des Beobachters reduzierten Lebenshungrigen, der sterben muß, auf diejenigen, die weiterleben dürfen. Sie zerstört das harmonische Miteinander bei einem gemeinsamen Picknick, mit dem die drei an frühere Lebensrituale anzuschließen versuchen und doch nicht mehr anschließen können. Jack bringt die beiden nach Hause, und da gelingt es Tom dann irgendwie, zur Selbstverständlichkeit seiner Liebe zu Linda und zum seelischen Einklang wieder zurückzufinden: "Sie atmeten jetzt im Takt. Es war genug Luft da für sie und für ihn. Und wenn sie wollte, konnte sie mehr davon haben, als sie brauchte." Das alles entfaltet Fels, der auch als Dramatiker hervorgetreten ist, in lakonischen Dialogen, die von unausgesprochenen Emotionen vibrieren, und mit sparsamen erzählerischen Gesten zu einem Hymnus auf die Schönheit des Lebens. Es ist zu hoffen, daß dieses Buch, mit dem Ludwig Fels sich auf eindrucksvolle Weise als Erzähler zurückmeldet, trotz des unbegreiflich unattraktiven Schutzumschlags viele Leser findet.
Ludwig Fels: "Reise zum Mittelpunkt des Herzens". Roman. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2006. 159 S., geb., 17,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Bücher wie dieses gibt es heutzutage nicht viele, findet Rezensent Anton Thuswaldner. Denn der Autor Ludwig Fels schreckt auch in seinem jüngsten Roman nicht davor zurück, sich einem Thema anzunehmen, das in der Gesellschaft ein Tabu darstellt. "Reise zum Mittelpunkt des Herzens" handelt von einem kranken Mann, der dem Tod bereits ins Auge blickt und in seinen letzten Wochen liebevoll von seiner Frau und einem Freund begleitet wird. Fels folge dabei einem Moralkodex, der sich an traditionellen Werten orientiert, und werde damit zu einem "konservativen Revolutionär", der "dem konkurrenzlos gewordenen Kapitalismus blinde Gefolgschaft nicht leisten will". Die Romantik von der aufopfernden Liebe, die den Protagonisten zum Tod flankiert, entspreche der Meinung des Rezensenten nach zwar nicht der Realität. Dennoch lobt er die augenscheinliche Intention des Autors, dem Werteverfall entgegenzuwirken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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