Infrarot-Kameras, Karbon-Datierung, DNA-Analyse, Digitalisierung - wir haben heute die besten Technologien für das Studium und die Bewahrung geschichtlicher Überlieferungen. Gleichzeitig zerstören Abgase unersetzbare Steinreliefs, ruinieren Besucherströme prähistorische Höhlen - die "Nebenfolgen" von Technologieentwicklung und Globalisierung zerstören unersetzliche Zeugen der Vergangenheit.
Alexander Stille nimmt uns mit auf seine Reise an Schauplätze auf der ganzen Welt, wo über Erhaltung und Vernichtung von noch existierenden Spuren der Vergangenheit entschieden wird. Wir erleben den unterschiedlichsten Umgang mit Geschichte und werden Augenzeugen der Zerstörung teils vieltausendjähriger Überlieferung.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Alexander Stille nimmt uns mit auf seine Reise an Schauplätze auf der ganzen Welt, wo über Erhaltung und Vernichtung von noch existierenden Spuren der Vergangenheit entschieden wird. Wir erleben den unterschiedlichsten Umgang mit Geschichte und werden Augenzeugen der Zerstörung teils vieltausendjähriger Überlieferung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002Wir werden schanghait
Alexander Stille entführt auf seine persönlichen Streifzüge durch die Weltgeschichte / Von Andreas Kilb
Für einen Mitteleuropäer des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts dürfte es nicht ganz einfach sein, einen Satz zu bilden, in dem der Ausdruck "Deutschland und Bulgarien" vorkommt - und der nicht vom Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft von 1994 handelt. Der amerikanische Autor und Journalist Alexander Stille schafft das hingegen spielend: "Erhebungen in den unterschiedlichsten Ländern, von Deutschland und Bulgarien bis zu den ländlichen Regionen Kanadas, haben ergeben, daß die Einführung des Fernsehens zu erstaunlich tiefgreifenden Veränderungen in den Lebensgewohnheiten und im Sozialverhalten der Menschen geführt hat."
Es ist unfair, einen einzelnen Satz aus dem Zusammenhang eines Vierhundertseitenbuchs zu reißen. Aber so ganz untypisch ist das Zitat dennoch nicht. Stille wirft, wie man sieht, einen sehr amerikanischen Blick auf die Welt, die er beschreibt, und für diesen Blick liegt Deutschland eben ein gutes Stück näher an Bulgarien als an Kanada. Die ägyptische Sphinx von Gizeh, andererseits, steht nur ein paar Nanosekunden von dem kalifornischen Küstenstädtchen Marina del Rey entfernt, wo Techniker des Getty Conservation Institute am Computer über Maßnahmen zu ihrer Konservierung grübeln. Und aus der ehrwürdigen Vatikanischen Bibliothek stolpert man bei Stille absatzlos ins Mittagslicht einer Ranch in den San Bernardino Mountains, auf der die vorübergehende Inhaberin sämtlicher Bildlizenzen des Bibliotheksbestands ihre gerichtlich von Rom erstrittenen Ablösemillionen verzehrt.
"The Future of the Past" heißt Stilles Buch im Original. Das ist nicht nur kürzer als der deutsche Titel, sondern auch präziser. Das Ende der Geschichte, wie es Apokalyptiker fürchten und Utopisten ersehnen, ist ja gerade nicht Stilles Thema. Was er, in elf Reportagen und einem abschließenden Essay, aus immer neuen Perspektiven beschreibt, könnte man eher, mit einem Filmtitel von Alexander Kluge, den Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit nennen - den ebenso allgegenwärtigen wie in sich widersprüchlichen Versuch, Geschichte und ihre Artefakte durch Konservierung und Musealisierung lebendig zu erhalten. Wohin diese Restauratorenmentalität im Extremfall führen kann, zeigt Stilles Reportage über die Erfahrungen westlicher Archäologen und Kunsthistoriker in den alten chinesischen Kaiserstädten Xi'an und Luoyang. Während in China die handwerklich exakte Kopie eines Kunstgegenstands, und sei er auch Jahrtausende alt, ebensoviel gilt wie das Original, bemühen sich die Experten aus Europa und Amerika, ihren Gastgebern Ehrfurcht vor dem historisch Einmaligen beizubringen. Aber wer kann schon ohne Karbonanalysegerät echte von "falschen" Terrakottakriegern unterscheiden? Und wer wagt es, den heutigen Zustand der dreizehnhundert Jahre alten Buddha-Grotten von Longmen zu beklagen, ohne an jene Statuenköpfe zu erinnern, die im zwanzigsten Jahrhundert von dort in die Museen von Paris, New York und Tokio entführt wurden? "Den Chinesen die westliche Philosophie der Denkmalpflege nahezubringen . . ., ist kein kulturell neutraler Akt", schreibt Stille mit jenem Understatement, das ihn auch dann nicht im Stich läßt, wenn es um New-Age-Theorien zur Entstehung der Pyramiden oder die ritualisierten Sexorgien der Ureinwohner des Südsee-Eilands Kitawa geht.
Alexander Stille, Jahrgang 1957, verkörpert einen Typus des Journalisten, wie es ihn in Deutschland kaum noch gibt. Er interessiert sich für Themen aus den verschiedensten Bereichen der Wissenschaft, ohne sich dabei in wissenschaftlichem Jargon oder, andererseits, in reißerischen Spekulationen zu verlieren. Sein Blick hält Distanz, zu den Quisquilien der Fachwelt ebenso wie zu den Erwartungen eines amüsierwilligen Publikums. Sein Stil wirbt nicht, er regt an. Stilles Texte, die fast alle in veränderter Form im "New Yorker" erschienen sind, entwickeln sich regelmäßig aus einer Porträtskizze, auf die, der Logik des zu entwickelnden Problems entsprechend, das Gegenporträt folgt: der Archäologe und der Grabräuber, der Bibliothekar und sein Kardinal, die Umweltaktivistin und ihre Widersacher vor Ort, der Latein lehrende Karmeliterpater und das organisierte Vergessen einer lateinlosen Welt. Aber indem der Reporter für die einen Partei nimmt, grenzt er die anderen nicht aus. Seine Darstellung gleicht einer Anhörung, sie sucht Gerechtigkeit für jeden, der zur Sache spricht.
Am Ende ergeht kein Urteil, sondern ein Versprechen: Fortsetzung folgt. Die Prozesse, die Stille schildert, sind nie abgeschlossen, weil der Kampf gegen die Unwissenheit, die Borniertheit, die Korruption, die Tyrannei, die Überbevölkerung und ihre Folgen keinen Abschluß kennt. Seine Reisen führen nicht ans Ende, sondern mitten in den Fluß der Geschichte. In Benares am Ganges muß er feststellen, daß dieser Fluß, ungeachtet seiner Heiligkeit, eine Kloake ist, von Fäkalbakterien verseucht. Ein Hindupriester und ein Ex-Professor aus Berkeley haben sich zusammengetan, um oberhalb der Stadt eine Klärbeckenanlage zu errichten. Der Amerikaner spricht, wenn er sein Projekt beschreibt, von erzeugenden, verbrauchenden und zersetzenden Lebewesen, der Inder von Brahma, Wischnu und Schiwa. Stille, der ausnahmsweise als Handelnder in seinem eigenen Text auftritt, macht beide auf die Analogie aufmerksam. Das ist das Prinzip seines Schreibens: Er will vermitteln, nicht überzeugen. Andere mögen entscheiden, wer etwa in dem Streit um die Erhaltung der letzten Urwälder auf Madagaskar am Ende recht behält - die Biologin Patricia Wright, die mit allen Mitteln für das von ihr geschaffene Naturschutzgebiet kämpft oder die einheimischen Bauern, deren Existenz von der Nutzung der Wälder abhängt. Stille genügt es, die beiden Parteien vorzustellen. So mündig, wie es die von ihm Porträtierten sind, macht er auch seine Leser.
Wenn es zwei Helden gibt in diesem Buch, dann sind es Giancarlo Scoditti und Pater Reginald Foster, der italienische Anthropologe und der Latinist von Papst Johannes Paul II. Scoditti hat ein Vierteljahrhundert lang die Stammeskultur einer entlegenen Pazifikinsel dokumentiert, und Foster kämpft seit ebensolanger Zeit für die Bewahrung des Lateinischen als gesprochene Sprache. Beide sind mit dem, was man ihren Beruf nennen könnte, bis zur Unauflöslichkeit verschmolzen, und es ist diese Hingabe, die Stille fasziniert. Nicht von den störungsanfälligen Speichertechniken des digitalen Zeitalters könnte die Zukunft der Vergangenheit abhängen, sondern von der Leidenschaft einzelner, welche die Technik für ihre Zwecke nutzen. Aber Stille weiß auch, wie hoffnungslos vereinzelt die Anstrengungen von Männern wie Foster und Scoditti sind, wie schwach und unbemerkt ihr Licht in der großen Datendämmerung leuchten wird. Er glaubt an ihr Projekt sozusagen quia absurdum - und vielleicht auch, weil nur solche Geschichten, die vom Aufstand gegen die Geschichte handeln, überhaupt des Erzählens wert sind.
In seinem Schlußessay, der offenbar als eine Art Passepartout für die in dem Band versammelten Texte geschrieben wurde, verirrt sich Stille dann doch noch im Nebelheim der Allgemeinheiten. "Zersplitterung, Entpolitisierung, Auflagenschwund bei den Zeitungen, individualisierte Mediennutzung, der Niedergang der Geisteswissenschaften, die Ersetzung des Bürgers durch den Konsumenten, all das sind Entwicklungen, die . . ." - sagen wir: die in Deutschland und Bulgarien ebenso zu beobachten sind wie im ländlichen Kanada. Für deren Diagnose wir aber dieses Buch längst nicht mehr brauchen. Es gibt bessere Gründe, Stille zu lesen.
Alexander Stille: "Reisen an das Ende der Geschichte". Aus dem Amerikanischen von Karl Heinz Siber. Verlag C. H. Beck, München 2002. 440 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Alexander Stille entführt auf seine persönlichen Streifzüge durch die Weltgeschichte / Von Andreas Kilb
Für einen Mitteleuropäer des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts dürfte es nicht ganz einfach sein, einen Satz zu bilden, in dem der Ausdruck "Deutschland und Bulgarien" vorkommt - und der nicht vom Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft von 1994 handelt. Der amerikanische Autor und Journalist Alexander Stille schafft das hingegen spielend: "Erhebungen in den unterschiedlichsten Ländern, von Deutschland und Bulgarien bis zu den ländlichen Regionen Kanadas, haben ergeben, daß die Einführung des Fernsehens zu erstaunlich tiefgreifenden Veränderungen in den Lebensgewohnheiten und im Sozialverhalten der Menschen geführt hat."
Es ist unfair, einen einzelnen Satz aus dem Zusammenhang eines Vierhundertseitenbuchs zu reißen. Aber so ganz untypisch ist das Zitat dennoch nicht. Stille wirft, wie man sieht, einen sehr amerikanischen Blick auf die Welt, die er beschreibt, und für diesen Blick liegt Deutschland eben ein gutes Stück näher an Bulgarien als an Kanada. Die ägyptische Sphinx von Gizeh, andererseits, steht nur ein paar Nanosekunden von dem kalifornischen Küstenstädtchen Marina del Rey entfernt, wo Techniker des Getty Conservation Institute am Computer über Maßnahmen zu ihrer Konservierung grübeln. Und aus der ehrwürdigen Vatikanischen Bibliothek stolpert man bei Stille absatzlos ins Mittagslicht einer Ranch in den San Bernardino Mountains, auf der die vorübergehende Inhaberin sämtlicher Bildlizenzen des Bibliotheksbestands ihre gerichtlich von Rom erstrittenen Ablösemillionen verzehrt.
"The Future of the Past" heißt Stilles Buch im Original. Das ist nicht nur kürzer als der deutsche Titel, sondern auch präziser. Das Ende der Geschichte, wie es Apokalyptiker fürchten und Utopisten ersehnen, ist ja gerade nicht Stilles Thema. Was er, in elf Reportagen und einem abschließenden Essay, aus immer neuen Perspektiven beschreibt, könnte man eher, mit einem Filmtitel von Alexander Kluge, den Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit nennen - den ebenso allgegenwärtigen wie in sich widersprüchlichen Versuch, Geschichte und ihre Artefakte durch Konservierung und Musealisierung lebendig zu erhalten. Wohin diese Restauratorenmentalität im Extremfall führen kann, zeigt Stilles Reportage über die Erfahrungen westlicher Archäologen und Kunsthistoriker in den alten chinesischen Kaiserstädten Xi'an und Luoyang. Während in China die handwerklich exakte Kopie eines Kunstgegenstands, und sei er auch Jahrtausende alt, ebensoviel gilt wie das Original, bemühen sich die Experten aus Europa und Amerika, ihren Gastgebern Ehrfurcht vor dem historisch Einmaligen beizubringen. Aber wer kann schon ohne Karbonanalysegerät echte von "falschen" Terrakottakriegern unterscheiden? Und wer wagt es, den heutigen Zustand der dreizehnhundert Jahre alten Buddha-Grotten von Longmen zu beklagen, ohne an jene Statuenköpfe zu erinnern, die im zwanzigsten Jahrhundert von dort in die Museen von Paris, New York und Tokio entführt wurden? "Den Chinesen die westliche Philosophie der Denkmalpflege nahezubringen . . ., ist kein kulturell neutraler Akt", schreibt Stille mit jenem Understatement, das ihn auch dann nicht im Stich läßt, wenn es um New-Age-Theorien zur Entstehung der Pyramiden oder die ritualisierten Sexorgien der Ureinwohner des Südsee-Eilands Kitawa geht.
Alexander Stille, Jahrgang 1957, verkörpert einen Typus des Journalisten, wie es ihn in Deutschland kaum noch gibt. Er interessiert sich für Themen aus den verschiedensten Bereichen der Wissenschaft, ohne sich dabei in wissenschaftlichem Jargon oder, andererseits, in reißerischen Spekulationen zu verlieren. Sein Blick hält Distanz, zu den Quisquilien der Fachwelt ebenso wie zu den Erwartungen eines amüsierwilligen Publikums. Sein Stil wirbt nicht, er regt an. Stilles Texte, die fast alle in veränderter Form im "New Yorker" erschienen sind, entwickeln sich regelmäßig aus einer Porträtskizze, auf die, der Logik des zu entwickelnden Problems entsprechend, das Gegenporträt folgt: der Archäologe und der Grabräuber, der Bibliothekar und sein Kardinal, die Umweltaktivistin und ihre Widersacher vor Ort, der Latein lehrende Karmeliterpater und das organisierte Vergessen einer lateinlosen Welt. Aber indem der Reporter für die einen Partei nimmt, grenzt er die anderen nicht aus. Seine Darstellung gleicht einer Anhörung, sie sucht Gerechtigkeit für jeden, der zur Sache spricht.
Am Ende ergeht kein Urteil, sondern ein Versprechen: Fortsetzung folgt. Die Prozesse, die Stille schildert, sind nie abgeschlossen, weil der Kampf gegen die Unwissenheit, die Borniertheit, die Korruption, die Tyrannei, die Überbevölkerung und ihre Folgen keinen Abschluß kennt. Seine Reisen führen nicht ans Ende, sondern mitten in den Fluß der Geschichte. In Benares am Ganges muß er feststellen, daß dieser Fluß, ungeachtet seiner Heiligkeit, eine Kloake ist, von Fäkalbakterien verseucht. Ein Hindupriester und ein Ex-Professor aus Berkeley haben sich zusammengetan, um oberhalb der Stadt eine Klärbeckenanlage zu errichten. Der Amerikaner spricht, wenn er sein Projekt beschreibt, von erzeugenden, verbrauchenden und zersetzenden Lebewesen, der Inder von Brahma, Wischnu und Schiwa. Stille, der ausnahmsweise als Handelnder in seinem eigenen Text auftritt, macht beide auf die Analogie aufmerksam. Das ist das Prinzip seines Schreibens: Er will vermitteln, nicht überzeugen. Andere mögen entscheiden, wer etwa in dem Streit um die Erhaltung der letzten Urwälder auf Madagaskar am Ende recht behält - die Biologin Patricia Wright, die mit allen Mitteln für das von ihr geschaffene Naturschutzgebiet kämpft oder die einheimischen Bauern, deren Existenz von der Nutzung der Wälder abhängt. Stille genügt es, die beiden Parteien vorzustellen. So mündig, wie es die von ihm Porträtierten sind, macht er auch seine Leser.
Wenn es zwei Helden gibt in diesem Buch, dann sind es Giancarlo Scoditti und Pater Reginald Foster, der italienische Anthropologe und der Latinist von Papst Johannes Paul II. Scoditti hat ein Vierteljahrhundert lang die Stammeskultur einer entlegenen Pazifikinsel dokumentiert, und Foster kämpft seit ebensolanger Zeit für die Bewahrung des Lateinischen als gesprochene Sprache. Beide sind mit dem, was man ihren Beruf nennen könnte, bis zur Unauflöslichkeit verschmolzen, und es ist diese Hingabe, die Stille fasziniert. Nicht von den störungsanfälligen Speichertechniken des digitalen Zeitalters könnte die Zukunft der Vergangenheit abhängen, sondern von der Leidenschaft einzelner, welche die Technik für ihre Zwecke nutzen. Aber Stille weiß auch, wie hoffnungslos vereinzelt die Anstrengungen von Männern wie Foster und Scoditti sind, wie schwach und unbemerkt ihr Licht in der großen Datendämmerung leuchten wird. Er glaubt an ihr Projekt sozusagen quia absurdum - und vielleicht auch, weil nur solche Geschichten, die vom Aufstand gegen die Geschichte handeln, überhaupt des Erzählens wert sind.
In seinem Schlußessay, der offenbar als eine Art Passepartout für die in dem Band versammelten Texte geschrieben wurde, verirrt sich Stille dann doch noch im Nebelheim der Allgemeinheiten. "Zersplitterung, Entpolitisierung, Auflagenschwund bei den Zeitungen, individualisierte Mediennutzung, der Niedergang der Geisteswissenschaften, die Ersetzung des Bürgers durch den Konsumenten, all das sind Entwicklungen, die . . ." - sagen wir: die in Deutschland und Bulgarien ebenso zu beobachten sind wie im ländlichen Kanada. Für deren Diagnose wir aber dieses Buch längst nicht mehr brauchen. Es gibt bessere Gründe, Stille zu lesen.
Alexander Stille: "Reisen an das Ende der Geschichte". Aus dem Amerikanischen von Karl Heinz Siber. Verlag C. H. Beck, München 2002. 440 S., Abb., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Regelrecht ansteckend ist Gustav Seibts Begeisterung für Alexander Stille und seine "Reisen ans Ende der Geschichte", so dass man am liebsten selbst gleich den Computer abschalten und den Koffer packen möchte. Für Seibt verkörpert Stille, der mit einer gut recherchierten Geschichte der sizilianischen Mafia bekannt geworden ist, den Typus Reporter, der das Genre der wissenschaftlichen Reisereportage fortführt, wie es vor einigen Jahrzehnten populär gewesen ist. Ortstermine, Interviews, fachkundige Erörterung eines Sachverhalts - so beschriebt Seibt Stilles Vorgehensweise. Die Ortstermine des Journalisten haben ihn rund um die Welt und an eher unzeitgemäße Orte geführt: Grabungsfelder, Bibliotheken, Archive, Naturreservate, Altphilologenkurse, religiöse Stätten, alles Orte, an denen um die Überlieferung und Tradition der jeweiligen Kulturen gerungen wird. Seltsamerweise, stellt Seibt fest, kommt dabei eine spannende Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Gesellschaften heraus. Stilles Resümee zum Thema Überlieferung im Zeitalter medientechnischer Revolutionen: Mit der Verfügbarmachung von Wissen verschwindet zunehmend auch die Gemeinsamkeit von Wissen, überliefert uns der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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