Diese große Abenteuergeschichte des angeblich so dunklen 8. Jahrhunderts erzählt, was die Griechen befähigte, sich auf einmalige Art die Welt anzueignen.
»Erhellend, klug und originell - und immer wieder atemberaubend poetisch.« Tom Holland, TLS Book of the Year
Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe über die deutsche Homer- und Troja-Forschung
Im Zentrum des Buches stehen die reisenden Zeitgenossen Homers: euböische
Griechen des 8. Jahrhunderts, die als Seefahrer und Piraten rund um das
Mittelmeer unterwegs waren, Handel trieben und neue Welten entdeckten. Fundstück
für Fundstück trägt der Autor zusammen, was sich über diese frühen Griechen
herausfinden lässt.
Reisende Helden, das sind auch die Figuren des Mythos,
die weit herumkamen: etwa Dädalus, der sogar fliegen konnte, Herkules, der kreuz
und quer im Mittelmeerraum seine Arbeiten verrichtete, oder die unglückliche Io,
die von Zeus erst verführt und dann in eine Kuh verwandelt wurde.
Indem Robin
Lane Fox den unendlichen Schatz der griechischen Mythen mit der Sachwelt der
archäologischen Funde verknüpft, lässt er vor unseren Augen ein lebendiges Bild
dieser Zeit entstehen.
Robin Lane Fox' reisende Helden sind verwegene griechische Seefahrer aus dem
8. Jahrhundert v. Chr., die ferne Länder und Küsten entdeckten. Das Wissen und
die Geschichten aus der Fremde integrierten sie in ihre Vorstellungswelt und
legten so den Grundstein für die griechische Kultur.
»Erhellend, klug und originell - und immer wieder atemberaubend poetisch.« Tom Holland, TLS Book of the Year
Mit einem Vorwort zur deutschen Ausgabe über die deutsche Homer- und Troja-Forschung
Im Zentrum des Buches stehen die reisenden Zeitgenossen Homers: euböische
Griechen des 8. Jahrhunderts, die als Seefahrer und Piraten rund um das
Mittelmeer unterwegs waren, Handel trieben und neue Welten entdeckten. Fundstück
für Fundstück trägt der Autor zusammen, was sich über diese frühen Griechen
herausfinden lässt.
Reisende Helden, das sind auch die Figuren des Mythos,
die weit herumkamen: etwa Dädalus, der sogar fliegen konnte, Herkules, der kreuz
und quer im Mittelmeerraum seine Arbeiten verrichtete, oder die unglückliche Io,
die von Zeus erst verführt und dann in eine Kuh verwandelt wurde.
Indem Robin
Lane Fox den unendlichen Schatz der griechischen Mythen mit der Sachwelt der
archäologischen Funde verknüpft, lässt er vor unseren Augen ein lebendiges Bild
dieser Zeit entstehen.
Robin Lane Fox' reisende Helden sind verwegene griechische Seefahrer aus dem
8. Jahrhundert v. Chr., die ferne Länder und Küsten entdeckten. Das Wissen und
die Geschichten aus der Fremde integrierten sie in ihre Vorstellungswelt und
legten so den Grundstein für die griechische Kultur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2011Ihre Mythen machen die Griechen geschmeidig
Unterwegs mit Händlern, Siedlern und Abenteurern: Robin Lane Fox lässt die Debatten um Troja hinter sich, um Homers Welt mit verblüffender Detailkenntnis und suggestiver Erzählkunst zu beschwören.
Als er die Göttin Hera einmal sehr rasch vom Berge Ida zum Olymp aufbrechen lässt, illustriert Homer die Rasanz des Fluges: "schnell wie ein wunsch, die phantasie eines dichters vielleicht der bereits weit und lang gereist ist und sich mit einemmal denkt ,ah, wenn ich schon da wäre' - und sich ausmalt, wie es dort ist." Raoul Schrott hat sich auch in dieser Passage des fünfzehnten Gesangs der "Ilias" eine poetische Lizenz erlaubt, die im Kommentar eingeräumt wird: Im griechischen Original ist es schlicht der Sinn eines Mannes (noos anêros), der sich auf den Weg macht.
Robin Lane Fox eröffnet mit den Versen ein Buch, das den Leser auf eine noch viel weitere Reise mitnimmt als vom Berg in der Troas zum thessalischen Göttersitz. Sie berührt große Teile der Küsten des Mittelmeers und führt damit auch heraus aus den Pulverdämpfen der gelehrten Stellungskriege um die Frage, ob die Geschichte des finalen Kampfes um Priamos' Feste einst in Kilikien und der Welt der Assyrer beheimatet war oder wir den Kontext in der Geschichte des hethitischen Anatolien suchen müssen. Troja ist hier kein Tatort von erstem Rang - und wird nicht vermisst. Mit Understatement äußert der Autor im Vorwort zur nunmehr vorliegenden deutschen Ausgabe seines vor drei Jahren erschienenen Buches die Hoffnung, ein Blick von außen könne vielleicht Bewegung in die festgefahrenen deutschen Positionen bringen.
Das Werk liegt nur bei oberflächlicher Betrachtung weit entfernt von der Gesamtschau auf die Alte Welt von Homer bis Hadrian, die Lane Fox zuletzt vorgelegt hat (F. A. Z. vom 31. März 2010). Gewiss, dem Leser werden hier weit mehr als dort Konzentration und allgemeine Orientierung abgefordert, um der mit ungeläufigen Namen, Orten und Details gespickten Argumentation folgen zu können. Doch das selbstbewusst vorgetragene Axiom des Autors ist das gleiche: Ohne sich krümmen zu müssen vor den Gesslerhüten der anti-eurozentrischen, antiklassizistischen, postkolonialen und multikulturellen Diskurse, wie sie hierzulande von Gutachtergruppen vor Antragstellern kniefallheischend aufgepflanzt werden, sagt er in seiner siebten umfangreichen Monographie, was Sache ist: Homer war das erste "griechische Wunder", dem so viele andere folgten, bis hin zum logischen Denken und der Pflicht, rational Rechenschaft zu geben. In keiner der Gesellschaften des Vorderen Orients, auch in Judäa nicht, war dergleichen möglich.
Man kann "Reisende Helden" nicht nur als Gegenentwurf zur räumlich wie konzeptionell verengten Troja-Debatte lesen, sondern auch als Vorgeschichte und Komplementärstück zu "Kultur, um der Freiheit willen", Christian Meiers Neubesinnung auf das archaische Griechenland (F.A.Z. vom 19. Februar 2009). Wie Meier weigert sich Lane Fox, ursprungsmythisch eingeschnürt nach fremden Impulsen zu fahnden, und wo Entlehnungen behauptet werden, setzt er Common Sense dagegen: Als die Söhne des Kronos um ihre Anteile an der Welt losten, musste Homer diese Idee nicht einem akkadischen Epos entnehmen - die Sitte griechischer Söhne, die zuvor definierten Erbteile zuzulosen, genügte als Vorbild vollkommen. Und für die Lehre von den mit Metallen verknüpften Weltaltern stellt Hesiod den bei weitem ältesten Beleg dar; wer ihn zum Leihnehmer erklärt, ist gezwungen, eine ältere Quelle anzunehmen, von der es jedoch keine Spur gibt.
Die historiographische Pointe der Methode, Akteure, Routen, Artefakte, Fertigkeiten und Mythen so eng und so dynamisch miteinander zu verknüpfen, besteht darin, dass auf diese Weise Kulturtriftmodelle und "Wir sind Kinder des Orients"- Fanfaren statisch und eindimensional erscheinen. Lane Fox sucht die Stationen und Zielorte dieser enorm mobilen Menschen auf - und die Welten, die räumlichen wie die mentalen, die zu erschließen Homers Gedichte, selbst die "Odyssee", nicht viel beitragen können, sind fürwahr groß. Der Bogen spannt sich von Sargons prachtvoller Residenz Dur Sarrukin (bei Khorsabad im heutigen Irak) bis nach Huelva an der spanischen Atlantikküste nördlich von Cadiz. An beiden Orten waren Phönizier aktiv.
Die reisenden Griechen in Lane Fox' Panorama waren nicht an der kleinasiatischen Westküste oder in den während der Bronzezeit dominanten Zentren auf der Peloponnes ansässig, sondern auf Euböa, der östlich von Attika und Mittelgriechenland wie angeklebten Insel, mit ihren Hauptorten Lefkandi, Chalkis und Eretria. Sie wagten sich ab dem frühen neunten Jahrhundert in das dynamische Dreieck zwischen Kilikien, Zypern und Syrien bis hinab nach Gaza, in Orte und Regionen, von denen Homer so gut wie keine Kunde hatte, und sie fassten über die Routen phönizischer Seefahrer an der Westküste Italiens Fuß. Euböische Trinkgefäße des achten Jahrhunderts fanden sich in einer Siedlung an der Tibermündung und in zwei Gräbern am Esquilin in Rom.
Die Ankömmlinge trafen nicht auf leere Räume, sondern auf ein Netzwerk aufstrebender Siedlungen. Aber sie brachten bemerkenswerte Innovationen mit, allen voran die kurz zuvor von den Phöniziern übernommene, durch hinzugefügte Vokale jedoch entscheidend alltagstauglicher gemachte Schrift. Um sich die neu erschlossenen Regionen und ihre Traditionen verstehend anzueignen, kam ihnen die schier grenzenlose Geschmeidigkeit ihrer mythischen Erzählung zugute: Ob es nun galt, einen kilikischen Herrscher namens Muksas oder Mopsu mit dem berühmten wandernden Seher Mopsos zu identifizieren, oder sich auf Erdstöße und vulkanische Phänomene einen Reim zu machen, indem man dort Zeus unter der Erde mit dem Schlangenungetüm Typhon ringen ließ.
Fern und zugänglich zugleich erscheint unter der Feder von Lane Fox die Welt der reisenden Helden, die nicht als Händler, Siedler, Söldner, Handwerker oder Abenteurer anzusprechen sind, weil sie alles dies nebenund nacheinander sein konnten. Gegen Schmerzen und Gestank kämpften sie mit Drogen und wohlriechenden Ölen an. Die Süße des Honigs und die Klänge von Musik waren allgegenwärtig - und Kenner früherer Bücher des Autors werden sich nicht wundern, dass Gärten und Pferde auch hier wieder eine prominente Rolle spielen.
Trotz aller Imaginationskraft, ohne die der Versuch, aus Keramikfunden, Ortsnamen und Mythen eine überzeugende Geschichte zu machen, zum Scheitern verurteilt wäre: Das gelehrte Buch mit seinen hundert Seiten Anmerkungen und polyglotter Bibliographie wird die Debatte um das archaische Griechenland, dessen Anfang und Signatur, neu beleben. Lane Fox verwirft mit guten Argumenten die modische Spätdatierung Homers ins frühere oder gar spätere siebte Jahrhundert. In seinem achten Jahrhundert passiert viel, aber er rekurriert nicht auf die alte Vorstellung von einer demographisch verursachten Renaissance, die auf dem griechischen Festland diverse Formierungsprozesse auslöste und die Polis hervorbrachte. Seine Euböer sind zu wenige, zu neugierig und zu unstet, um Väter der organisierten politischen Egalität sein oder werden zu wollen.
Freilich gab es Instanzen, die aus den gesammelten Erfahrungen und Deutungen einen größeren Sinn zu generieren imstande waren: das delphische Orakel, wo seit dem achten Jahrhundert ihren Apollon verehrende Kreter mindestens präsent waren, und der Dichter Hesiod, der erstmals Götter, Geschichte und Gerechtigkeit in einem einzigen Ordnungsentwurf zusammenbrachte. Was in seinem Werk "orientalisch" war, stammte indes nicht aus zeitgenössischen nahöstlichen Texten, sondern aus mündlichen Erzählungen, die auf ihrem Weg über Zypern und Kreta längst eine eigene Prägung erhalten hatten.
Für die unleugbaren Kongruenzen setzt Lane Fox an die Stelle der Genealogie ein ebenso einfaches wie bedenkenswertes Modell ähnlicher Lebenswelten: Wenn nahöstliche Schriftkundige, griechische Dichter und ihre euböischen Zeitgenossen einen gewissen Stil des Denkens teilten, so lag dem keine Orientalisierung zugrunde, sondern es ergab sich aus dem parallelen Versuch, der Welt des achten Jahrhunderts einen Sinn zu geben. Wohl durch ein Versehen fehlt leider just dieser Absatz in der ansonsten ordentlichen, wenn auch nicht fehlerfreien Übersetzung.
Euböa war von Hesiods Askra in Böotien nicht weit entfernt, und an klaren Tagen reicht der Blick bis nach Chios, wo vielleicht Homer gedichtet hat. Lane Fox hat seine "dritte", von den beiden Dichtern am Anfang der europäischen Literatur nur gestreifte Welt, die er mit suggestiven Assoziationen, stupender Detailkenntnis und vielfachem "es könnte sein" lebendig werden lässt, selbst kreuz und quer bereist. In gewisser Weise ist er selbst zu jenem Hipposthenes - "stark durch Pferde" - geworden, der am Ende des Buches auf den Routen der reisenden Helden sein unstetes, reiches Leben durchläuft - ein erfundenes, gleichwohl wahres Leben.
UWE WALTER.
Robin Lane Fox: "Reisende Helden". Die Anfänge der griechischen Kultur im homerischen Zeitalter.
Aus dem Englischen von Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011. 551 S., geb., Abb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Unterwegs mit Händlern, Siedlern und Abenteurern: Robin Lane Fox lässt die Debatten um Troja hinter sich, um Homers Welt mit verblüffender Detailkenntnis und suggestiver Erzählkunst zu beschwören.
Als er die Göttin Hera einmal sehr rasch vom Berge Ida zum Olymp aufbrechen lässt, illustriert Homer die Rasanz des Fluges: "schnell wie ein wunsch, die phantasie eines dichters vielleicht der bereits weit und lang gereist ist und sich mit einemmal denkt ,ah, wenn ich schon da wäre' - und sich ausmalt, wie es dort ist." Raoul Schrott hat sich auch in dieser Passage des fünfzehnten Gesangs der "Ilias" eine poetische Lizenz erlaubt, die im Kommentar eingeräumt wird: Im griechischen Original ist es schlicht der Sinn eines Mannes (noos anêros), der sich auf den Weg macht.
Robin Lane Fox eröffnet mit den Versen ein Buch, das den Leser auf eine noch viel weitere Reise mitnimmt als vom Berg in der Troas zum thessalischen Göttersitz. Sie berührt große Teile der Küsten des Mittelmeers und führt damit auch heraus aus den Pulverdämpfen der gelehrten Stellungskriege um die Frage, ob die Geschichte des finalen Kampfes um Priamos' Feste einst in Kilikien und der Welt der Assyrer beheimatet war oder wir den Kontext in der Geschichte des hethitischen Anatolien suchen müssen. Troja ist hier kein Tatort von erstem Rang - und wird nicht vermisst. Mit Understatement äußert der Autor im Vorwort zur nunmehr vorliegenden deutschen Ausgabe seines vor drei Jahren erschienenen Buches die Hoffnung, ein Blick von außen könne vielleicht Bewegung in die festgefahrenen deutschen Positionen bringen.
Das Werk liegt nur bei oberflächlicher Betrachtung weit entfernt von der Gesamtschau auf die Alte Welt von Homer bis Hadrian, die Lane Fox zuletzt vorgelegt hat (F. A. Z. vom 31. März 2010). Gewiss, dem Leser werden hier weit mehr als dort Konzentration und allgemeine Orientierung abgefordert, um der mit ungeläufigen Namen, Orten und Details gespickten Argumentation folgen zu können. Doch das selbstbewusst vorgetragene Axiom des Autors ist das gleiche: Ohne sich krümmen zu müssen vor den Gesslerhüten der anti-eurozentrischen, antiklassizistischen, postkolonialen und multikulturellen Diskurse, wie sie hierzulande von Gutachtergruppen vor Antragstellern kniefallheischend aufgepflanzt werden, sagt er in seiner siebten umfangreichen Monographie, was Sache ist: Homer war das erste "griechische Wunder", dem so viele andere folgten, bis hin zum logischen Denken und der Pflicht, rational Rechenschaft zu geben. In keiner der Gesellschaften des Vorderen Orients, auch in Judäa nicht, war dergleichen möglich.
Man kann "Reisende Helden" nicht nur als Gegenentwurf zur räumlich wie konzeptionell verengten Troja-Debatte lesen, sondern auch als Vorgeschichte und Komplementärstück zu "Kultur, um der Freiheit willen", Christian Meiers Neubesinnung auf das archaische Griechenland (F.A.Z. vom 19. Februar 2009). Wie Meier weigert sich Lane Fox, ursprungsmythisch eingeschnürt nach fremden Impulsen zu fahnden, und wo Entlehnungen behauptet werden, setzt er Common Sense dagegen: Als die Söhne des Kronos um ihre Anteile an der Welt losten, musste Homer diese Idee nicht einem akkadischen Epos entnehmen - die Sitte griechischer Söhne, die zuvor definierten Erbteile zuzulosen, genügte als Vorbild vollkommen. Und für die Lehre von den mit Metallen verknüpften Weltaltern stellt Hesiod den bei weitem ältesten Beleg dar; wer ihn zum Leihnehmer erklärt, ist gezwungen, eine ältere Quelle anzunehmen, von der es jedoch keine Spur gibt.
Die historiographische Pointe der Methode, Akteure, Routen, Artefakte, Fertigkeiten und Mythen so eng und so dynamisch miteinander zu verknüpfen, besteht darin, dass auf diese Weise Kulturtriftmodelle und "Wir sind Kinder des Orients"- Fanfaren statisch und eindimensional erscheinen. Lane Fox sucht die Stationen und Zielorte dieser enorm mobilen Menschen auf - und die Welten, die räumlichen wie die mentalen, die zu erschließen Homers Gedichte, selbst die "Odyssee", nicht viel beitragen können, sind fürwahr groß. Der Bogen spannt sich von Sargons prachtvoller Residenz Dur Sarrukin (bei Khorsabad im heutigen Irak) bis nach Huelva an der spanischen Atlantikküste nördlich von Cadiz. An beiden Orten waren Phönizier aktiv.
Die reisenden Griechen in Lane Fox' Panorama waren nicht an der kleinasiatischen Westküste oder in den während der Bronzezeit dominanten Zentren auf der Peloponnes ansässig, sondern auf Euböa, der östlich von Attika und Mittelgriechenland wie angeklebten Insel, mit ihren Hauptorten Lefkandi, Chalkis und Eretria. Sie wagten sich ab dem frühen neunten Jahrhundert in das dynamische Dreieck zwischen Kilikien, Zypern und Syrien bis hinab nach Gaza, in Orte und Regionen, von denen Homer so gut wie keine Kunde hatte, und sie fassten über die Routen phönizischer Seefahrer an der Westküste Italiens Fuß. Euböische Trinkgefäße des achten Jahrhunderts fanden sich in einer Siedlung an der Tibermündung und in zwei Gräbern am Esquilin in Rom.
Die Ankömmlinge trafen nicht auf leere Räume, sondern auf ein Netzwerk aufstrebender Siedlungen. Aber sie brachten bemerkenswerte Innovationen mit, allen voran die kurz zuvor von den Phöniziern übernommene, durch hinzugefügte Vokale jedoch entscheidend alltagstauglicher gemachte Schrift. Um sich die neu erschlossenen Regionen und ihre Traditionen verstehend anzueignen, kam ihnen die schier grenzenlose Geschmeidigkeit ihrer mythischen Erzählung zugute: Ob es nun galt, einen kilikischen Herrscher namens Muksas oder Mopsu mit dem berühmten wandernden Seher Mopsos zu identifizieren, oder sich auf Erdstöße und vulkanische Phänomene einen Reim zu machen, indem man dort Zeus unter der Erde mit dem Schlangenungetüm Typhon ringen ließ.
Fern und zugänglich zugleich erscheint unter der Feder von Lane Fox die Welt der reisenden Helden, die nicht als Händler, Siedler, Söldner, Handwerker oder Abenteurer anzusprechen sind, weil sie alles dies nebenund nacheinander sein konnten. Gegen Schmerzen und Gestank kämpften sie mit Drogen und wohlriechenden Ölen an. Die Süße des Honigs und die Klänge von Musik waren allgegenwärtig - und Kenner früherer Bücher des Autors werden sich nicht wundern, dass Gärten und Pferde auch hier wieder eine prominente Rolle spielen.
Trotz aller Imaginationskraft, ohne die der Versuch, aus Keramikfunden, Ortsnamen und Mythen eine überzeugende Geschichte zu machen, zum Scheitern verurteilt wäre: Das gelehrte Buch mit seinen hundert Seiten Anmerkungen und polyglotter Bibliographie wird die Debatte um das archaische Griechenland, dessen Anfang und Signatur, neu beleben. Lane Fox verwirft mit guten Argumenten die modische Spätdatierung Homers ins frühere oder gar spätere siebte Jahrhundert. In seinem achten Jahrhundert passiert viel, aber er rekurriert nicht auf die alte Vorstellung von einer demographisch verursachten Renaissance, die auf dem griechischen Festland diverse Formierungsprozesse auslöste und die Polis hervorbrachte. Seine Euböer sind zu wenige, zu neugierig und zu unstet, um Väter der organisierten politischen Egalität sein oder werden zu wollen.
Freilich gab es Instanzen, die aus den gesammelten Erfahrungen und Deutungen einen größeren Sinn zu generieren imstande waren: das delphische Orakel, wo seit dem achten Jahrhundert ihren Apollon verehrende Kreter mindestens präsent waren, und der Dichter Hesiod, der erstmals Götter, Geschichte und Gerechtigkeit in einem einzigen Ordnungsentwurf zusammenbrachte. Was in seinem Werk "orientalisch" war, stammte indes nicht aus zeitgenössischen nahöstlichen Texten, sondern aus mündlichen Erzählungen, die auf ihrem Weg über Zypern und Kreta längst eine eigene Prägung erhalten hatten.
Für die unleugbaren Kongruenzen setzt Lane Fox an die Stelle der Genealogie ein ebenso einfaches wie bedenkenswertes Modell ähnlicher Lebenswelten: Wenn nahöstliche Schriftkundige, griechische Dichter und ihre euböischen Zeitgenossen einen gewissen Stil des Denkens teilten, so lag dem keine Orientalisierung zugrunde, sondern es ergab sich aus dem parallelen Versuch, der Welt des achten Jahrhunderts einen Sinn zu geben. Wohl durch ein Versehen fehlt leider just dieser Absatz in der ansonsten ordentlichen, wenn auch nicht fehlerfreien Übersetzung.
Euböa war von Hesiods Askra in Böotien nicht weit entfernt, und an klaren Tagen reicht der Blick bis nach Chios, wo vielleicht Homer gedichtet hat. Lane Fox hat seine "dritte", von den beiden Dichtern am Anfang der europäischen Literatur nur gestreifte Welt, die er mit suggestiven Assoziationen, stupender Detailkenntnis und vielfachem "es könnte sein" lebendig werden lässt, selbst kreuz und quer bereist. In gewisser Weise ist er selbst zu jenem Hipposthenes - "stark durch Pferde" - geworden, der am Ende des Buches auf den Routen der reisenden Helden sein unstetes, reiches Leben durchläuft - ein erfundenes, gleichwohl wahres Leben.
UWE WALTER.
Robin Lane Fox: "Reisende Helden". Die Anfänge der griechischen Kultur im homerischen Zeitalter.
Aus dem Englischen von Susanne Held. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011. 551 S., geb., Abb., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Uwe Walter ist hin und weg von dieser Revision liebgewonnener Ursprungsmythen im Alten Griechenland. Das drei Jahre nach seiner Originalveröffentlichung auf Deutsch erschienene Buch von Robin Lane Fox fordert vom Rezensenten zwar Konzentration und Orientierung, um dem Autor zu den entsprechenden Orten, Namen und Argumenten zu folgen. Walter wird jedoch belohnt durch den Eindruck einer extem mobilen griechischen Gesellschaft, die so manche bisherige Vorstellungen eindimensional und statisch erscheinen lässt. Dass Fox dabei auf seine Assoziations- und Imaginationskraft wie auch auf seine Gelehrtheit und Detailkenntnis zurückgreift, lässt Walter den Band als Aufforderung begreifen, die Ursprünge des archaischen Griechenlands neu zu denken.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Fern und zugänglich zugleich erscheint unter der Feder von Lane Fox die Welt der reisende Helden, die nicht als Händler, Siedler, Söldner, Handwerker oder Abenteurer anzusprechen sind, weil sie alles dies neben- und nacheinander sein konnten. ... Das gelehrte Buch ... wird die Debatte um das archaische Griechenland, dessen Anfang und Signatur, neu beleben.« Uwe Walter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.10.2011 »Selten hat ein wissenschaftlicher Kraftakt solch ein Lesevergnügen bereitet.« Johannes Saltzwedel, Kultur Spiegel, September 2011 »Lane Fox versteht es ... den Leser selbst auf eine kleine Abenteuerfahrt mitzunehmen, und man erfährt, wie sprachliche Missverständnisse zur Gleichsetzung und Lokalisierung von Personen führten, wie alte Denkmäler fehlinterpretiert und mit Geschichten, die man anderswo gehört hatte, angereichert wurden, wie Funde prähistorischer Tierknochen im fernen Italien die Schlachtfelder der Gigantenkämpfe markierten, wie landschaftliche Formationen Anregungen zur Verortung mythischer Geschichten boten, wie also das märchenhafte "Nimmerland", in dem die Erzählungen der "Odysee" angesiedelt sind, nach und nach "reale" Bezugspunkte in einer Welt erhielt, die von den reisenden Helden allmählich erschlossen wurde. ... Methodisch und konzeptionell wird hier Neuland betreten.« Mischa Meier, Süddeutsche Zeitung, 10.10.2011 »Ein Leseabenteuer ist sein Buch schon dadurch, wie es sich auf die "Spur von Mythen" setzt, und diese immer wieder als "eigenartige Rückschlüsse und kreative Missverständnisse der Griechen" ausmacht. Denn der "signifikante Mangel der Griechen war ihre Einsprachigkeit".« Christian Thomas, Frankfurter Rundschau, 11.10.2011 »Was Lane Fox den Griechen des 8. Jahrhunderts v. Chr. im Allgemeinen und den Euböern im Besonderen zuschreibt, gilt auch für ihn: Er brilliert nicht durch Taten, sondern durch Worte.« Stefan Rebenich, Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2011 »Auf verblüffende Art trägt der Autor Fundstück für Fundstück, Indiz für Indiz zusammen.« Hans-Dieter Füser, Mannheimer Morgen, 17.10.2011