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Ein Vogelforscher bei den Tuareg in der Sahara, eine mit wundersamem Gleichmut den Balkan durchwandernde junge Frau, eine kriegsvertriebene Bärin aus dem bosnischen Wald und ein Schwalbenschwarm Maggiani versammelt in einem fantastischen Kosmos Personen und Geschichten. Seine Figuren sind alle unterwegs, ob auf der Flucht, im Exil oder auf Wanderschaft, wie Reisende in der Nacht, auf der Suche nach Schönheit. Ein Roman über Gerechtigkeit und menschliche Würde, ein Schwalbenflug über die Barbarei eines Jahrhunderts.

Produktbeschreibung
Ein Vogelforscher bei den Tuareg in der Sahara, eine mit wundersamem Gleichmut den Balkan durchwandernde junge Frau, eine kriegsvertriebene Bärin aus dem bosnischen Wald und ein Schwalbenschwarm Maggiani versammelt in einem fantastischen Kosmos Personen und Geschichten. Seine Figuren sind alle unterwegs, ob auf der Flucht, im Exil oder auf Wanderschaft, wie Reisende in der Nacht, auf der Suche nach Schönheit. Ein Roman über Gerechtigkeit und menschliche Würde, ein Schwalbenflug über die Barbarei eines Jahrhunderts.
Autorenporträt
Maurizio Maggiani wurde 1951 in Castelnuovo Magra geboren. Er lebt heute in La Spezia. Er hat als Gefängnislehrer, Lehrer für blinde Kinder, Fotograf, Cutter, Regieassistent, in der Werbung und in der Stadtverwaltung gearbeitet. "Der Mut des Rotkehlchens" (ital. 1995 / dt. 1996), Maggianis vierter Roman, wurde in Italien mit dem Premio Viareggio und dem Premio Campiello ausgezeichnet. "Königin ohne Schmuck" erschien 1998 und erhielt die Preise Stresa und Alassio 100 libri.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2007

Ab in die Wüste
Die Spur führt nach Tuzla: Maurizio Maggiani bindet uns Bären auf

Das Hoggar ist ein Gebirge vulkanischen Ursprungs im Süden Algeriens. In seinem Zentrum liegt das Assekrem-Plateau. Das Gebiet wird vorwiegend von Tuareg bewohnt, jenem nomadischen Berbervolk, nach dem ein deutscher Automobilkonzern seine größte CO2-Schleuder benannt hat. Dorthin hat sich zur Erkundung des Schwalbenflugs ein Vogelforscher zurückgezogen, zusammen mit seinem Begleiter und Dolmetscher Jibril, einem Araber, und einem Geschichtenerzähler, einem "professionellen Poeten", der abends die Leute unterhält. Und so fängt es an: "Hört zu, es ist noch Sonnenuntergang über dem Hügel des Assekrem. Gelb, ocker, hellblau, ultramarin, karminrot. Himmel, Erde, Berge, Täler." Oh Gott, fürchtet man da, ein Wüstenroman, in dem es bestimmt um die letzten Dinge geht und der uns am Ende mit einer Botschaft und mit Sinn beglücken wird.

Zum Glück für den Leser ist das keineswegs so. Maurizio Maggiani, der für diesen Roman den Premio Strega erhalten hat, ist ein streckenweise zwar sehr poetischer, zugleich aber auch überaus hinterfotziger Erzähler, der die frohe Botschaft strikt verweigert. Er weiß, dass nach dem Ende der großen Erzählung auch die vielen kleinen sich nicht zum Sinn runden. Und wenn der Erzähler seinen augenblicklichen Standort zwar einerseits als den "Mittelpunkt des Universums" angibt, bezeichnet er ihn im nächsten Halbsatz doch zugleich als "Arsch der Welt".

Das Personal, das er nach und nach während seiner Erzählungen vorstellt, ist alles andere als idealtypisch. Der professionelle Poet hat sich ihm unter anderem deshalb so gern angeschlossen, weil er seine Frau nicht mehr erträgt. Seine Geschichten darüber, was er am Tage gesehen hat, sind zu einem nicht geringen Teil erstunken und erlogen, wie es sich für die Literatur gehört. Die Pariser Journalistin Marguerite, die zu Besuch kommt, um eine schmissige Reportage zu schreiben, "eine von denen, die den Dingen auf den Grund gehen", versteht von diesen Dingen rein gar nichts und stört eigentlich nur das Liebeswerben zwischen der schönen Tuareg Ahmiti und dem von ihr ausgewählten jungen Mann. Der Erzähler selbst beruhigt sein Begehren auf einer profaneren Ebene und geht in Tamanrasset, der größten Oase in der Region, ins Bordell, unter fachkundiger Beratung seines Dolmetschers Jibril. So geht's zu in der Wüste. Aber der Wüstenroman, als der Maggianis Buch anfangs erscheint, ist sein Roman gar nicht geworden. Angelegt ist er als ein Kranz von Geschichten, die durchaus unterschiedliche Erzähler haben und darin eher dem Prinzip des "Decamerone" als den Märchen aus Tausendundeiner Nacht folgen. Diese Geschichten korrespondieren zwar miteinander, fügen sich am Ende aber nicht zu einem runden Ganzen, das uns zufrieden und getröstet zurücklässt.

Das ist auch nicht Maggianis Absicht. Das eigentliche Zentrum seines Romans ist eine lange Erzählung aus den zahlreichen europäischen Kriegen der neunziger Jahre, die dem Leser gleichsam en passant vorführt, wie wenig friedvoll unser Kontinent seit den Verschiebungen von 1989 ist. Diese Kriegserzählung berichtet von einer jungen Frau, die ungeachtet aller Gefahren den Balkan durchwandert, und von der Bärin Amapola, die in den bosnischen Wäldern auf der Flucht vor dem Krieg ist, Richtung Westen. Denn unser Vogelforscher war Mitte der neunziger Jahre kurzzeitig einmal Bärenforscher, weil es dafür eine Vielzahl von "Finanzierungen, Stipendien und Forschungsprogramme" gab.

Bären "ziehen herum auf der Suche nach einem Gefährten, mit dem sie sich paaren können, wenn es so weit ist, oder sie machen sich aus keinem bekannten Grund auf den Weg. Sie brechen einfach auf." Das haben sie mit Maggianis Figuren gemeinsam, die ebenfalls ständig unterwegs sind. "Wir hatten nur eine einzige Aufgabe, die wir zu einem guten Ende führen sollten: einen dieser berühmten Bären zu finden und an seinem Hals ein kleines elektronisches Anhängsel anzubringen."

In diesem Fall führt das dunkle Geheimnis mitten in die jugoslawischen Erbfolgekriege. "Ich wusste nichts vom Krieg, und das Erste, was ich gelernt habe, ist, dass es überhaupt nicht schwer ist, hineinzukommen." Der Erzähler fährt mit einem Lastwagen in den Krieg hinein, dessen Fahrer ein Armenier namens Zindschirian ist, der eine ambulante Werkstatt betreibt. Sein Weg führt schließlich mitten in die Belagerung von Tuzla, und das eigentliche Zentrum des Buches ist der 25. Mai 1995, auch wenn das Datum nicht genannt wird. An jenem Tag werden im Zentrum der Altstadt von Tuzla durch einen Granateinschlag einundsiebzig überwiegend junge Menschen getötet, die dort ein Fest zum Abschluss des Schuljahrs feierten.

Selten ist eine Kriegstragödie so eindrücklich und zugleich so unmanieriert und ohne jedes Pathos geschildert worden. Es macht insgesamt die Qualität von Maggianis Erzählen aus, dass die poetische Kraft seiner Sprache und der Bilderreichtum seiner Fabeln immer jederzeit durch Nüchternheit und eine so ausdrückliche wie verborgene Ironie grundiert werden, wofür Andreas Löhrer durchgängig eine angemessene deutsche Tonlage findet. So schön schwebend und farbenfroh die Geschichten in diesem Roman oft daherkommen: Als Kultbuch für Sucher nach Erleuchtung ist er völlig ungeeignet.

Ach ja, die Erleuchtung: Die hat sicher Charles de Foucauld gehabt, ein ehemaliger französischer Offizier und Frauenheld, der seit 1904 am selben Ort als Einsiedler unter den Tuareg lebte, an den es auch unseren Erzähler verschlagen hat. Foucauld wurde 1916 von aufständischen Senussi getötet und 2005 selig gesprochen. Der Erzähler zitiert eifrig aus seinen Büchern. Nun hat der zum Mönch konvertierte Ex-Offizier in der Tat Bücher geschrieben, wie Maggiani in seiner Nachbemerkung sagt; aber, schreibt er weiter, "ich habe mir eine unerhörte Freiheit erlaubt. Alles, was in meiner Geschichte von seinen Worten und Schriften berichtet wurde, ist einzig und allein das Ergebnis meiner Phantasie, alles völlig frei erfunden."

Und das ist nicht wenig, denn vorgebliche Foucauld-Zitate durchziehen das gesamte Buch. In ihnen kann der Autor Erkenntnisse mitteilen, ohne sie in auftrumpfender Gebärde als seine eigenen kenntlich machen zu müssen: ein letztes Mittel der Ironie. Denn, wie es an einer Stelle ganz richtig auf der Höhe der philosophischen Diskussion heißt: "Es gibt nicht nur wahre Dinge."

JOCHEN SCHIMMANG

Maurizio Maggiani: "Reisende in der Nacht". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Andreas Löhrer. Edition Nautilus, Hamburg 2007. 223 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Auf so wunderbare Weise auf die falsche Spur gebracht fühlt sich Rezensent Jochen Schimmang von Maurizio Maggiani, dass er ihn nicht nur als "sehr poetischen Erzähler", sondern zugleich auch als "hinterfotzig" preist. "Reisende in die Nacht" nämlich beginnt nach Schimmangs Darstellung wie ein Wüstenroman, wir befinden uns im algerischen Hoggar-Gebirge, zusammen mit Turags, einem Geschichtenerzähler, einem Vogelkundler und einer aufdringlichen Journalistin. Doch wenn Maggiani einen Kranz von Geschichten um dieses Setting herum flicht, kristallisiert sich bald als eigentlicher Mittelpunkt des Buchs eine ganz andere Begebenheit heraus. Ein Massaker im bosnischen Tuzla, das der Vogelkundler während des Bürgerkriegs, als er noch Bärenkundler war, miterlebt hat. Viel Worte macht der Rezensent darum nicht, nur so viel: "Selten ist eine Kriegstragödie so eindrücklich und zugleich so unmanieriert und ohne jedes Pathos geschildert worden." Wobei er ausdrücklich Andreas Löhrer für seine Übersetzung in einer "angemessenen deutschen Tonlage" lobt.

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