Die politische Kultur der römischen Republik ist derzeit eines der großen Themen der Alten Geschichte. Karl-Joachim Hölkeskamps Verdienst ist es, eine Bilanz der internationalen Debatte zu ziehen und dabei zugleich Probleme, aber auch Perspektiven für die zukünftige Forschung aufzuzeigen. Im Mittelpunkt stehen nicht länger Einzelprobleme des politischen Systems, sondern der Blick auf grundsätzliche Fragen, etwa auf Status, Rollen, Funktionen und Interaktionen von Volk und Volksversammlung, Senat und Magistraten. Sichtbar werden Konzepte für eine moderne Strukturgeschichte des antiken Rom.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.05.2004Ein Aristokrat, eine Stimme
Karl-Joachim Hölkeskamp kann im antiken Rom keine Demokratie entdecken
Was steht auf dem Spiel, wenn man ein Regime, das auf politischer Ungleichheit seiner Bürger aufbaut, eine Demokratie nennt? Eine Leitkategorie der politischen Orientierung wird so entwertet – wie vermöchten wir dann jenen untergegangenen Volksdemokratien Osteuropas abzusprechen, ebenfalls „Demokratien” gewesen zu sein? Keine akademische Frage also. Trotzdem eine, die seit 20 Jahren die althistorische Wissenschaft aufwühlt. Denn in der englischen Forschung zur römischen Republik hat sich unter der Federführung von Fergus Millar die Meinung breit gemacht, man müsse die römische Republik als Demokratie bezeichnen, habe doch das römische Volk die Magistrate gewählt und in den Volksversammlungen Gesetze verabschiedet.
Indes, die Stimmen ärmerer Bürger zählten bei den wichtigsten Volksversammlungen weniger als die der Reichen; nur die Angehörigen der obersten Klasse konnten für die senatorischen Ämter kandidieren; nur Amtsträger konnten Gesetzesvorlagen der Volksversammlung zur Abstimmung unterbreiten, die Versammlungsleiter ließen dabei nur Senatoren reden, und binnen eines Vierteljahrtausends lehnte das Volk wohl nur zwei, höchstens vier Anträge ab. Es ist darum Konsens gewesen, die römische Republik als ein aristokratisches Regime zu definieren. Preist man dieses als Demokratie an, kommt der analytische Wert einer Kategorie abhanden: der Historiker vermag die athenische Demokratie dann nicht mehr deutlich abzugrenzen von oligarchischen Herrschaften.
Diese Mode einiger englischer Forscher hat seit Anfang der Neunzigerjahre in Deutschland Reaktionen provoziert, die weit über das Anliegen – die These zu widerlegen – hinausführten und einen produktiven Überschuss an theoriegeleiteter Arbeit gezeitigt haben. Die gedruckten Resultate können sich international sehen lassen: eine Reihe von neuen Studien behandelt die diversen Felder und Formen von Politik in der römischen Republik, deren Performanzen und rituelle Aspekte.
In diesem Kontext ist das Buch von Karl-Joachim Hölkeskamp entstanden. Es zieht eine Summe. In den ersten drei Kapiteln behandelt er im Stile einer Problemgeschichte zunächst die Aporien der traditionellen Verfassungsgeschichte, dann würdigt er die von Christian Meier geleistete neue Konzeptionalisierung der strukturellen Bedingungen, unter denen römische Senatoren handelten. Das fünfte Kapitel betont die Ergiebigkeit theoriegeleiteter Forschung – welche auf Soziologie, historische Semantik und politische Semiotik zurückgreift – für die Erschließung der politischen Kultur dieser aristokratischen Republik.
Danach bilanziert der Autor: Oligarchische Herrschaftsformen sind dermaßen unterschiedlich, dass ein umfassender Aristokratie-Begriff die Besonderheiten verwischt und seine konzeptuelle Leistung gering ist; die römische Senatorenschaft unterlag den Zwängen einer scharfen Konkurrenz um die politischen Ämter, einer Konkurrenz, die ihrerseits einen Konsens über unstrittige Regeln, Normen und Werte voraussetzte, beschwor und stärkte. Schließlich behandelt Hölkeskamp unter dem Stichwort „symbolisches Kapital” die Zusammenhänge von familialem Prestige und der ständigen – rituell und medial unterstützten – Reproduktion des Grundkonsens in jener Republik. Das abschließende Kapitel hebt die Innovationen hervor, die innerhalb der beiden letzten Dekaden sich vollzogen haben in dieser international stark verflochtenen Disziplin, welche die Alte Geschichte darstellt.
Dem Autor ist zu danken für knappe Darstellung, klaren Aufbau und nicht zuletzt seine entschiedene Stellungnahme: er rechtfertigt den innerdisziplinären Streit als Vater neuer Erkenntnisse.
EGON FLAIG
KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP: Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte. Historische Zeitschrift, Bd. 38. Oldenbourg Vlg., München 2004. 146 S., 34,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Karl-Joachim Hölkeskamp kann im antiken Rom keine Demokratie entdecken
Was steht auf dem Spiel, wenn man ein Regime, das auf politischer Ungleichheit seiner Bürger aufbaut, eine Demokratie nennt? Eine Leitkategorie der politischen Orientierung wird so entwertet – wie vermöchten wir dann jenen untergegangenen Volksdemokratien Osteuropas abzusprechen, ebenfalls „Demokratien” gewesen zu sein? Keine akademische Frage also. Trotzdem eine, die seit 20 Jahren die althistorische Wissenschaft aufwühlt. Denn in der englischen Forschung zur römischen Republik hat sich unter der Federführung von Fergus Millar die Meinung breit gemacht, man müsse die römische Republik als Demokratie bezeichnen, habe doch das römische Volk die Magistrate gewählt und in den Volksversammlungen Gesetze verabschiedet.
Indes, die Stimmen ärmerer Bürger zählten bei den wichtigsten Volksversammlungen weniger als die der Reichen; nur die Angehörigen der obersten Klasse konnten für die senatorischen Ämter kandidieren; nur Amtsträger konnten Gesetzesvorlagen der Volksversammlung zur Abstimmung unterbreiten, die Versammlungsleiter ließen dabei nur Senatoren reden, und binnen eines Vierteljahrtausends lehnte das Volk wohl nur zwei, höchstens vier Anträge ab. Es ist darum Konsens gewesen, die römische Republik als ein aristokratisches Regime zu definieren. Preist man dieses als Demokratie an, kommt der analytische Wert einer Kategorie abhanden: der Historiker vermag die athenische Demokratie dann nicht mehr deutlich abzugrenzen von oligarchischen Herrschaften.
Diese Mode einiger englischer Forscher hat seit Anfang der Neunzigerjahre in Deutschland Reaktionen provoziert, die weit über das Anliegen – die These zu widerlegen – hinausführten und einen produktiven Überschuss an theoriegeleiteter Arbeit gezeitigt haben. Die gedruckten Resultate können sich international sehen lassen: eine Reihe von neuen Studien behandelt die diversen Felder und Formen von Politik in der römischen Republik, deren Performanzen und rituelle Aspekte.
In diesem Kontext ist das Buch von Karl-Joachim Hölkeskamp entstanden. Es zieht eine Summe. In den ersten drei Kapiteln behandelt er im Stile einer Problemgeschichte zunächst die Aporien der traditionellen Verfassungsgeschichte, dann würdigt er die von Christian Meier geleistete neue Konzeptionalisierung der strukturellen Bedingungen, unter denen römische Senatoren handelten. Das fünfte Kapitel betont die Ergiebigkeit theoriegeleiteter Forschung – welche auf Soziologie, historische Semantik und politische Semiotik zurückgreift – für die Erschließung der politischen Kultur dieser aristokratischen Republik.
Danach bilanziert der Autor: Oligarchische Herrschaftsformen sind dermaßen unterschiedlich, dass ein umfassender Aristokratie-Begriff die Besonderheiten verwischt und seine konzeptuelle Leistung gering ist; die römische Senatorenschaft unterlag den Zwängen einer scharfen Konkurrenz um die politischen Ämter, einer Konkurrenz, die ihrerseits einen Konsens über unstrittige Regeln, Normen und Werte voraussetzte, beschwor und stärkte. Schließlich behandelt Hölkeskamp unter dem Stichwort „symbolisches Kapital” die Zusammenhänge von familialem Prestige und der ständigen – rituell und medial unterstützten – Reproduktion des Grundkonsens in jener Republik. Das abschließende Kapitel hebt die Innovationen hervor, die innerhalb der beiden letzten Dekaden sich vollzogen haben in dieser international stark verflochtenen Disziplin, welche die Alte Geschichte darstellt.
Dem Autor ist zu danken für knappe Darstellung, klaren Aufbau und nicht zuletzt seine entschiedene Stellungnahme: er rechtfertigt den innerdisziplinären Streit als Vater neuer Erkenntnisse.
EGON FLAIG
KARL-JOACHIM HÖLKESKAMP: Rekonstruktionen einer Republik. Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte. Historische Zeitschrift, Bd. 38. Oldenbourg Vlg., München 2004. 146 S., 34,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2004Tuchfühlung mit dem Tribunen
Forschungen zur politischen Kultur der römischen Republik
Der Historiker der römischen Republik hat es mit einer ungleichmäßigen und lückenhaften Quellenlage zu tun, vermag aber andererseits alle Zeugnisse zu überschauen. Doch Erkenntnis erwächst allein aus diesem Verfügen über das Material nicht, wie ein Blick in die positivistischen Handbücher des neunzehnten Jahrhunderts lehrt. Theodor Mommsen, der die Überlieferung kannte wie kein zweiter, bediente sich für die sinngebende Durchdringung deshalb der starken Kategorien seiner Zeit: Nation und Caesarismus in der "Römischen Geschichte", Begriffsjurisprudenz und Verfassung im "Staatsrecht". Matthias Gelzer gründete seine Rekonstruktion der Nobilität als der politischen Klasse Roms auf eine eindringliche Lektüre Ciceros.
Die enge Tuchfühlung mit der Tradition kann aber auch dazu verführen, deren Begriffe und analytische Kategorien als vermeintlich gegenstandsnah zu übernehmen, selbst wenn erwiesen ist, wie grobschlächtig diese im Vergleich mit modernen politologischen und soziologischen Instrumentarien sind. Dessenungeachtet hat Fergus Millar unter Berufung auf das Urteil des Polybios, mit britischem Mut zur klaren Aussage und die schrecklich komplizierten Bemühungen zumal seiner deutschen Kollegen souverän mißachtend, die politische Ordnung der römischen Republik als Demokratie im Sinne der athenischen angesprochen, weil auch auf dem Comitium und dem Marsfeld über Anträge abgestimmt und die Amtsträger gewählt wurden (siehe F.A.Z. vom 28. September 1999).
Das ist dreist, denn in Athen zählte jede Stimme gleich viel (nicht so in Rom), das versammelte Volk bestimmte selbst über seine Agenda (in Rom hatte der Versammlungsleiter das Sagen), und die Amtsträger agierten als schwache Beauftragte des Volkes nicht selten in Furcht vor ihrem Herrn - der Glanz und die Machtfülle eines Konsuls, gar eines Diktators waren fern. Eine solche Einebnung fundamentaler Unterschiede nach den Leitmaßstäben Gleichheit, Freiheit, Kontrolle und Partizipation stellt ihrerseits ein Politikum dar, und die Debatte darüber verdiente breitere Resonanz. Diese wird aber wohl erst eine - dringend erforderliche - Gesamtdarstellung finden können, die das Problem aufnimmt und zu einer leitenden Kategorie macht.
Die einstweilen fällige wissenschaftliche Widerlegung Millars sowie eine Bündelung der vielfältigen Forschungen zur politischen Kultur Roms vor Augustus bietet nunmehr Karl-Joachim Hölkeskamps dichte Studie, die über diese beiden Ziele hinausreicht und eigene Akzente setzt. Bildet Millar für den Kölner Gelehrten den negativen Referenzpunkt, so trägt der positive den Namen Christian Meier, dessen vor fast vierzig Jahren vorgetragener Neuansatz, die "politische Grammatik" der Res publica aus ihrem Versagen zu rekonstruieren, einen Durchbruch bedeutete (siehe F.A.Z. vom 9. September 1987). Hölkeskamp greift Meiers Kritik an dem lange vorherrschenden statischen Verfassungsbegriff auf und fragt seinerseits nach Abgrenzung, Verhältnis und relativer Gewichtung von formaler und realer, symbolisch-ritueller und inhaltlich-praktischer Teilhabe in den Entscheidungszentren der Republik. Nobiles und Volk waren sehr ungleiche, aber aufeinander angewiesene Akteure in einem Beziehungsfeld, in dem es auch darum ging, welche Themen politisiert werden konnten (die wichtigen am Ende gar nicht mehr), wer die Regeln interpretierte und worauf Autorität und Gehorsam beruhten.
Im Sinne der kulturalistischen Wende wird der Selbstkonzeptualisierung der Römer und ihren Inszenierungen von Macht, Wettbewerb und Konsens große Bedeutung beigemessen. Durch eine originelle Applikation von Simmels soziologischer Analyse von Konkurrenz vermag Hölkeskamp zu erklären, warum die Reproduktion der Nobilität als einer politischen Klasse, in der nur Chancen vererbbar waren, über ergebnisoffene Volkswahlen für die Akzeptanz von Sieg und Niederlage durch die Mitglieder der Elite unverzichtbar war und blieb.
Die römische Republik kann weiter als aristokratisch-oligarchisches System gelten, freilich von nunmehr sehr viel klarerer, singulärer Eigenart. Der systematische und theorieorientierte, dabei tendenziell alles mit allem vernetzende Zugriff ist nicht ohne Probleme. Daß die Denkmäler- und Bilderwelt Roms mit ihren Themen, Topoi und Texten so einheitlich, allgemein akzeptiert und für jedermann lesbar war, bleibt zunächst Postulat, und die kontingente Ereignishaftigkeit von Geschichte, die fortwährend neue Handlungsvorbilder produzierte, kreative Lösungen erforderte und bestehende Konsense in Frage stellte, kann in diesem Zugriff kaum angemessen konzeptualisiert werden. Dasselbe gilt für die Bedeutung einzelner Persönlichkeiten, deren unvorhersehbares Ausscheiden oder Überleben nicht selten eine entscheidenden Druckspannung auch auf die politische Architektur der Republik ausübte.
In diesem Sinne betont Jürgen von Ungern-Sternberg in seinem "Companion"-Essay über die Krise der Republik erneut die Bedeutung des Volkstribunats von Tiberius Gracchus im Jahr 133 vor Christus: Das obstinate Festhalten des Tribunen und der Senatsmehrheit an ihren Positionen lag nicht in der Funktionslogik der Verfassung, war aber durch sie gedeckt. Vor allem war es der Einbruch roher physischer Gewalt, der einen Damm brechen ließ. Das Nebeneinander, Nacheinander und Ineinander von Eruption und Normalität wies damit auf neuzeitliche Revolutionen voraus. Harriet Flower, in der deutschen wie der englischsprachigen Altertumswissenschaft zu Hause, schiebt in der vorzüglichen Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Buch mutig modische akademische Alteritätsobsessionen beiseite: Die politische Kultur dieser vitalen, kreativen, raubgierigen und grausamen römischen Republik zu kennen ist relevant auch für die politischen Probleme und Herausforderungen der Gegenwart. So ist der Band aufgebaut: Nachdem wesentliche Aspekte von Politik und Gesellschaft, Militär und Expansion, Religion und Kultur in vierzehn Essays von eher einführendem Zuschnitt umrissen sind, skizziert ein abschließender Beitrag die Bedeutung der römischen Republik für die Französische und die Amerikanische Revolution.
Die politische Rhetorik Roms hatte das Gemeinwohl betont und die Verderbnis einer Monarchie gegeißelt, die Autorität des Senats, die ausgeglichene Verfassung und die Souveränität des Volkes gepriesen. Sie hat damit die Angelpunkte jedes republikanischen Diskurses bestimmt und dafür gesorgt, daß die politisch reflektierte wissenschaftliche Rekonstruktion der römischen Republik noch immer eine lohnende Herausforderung darstellt.
UWE WALTER.
Karl-Joachim Hölkeskamp: "Rekonstruktionen einer Republik". Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte. Historische Zeitschrift, Beihefte, Band 38. R. Oldenbourg Verlag, München 2004. 146 S., br., 34,80 [Euro].
Harriet I. Flower (Hrsg.): "The Cambridge Companion to the Roman Republic". Cambridge University Press, Cambridge 2004. 405 S., 33 Abb., br., 19,99 £ , geb., 55,- £.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Forschungen zur politischen Kultur der römischen Republik
Der Historiker der römischen Republik hat es mit einer ungleichmäßigen und lückenhaften Quellenlage zu tun, vermag aber andererseits alle Zeugnisse zu überschauen. Doch Erkenntnis erwächst allein aus diesem Verfügen über das Material nicht, wie ein Blick in die positivistischen Handbücher des neunzehnten Jahrhunderts lehrt. Theodor Mommsen, der die Überlieferung kannte wie kein zweiter, bediente sich für die sinngebende Durchdringung deshalb der starken Kategorien seiner Zeit: Nation und Caesarismus in der "Römischen Geschichte", Begriffsjurisprudenz und Verfassung im "Staatsrecht". Matthias Gelzer gründete seine Rekonstruktion der Nobilität als der politischen Klasse Roms auf eine eindringliche Lektüre Ciceros.
Die enge Tuchfühlung mit der Tradition kann aber auch dazu verführen, deren Begriffe und analytische Kategorien als vermeintlich gegenstandsnah zu übernehmen, selbst wenn erwiesen ist, wie grobschlächtig diese im Vergleich mit modernen politologischen und soziologischen Instrumentarien sind. Dessenungeachtet hat Fergus Millar unter Berufung auf das Urteil des Polybios, mit britischem Mut zur klaren Aussage und die schrecklich komplizierten Bemühungen zumal seiner deutschen Kollegen souverän mißachtend, die politische Ordnung der römischen Republik als Demokratie im Sinne der athenischen angesprochen, weil auch auf dem Comitium und dem Marsfeld über Anträge abgestimmt und die Amtsträger gewählt wurden (siehe F.A.Z. vom 28. September 1999).
Das ist dreist, denn in Athen zählte jede Stimme gleich viel (nicht so in Rom), das versammelte Volk bestimmte selbst über seine Agenda (in Rom hatte der Versammlungsleiter das Sagen), und die Amtsträger agierten als schwache Beauftragte des Volkes nicht selten in Furcht vor ihrem Herrn - der Glanz und die Machtfülle eines Konsuls, gar eines Diktators waren fern. Eine solche Einebnung fundamentaler Unterschiede nach den Leitmaßstäben Gleichheit, Freiheit, Kontrolle und Partizipation stellt ihrerseits ein Politikum dar, und die Debatte darüber verdiente breitere Resonanz. Diese wird aber wohl erst eine - dringend erforderliche - Gesamtdarstellung finden können, die das Problem aufnimmt und zu einer leitenden Kategorie macht.
Die einstweilen fällige wissenschaftliche Widerlegung Millars sowie eine Bündelung der vielfältigen Forschungen zur politischen Kultur Roms vor Augustus bietet nunmehr Karl-Joachim Hölkeskamps dichte Studie, die über diese beiden Ziele hinausreicht und eigene Akzente setzt. Bildet Millar für den Kölner Gelehrten den negativen Referenzpunkt, so trägt der positive den Namen Christian Meier, dessen vor fast vierzig Jahren vorgetragener Neuansatz, die "politische Grammatik" der Res publica aus ihrem Versagen zu rekonstruieren, einen Durchbruch bedeutete (siehe F.A.Z. vom 9. September 1987). Hölkeskamp greift Meiers Kritik an dem lange vorherrschenden statischen Verfassungsbegriff auf und fragt seinerseits nach Abgrenzung, Verhältnis und relativer Gewichtung von formaler und realer, symbolisch-ritueller und inhaltlich-praktischer Teilhabe in den Entscheidungszentren der Republik. Nobiles und Volk waren sehr ungleiche, aber aufeinander angewiesene Akteure in einem Beziehungsfeld, in dem es auch darum ging, welche Themen politisiert werden konnten (die wichtigen am Ende gar nicht mehr), wer die Regeln interpretierte und worauf Autorität und Gehorsam beruhten.
Im Sinne der kulturalistischen Wende wird der Selbstkonzeptualisierung der Römer und ihren Inszenierungen von Macht, Wettbewerb und Konsens große Bedeutung beigemessen. Durch eine originelle Applikation von Simmels soziologischer Analyse von Konkurrenz vermag Hölkeskamp zu erklären, warum die Reproduktion der Nobilität als einer politischen Klasse, in der nur Chancen vererbbar waren, über ergebnisoffene Volkswahlen für die Akzeptanz von Sieg und Niederlage durch die Mitglieder der Elite unverzichtbar war und blieb.
Die römische Republik kann weiter als aristokratisch-oligarchisches System gelten, freilich von nunmehr sehr viel klarerer, singulärer Eigenart. Der systematische und theorieorientierte, dabei tendenziell alles mit allem vernetzende Zugriff ist nicht ohne Probleme. Daß die Denkmäler- und Bilderwelt Roms mit ihren Themen, Topoi und Texten so einheitlich, allgemein akzeptiert und für jedermann lesbar war, bleibt zunächst Postulat, und die kontingente Ereignishaftigkeit von Geschichte, die fortwährend neue Handlungsvorbilder produzierte, kreative Lösungen erforderte und bestehende Konsense in Frage stellte, kann in diesem Zugriff kaum angemessen konzeptualisiert werden. Dasselbe gilt für die Bedeutung einzelner Persönlichkeiten, deren unvorhersehbares Ausscheiden oder Überleben nicht selten eine entscheidenden Druckspannung auch auf die politische Architektur der Republik ausübte.
In diesem Sinne betont Jürgen von Ungern-Sternberg in seinem "Companion"-Essay über die Krise der Republik erneut die Bedeutung des Volkstribunats von Tiberius Gracchus im Jahr 133 vor Christus: Das obstinate Festhalten des Tribunen und der Senatsmehrheit an ihren Positionen lag nicht in der Funktionslogik der Verfassung, war aber durch sie gedeckt. Vor allem war es der Einbruch roher physischer Gewalt, der einen Damm brechen ließ. Das Nebeneinander, Nacheinander und Ineinander von Eruption und Normalität wies damit auf neuzeitliche Revolutionen voraus. Harriet Flower, in der deutschen wie der englischsprachigen Altertumswissenschaft zu Hause, schiebt in der vorzüglichen Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Buch mutig modische akademische Alteritätsobsessionen beiseite: Die politische Kultur dieser vitalen, kreativen, raubgierigen und grausamen römischen Republik zu kennen ist relevant auch für die politischen Probleme und Herausforderungen der Gegenwart. So ist der Band aufgebaut: Nachdem wesentliche Aspekte von Politik und Gesellschaft, Militär und Expansion, Religion und Kultur in vierzehn Essays von eher einführendem Zuschnitt umrissen sind, skizziert ein abschließender Beitrag die Bedeutung der römischen Republik für die Französische und die Amerikanische Revolution.
Die politische Rhetorik Roms hatte das Gemeinwohl betont und die Verderbnis einer Monarchie gegeißelt, die Autorität des Senats, die ausgeglichene Verfassung und die Souveränität des Volkes gepriesen. Sie hat damit die Angelpunkte jedes republikanischen Diskurses bestimmt und dafür gesorgt, daß die politisch reflektierte wissenschaftliche Rekonstruktion der römischen Republik noch immer eine lohnende Herausforderung darstellt.
UWE WALTER.
Karl-Joachim Hölkeskamp: "Rekonstruktionen einer Republik". Die politische Kultur des antiken Rom und die Forschung der letzten Jahrzehnte. Historische Zeitschrift, Beihefte, Band 38. R. Oldenbourg Verlag, München 2004. 146 S., br., 34,80 [Euro].
Harriet I. Flower (Hrsg.): "The Cambridge Companion to the Roman Republic". Cambridge University Press, Cambridge 2004. 405 S., 33 Abb., br., 19,99 £ , geb., 55,- £.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Historisch Interessierte, aufgepasst! Uwe Walter führt die Leser seiner Rezension in eine offenbar seit Jahren währende Fachdebatte über die politische Ordnung der römischen Republik ein, die zuletzt der britische Historiker Fergus Millar anführte, indem er die römische Republik als Demokratie bezeichnete. Das war ganz schön dreist, findet auch Uwe Walter und begrüßt die fällige Widerlegung Millars durch den Kölner Historiker Hölkeskamp. Der leistet darüber hinaus noch viel mehr, stellt Walter lobend heraus: nämlich eine Bündelung der jüngsten Forschungen zur politischen Kultur Roms vor Augustus, eine Anknüpfung an den mittlerweile 40 Jahre alten "Neuansatz" des Althistorikers Christian Meier sowie eine kulturalistische Volte, die soziologische Kriterien wie Konkurrenz und Wettbewerb zur "Selbstkonzeptualisierung der Römer und ihren Inszenierungen der Macht" einführt. Das Fazit Walters, das er aus Hölkeskamps Untersuchung schlussfolgert: die römische Republik kann weiter als aristokratisch-oligarisches System gelten. Punkteverlust für die Engländer.
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"Das vorliegende Buch ist Forschungsüberblick und Stellungnahme zugleich und weitet sich gegen Ende hin zu einer grundsätzlichen Positionsbestimmung des Faches Alte Geschichte im Verbund mit seinen Nachbardisziplinen. Dass dies alles auf so engem Raum gelingt, ist eine Stärke des dicht und dennoch klar geschriebenen Textes, der in neun knappe Kapitel unterteilt ist. In gewisser Weise hat Hölkeskamp ein unzeitgemäßes Buch geschrieben, beharrt er doch in einer Zeit, in der Bücher immer rascher geschrieben werden, darauf, dass man sie gründlich lesen soll. Seines verdient es auch." Frank Wittchow in: Gymnasium 3/113 "Le livre d'Hölkeskamp vient relancer avec brio le débat sur la nature du régime politique en place à Rome à l'époque républicaine. [...] [L]e livre d'Hölkeskamp est novateur à bien des égards et constituera un indispensable point de départ pour toute recherche future sur la nature et les fondements politiques de la république romaine." Frédéric Hurlet in: Latomus-Revue d'Etudes Latines, LXVI/2007 "H.'s call for expansion of interdisciplinary studies, particularly in conjunction with anthropology and sociology, and for a broadened perspective on the political cultur of the Roman Republic is most welcome." Erich S. Gruen in: Gnomon, Heft 6/2007