Obwohl religiöse Toleranz schon immer ein zentrales Problem der christlichen Philosophie und Theologie war, wurde sie in Deutschland erst im Laufe des 18. Jahrhunderts aus politischer Notwendigkeit und mit Blick auf die Praxis nach der Reformationszeit verwirklicht. Fritsch zeichnet in "Religiöse Toleranz im Zeitalter der Aufklärung" diesen langwierigen Prozeß der Etablierung nach, deckt konfessionsbedingte Differenzen auf und thematisiert den Gegensatz zwischen dem protestantischen und dem katholischen Ansatz: Denn während sich in den protestantischen Lehrbüchern das Gewicht stetig zu Gunsten einer reinen Staatslehre zu verschieben schien, waren die katholischen Autoren grundsätzlich an das Kanonische Recht gebunden, das konkurrierende Konfessionen nur als "kleineres Übel" gelten lassen kann. Mit seinem Werk gelingt es Fritsch, eine Lücke in der philosophiehistorischen Erforschung der religiösen Toleranz zu schließen. Er untersucht 21 Autoren der deutschen Aufklärung, große Naturrechtstheoretiker wie auch weniger bekannte Denker, auf ihre jeweilige Toleranzauffassung und vereint die Perspektiven von Staats- und Religionsphilosophie, politischer Theorie, Rechtsgeschichte, Kanonistik und protestantischer sowie katholischer Ekklesiologie zu einer spannenden Gesamtsicht.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Es gibt verschiedene Arbeiten, die sich mit der Toleranzfrage im Zeitalter der Aufklärung beschäftigt und im Zuge dessen die großen Philosophen jener Zeit befragt haben, als da waren: Montesquieu, Voltaire, Rousseau, Lessing und - nicht zu vergessen - Kant. Ulrich Kronauer verweist in diesem Zusammenhang auf die Arbeit von Rainer Forst aus dem vergangenen Jahr. Matthias J. Fritsch nähert sich dem Toleranzdiskurs jener Zeit auf andere Weise, berichtet Kronauer: Fritsch habe die Schulphilosophen unter die Lupe genommen, jene also, die für die akademischen Lehrbücher und den Unterricht zuständig waren und großen Einfluss auf die Beamtenschaft beispielsweise hatten. Eines der wenig überraschenden Ergebnisse von Fritschs Untersuchung lautet, dass das Recht auf freie Religionsausübung in der Schulphilosophie nicht etwa von der Naturrechts-Philosophie abgeleitet wurde, sondern staatsrechtlich mit der Souveränität des Landesherrn begründet wurde. Kant und Locke waren da schon einen Schritt weiter, meint Kronauer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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