Michael Kühnlein beschäftigt sich mit den religiösen Hintergrundmotiven von Taylors Sozial- und Freiheitsphilosophie in den Quellen des Selbst, einer bahnbrechenden Analyse über die Entwicklung der neuzeitlichen Identität. Dabei geht es vor allem um den Nachweis, dass der von Taylor im moralischen Kontext behauptete Primat des Guten vor dem Rechten von den theologischen Implikationen einer transzendierenden Konzeption der Selbstbejahung nicht zu trennen ist. Diese Priorisierung des Guten betrifft vor allem die Frage nach der Rückgängigmachung der Selbstverschuldung und den Möglichkeiten der moralischen Erneuerung des Individuums. Taylor positioniert sich hier als Kritiker jener liberalistischen Autonomiemodelle, die Freiheit nur in Abhängigkeit vom Selbst definieren. Dem selbstgenügsamen Atomismus stellt er in der Folge ein durch die christliche Agape transfiguriertes Selbstverhältnis gegenüber, welches Freiheit von den Bedingungen ihrer Verwirklichung her denkt. Die Heraufkunft der Moderne beschreibt er hingegen als einen Prozess, der in seiner einseitigen Festlegung auf Unabhängigkeit diese Selbst-Verwirklichung immer weiter aufschiebt und so die moralische Subjektivität durch Entfremdung und Verzweiflung zu korrumpieren droht. Taylors moderne Güterethik ist insofern der historisch-hermeneutische Versuch, auf der Grundlage einer Ethik der Artikulation das spannungsreiche, immer aber auch wechselseitige Verhältnis von Philosophie und Religion, von Autonomie und Theonomie neu zu durchdenken und auf diesem Wege der Hybris einer anthropozentrischen Vernunft entgegenzuwirken.