Die Herausstellung gemeinsamer Wurzeln von Christentum und Islam läuft bei Goetze auf eine "Gemeinsamkeit" von Christentum und Islam hinaus, die Letzterem das Fundament einer gestifteten Offenbarungsreligion unter den Füßen wegzieht, Muhammad zur Fiktion erklärt und die ältesten literarischen
Schichten des Qurans bis zu 100% in das christliche Erbe aufsaugt. Das sieht kaum nach interreligiösen…mehrDie Herausstellung gemeinsamer Wurzeln von Christentum und Islam läuft bei Goetze auf eine "Gemeinsamkeit" von Christentum und Islam hinaus, die Letzterem das Fundament einer gestifteten Offenbarungsreligion unter den Füßen wegzieht, Muhammad zur Fiktion erklärt und die ältesten literarischen Schichten des Qurans bis zu 100% in das christliche Erbe aufsaugt. Das sieht kaum nach interreligiösen Dialog aus, den Goetze als Pfarrer für interreligiösen Dialog im Berliner Missionswerk führen möchte. Bei Goetze kommt es eher zu einer Art Wiederauflage des Bibel-Babel-Streites, in dem zu Anfang des 20. Jh.s das Alte Testament und damit das Judentum als Plagiat der babylonischen Religion dargestellt wurden (so von F. Delitzsch in seinem Buch "Die große Täuschung", 1920). Da nach rund 100 Jahren mit Goetzes Buch erneut eine Weltreligion als "gigantisches Fälschungswerk" klassifiziert wird, ist - nach den Erfahrungen mit der sog. religionsgeschichtlichen Schule (F. Delitzsch, P. Jensen, u.a.) vor rd. 100 Jahren - erneut die Frage zu beantworten, ob die Forschungsergebnisse - diesmal die der sog. Saarbrücker Schule (Luxenberg, Ohlig, Popp, Groß, etc.), an die sich Goetze unkritisch anschließt - in wissenschaftlicher Hinsicht überhaupt tragfähig sind. Renommierte und international anerkannte Arabisten und Islamwissenschaftler wie Tilman Nagel und Angelika Neuwirth u. v. a. bezweifeln das mit überzeugenden Argumenten.
Nur ein Beispiel: Goetze behauptet im Anschluss an die sog. Saarbrücker Schule, dass der Quran auf christlichen Lektionaren des ostsyrischen Christentums beruhe, die rd. zwei Jahrhunderte nach dem bisher angenommenen Datum des Auftretens Muhammads zu einer den Herrschaftsanspruch der Abbasiden unterstützenden Offenbarungsschrift umgearbeitet worden seien. Aktuelle Forschungen (Francois Deroche, Behnam Sadeghi) haben dagegen sowohl durch neueste technologische Materialanalyse als auch vermittels textkritisch-philologischer und systematischer Vergleiche der ältesten Textzeugen des Qurans erwiesen, dass wir mit dem sog. utmanischen Text nicht einen mit anderen Überlieferungen konkurrierenden hybriden Text vor uns haben, sondern den direkten Abkommen eines vom Propheten selbst diktierten Archetyps des Qurans; vgl. A. Neuwirth, Der Koran, Bd. 1: Frühmekkanische Suren, Berlin 2011, S. 24f (Lit.): "Damit haben alle noch in Umlauf befindlichen Spekulationen über eine erst sukzessive Entwicklung des Korantextes oder die nicht gesicherte ,Echtheit` von Einzeltexten, die erst von der späteren Gemeinde umgeschrieben oder überhaupt erst in einer späteren Zeit um einen imaginierten Propheten herum konstruiert worden seien, ihre Grundlage verloren." (ebd., S. 24); vgl. a. dies., Der Koran als Text der Spätantike - ein europäischer Zugang, Berlin 2010, S. 267ff.
Der Wert des Goetze'schen Buches liegt in der populären Zusammenstellung der Forschungen der Saarbrücker Schule, die sonst auf viele dem normalen Laien kaum zugängliche und nur schwer verständliche Publikationen verstreut sind. Da aber Goetze fast nur Literatur zitiert, die seiner "Saarbrücker" Argumentationsrichtung entspricht und sich nur sehr selektiv bzw. oft gar nicht mit der an den Originalquellen erprobten etablierten Forschermeinung auseinandersetzt, erlaubt er dem Leser keine urteilsfähige Distanz zu den von ihm selbst meist bloß unkritisch referierten und wissenschaftlich kaum haltbaren Hypothesen der Saarbrücker Schule.
Die Saarbrücker Hypothesen sind belastet mit gravierenden wissenschaftlichen und methodologischen Mängeln wie etwa der Missachtung und Manipulation der arabischen Grammatik, der hocharbiträren Konjekturpraxis, der kurzschlüssig angewandten Numismatik, der oft bloß zirkulären Argumentation, der an entscheidenden Stellen fehlenden Begriffsschärfe ("Sprachmischung", Etymologie als Schlüsselwissenschaft, etc.) sowie mit willkürlichen Schriftzeichen-, Etymologie- und Symbolspekulationen, die erhebliche Argumentationslücken überdecken helfen.