Jegliche Besinnung auf die Wirkkraft der Religion in der modernen Lebenswelt hat zunächst davon auszugehen, daß ihr Einfluß von vielen Autoren nachhaltig bedauert und in ein illegitimes Licht gerückt wird. Ihrer Ansicht nach wachsen die Ariadnefäden, die aus dem Labyrinth der endlich überwundenen Vergangenheit herausführen, nur aus einer antireligiösen Einstellung. Dabei gingen schon am Beginn der Neuzeit viele Philosophen davon aus, daß allein die szientifische Denkweise den Glauben zu ersetzen in der Lage ist. Existenzbewältigung und Daseinssicherung gründen nun nicht mehr in angeblich utopischen Daseinsvertröstungen, sondern haben ihren Wurzelgrund allein in der Fähigkeit des Menschen, die Welt in einem rationalen und zugleich religionsnegierenden Sinne umzugestalten. Dagegen wird eine sich dem Prinzip der selektiven Wahrnehmung verweigernde Wissenschaft davon auszugehen haben, daß die kulturelle Prägekraft der Religion bis heute andauert. Dieser Einsicht kann sich auch der Politologe nicht verschließen. Er wird vor allem dann, wenn er sich mit dem Problem der Staatsautorität und ihrer Legitimierung beschäftigt, die religiöse Dimension kaum außer acht lassen können. Dabei ist auch die atheistische Denkposition zu berücksichtigen. Was die religiöse Rechtfertigung der politischen Gewalt anlangt, so ist diese weit davon entfernt, einer einheitlichen Argumentationslinie verpflichtet zu sein. Nicht zuletzt im 19. Jahrhundert standen den konterrevolutionären Theokraten diejenigen gegenüber, die das Konzept der christlichen Demokratie vertraten. Diese Lagerbildung prägte vor allem den französischen Katholizismus dieser Epoche. Über den Einfluß der Religion auf die Politik gibt es auch innerhalb des liberalen Ideenkreises erhebliche Differenzen. Viele seiner Repräsentanten rücken ihre Ordnungsvorstellung in eine betont christentumsfeindliche Perspektive. Ihnen stehen diejenigen gegenüber, die ihre freiheitlich ausgerichtete Politikvision auf eine betont religiöse Basis stellen.