Der neue Roman von Claire Beyer, Autorin des erfolgreichen Romandebüts Rauken (FVA 2000) erzählt mit Hochspannung die Geschichte zweier Ehepaare, deren Lebenswege sich mit einem Schlag untrennbar miteinander verknüpfen. Da sind Kira und Philipp, die sich nach kurzer Ehe bereits auseinandergelebt haben. Sie streiten mit Vorliebe um ihre Selbstbestimmung; doch jeder erfochtene Kompromiß kommt auf beiden Seiten einer Niederlage gleich. Und es gibt Friedrich und Margarete, das ältere Ehepaar. In ihrer Beziehung sind die Zuständigkeiten von Beginn an geklärt; doch beide sind auf ihre Weise an den ihnen vorgezeichneten Rollen zerbrochen. Friedrich und Margarete haben ihre Farm in Namibia verloren und sind nach Deutschland geflohen. Margarete ist krank, denn sie hat etwas gehört, was sie besser nicht hätte erfahren sollen. Zufällig benachbart, freunden sich die beiden Ehepaare an, und für Kira und Philipp erwächst die Gelegenheit, das seit Jahren leerstehende Ferienhaus von Friedrich und Margarete in den französischen Pyrenäen zu besuchen. Auf dieser Reise, beginnend mit einem mysteriösen Kuvert ohne Inhalt, zieht der Zufall die Kreise immer dramatischer und enger, bis mit zwangsläufiger Notwendigkeit sicher geglaubte, ungeheure Familiengeheimnisse zu Tage treten
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.02.2007Im Meer versenkt
Claire Beyers Roman „Remis” betreibt Paarbeobachtung
Leichthändig, fast lakonisch beginnt Claire Beyers kleiner Roman „Remis”. Zwei Ehepaare, die sich nicht allzu gut kennen, werden auf einem übersichtlichen Spielfeld in Stellung gebracht. Das jüngere Paar hat dem älteren einen Nachbarschaftsdienst erwiesen. Zum Dank bekommt es die Schlüssel für das Ferienhaus in Südfrankreich überreicht. Alles sieht harmlos und freundlich aus. Doch mit beiden Paaren stimmt etwas nicht. So unterschiedlich sie auf den ersten Blick sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Zwischen den Partnern herrscht Sprachlosigkeit.
Margarete, Ende fünfzig, hat sich ganz in ihr Zimmer zurückgezogen und unterhält sich nur noch mit einer imaginären Vertrauten. Friedrich, ihr zwölf Jahre älterer Mann kümmert sich zwar pflichtbewusst um sie, stellt Essen vor die Tür und versucht sie mit allen möglichen Mitteln aus ihrer Depression zu locken, aber eigentlich geht ihm das ganze Theater auf die Nerven. Auch Philipp, erfolgreicher Grafiker in einer Werbeagentur, hat es mit seiner Frau nicht leicht. Er lernte Kira als begabte Pianistin kennen und wollte sie ebenfalls zum Erfolg führen. Denn Kunst und Geld gehören in seinen Augen zusammen. Doch Kira hat einen höheren Anspruch an die Kunst und weiß, dass sie ihm nicht genügt. Inzwischen arbeitet sie als Klavierlehrerin und ist entsprechend frustriert. Zwei hoch empfindliche Frauen, zwei etwas tumbe, aber durchaus liebenswerte Männer: eine Konstellation, aus der man etwas machen kann.
Und Claire Beyer, die mit ihrem Roman „Rauken” als späte Debütantin bekannt wurde, macht etwas daraus. Zunächst ist das sehr beeindruckend, gerade durch die Sparsamkeit der Mittel. Im steten Wechsel skizziert sie die beiden Paare, die kleinen Gesten, die Verständigungsversuche, das Einrasten der immer gleichen Vorwürfe und Verhaltensformen. „Remis” hätte ein gelungener kleiner Roman über die unterschiedlichen Sensibilitätsschwellen der Geschlechter werden können. Aber die Autorin wollte offenbar mehr. Sie sucht nach Gründen für die Einsamkeit der Frauen und treibt ihren Roman in eine aberwitzige Dynamik hinein, die seine ursprüngliche Versuchsanordnung sprengt.
Bei dem jüngeren Paar bleiben die Erklärungen einigermaßen plausibel: Sie erzählt von einem Liebhaber, dem Kira nachtrauert und dessen Existenz Philipp mehr verletzt hat, als er zeigen möchte, von einer Fehlgeburt, die für die Frau mehr bedeutete als für den Mann, der sich in ungeschickten Tröstungsversuchen verfangen hat, bis sich ihr Schmerz allmählich in Zorn gegen ihn verwandelte; in einen selbstgerechten Zorn, jederzeit aktivierbar, sei es durch einen in fremder Frauenschrift an ihn adressierten Brief, sei es durch irgendeine Ungeschicklichkeit. Doch bei dem älteren Paar hat die Autorin zu sehr in die Tasten gegriffen. Als fürchte sie, man könne ihr Oberflächlichkeit vorwerfen, konstruiert sie ein Geheimnis, das vor keinem noch so großen Thema der deutschen Geschichte zurückschreckt: nicht vor dem Kolonialismus in Namibia, nicht vor sexuellem Missbrauch von Abhängigen und Schutzbefohlenen, nicht vor den Bombennächten in Hamburg und nicht vor Gold aus jüdischem Besitz, das unrechtmäßig in fremde Hände gelangt.
Am Ende bleibt der Autorin nichts anderes übrig, als einen Großteil ihres Personals im Meer zu versenken. Da hat sie sich schon so weit in den Tiefsinn hineingeschrieben, dass es der Untergang der Estonia sein muss, von Schubert-Klängen begleitet. Dabei liegen ihre Fähigkeiten ganz woanders: in der Skizzierung menschlicher Schwächen, unerbittlich genau und doch mit freundlichem Blick.
MEIKE FESSMANN
CLAIRE BEYER: Remis. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2006. 175 Seiten, 18,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Claire Beyers Roman „Remis” betreibt Paarbeobachtung
Leichthändig, fast lakonisch beginnt Claire Beyers kleiner Roman „Remis”. Zwei Ehepaare, die sich nicht allzu gut kennen, werden auf einem übersichtlichen Spielfeld in Stellung gebracht. Das jüngere Paar hat dem älteren einen Nachbarschaftsdienst erwiesen. Zum Dank bekommt es die Schlüssel für das Ferienhaus in Südfrankreich überreicht. Alles sieht harmlos und freundlich aus. Doch mit beiden Paaren stimmt etwas nicht. So unterschiedlich sie auf den ersten Blick sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Zwischen den Partnern herrscht Sprachlosigkeit.
Margarete, Ende fünfzig, hat sich ganz in ihr Zimmer zurückgezogen und unterhält sich nur noch mit einer imaginären Vertrauten. Friedrich, ihr zwölf Jahre älterer Mann kümmert sich zwar pflichtbewusst um sie, stellt Essen vor die Tür und versucht sie mit allen möglichen Mitteln aus ihrer Depression zu locken, aber eigentlich geht ihm das ganze Theater auf die Nerven. Auch Philipp, erfolgreicher Grafiker in einer Werbeagentur, hat es mit seiner Frau nicht leicht. Er lernte Kira als begabte Pianistin kennen und wollte sie ebenfalls zum Erfolg führen. Denn Kunst und Geld gehören in seinen Augen zusammen. Doch Kira hat einen höheren Anspruch an die Kunst und weiß, dass sie ihm nicht genügt. Inzwischen arbeitet sie als Klavierlehrerin und ist entsprechend frustriert. Zwei hoch empfindliche Frauen, zwei etwas tumbe, aber durchaus liebenswerte Männer: eine Konstellation, aus der man etwas machen kann.
Und Claire Beyer, die mit ihrem Roman „Rauken” als späte Debütantin bekannt wurde, macht etwas daraus. Zunächst ist das sehr beeindruckend, gerade durch die Sparsamkeit der Mittel. Im steten Wechsel skizziert sie die beiden Paare, die kleinen Gesten, die Verständigungsversuche, das Einrasten der immer gleichen Vorwürfe und Verhaltensformen. „Remis” hätte ein gelungener kleiner Roman über die unterschiedlichen Sensibilitätsschwellen der Geschlechter werden können. Aber die Autorin wollte offenbar mehr. Sie sucht nach Gründen für die Einsamkeit der Frauen und treibt ihren Roman in eine aberwitzige Dynamik hinein, die seine ursprüngliche Versuchsanordnung sprengt.
Bei dem jüngeren Paar bleiben die Erklärungen einigermaßen plausibel: Sie erzählt von einem Liebhaber, dem Kira nachtrauert und dessen Existenz Philipp mehr verletzt hat, als er zeigen möchte, von einer Fehlgeburt, die für die Frau mehr bedeutete als für den Mann, der sich in ungeschickten Tröstungsversuchen verfangen hat, bis sich ihr Schmerz allmählich in Zorn gegen ihn verwandelte; in einen selbstgerechten Zorn, jederzeit aktivierbar, sei es durch einen in fremder Frauenschrift an ihn adressierten Brief, sei es durch irgendeine Ungeschicklichkeit. Doch bei dem älteren Paar hat die Autorin zu sehr in die Tasten gegriffen. Als fürchte sie, man könne ihr Oberflächlichkeit vorwerfen, konstruiert sie ein Geheimnis, das vor keinem noch so großen Thema der deutschen Geschichte zurückschreckt: nicht vor dem Kolonialismus in Namibia, nicht vor sexuellem Missbrauch von Abhängigen und Schutzbefohlenen, nicht vor den Bombennächten in Hamburg und nicht vor Gold aus jüdischem Besitz, das unrechtmäßig in fremde Hände gelangt.
Am Ende bleibt der Autorin nichts anderes übrig, als einen Großteil ihres Personals im Meer zu versenken. Da hat sie sich schon so weit in den Tiefsinn hineingeschrieben, dass es der Untergang der Estonia sein muss, von Schubert-Klängen begleitet. Dabei liegen ihre Fähigkeiten ganz woanders: in der Skizzierung menschlicher Schwächen, unerbittlich genau und doch mit freundlichem Blick.
MEIKE FESSMANN
CLAIRE BEYER: Remis. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2006. 175 Seiten, 18,90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006Goldbarren im Ferienhaus
Was funkelt da so bräunlich? Auf Schatzsuche mit Claire Beyer / Von Pia Reinacher
Diesen Roman müßte man von hinten nach vorne lesen. Denn er stellt viele Barrieren in den Weg, lockt den Leser mutwillig in Hinterhalte, gräbt Gruben, in die er hineinstolpert, und spielt mit ihm Verstecken. Vieles bleibt bis zuletzt als unlösbares Rätsel im Textgewebe hängen. Erst vom Ende her erhellt sich rückwärts manch Verborgenes in dem vertrackten Erzählprogramm. Das ist gleichzeitig ein Vor- und Nachteil. Claire Beyer hat die Geschichte eines jüngeren und eines älteren Paares geschrieben, die beide scheitern - aus unterschiedlichen Gründen. Gemeinsam ist ihnen, daß sie die Wahrheit verschweigen. Im Zentrum steht hier wie dort eine gigantische Lebenslüge, die verhüllt wird - mit geradezu wahnhafter Behutsamkeit und provozierender Bedächtigkeit.
Der entscheidende Vorzug des Romans liegt in der Spiegelung des Inhalts in der Form. Sowohl das ältere wie auch das jüngere Paar verdecken das Geheimnis so lange, bis unter dem Druck einer Lebenskatastrophe alles ins Wanken gerät und die Wahrheit plötzlich hinausgeschleudert wird. Auf einen Schlag erscheint die Realität in einem völlig anderen Licht. Im Falle von Friedrich und Margarete sind es die den ermordeten Juden gestohlenen Goldbarren, die Jahrzehnte später durch Zufall unter dem Fußboden ihres Ferienhauses in den Pyrenäen entdeckt werden. Im Falle des jüngeren Ehepaars Kira und Philipp ist es die desaströse Ehe, die auf der Basis übertriebenen Ehrgeizes aufgebaut wurde und schon längst im Überdruß untergegangen ist. Die Krise bricht aus, als sie im Ferienhaus der älteren Nachbarn Urlaub machen. Je einsamer das Paar in der wilden Landschaft an der Grenze zu Spanien wird, desto deutlicher werden die Risse.
Diesen Inhalt transportiert Claire Beyer auf der strukturellen Ebene mit analogen Mitteln. Genauso wie beide Ehepaare das Unaussprechliche verschleiern, sind es im Text die Leerstellen und das Verrätselte, die Atempausen und das Verdunkelte, die schließlich die lange verleugnete Realität an den Tag bringen. Allerdings fordert dieses Verfahren vom Leser zähe Entschlüsselungsarbeit.
Soweit die Vorzüge des Romans "Remis" der 1947 geborenen deutschen Schriftstellerin Claire Beyer, die im Alter von dreiundfünfzig Jahren die literarische Bühne betrat und mit dem Romandebüt "Rauken" gleich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Mit ihrem neuen Buch hat sie sich allerdings viel vorgenommen. Nicht nur will sie eine Studie scheiternder Ehen unterschiedlicher Generationen präsentieren, sie verklammert das beziehungstechnische Debakel mit dem Trauma deutscher Geschichte.
Friedrich Fellbrügge war in Namibia zur Welt gekommen, sein Vater besaß eine Farm und wollte wie andere auch von den Diamantenschätzen des Landes profitieren. Die Eltern Margaretes starben bei der Bombardierung Hamburgs. Weil die eng befreundeten Väter einen Pakt geschlossen hatten, sich notfalls gegenseitig um ihre Kinder zu kümmern, kommt es zur Verbindung zwischen Margarete und Friedrich. Aber die einst fröhliche Frau wird immer depressiver, ihr Mann immer ratloser. Er weiß nicht, daß sie von der Schuld der Eltern erfahren hat und keine Ruhe finden kann. Das Unrecht des Vaters zu tilgen, das nahm sich die Tochter vor - und scheiterte. Aber nicht nur dies drückt sie zu Boden: Sie verliert den Respekt vor dem toten Familienoberhaupt, und das ist schlimmer als alles andere.
Claire Beyer schlägt hier einen kühnen Bogen zum jüngeren Paar als Vertreter der Töchter und Söhne der in das Bösen verstrickten Väter. Die vermeintliche Pianistenkarriere von Kira endete in einer tristen Klavierlehrerexistenz. Der ehrgeizige Graphiker Philipp, der die Frau mit Marketingstrategien zum Erfolg drängen wollte, wendet sich von ihr ab. Die Liebe erkaltet. Die Beziehung wird nur noch künstlich am Leben erhalten. Die Frau hält sich zeitweise einen Liebhaber. Dieses Geheimnis treibt den Mann um. Trotzdem schafft er es nicht, sich mit den Fakten zu konfrontieren. An dieser Stelle wird das Erzählkonzept allerdings allzu prätentiös. So wie die Eltern an ihrer bleischweren Geschichte scheiterten - dies die Botschaft des Romans -, so gehen wiederum die Beziehungen der Kinder an deren hedonistischem Lebensgehabe zugrunde. Mehr noch: Auch diese Generation, meint die Autorin, läßt sich auf der Stelle korrumpieren, wenn sie Vorteile wittert. Denn verführt vom funkelnden Glanz des Goldes, das Kira im Ferienhaus findet, nimmt sie es ohne Überlegung an sich und reist ohne den Mann ab.
Da zeigen sich denn doch auch die Schwächen des Romans, der in der Durchführung des ehrgeizigen Erzählkonzepts stellenweise ins Schlingern gerät. Das Buch leidet gleichzeitig an den unaufgelösten Rätseln und den überdeutlichen Signalen. Hinter allen geheimnisvollen Verweisen sind denn doch unverschlüsselt eine bleischwere Moral auszumachen und der gutgemeinte Versuch, Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu schaffen.
Claire Beyer: "Remis". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2006. 175 S., geb., 20,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was funkelt da so bräunlich? Auf Schatzsuche mit Claire Beyer / Von Pia Reinacher
Diesen Roman müßte man von hinten nach vorne lesen. Denn er stellt viele Barrieren in den Weg, lockt den Leser mutwillig in Hinterhalte, gräbt Gruben, in die er hineinstolpert, und spielt mit ihm Verstecken. Vieles bleibt bis zuletzt als unlösbares Rätsel im Textgewebe hängen. Erst vom Ende her erhellt sich rückwärts manch Verborgenes in dem vertrackten Erzählprogramm. Das ist gleichzeitig ein Vor- und Nachteil. Claire Beyer hat die Geschichte eines jüngeren und eines älteren Paares geschrieben, die beide scheitern - aus unterschiedlichen Gründen. Gemeinsam ist ihnen, daß sie die Wahrheit verschweigen. Im Zentrum steht hier wie dort eine gigantische Lebenslüge, die verhüllt wird - mit geradezu wahnhafter Behutsamkeit und provozierender Bedächtigkeit.
Der entscheidende Vorzug des Romans liegt in der Spiegelung des Inhalts in der Form. Sowohl das ältere wie auch das jüngere Paar verdecken das Geheimnis so lange, bis unter dem Druck einer Lebenskatastrophe alles ins Wanken gerät und die Wahrheit plötzlich hinausgeschleudert wird. Auf einen Schlag erscheint die Realität in einem völlig anderen Licht. Im Falle von Friedrich und Margarete sind es die den ermordeten Juden gestohlenen Goldbarren, die Jahrzehnte später durch Zufall unter dem Fußboden ihres Ferienhauses in den Pyrenäen entdeckt werden. Im Falle des jüngeren Ehepaars Kira und Philipp ist es die desaströse Ehe, die auf der Basis übertriebenen Ehrgeizes aufgebaut wurde und schon längst im Überdruß untergegangen ist. Die Krise bricht aus, als sie im Ferienhaus der älteren Nachbarn Urlaub machen. Je einsamer das Paar in der wilden Landschaft an der Grenze zu Spanien wird, desto deutlicher werden die Risse.
Diesen Inhalt transportiert Claire Beyer auf der strukturellen Ebene mit analogen Mitteln. Genauso wie beide Ehepaare das Unaussprechliche verschleiern, sind es im Text die Leerstellen und das Verrätselte, die Atempausen und das Verdunkelte, die schließlich die lange verleugnete Realität an den Tag bringen. Allerdings fordert dieses Verfahren vom Leser zähe Entschlüsselungsarbeit.
Soweit die Vorzüge des Romans "Remis" der 1947 geborenen deutschen Schriftstellerin Claire Beyer, die im Alter von dreiundfünfzig Jahren die literarische Bühne betrat und mit dem Romandebüt "Rauken" gleich die Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Mit ihrem neuen Buch hat sie sich allerdings viel vorgenommen. Nicht nur will sie eine Studie scheiternder Ehen unterschiedlicher Generationen präsentieren, sie verklammert das beziehungstechnische Debakel mit dem Trauma deutscher Geschichte.
Friedrich Fellbrügge war in Namibia zur Welt gekommen, sein Vater besaß eine Farm und wollte wie andere auch von den Diamantenschätzen des Landes profitieren. Die Eltern Margaretes starben bei der Bombardierung Hamburgs. Weil die eng befreundeten Väter einen Pakt geschlossen hatten, sich notfalls gegenseitig um ihre Kinder zu kümmern, kommt es zur Verbindung zwischen Margarete und Friedrich. Aber die einst fröhliche Frau wird immer depressiver, ihr Mann immer ratloser. Er weiß nicht, daß sie von der Schuld der Eltern erfahren hat und keine Ruhe finden kann. Das Unrecht des Vaters zu tilgen, das nahm sich die Tochter vor - und scheiterte. Aber nicht nur dies drückt sie zu Boden: Sie verliert den Respekt vor dem toten Familienoberhaupt, und das ist schlimmer als alles andere.
Claire Beyer schlägt hier einen kühnen Bogen zum jüngeren Paar als Vertreter der Töchter und Söhne der in das Bösen verstrickten Väter. Die vermeintliche Pianistenkarriere von Kira endete in einer tristen Klavierlehrerexistenz. Der ehrgeizige Graphiker Philipp, der die Frau mit Marketingstrategien zum Erfolg drängen wollte, wendet sich von ihr ab. Die Liebe erkaltet. Die Beziehung wird nur noch künstlich am Leben erhalten. Die Frau hält sich zeitweise einen Liebhaber. Dieses Geheimnis treibt den Mann um. Trotzdem schafft er es nicht, sich mit den Fakten zu konfrontieren. An dieser Stelle wird das Erzählkonzept allerdings allzu prätentiös. So wie die Eltern an ihrer bleischweren Geschichte scheiterten - dies die Botschaft des Romans -, so gehen wiederum die Beziehungen der Kinder an deren hedonistischem Lebensgehabe zugrunde. Mehr noch: Auch diese Generation, meint die Autorin, läßt sich auf der Stelle korrumpieren, wenn sie Vorteile wittert. Denn verführt vom funkelnden Glanz des Goldes, das Kira im Ferienhaus findet, nimmt sie es ohne Überlegung an sich und reist ohne den Mann ab.
Da zeigen sich denn doch auch die Schwächen des Romans, der in der Durchführung des ehrgeizigen Erzählkonzepts stellenweise ins Schlingern gerät. Das Buch leidet gleichzeitig an den unaufgelösten Rätseln und den überdeutlichen Signalen. Hinter allen geheimnisvollen Verweisen sind denn doch unverschlüsselt eine bleischwere Moral auszumachen und der gutgemeinte Versuch, Gerechtigkeit zwischen den Generationen zu schaffen.
Claire Beyer: "Remis". Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2006. 175 S., geb., 20,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Pia Reinachers Urteil über diesen Roman von Claire Beyer ist zwiespältig und sie sieht in den ohne Zweifel vorhandenen "Vorzügen" gleichzeitig die "Schwächen" des Buches hervor scheinen. Es geht um ein älteres und ein jüngeres Ehepaar, deren Beziehungen gleichermaßen auseinander brechen, erklärt die Rezensentin. Beide Ehen basieren auf gigantischen Lügengebäuden und machen allerlei Verschweigungen und Vertuschungen nötig, die sich in der Erzählweise durch Aussparungen und Rätsel spiegeln, so Reinacher, die in der Entsprechung von Form und Inhalt die größte Leistung des Buches anerkennt. Gleichzeitig versuche die Autorin die Beziehungsdramen mit der jüngsten Geschichte zu verknüpfen. Hier scheitert das ambitionierte Romankonstrukt, befindet die Rezensentin. Einerseits wird dem Leser viel Kryptisches zugemutet, andererseits mit überdeutlichen Hinweisen im Text konfrontiert, notiert Reinacher unzufrieden, die sich aber an der "bleischweren Moral", die hinter den Beziehungsgeschichten steht, am meisten stört.
© Perlentaucher Medien GmbH
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