Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 7,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Beck
  • Sonderausg.
  • Seitenzahl: 480
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 1348g
  • ISBN-13: 9783406462580
  • Artikelnr.: 08667131
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.1998

Ein dicker Franziskaner aus Mainz klaute den Ring der Gottesmutter
Und protestantische Kunsthistoriker stahlen den Katholiken ihre Bilder: Jörg Traeger will mit Raphaels Verlobung Mariens den heidnischen Geist aus der Renaissance vertreiben

Die Jungfrau Maria war bekanntlich verlobt mit dem Zimmermann Joseph, und zu einer ordentlichen Verlobung gehörte ein Ring, den der Bräutigam der Braut an den Finger steckte und den eine edle Braut sorgsam verwahrte. Dieser Ring, er ging nicht verloren; und es war der Stolz der Stadt Chiusi, an der jeder Rom-Fahrer heute noch vorbeikommt, daß sie den Verlobungsring der Gottesmutter besaß. Zuweilen drang ferne Kunde heran, auch anderswo werde ein Verlobungsring Marias feierlich vorgezeigt, doch focht dies seine frommen Verwahrer wenig an, bis hoch ins fünfzehnte Jahrhundert nicht. Doch dann kam eines Tages ein deutscher Bettelmönch, ein Franziskaner aus Mainz, "hochgewachsen und dickbäuchig", dem sie den passenden Namen "Winter" gaben, nach Chiusi. Er fand Aufnahme in dem Kloster, dem die Verwahrung der Reliquie anvertraut war. Er lebte dort vier Jahre unauffällig, bis er fälschlich beschuldigt wurde, er habe Kelche gestohlen. Der Podestà ließ ihn vierzig Tage einkerkern und foltern. Als er ins Kloster zurückkam, wollten die Mönche ihn loswerden und verbreiteten das Gerücht, er sei nur gekommen, um den heiligen Ring zu stehlen. Diese Beschuldigung, erklärte er später in seinem Prozeß, habe ihn allererst auf den Gedanken gebracht.

Er fertigte Nachschlüssel an, stahl den heiligen Ring und floh. In Perugia bot er ihn der Obrigkeit an. Es folgte eine lange Auseinandersetzung, denn die Stadt Chiusi beschloß, flüchtigen Verbrechern aus Perugia Asyl zu gewähren. Die mächtige Stadt Perugia siegte - Papst Innocenz VIII. bestätigte ihr schließlich den Besitz des kostbaren Heiligtums. "Nach Anschauung des Mittelalters und auch noch der Renaissance wurde die Tat durch ihren Zweck geheiligt." Perugia, eben noch im ökonomischen Niedergang begriffen, wurde zum Wallfahrtsort wie Assisi.

Die Stadt gab daraufhin Perugino, dem Lehrer Raphaels, ein Gemälde in Auftrag, das den Ring in den Mittelpunkt stellte, die "Verlobung der Jungfrau Maria". Die kleinere Nachbarstadt Città di Castello besaß zwar keinen Ring der Gottesmutter, wollte aber wenigstens eine künstlerische Darstellung, die Peruginos Werk im Dom von Perugia möglichst noch übertreffen sollte. Der junge Raphael bekam den Auftrag. Sein Werk - bekannt als "Sposalizio", von ihm datiert auf 1504 - geriet in Komposition und Farbigkeit so außergewöhnlich, daß heute wohl kein Besucher der Mailänder Brera an ihm vorbeigeht. Zwar ist der Ruhm Raphaels verblaßt. Das neunzehnte Jahrhundert, beginnend mit Wackenroder und August Wilhelm Schlegel, hat ihn "göttlich" genannt und als den "schönsten Genius" gefeiert; Platen brachte die Lage von Urbino, dem Geburtsort Raphaels, mit dessen Nähe zum Himmel in ursächliche Verbindung: "Auf daß Sanzio bald den befreundeten Himmel erreiche, / wurde die Wieg' ihm schon über die Wolken erbaut."

Seit dem Ersten Weltkrieg, seit Expressionismus und Kubismus verlor Raphael seinen einzigartigen Vorrang; der rätselhafte Leonardo, der dämonische Michelangelo standen den Katastrophenerfahrungen näher; neuere ästhetische Kriterien werteten die Maler des fünfzehnten Jahrhunderts auf, insbesondere Masaccio und Piero della Francesca. Natürlich ging die rein fachwissenschaftliche Befassung mit Raphael weiter; aber wer den bildungsbürgerlichen Geschmack an der "Sixtinischen Madonna" verloren hatte, stand ratlos vor den allzu harmonischen Gemälden des Urbinaten.

Freunde der italienischen Malerei werden es daher dankbar begrüßen, wenn einer unserer Kunsthistoriker ihnen ein Meisterwerk Raphaels erschließt. Jörg Traeger schildert die Entstehungsbedingungen und die Rezeptionsgeschichte des berühmten Gemäldes; er vertieft sich in die Lokalgeschichte von Chiusi, Perugia und Città di Castello, er berichtet vom Diebstahl des Paters Winter, dem wenig später ein anderer deutscher Mönch folgen sollte, der den Frommen nicht nur den Verlobungsring Mariae stehlen, sondern alle ihre Reliquien entwerten wollte. Traeger war kurz davor, ein schönes Buch zur Mikrohistorie dieses wichtigen Bildes von Raphael und seiner Rezeption zu schreiben, eine deutsche Parallele zu Carlo Ginzburgs "Indagini su Piero", mit guter Kenntnis der italienischen Lokalgeschichte und sorgfältiger Benutzung der kunsthistorischen Literatur, mit Interesse für Sozialgeschichte und Theologie, aber dann ist ihm ein anderer Plan dazwischengekommen. Und der hat ihm das Konzept verdorben.

Der Regensburger Professor, bisher bekannt durch seine Arbeit über den "reitenden Papst", Untersuchungen zur französischen Malerei und Studien über die Walhalla, strebte ins Allgemeine, ins Kulturphilosophische und Theologische, und bei dieser Geisteserhebung kam er zum Sturz. Begonnen hatte er mit der genauen Betrachtung eines einzelnen Bildes, wohl in der rechten Einsicht, daß wir des Geredes über "die" Renaissance wahrlich genug haben; er recherchierte über den Zusammenhang von Reliquienkult umd Malerei, von Franziskanertum und antijüdischer Polemik im Mittelalter; daher behält sein Buch einen starken Kern. Aber irgendwann schien es ihm, er könne anhand einer einzigen Bildinterpretation den Begriff der "Renaissance" grundlegend korrigieren.

Er argumentiert: Dieses Bild beweise, wie Marienverehrung und Reliquienkult in die erhabensten Werke der sogenannten "Renaissance" eingingen; es zeige, wie wichtig christliche Motive für die Kunst eines Zeitalters gewesen seien, das man als Rückkehr der heidnischen Götter beschrieben habe. Traeger zitiert eine Statistik von Peter Burke, der zufolge 87 Prozent der Gemälde dieser Zeit christliche Themen hatten. Damit hat Burke recht, und wer die Hauptwerke Giottos oder Masaccios, Leonardos oder Michelangelos anschauen will, muß in Kirchen oder Kapellen gehen. Dies ist geschenkt, aber Traeger glaubt, er stürze ein jahrhundertealtes Vorurteil um. Er rahmt seine Bildbetrachtung in ein Fortifikationswerk starker Behauptungen ein, die Raphaels Altargemälde instrumentalisieren, um eine kulturgeschichtliche These zu belegen, die 1870 Aufsehen hätte erregen können, die aber heute nur noch in kulturellen Rückzugsgebieten Gemüter bewegt: Die Renaissance war nicht die Wiederkehr des Heidentums. "Die Renaissance war katholisch."

Das ist trivial, da es den Protestantismus vor 1517 nicht gab und alle italienischen Künstler des Quattrocento getaufte Christen waren; ihre Auftraggeber waren oft Päpste, Bischöfe und Ordensgemeinschaften, und Paul Oskar Kristeller hat einen markanten Aufsatz geschrieben über den Anteil der Mönche an der Kultur der Renaissance. "Die Renaissance war katholisch": Kunsthistorisch fruchtbar würde der Satz doch erst, wenn dann die Besonderheiten innerhalb der "katholischen" Kunst aufgezeigt würden. Nehmen wir ein Beispiel: Es gab Zeiten, in denen die kirchliche Kunst Christus als nackten antiken Heros darstellte, in der Kirche. In anderen Zeiten war dies ein Skandal. Dabei nannten sich beide Zeiten "katholisch", und wer ein Interesse daran hat, kann sie nachträglich wieder unter dieses Einheitsetikett bringen. Aber es erklärt historisch nichts, sondern verdeckt das historisch Charakteristische. Traeger will denn auch damit den Anteil der Antike, der antiken Architektur und Medizin, der Physik und Philosophie, insbesondere des Neuplatonismus an der "Renaissance" zum Verschwinden bringen.

Wie viele Gemälde gibt es doch, die auf Marienverehrung und Reliquienkult Bezug nehmen; wir wollen von einem Kunsthistoriker aber wissen, was Raphaels "Sposalizio" mit ihnen gemeinsam hat und was dieses Bild von früheren oder späteren unterscheidet. Aber Traeger legt einen ahistorischen Einheitsbegriff von "katholisch" zugrunde und verletzt damit Handwerksregeln des historischen Geschäfts. Nun, in diesem Sinne waren Augustinus und Machiavelli "katholisch", dennoch stehen Machiavellis Analysen der römischen Republik nicht auf derselben geschichtlichen Stufe wie die entsprechenden Passagen in Augustins Gottesstadt. Leonardo und Hildegard von Bingen waren "katholisch", aber Leonardos Körperstudien und Vesals Anatomieatlas gehören deswegen nicht in dieselbe geschichtliche Welt wie die Heilkunde der heiligen Hildegard.

Dies hat meines Wissens bisher auch noch kein Historiker behauptet, aber Traeger verkündet prononciert in der Einleitung eine solch einebnende Betrachtung; er entwertet seine eigene höchst lehrreiche Detailstudie; er redet wie ein zurückgekehrter Sedlmayr und verliert dabei die Bodenhaftung; er macht aus einer informativen Bildbetrachtung einen ideenpolitischen Kampfruf, der alle Differenzierungskunst, die den Historiker ausmacht, vermissen läßt.

Das ist ein harter Vorwurf; ich muß ihn begründen. Klappentext und Einleitung behaupten, dieses Buch biete "eine gründliche Korrektur der bisherigen Vorstellung vom heidnischen Charakter der Renaissance". Die Fehleinschätzung habe Jakob Burckhardt zu verantworten; er sei schließlich Protestant gewesen. Für derartige Redensarten, denke ich, war der Basler Historiker, blickt man auf sein Gesamtwerk, viel zu feinsinnig; obwohl Traeger Burckhardts Forschungen zur liturgischen Funktion des Altarbilds würdigt, will er ihn auf den "Protestantismus" festlegen.

Wichtiger ist der Prozeß der Differenzierung, der uns seit Burckhardt das gesamte Quattrocento neu zu sehen gelehrt hat, in seinen christlichen Motiven und in den verschiedenen Schattierungen der Antike-Rezeption. Es hat mehrere Versuche gegeben, die christliche Seele der Renaissance zu behaupten. Traeger hat sich mit der Geschichte des Renaissancekonzeptes aber nur so weit befaßt, als er sich einen bequemen Gegner verschaffen wollte; die Burckhardt-Präzisierung, die seit mehr als hundert Jahren im Gang ist, ist ihm entgangen; er kennt nicht die internationale Forschung, nicht einmal die Korrekturen, die Garin und Vasoli, Kaegi und Kristeller, Saitta und Di Napoli an diesem Bild längst vorgenommen haben, und schmeichelt sich wegen nicht vorhandener Originalität. Er zitiert auch ihre Bücher nicht, bei einer ansonsten immensen Bibliographie. Es fehlt zum Beispiel die kunsthistorische Studie von Georg Weise, Il Rinnovamento dell'arte religiosa nella Rinascita, Florenz 1961, die auf die vierziger Jahre zurückgeht und genau die These vertritt, die Traeger als seine neue Entdeckung hinstellt. Weise führt eine lange Liste von Autoren auf, die den Paganismus der Renaissance bestritten haben. Sie setzt ein mit dem Jahr 1904. Traeger rühmt sich der Wiederentdeckung "des religiösen Gegenbildes". Bei Traeger verlautet nichts davon, daß durch den Einfluß des späten Gentile eine religiöse Interpretation der Renaissance in Italien für einige Jahre geradezu Mode war. Der Name Traversari kommt in dem Buch nicht vor, geschweige denn die amerikanischen und italienischen Studien zur Präsenz der Kirchenväter in der "Renaissance" (Stinger und andere).

In seinen deklamatorischen Passagen geht Traeger, immer nur auf sein einziges Bild gestützt, im Urteil über die Renaissance weiter als der päpstliche Hofhistoriograph Ludwig Pastor vor hundert Jahren. Pastor glaubte, zwischen einer christlichen und einer heidnischen Renaissance im Rom der Päpste unterscheiden zu können. Pastors Urteile werden heute längst nicht mehr geteilt, auch nicht von katholischen Historikern; ich verweise nur auf die Studien des Dominikaners S. Camporeale zu Lorenzo Valla, gegen den Pastor seinen Bannfluch des Heidentums gerichtet hatte. Indem Traeger sich die Kenntnis all dieser Revisionen erspart hat, konnte er kraftvoll zu Felde ziehen - gegen einen Gegner, den es überhaupt nicht gibt.

Das Buch hat einen anerkennenswerten Kern; aber ihn umgibt eine gegenstandslos gewordene Polemik. Der Autor bedient sich einer konfessionalistischen Tonart, die an den Luther-Feind Heinrich Denifle erinnert, der im übrigen ein großer Forscher war und dessen Bücher wir heute noch benutzen. Der Protestant Burckhardt hat laut Traeger die "Saat" der "profanierenden Sinnentleerung" ausgestreut. Die Grobheit geht noch weiter, man traut seinen Augen kaum: Panofky und Aby Warburg fehlte, dem Autor zufolge, das richtige Verständnis für die Renaissance, weil sie "Juden" waren und die "Renaissance" doch "katholisch" war. Der "jüdische Beitrag" zur Renaissanceforschung war die Verwandlung der Kunstgeschichte in eine "Arkanwissenschaft", die das Bild unter der Interpretation verschwinden ließ. Die Ikonologie exekutierte laut Traeger das alttestamentarische Bilderverbot: "Hinter der Paganisierung der Renaissance erscheint von ferne die Strenge des mosaischen Gesetzes."

Ich hatte mich bislang in der Illusion befunden, zu meinen Lebzeiten kämen solche Phrasen in einer wissenschaftlichen Publikation nicht mehr vor. Ich erschrecke über die Konsequenzen einer konfessionalistischen Auffassung von "Geisteswissenschaft". Danach müßte Ägypter sein, wer die Geschichte Ägyptens schreiben will. Aber war nicht der Protestant Ranke kompetent, die Geschichte der Päpste zu schreiben? Schließlich hat der evangelische Theologe Hauck die beste Geschichte der "katholischen" Kirche des deutschen Mittelalters verfaßt. Müssen Regensburger sich auf die Geschichte Regensburgs beschränken? Dann erwarte ich von Traeger nur noch ein weiteres Buch über die Walhalla und die frühe Eisenkonstruktion in Bayern.

Das Buch enthält eine Fülle von Material zur Geschichte des Wuchers und des Josephskultes, zur moralischen Bewertung des Reliquienraubes und zur Spiritualität der Franziskaner. Das Buch ist in einzelnen Teilen so gut recherchiert, daß es auch das Gegenteil dessen enthält, was seine Generalthese behauptet. Denn wenn bisher, Traeger zufolge, die Renaissance als "heidnisch" galt, so muß er doch Henry Thode erwähnen, der vor hundert Jahren schon die Renaissance auf Franz von Assisi zurückgeführt hat, wenn er auch in der Diktion des Autors wie sein Stiefschwiegervater Wagner "ein eingefleischter Protestant" war. Traeger erwähnt selbst Huizinga, der 1920 der These vom heidnischen Charakter der Renaissance widersprochen hat. Wenn Traeger mit Thode die Renaissance als "katholisch" zeichnen will, muß er den Blick weg von Florenz, "von der Metropole des Humanismus vor allem in die Heimat franziskanischer Frömmigkeit", also auf Umbrien richten, aber er muß uns doch mitteilen, daß Vasari von Perugino, dem Lehrer Raphaels und dem Autor besonders "frommer" Bilder, schreibt: "Piero war sehr wenig religiös, und man konnte ihn niemals dazu bringen, an die Unsterblichkeit der Seele zu glauben" - und das mitten in der katholischen Renaissance und in der nächsten Nähe Raphaels, von dem es zunächst hieß, sein Verlobungsbild beweise, daß er sich selbst als Bräutigam der Jungfrau sehen wollte - bis dann das Schlußkapitel erzählt, daß auch er nicht gar so fromm gelebt hat, sondern "sehr den Frauen zugetan" war. "Eine übermäßige Ausschweifung soll ihn, der ganz im Stillen seinen Liebschaften nachging, schließlich das Leben gekostet haben." Der neue Bräutigam Mariens ist, wie Traeger das ausdrückt, der "Macht der Zweideutigkeit" erlegen.

Zuerst leitet Traeger das Interesse an der Antikerezeption der "Rennaissance" aus dem antikatholischen Affekt ab und verhöhnt die Neuplatonismusthese, aber dann sieht er doch in Raphaels Bild die Bedeutung von Zahlen und Proportionen, also die Erbschaft des platonischen "Timaios". Schließlich erfährt der Leser, daß Raphael eine Vitruv-Ausgabe plante und daß die Architektur auf dem Bild eine "vitruvianische Sprache" spricht, also Antike-Rezeption ist. So enthält dieses Buch seine These und zugleich deren Gegenteil. Der Leser erfährt eine Menge an Details, zuweilen in etwas luftiger Kombination, aber der Autor führt nicht zurück zur Betrachtung des Bildes als Kunstwerk. Eine Geschichte des Ringes ist noch lange keine Geschichte der Darstellung des Ringes; es kommt zu keiner methodologischen Reflexion über den Zusammenhang von Sozialgeschichte und Geschichte der Kunst. Es wird nur erklärt, es gehe um die "Verschränkung von kunsthistorischen, theologischen, kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlichen sowie juristischen und profanpolitischen Fragestellungen". Und abwehrend weiter: "Wir setzen nicht auf Theorie, sondern auf Analyse."

Manchmal stören sprachlich mißlungene Wendungen von folgender Machart: "Selbstredend waren dem Fastenprediger weibliche Decolletés ein Dorn im Auge, von blanken Busen ganz zu schweigen." Zur Rede von der konfessionalisierten Kunsthistorie und dem "antikatholischen Affekt" der bisherigen Renaissanceforscher wäre noch viel zu sagen: Niemand wird dem Autor seinen katholischen Standpunkt bestreiten. Es geht nicht um die private Konfession, sondern um die Angemessenheit von Kategorien und um das Verständnis des fünfzehnten Jahrhunderts, in dem es keineswegs, wie der Autor behauptet, gotteslästerlich war, den Menschen mit Hermes Trismagistus als "zweiten Gott" zu bezeichnen. Die von Traeger inkriminierte Stelle ("offenkundige Blasphemie", "paganer Tonfall") entspricht fast wörtlich dem Kardinal Nikolaus von Kues. Falsch ist die Behauptung, die kritische Geschichtsbetrachtung sei "die Methode der Protestanten": Valla hat sie erfunden, Erasmus verbreitet, Richard Simon glänzend ausgeübt.

Das Wort "Renaissance" soll ja ruhig Bücher verkaufen, aber wenn das dazu führt, daß Autoren ihre Einzelanalyse eines Bildes der Zeit um 1500 mit Palaver über "die Renaissance" aufplustern, dann ist es Zeit, Einspruch gegen diesen deutschen Provinzialismus zu erheben und zu rufen: Zurück zu den Quellen! Lest ein paar Jahre lang Cusanus und Enea Silvio Piccolomini, Lorenzo Valla, Ficino und Pico, Machiavelli und Guicciardini, vergeßt nicht Boccaccios Genealogia deorum gentilium, denn es geht schließlich um die Wiedergeburt heidnischer Gottheiten. Danach sprechen wir uns wieder.KURT FLASCH

Jörg Traeger: "Renaissance und Religion". Die Kunst des Glaubens im Zeitalter Raphaels. Verlag C. H. Beck, München 1997. 552 S., 263 Abb., geb., 178,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr