Die Reparationsfrage ist nach wie vor ein brisantes und umstrittenes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Während die großen Siegermächte in den ersten Nachkriegsjahren umfangreich entschädigt wurden, gingen die kleineren Länder Europas und zahlreiche Opfergruppen weitgehend leer aus. Zu ihnen gehörte auch Griechenland, das bis auf den heutigen Tag Entschädigungen für die Opfer der Massaker und die Ausplünderung seiner Volkswirtschaft einfordert.Einer umfassenden, alle ehemals besetzten Länder und alle Opfergruppen einschließenden Kriegsentschädigung hat sich die deutsche Machtelite bis heute verweigert. Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner analysieren und dokumentieren die Kontexte, die strategischen Optionen und Taktiken des deutschen Vorgehens, die in der Ausklammerung der Reparationsfrage aus dem De Facto-Friedensvertrag von 1990 ("Zwei plus Vier-Vertrag") kulminierte.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2017Offene Rechnung, offene Wunden
Immer wieder bricht die Debatte über ausstehende deutsche Reparationsleistungen für die Besetzung Griechenlands auf.
Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner beschreiben akribisch, wie es dazu kam – und machen einen heiklen Vorschlag
VON CONSTANTIN GOSCHLER
Der aktuellen politischen Auseinandersetzung um eine Schuldenregelung für Griechenland liegt hierzulande meist ein klares Deutungsmuster zugrunde: Ehrliche Deutsche treffen dort auf unseriöse Griechen, solide Kaufleute auf windige Händler. In Griechenland wird dies gerade umgekehrt gesehen: Die Deutschen haben demzufolge niemals die gigantischen Kriegsschäden beglichen, die die Besetzung im Zweiten Weltkrieg hinterlassen hat, und sich nach 1945 beharrlich vor Reparationen gedrückt. In der innergriechischen Debatte werden die eigenen Schulden deshalb immer wieder mit den offenen deutschen Reparationen verrechnet. Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner haben nun ein sachkundiges und engagiertes Plädoyer für die Anerkennung der deutschen „Reparationsschuld“ gegenüber Griechenland vorgelegt.
Im ersten Teil des Buches analysiert Roth die jahrzehntelangen Bemühungen Athens um Reparationen. Als die Wehrmacht im Oktober 1944 nach dreieinhalbjähriger Besatzung aus Griechenland abzog, hinterließ sie sprichwörtlich „verbrannte Erde“: Wirtschaft, Währung und Infrastruktur waren vollständig zerstört. Der Gesundheitszustand der überlebenden Bevölkerung war katastrophal – bis Kriegsende waren etwa 140 000 Menschen an den Folgen von Unterernährung gestorben. Und schließlich hatten die Deutschen auch den Samen für den Bürgerkrieg zwischen kommunistischen und monarchistisch-konservativen Gruppierungen gesät, der nach der Befreiung blutig aufging.
Auf der Pariser Reparationskonferenz präsentierte die griechische Regierung 1946 eine Schadensbilanz in Höhe von 7,2 Milliarden US-Dollar – am Ende erhielt sie einen Anteil von 25 Millionen US-Dollar zugesprochen. Zwar stand der Gesamtsumme aller alliierten Reparationsforderungen eine ungleich geringere Konkursmasse des Deutschen Reiches gegenüber, doch sei Griechenland bereits bei dieser Gelegenheit lediglich am Katzentisch platziert worden. Das Leitmotiv des Buches lautet, dass ein Bündnis zwischen den USA und der „westdeutschen Machtelite“ die griechischen Forderungen jahrzehntelang systematisch ignoriert habe. Strittig ist dabei weniger das Ergebnis als die Erklärung, in der ein Echo aus vergangenen zeithistorischen Debatten nachklingt, in denen die Weltkriege des 20. Jahrhunderts als Folge der Verschwörung deutscher Eliten diskutiert wurden.
Unbestreitbar ist jedoch die diplomatische Arroganz, mit der die Bundesrepublik die griechischen Forderungen über Jahrzehnte hinweg zurückwies. Wer es nicht glauben mag, kann sich gerne in dem von Hartmut Rübner vorzüglich edierten umfangreichen Dokumentenanhang des Buches ein eigenes Bild machen.
Allerdings beschränkt sich die Dokumentenauswahl fast ausschließlich auf deutsche Dokumente, und so lässt sich kein Blick in das Innere der griechischen Diplomatie und ihren Anteil an der gescheiterten Reparationspolitik gewinnen. Lange Zeit setzte die griechische Regierung auf eine special relationship zur Bundesrepublik, die allerdings auf asymmetrischen Machtverhältnissen basierte. Auf diesem bilateralen Weg erntete Athen lediglich Misserfolge, abgesehen von einer Globalentschädigung in Höhe von 115 Millionen Mark im Jahre 1960, die allerdings durch eine gemeinsame Aktion mit anderen westeuropäischen ehemaligen Kriegsgegnern Deutschlands zustande gekommen war. Letztlich war auch die griechische diplomatische Selbstblockade gegenüber der Bundesrepublik eine langfristige Nachwirkung des Bürgerkriegs, was dieser Band ausblendet und sich ganz auf eine scharfe Kritik der westdeutschen Außenpolitik beschränkt.
Seit dem Londoner Schuldenabkommen von 1952 waren Reparationsforderungen stets auf die ausstehende endgültige Regelung der Friedensfrage verwiesen worden. Mit der deutschen Wiedervereinigung schien dieser Zeitpunkt gekommen zu sein. Doch im Zwei-plus-Vier-Abkommen von 1990 erlangte Helmut Kohl die deutsche Einigung, ohne den Preis der Regelung der Reparationsfrage zu zahlen. Roth interpretiert dies abermals als Ergebnis einer westdeutsch-nordamerikanischen Verschwörung zu Lasten der kleinen Länder. Auch über diese Interpretation lässt sich streiten, doch bringt er die Folgen für die Reparationsforderungen präzise auf den Punkt: Hatte Bonn vor dem Zwei-plus-Vier-Abkommen stets argumentiert, diese kämen zu früh, lautete die Begründung seither, diese kämen zu spät.
Die Bilanzierung von Reparationen ist extrem kompliziert, allein schon wegen der schwierigen Frage des Zeitwertes. Roth wagt es dennoch, wohl wissend, dass sämtliche Aspekte derartiger Berechnungen umstritten sind. So errechnet er einen Gesamtbetrag der deutschen Reparationsschuld von 5,9 Billionen Euro, von denen bislang – immerhin – 1,22 Billionen Euro getilgt worden seien. Den inflationsbereinigten Zeitwert der griechischen Reparationsforderungen veranschlagt er mit etwa 185 Milliarden Euro, von denen nicht einmal ein Prozent abgegolten worden sei. Wie auch immer man zu diesen Zahlen stehen mag, das grundsätzliche Missverhältnis zwischen Kriegsschäden und geleisteten Reparationen wird bestehen bleiben.
Auch Roth hält es für unrealistisch, dass die Differenz vollständig beglichen werden könnte, und so schlägt er einen Schuldenschnitt für die aus seiner Sicht noch offene deutsche Reparationsschuld vor. In einer ersten Variante plädiert er dafür, den bisher bereits geleisteten Betrag von rund 1,2 Billionen Euro in den nächsten 15 bis 20 Jahren noch einmal aufzubringen. Als alternativen Bezugsmaßstab für zukünftige Reparationsleistungen offeriert er jene Beträge, die die öffentlichen Haushalte zugunsten militärisch-politischer Funktionsträger der NS-Diktatur aufgebracht hätten, wobei er auf 306 Milliarden Euro kommt. In diese Kategorie fallen bei ihm die in der Bundesrepublik versorgten entlassenen Beamten des Dritten Reiches ebenso wie die unter das Bundesversorgungsgesetz fallenden Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS oder auch die Entschädigung für Kriegsgefangene. Bezahlt werden sollten diese Reparationsleistungen durch die „Profiteure“ des Zuwachses am Kapitalstock unter dem NS-Regime, und zu den Instrumenten zählt er unter anderem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Anhebung des Spitzensteuersatzes und die Nutzung der Goldreserven der Bundesbank.
Man muss diesen Vorschlag fairerweise als Diskussionsanstoß bewerten. Schwierig scheint dabei die Art und Weise, wie hier historische Schuld und Verantwortung verteilt wird. Die Argumentation unterscheidet latent zwischen „Machteliten“ und „Volk“ und zieht hier eine rote Linie vom Dritten Reich in die Bundesrepublik. Der Versuch, einerseits historische Verantwortung für die offene deutsche Reparationsschuld festzustellen, andererseits die Lasten so zu verteilen, dass nur „die da oben“ belastet werden sollten, vermischt somit ungenaue historische Analyse mit aktuellen linken Gerechtigkeitsdiskursen. Und schließlich setzt Roth etwas als Prämisse voraus, was allenfalls ein Ergebnis des laufenden historischen Prozesses sein könnte: Dass nämlich Kriegsschäden gewissermaßen nach zivilrechtlichen Maßstäben vollständig durch Reparationen ersetzt würden. Bislang handelt es sich hier weder um eine allgemeine historische Erfahrung noch um eine universale völkerrechtliche Norm. Der Maßstab ist gewissermaßen noch „under construction“, und an diesem Prozess beteiligen sich auch Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner mit ihrem gleichermaßen informativen und streitbaren Buch.
Auch wer zu anderen Schlussfolgerungen gelangt, wird sich durch die Lektüre sehr bereichert fühlen. Kurzum: ein wichtiger Beitrag zu einem wichtigen Thema, das uns wohl noch lange begleiten wird.
Constantin Goschler ist Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Er beschäftigt sich vor allem mit Kriegs- und Gewaltfolgen, Geheimdiensten und Biopolitik.
Haben die USA und „westdeutsche
Machteliten“ Athens Forderungen
systematisch ignoriert?
Die Autoren wollen die noch
abzutragende Schuldenlast
„denen da oben“ aufbürden
Karl Heinz Roth,
Hartmut Rübner:
Reparationsschuld.
Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa. Metropol-Verlag,
Berlin 2017, 645 Seiten, 29,90 Euro.
„Betrüger“, „Zahlen“: Das Poster, das im März 2015 gegenüber der deutschen Botschaft in Athen hing – anlässlich eines Besuchs von Kanzlerin Angela Merkel – lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Foto: SIMELA PANTZARTZi/dpa
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Immer wieder bricht die Debatte über ausstehende deutsche Reparationsleistungen für die Besetzung Griechenlands auf.
Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner beschreiben akribisch, wie es dazu kam – und machen einen heiklen Vorschlag
VON CONSTANTIN GOSCHLER
Der aktuellen politischen Auseinandersetzung um eine Schuldenregelung für Griechenland liegt hierzulande meist ein klares Deutungsmuster zugrunde: Ehrliche Deutsche treffen dort auf unseriöse Griechen, solide Kaufleute auf windige Händler. In Griechenland wird dies gerade umgekehrt gesehen: Die Deutschen haben demzufolge niemals die gigantischen Kriegsschäden beglichen, die die Besetzung im Zweiten Weltkrieg hinterlassen hat, und sich nach 1945 beharrlich vor Reparationen gedrückt. In der innergriechischen Debatte werden die eigenen Schulden deshalb immer wieder mit den offenen deutschen Reparationen verrechnet. Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner haben nun ein sachkundiges und engagiertes Plädoyer für die Anerkennung der deutschen „Reparationsschuld“ gegenüber Griechenland vorgelegt.
Im ersten Teil des Buches analysiert Roth die jahrzehntelangen Bemühungen Athens um Reparationen. Als die Wehrmacht im Oktober 1944 nach dreieinhalbjähriger Besatzung aus Griechenland abzog, hinterließ sie sprichwörtlich „verbrannte Erde“: Wirtschaft, Währung und Infrastruktur waren vollständig zerstört. Der Gesundheitszustand der überlebenden Bevölkerung war katastrophal – bis Kriegsende waren etwa 140 000 Menschen an den Folgen von Unterernährung gestorben. Und schließlich hatten die Deutschen auch den Samen für den Bürgerkrieg zwischen kommunistischen und monarchistisch-konservativen Gruppierungen gesät, der nach der Befreiung blutig aufging.
Auf der Pariser Reparationskonferenz präsentierte die griechische Regierung 1946 eine Schadensbilanz in Höhe von 7,2 Milliarden US-Dollar – am Ende erhielt sie einen Anteil von 25 Millionen US-Dollar zugesprochen. Zwar stand der Gesamtsumme aller alliierten Reparationsforderungen eine ungleich geringere Konkursmasse des Deutschen Reiches gegenüber, doch sei Griechenland bereits bei dieser Gelegenheit lediglich am Katzentisch platziert worden. Das Leitmotiv des Buches lautet, dass ein Bündnis zwischen den USA und der „westdeutschen Machtelite“ die griechischen Forderungen jahrzehntelang systematisch ignoriert habe. Strittig ist dabei weniger das Ergebnis als die Erklärung, in der ein Echo aus vergangenen zeithistorischen Debatten nachklingt, in denen die Weltkriege des 20. Jahrhunderts als Folge der Verschwörung deutscher Eliten diskutiert wurden.
Unbestreitbar ist jedoch die diplomatische Arroganz, mit der die Bundesrepublik die griechischen Forderungen über Jahrzehnte hinweg zurückwies. Wer es nicht glauben mag, kann sich gerne in dem von Hartmut Rübner vorzüglich edierten umfangreichen Dokumentenanhang des Buches ein eigenes Bild machen.
Allerdings beschränkt sich die Dokumentenauswahl fast ausschließlich auf deutsche Dokumente, und so lässt sich kein Blick in das Innere der griechischen Diplomatie und ihren Anteil an der gescheiterten Reparationspolitik gewinnen. Lange Zeit setzte die griechische Regierung auf eine special relationship zur Bundesrepublik, die allerdings auf asymmetrischen Machtverhältnissen basierte. Auf diesem bilateralen Weg erntete Athen lediglich Misserfolge, abgesehen von einer Globalentschädigung in Höhe von 115 Millionen Mark im Jahre 1960, die allerdings durch eine gemeinsame Aktion mit anderen westeuropäischen ehemaligen Kriegsgegnern Deutschlands zustande gekommen war. Letztlich war auch die griechische diplomatische Selbstblockade gegenüber der Bundesrepublik eine langfristige Nachwirkung des Bürgerkriegs, was dieser Band ausblendet und sich ganz auf eine scharfe Kritik der westdeutschen Außenpolitik beschränkt.
Seit dem Londoner Schuldenabkommen von 1952 waren Reparationsforderungen stets auf die ausstehende endgültige Regelung der Friedensfrage verwiesen worden. Mit der deutschen Wiedervereinigung schien dieser Zeitpunkt gekommen zu sein. Doch im Zwei-plus-Vier-Abkommen von 1990 erlangte Helmut Kohl die deutsche Einigung, ohne den Preis der Regelung der Reparationsfrage zu zahlen. Roth interpretiert dies abermals als Ergebnis einer westdeutsch-nordamerikanischen Verschwörung zu Lasten der kleinen Länder. Auch über diese Interpretation lässt sich streiten, doch bringt er die Folgen für die Reparationsforderungen präzise auf den Punkt: Hatte Bonn vor dem Zwei-plus-Vier-Abkommen stets argumentiert, diese kämen zu früh, lautete die Begründung seither, diese kämen zu spät.
Die Bilanzierung von Reparationen ist extrem kompliziert, allein schon wegen der schwierigen Frage des Zeitwertes. Roth wagt es dennoch, wohl wissend, dass sämtliche Aspekte derartiger Berechnungen umstritten sind. So errechnet er einen Gesamtbetrag der deutschen Reparationsschuld von 5,9 Billionen Euro, von denen bislang – immerhin – 1,22 Billionen Euro getilgt worden seien. Den inflationsbereinigten Zeitwert der griechischen Reparationsforderungen veranschlagt er mit etwa 185 Milliarden Euro, von denen nicht einmal ein Prozent abgegolten worden sei. Wie auch immer man zu diesen Zahlen stehen mag, das grundsätzliche Missverhältnis zwischen Kriegsschäden und geleisteten Reparationen wird bestehen bleiben.
Auch Roth hält es für unrealistisch, dass die Differenz vollständig beglichen werden könnte, und so schlägt er einen Schuldenschnitt für die aus seiner Sicht noch offene deutsche Reparationsschuld vor. In einer ersten Variante plädiert er dafür, den bisher bereits geleisteten Betrag von rund 1,2 Billionen Euro in den nächsten 15 bis 20 Jahren noch einmal aufzubringen. Als alternativen Bezugsmaßstab für zukünftige Reparationsleistungen offeriert er jene Beträge, die die öffentlichen Haushalte zugunsten militärisch-politischer Funktionsträger der NS-Diktatur aufgebracht hätten, wobei er auf 306 Milliarden Euro kommt. In diese Kategorie fallen bei ihm die in der Bundesrepublik versorgten entlassenen Beamten des Dritten Reiches ebenso wie die unter das Bundesversorgungsgesetz fallenden Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS oder auch die Entschädigung für Kriegsgefangene. Bezahlt werden sollten diese Reparationsleistungen durch die „Profiteure“ des Zuwachses am Kapitalstock unter dem NS-Regime, und zu den Instrumenten zählt er unter anderem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Anhebung des Spitzensteuersatzes und die Nutzung der Goldreserven der Bundesbank.
Man muss diesen Vorschlag fairerweise als Diskussionsanstoß bewerten. Schwierig scheint dabei die Art und Weise, wie hier historische Schuld und Verantwortung verteilt wird. Die Argumentation unterscheidet latent zwischen „Machteliten“ und „Volk“ und zieht hier eine rote Linie vom Dritten Reich in die Bundesrepublik. Der Versuch, einerseits historische Verantwortung für die offene deutsche Reparationsschuld festzustellen, andererseits die Lasten so zu verteilen, dass nur „die da oben“ belastet werden sollten, vermischt somit ungenaue historische Analyse mit aktuellen linken Gerechtigkeitsdiskursen. Und schließlich setzt Roth etwas als Prämisse voraus, was allenfalls ein Ergebnis des laufenden historischen Prozesses sein könnte: Dass nämlich Kriegsschäden gewissermaßen nach zivilrechtlichen Maßstäben vollständig durch Reparationen ersetzt würden. Bislang handelt es sich hier weder um eine allgemeine historische Erfahrung noch um eine universale völkerrechtliche Norm. Der Maßstab ist gewissermaßen noch „under construction“, und an diesem Prozess beteiligen sich auch Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner mit ihrem gleichermaßen informativen und streitbaren Buch.
Auch wer zu anderen Schlussfolgerungen gelangt, wird sich durch die Lektüre sehr bereichert fühlen. Kurzum: ein wichtiger Beitrag zu einem wichtigen Thema, das uns wohl noch lange begleiten wird.
Constantin Goschler ist Professor für Zeitgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum. Er beschäftigt sich vor allem mit Kriegs- und Gewaltfolgen, Geheimdiensten und Biopolitik.
Haben die USA und „westdeutsche
Machteliten“ Athens Forderungen
systematisch ignoriert?
Die Autoren wollen die noch
abzutragende Schuldenlast
„denen da oben“ aufbürden
Karl Heinz Roth,
Hartmut Rübner:
Reparationsschuld.
Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa. Metropol-Verlag,
Berlin 2017, 645 Seiten, 29,90 Euro.
„Betrüger“, „Zahlen“: Das Poster, das im März 2015 gegenüber der deutschen Botschaft in Athen hing – anlässlich eines Besuchs von Kanzlerin Angela Merkel – lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Foto: SIMELA PANTZARTZi/dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Informativ und Streitbar findet Constantin Goschler das Buch "Reparationsschulden", in dem Karl-Heinz Roth und Hartmut Rübner fordern, dass Deutschland Griechenlands Schulden mit den Reparationsleistungen verrechnet, die es nach 1945 nie gezahlt hat. Rezensent Goschler findet die Kritik der Autoren an der Arroganz der deutschen Diplomatie, die Griechenlands Forderungen nach Reparation über Jahrzehnte zurückwies, legitim. Allerdings haben sich Roth und Rübner in ihrer Recherche fast nur auf Deutschland konzentriert, bemängelt Goschler, so könne man sich kein Bild davon machen, welche Rolle die griechische Diplomatie in den Verhandlungen um die Reparationen gespielt habe. Die Analyse sei außerdem teils ungenau und vermische sich zu sehr mit grundsätzlichen linken Debatten um Gerechtigkeit. Trotzdem bietet das Buch einen Anstoß zu einer Diskussion, die geführt werden muss, resümiert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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