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Produktdetails
  • Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin
  • Verlag: Verlag für Berlin-Brandenburg
  • Seitenzahl: 71
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 152g
  • ISBN-13: 9783932981326
  • Artikelnr.: 26779565
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2000

Hotel Königshof
Ihr Traumland lag woanders, denn im Stadtschloss waren die Hohenzollern nur Gäste: Die Geschichte des Gebäudes ist die Geschichte der Deutungshoheit über Berlin

Die immer noch andauernde Diskussion um die künftige bauliche Neugestaltung des einstigen Berliner Zentrums auf der Spreeinsel kreist im Kern um die Frage, ob das alte, auf Befehl Ulbrichts 1950 gesprengte Hohenzollernschloss wieder aufgebaut werden soll. Lässt man den Reigen der zahlreich vorgebrachten Argumente pro und contra an sich vorüberziehen, dann verwundert nur eines: dass bisher kaum nach den konkreten historischen Funktionen dieses berühmten und viel umstrittenen Baues gefragt worden ist. Denn die Geschichte des Berliner Schlosses war bisher tatsächlich fast ausschließlich eine Domäne bau- und kunsthistorischer Forschungen.

Insofern kann es als Glücksfall gelten, dass sich der derzeit wohl beste Kenner der brandenburgisch-preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, der Berliner Historiker Wolfgang Neugebauer, in einer zwar knappen, aber überaus materialreichen, auf intensiven Archivstudien aufbauenden Studie des Themas angenommen hat. Es geht ihm um eine enge Kooperation mit den Nachbardisziplinen, "nicht um die Verdrängung eines Ansatzes durch den anderen, sondern um die Pluralisierung der Betrachtungsweisen". Und die ist ihm glänzend gelungen: Fünf Jahrhunderte Schloss- und Residenzhistorie werden in engster Verbindung mit Verfassungs-, Verwaltungs- und Politikgeschichte anschaulich und faktenreich rekonstruiert.

Neugebauers Interesse richtet sich vor allem auf die funktionale Komponente der Schlossgeschichte: Er fragt nach "den herrschaftlichen, den administrativen, repräsentativen, vielleicht auch sozialen und ökonomischen Aufgaben, die an dieser Stelle in Brandenburg-Preußen erfüllt worden sind". Dabei stellt sich heraus, dass die Funktion des Berliner Stadtschlosses als monarchische Wohnung von Anfang an eine sehr viel geringere Bedeutung besessen hat, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Zwar diente es bereits den noch im Lande herumreisenden frühen Kurfürsten als "überlokales Herrschaftszentrum", doch eine wirkliche Aufwertung erfuhr es erst im sechzehnten Jahrhundert unter Joachim II., als es nicht nur zur zentralen Fürstenresidenz avancierte, sondern wichtige politisch-institutionelle Funktionen auf sich vereinigen konnte: Es war nun der Ort von Hof- und Landesverwaltung, ebenfalls Sitz des Kammergerichts und vor allem auch Tagungsort der Ständeversammlungen. Noch im neunzehnten Jahrhundert wurden unter Anknüpfung an diese alte Tradition die Landtage offiziell im "Weißen Saal" des Schlosses eröffnet.

Im siebzehnten Jahrhundert wurde das Gebäude zwar zeitweilig zum Sitz des "Geheimen Rates", der Zentralbehörde des jungen Staates, doch die zahlreichen Ortswechsel Georg Wilhelms und seines Nachfolgers, des Großen Kurfürsten, verminderten seine politische Bedeutung; in späteren Jahren trat Potsdam als Hauptresidenz in den Vordergrund. Der große Ausbau und die nachhaltige Erweiterung des Schlosses wurde um und nach 1700 unter dem ersten König ins Werk gesetzt; in diesen Jahren verliehen Andreas Schlüter und sein Konkurrent und Nachfolger Eosander von Göthe dem eindrucksvollen Barockbau sein Äußeres, das er als Zentrum des Bauensembles auf der Spreeinsel bis zur Zerstörung behalten sollte. Friedrich III. bezeichnete diesen Ausbau in einer Zeit, in der den Formen prächtiger höfischer Repräsentation höchste politische Bedeutung zukam, ausdrücklich als "politische Necessität".

Nachdem das Stadtschloss, wie der Autor sagt, "in seiner künstlerischen Qualität gleichsam auf europäisches Niveau gehoben" worden war, wurde es trotzdem niemals dauerhaft zum eigentlichen Zentrum der politischen Macht. Friedrich Wilhelm I. und sein Sohn bevorzugten andere Aufenthaltsorte; beide bauten Potsdam endgültig zur zweiten Hauptresidenz aus. Zu Zeiten Friedrichs des Großen dezentralisierte sich die preußische Hofgesellschaft; die Königin residierte in Schönhausen, die Brüder des Monarchen hatten ihre eigenen kleinen Höfe. Das Stadtschloss enthielt dagegen den Sitz der Kammer-, Finanz- und Militärbehörden, die für den inneren Ausbau des preußischen Machtstaates Kernfunktionen wahrnahmen. Um 1800 war es tatsächlich "ein öffentliches Gebäude mit stattlichem Publikumsverkehr, was übrigens für die Geheimhaltung der Amtsgeschäfte stets Probleme schuf".

Das änderte sich wiederum im neunzehnten Jahrhundert, als die Repräsentationsfunktionen, die das Schloss schon zur Zeit des ersten Königs erfüllt hatte, wieder in den Vordergrund traten. Es wurde nun vor allem Ort der symbolischen Herrschaftsausübung; Soireen, Ordensfeste, auch die Inszenierung von Staatsbesuchen anderer gekrönter Häupter fanden hier statt; nicht zuletzt diente es als Gästehaus für hohen Besuch. Doch auch nachdem um 1875 die letzten Behörden (Schatzkammern und Staatsarchiv) ausgezogen waren, wurde es nur zeitweilig wieder Monarchenresidenz - nicht unter Wilhelm I., der nie im Schloss gewohnt hat, sondern unter seinem Enkel Wilhelm II., der es aber nur als Winterresidenz nutzte.

Im Verlauf des Umsturzes von 1918 wurde das Schloss geplündert, und erst Mitte der zwanziger Jahre übernahm der Staat das Gebäude von seinen Vorbesitzern, den Hohenzollern. Jetzt diente es, bis zu seiner Zerstörung durch die Bombenangriffe des Krieges, in erster Linie kulturellen Zwecken. Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften residierte hier mit ihrer Hauptverwaltung und später mit vier Instituten. Konzerte und Ausstellungen fanden statt; das Staatstheater betrieb eine Probebühne. Noch 1942 hat man in den Prunkräumen - kurz vor den ersten schweren Bombenschäden - wertvolle Szenen eines Spielfilms über das Leben Andreas Schlüters gedreht, die heute zu den wenigen aussagekräftigen Dokumenten über das Innere zählen.

Eine Stellungnahme zur Frage des Wiederaufbaus findet sich bei Neugebauer ausdrücklich nicht. Er plädiert allerdings für eine Versachlichung der Diskussion, für eine Vermeidung von Blickverengungen: Das Schlossgebäude war zu allen Zeiten mehr "als der mehr oder weniger prächtige Wohnsitz von Kurfürsten, Königen und Kaisern". Die Bedeutung des Baues liegt gerade in der ihm eigenen, historisch zu rekonstruierenden Polyfunktionalität. Das Berliner Stadtschloss an der Spree ist also "ein Ort potenzierter Historizität gewesen, ein geschichtlicher Ort von unverwechselbarem Profil". Genau das sollten die Teilnehmer an der gegenwärtigen Diskussion nicht vergessen.

HANS-CHRISTOF KRAUS

Wolfgang Neugebauer: "Residenz - Verwaltung - Repräsentation". Das Berliner Schloss und seine historischen Funktionen vom 15. bis 20. Jahrhundert. Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, Heft 1. Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1999. 72 S., br., 19.80 DM.

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