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Erich Kästner - politisch wie nie
Obgleich Erich Kästner als Satiriker und selbsternannter Schulmeister bekannt ist, bezog der Dichter der Neuen Sachlichkeit in seinen Werken selten politisch Stellung und ist weniger für sein politisches Engagement bekannt als für seine Rolle des scharfen Beobachters. Dabei verfasste er bereits als junger Autor kritische Schriften zum Tagesgeschehen und durchlebte im Alter eine regelrechte Radikalisierung, nahm an Kundgebungen gegen Atomkraft und den Vietnamkrieg teil und hielt dort scharfzüngige Reden. Diese Leerstelle in der öffentlichen Wahrnehmung füllt…mehr

Produktbeschreibung
Erich Kästner - politisch wie nie

Obgleich Erich Kästner als Satiriker und selbsternannter Schulmeister bekannt ist, bezog der Dichter der Neuen Sachlichkeit in seinen Werken selten politisch Stellung und ist weniger für sein politisches Engagement bekannt als für seine Rolle des scharfen Beobachters. Dabei verfasste er bereits als junger Autor kritische Schriften zum Tagesgeschehen und durchlebte im Alter eine regelrechte Radikalisierung, nahm an Kundgebungen gegen Atomkraft und den Vietnamkrieg teil und hielt dort scharfzüngige Reden. Diese Leerstelle in der öffentlichen Wahrnehmung füllt Sven Hanuschek nun mit Leben, indem er kaum bekannte und zum Teil unveröffentlichte Texte Kästners zusammenstellt, kommentiert und in einem Nachwort einordnet. So entsteht ein faszinierender neuer Einblick in diesen weltberühmten Autor.

Autorenporträt
Erich Kästner, 1899 in Dresden geboren, begründete gleich mit zwei seiner ersten Bücher seinen Weltruhm: Herz auf Taille (1928) und Emil und die Detektive (1929). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden seine Bücher verbrannt, sein Werk erschien nunmehr in der Schweiz im Atrium Verlag. Erich Kästner erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, u.a. den Georg-Büchner-Preis. Er starb 1974 in München.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Hilmar Klute findet in den journalistischen Arbeiten Erich Kästners, die der Germanist und Autor Sven Hanuschek hier versammelt, dessen gewohnt "schnoddrigen" Ton vor, aber auch die selbstkritische "Frage nach der eigenen Courage". Besonders interessant sind für den Rezensent die Texte, die Kästner kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfasst hat: Sie zeigen, wie der Autor einerseits als Gebliebener mit seiner Rolle in Nazideutschland rang, andererseits darum bemüht war, in seinen Texten ein kohärentes Selbstbild aufrecht zu erhalten, so Klute. Biografische Leerstellen werden nicht zwangsläufig gefüllt, doch es wird ersichtlich wie intensiv Kästner sich nach der eigenen Schuld befragte. Gebannt liest der Kritiker Kästners Reportage über die Nürnberger-Prozesse, in der der Autor die Angeklagten, aber auch die eingeladenen internationalen Beobachter mit geradezu filmischer Genauigkeit beschreibt und die "Psychopathologien" der Verbrecher besser einfängt als jede Dokumentation.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2023

Die Frage nach
der Courage
Erich Kästners politische Reden und
Feuilletons lesen sich bemerkenswert
zeitgemäß. Bis hinein in ihre Leerstellen
VON HILMAR KLUTE
Von den damals jüngeren Autoren der Weimarer Republik, denen so etwas wie ein Nachruhm beschieden war, ist Erich Kästner heute der mit Abstand populärste. Sein Name und seine Bücher sind präsenter als die von Erich Maria Remarque, Irmgard Keun oder Joseph Roth. Erich Kästner ist der Hausautor der demokratischen Deutschen, ein Schulmeister ohne Zeigefinger, ein cooler Typ weitgehend ohne Mansplaining, und ein Lebemann mit einem gehörigen Schuss Melancholie. Die Mischung bei diesem Autor stimmt so passgenau, dass sein Werk Moden, Geschmäcker und Moralismen überdauert hat. Und das Interesse der Biografen, Herausgeber, Regisseure und Leser an diesem einerseits griffigen, dann auch wieder sehr distanziert wirkenden und mit merkwürdigen biografischen Leerstellen versehenen Literaten ist nach wie vor riesig.
Vor Kurzem erst war Dominik Grafs Verfilmung von Kästners Roman „Fabian“ ein großer Kinoerfolg. Und regelmäßig gibt der Zürcher Atrium-Verlag Bücher mit teils unbekannten, teils neu edierten Texten dieses Klassikers, der sich nicht fürs Denkmal eignet, heraus. Jetzt sind dort journalistische Arbeiten Erich Kästners erschienen, der Titel, in bewährter kästnerscher Hemdsärmeligkeit: „Resignation ist kein Gesichtspunkt“. Sven Hanuschek, Münchner Germanistik-Professor und Autor der bislang besten Kästner-Biografie, hat diese bemerkenswert zeitgemäßen Arbeiten herausgeben und in einem Nachwort klug kommentiert.
Die Entstehungszeit der Texte erstreckt sich von den frühen Zwanzigern bis in die Zeit der wiederbewaffneten, mit den Untaten und Untätigkeiten der jüngsten Vergangenheit eher mäßig beschäftigten Bundesrepublik. Besonders interessant und aufschlussreich sind jene Arbeiten, die Kästner unmittelbar nach dem Ende der Nazi-Zeit geschrieben hat und in denen er seine Rolle darin mit dem Ringen der Nachkriegsdeutschen um Schuld und Sühne verknüpft.
Denn die Leerstelle, oft beschrieben und selbst von Sven Hanuschek als bestem Kästner-Kenner nicht durch Erklärungen gefüllt, bleibt als Frage bestehen: Welche Kompromisse musste Erich Kästner während der Naziherrschaft eingehen? Wer hielt seine schützende Hand über diesen in vielem doch so radikal republikanischen, eher nicht in metaphorischer Mehrdeutigkeit schreibenden Autor?
Selbst in jenen Texten, die den Schriftsteller in seinen Selbstzweifeln zeigen, erweist sich, wie penibel Kästner darauf achtet, seine Integrität keinem ernsthaften Zweifel auszusetzen. In seinem Essay „Über das Auswandern“ erzählt Kästner vom Bemühen seiner geflohenen Freunde, auch ihn, den im Reich Gebliebenen, zur Emigration zu bewegen. Er dagegen habe seine emigrierten oder zur Emigration entschlossenen Freunde damals überreden wollen, im Land zu bleiben. „Wenn es mir damals gelungen wäre“, schreibt Kästner, „auch nur einen Einzigen zu überreden, den man dann gequält und totgeschlagen hätte. Ich trüge hierfür die Schuld.“
Das Selbstbild bleibt, trotz eingestandener Beschädigungen, einigermaßen stabil: Kästner ist im NS-Reich geblieben, um Zeugnis ablegen zu können – auf eigene Gefahr sozusagen. Die Gestapo hat ihn in die Mühlen genommen, aber Fortune und Chuzpe haben ihm das Leben gerettet. Gleichwohl stößt man in diesen Texten immer wieder auf Stellen, die Kästners Ringen um die eigene Schuld spiegeln. Dreimal hat ihn die Gestapo in die berüchtigte Verhöre in der Prinz-Albrecht-Straße geladen. Dorthin also, wo manche seiner Freunde zu Tode geprügelt worden sind.
Durch den coolen Zeitzeugensound, der übrigens durchaus eine angemessene Tonlage ist, weil er unsentimental, hart benennend und illusionslos daherkommt, zieht sich immer wieder ein Motiv, das zentral ist für Kästners späte journalistische Texte: die Frage nach der eigenen Courage. Carl von Ossietzky, dem Kästner mit anderen zusammen die Flucht organisiert hatte, sagte mit Blick auf die NS-Machthaber: „Es ist für sie unbequemer, wenn ich bleibe.“ Und Kästners ehemaliger Schulkamerad, der in den Dreißigerjahren sehr populäre Schauspieler Hans Otto, soll, kurz bevor ihn die SS-Männer aus dem Fenster der Gestapozentrale warfen, gerufen haben: „Das ist meine schönste Rolle!“
Kästner selbst hat sich zeitlebens die Frage nach der Wirkmacht seines Verbleibs im NS-Reich gestellt. Bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 am Berliner Opernplatz stand er unter den Zuschauern, als seine eigenen Werke in die Flammen geworfen wurden. Aber: „Ich hatte angesichts der Scheiterhaufen nicht aufgeschrien. Ich hatte nicht einmal mit der Faust gedroht. Ich hatte sie nur in der Tasche geballt. Das nenne ich mir einen Helden!“
Die Aufgabe, eine Rezension des berühmten Films „Die Todesmühlen“ über die NS-Vernichtungslager zu schreiben, gerät Kästner zu einer Art psychologischem Werkstattbericht. „Ich bringe es nicht fertig, über diesen unausdenkbaren, infernalischen Wahnsinn einen zusammenhängenden Artikel zu schreiben.“ Es kommen alle unfassbaren Details der Vernichtungsfabrik zur Sprache, die Verwertung von Haaren, Knochen und Kleidern; Kästner wählt für sein Making-of einer Kritik jenen schnoddrigen Ton, der ihn berühmt und unwiderstehlich gemacht hat und der im Zusammenhang mit den Details des Holocaust doch auf befremdliche Weise kabarettistisch wirkt: „Siebenundzwanzig Kinderschuhe konnten verhökert werden. Auf daß nichts umkomme.“
Der lässige Kästner-Ton prägt auch die „Streiflichter aus Nürnberg“, Kästners große Reportage über den Kriegsverbrecher-Prozess im November 1946. Er porträtiert die Hauptangeklagten mit der Genauigkeit des Erzählers, die Verbrecher werden wie Romanfiguren skizziert. „Julius Streicher: Oft zuckt sein rechter Mundwinkel nervös zur Seite. Und unmittelbar danach zuckt sein rechtes Auge zusammen. Immer wieder und wieder.“ Keine Filmdokumentation kann die Psychopathologien der Verbrecher so einfangen wie der Augenzeuge Kästner. „Dann kommt Walter Funk. Klein, molluskenhaft, mit seinem blassen häßlichen Froschgesicht.“
Kästner lässt sich von Kollegen erklären, wer die geladenen internationalen Beobachter sind, und rückt auch diese, scharf gestellt, ins Bild: John Dos Passos, Erika Mann, Peter de Mendelssohn – allesamt große Frauen und Männer, die von außen ins Land, nach Nürnberg kamen, während Kästner dageblieben war. Mendelssohn, der als Jude früh emigriert war, stand die Lässigkeit im Ton nicht zur Verfügung. Er bewunderte Kästner zwar, war aber enttäuscht von dessen für Mendelssohn unbefriedigender Begründung seines Verharrens.
Es ist übrigens ein guter Zufall, dass erst vor wenigen Wochen Uwe Neumahrs großartiges Buch über die Schriftsteller, die am Nürnberger Prozess als Beobachter teilnehmen, erschienen ist. Erich Kästner ist darin ein ganzes Kapitel gewidmet. Man sollte es als Begleitlektüre zu dieser Sammlung von Kästner-Texten hinzuziehen. Auch um zu verstehen, dass Schuld und Moral zwei Größen sind, die man nicht aufhören kann zu verhandeln.
Welche Kompromisse musste
Kästner während der
Nazi-Herrschaft eingehen?
Die Angeklagten der
Nürnberger Prozesse
skizzierte er wie Romanfiguren
Erich Kästner:
Resignation ist kein
Gesichtspunkt – Politische Reden und Feuilletons.
Hrsg. v. Sven Hanuschek. Atrium Verlag, Zürich 2023. 240 Seiten, 23 Euro.
„Ich hatte angesichts der Scheiterhaufen nicht aufgeschrien. Ich hatte nicht einmal mit der Faust gedroht. Ich hatte sie nur in der Tasche geballt. Das nenne ich mir einen Helden!“: Erich Kästner 1961.
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