Ein außergewöhnlich schlechter Anfang ...
Gunnar ist knapp 30 und hat sich in der ungemein behaglichen Männergesellschaft des Rettungsdienstes ganz gut eingerichtet, einer Welt aus groben Witzen, aber auch des solidarischen Bewusstseins gemeinsamen Strauchelns. Jeden Morgen beginnen sie ihre Schicht mit einem Blick auf die Todesanzeigen, die sie nur die »Reklamationen« nennen. Die Rettungswagenfahrer begegnen dem alten Mann, der den ganzen Tag in Großküchentöpfen Fleisch vom Knochen kocht, um es anschließend auf unzählige Näpfe zu verteilen. Die Hunde, die dieses Fleisch eigentlich fressen sollen, gibt es allerdings nur in seiner Phantasie. Weil seine Frau den Geruch nicht mehr aushalten kann, ruft sie die »112« an und damit überforderte Sanitäter ins Haus. So geht es Tag ein, Tag aus, und zwischen den mal absurden, mal skurrilen Einsätzen passiert ES.
Während sein Kollege und er sich erfolglos bemühen eine Frau wiederzubeleben, verliebt sich Gunnar in die verzweifelt am Rand stehende Tochter. Aber wie nun eine Frau ansprechen, deren Mutter gerade gestorben ist? Wann kann er sie anrufen - sind drei bis fünf Tage genug? Und dann? »Hallo, wir haben uns beim Tod deiner Mutter kennen gelernt. Sollen wir mal Eis essen gehen?«
Gunnar ist knapp 30 und hat sich in der ungemein behaglichen Männergesellschaft des Rettungsdienstes ganz gut eingerichtet, einer Welt aus groben Witzen, aber auch des solidarischen Bewusstseins gemeinsamen Strauchelns. Jeden Morgen beginnen sie ihre Schicht mit einem Blick auf die Todesanzeigen, die sie nur die »Reklamationen« nennen. Die Rettungswagenfahrer begegnen dem alten Mann, der den ganzen Tag in Großküchentöpfen Fleisch vom Knochen kocht, um es anschließend auf unzählige Näpfe zu verteilen. Die Hunde, die dieses Fleisch eigentlich fressen sollen, gibt es allerdings nur in seiner Phantasie. Weil seine Frau den Geruch nicht mehr aushalten kann, ruft sie die »112« an und damit überforderte Sanitäter ins Haus. So geht es Tag ein, Tag aus, und zwischen den mal absurden, mal skurrilen Einsätzen passiert ES.
Während sein Kollege und er sich erfolglos bemühen eine Frau wiederzubeleben, verliebt sich Gunnar in die verzweifelt am Rand stehende Tochter. Aber wie nun eine Frau ansprechen, deren Mutter gerade gestorben ist? Wann kann er sie anrufen - sind drei bis fünf Tage genug? Und dann? »Hallo, wir haben uns beim Tod deiner Mutter kennen gelernt. Sollen wir mal Eis essen gehen?«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2003Jeder rette, wen er kann
Der Radio- und Fernsehmoderator Jörg Thadeusz hat einen "Sanitäterroman" geschrieben
Weil er eine Radiosendung in Köln moderiert und die traditionsreiche Satiresendung "extra 3" des NDR in Hamburg, ist Jörg Thadeusz letztes Jahr nach Berlin gezogen, nicht in eines der schicken Viertel, sondern weit hinaus nach Pankow, in eine ausgebaute Lachsräucherei. Da wohnt er jetzt zwischen sehr vielen Koffern, Reisetaschen, Bügelbrett und Bügeleisen. Ein Buffet und ein Schrank aus Gelsenkirchner Barock erinnern an die alte Heimat, das Ruhrgebiet. Thadeusz, Jahrgang 1968, hat in dieser Wohnung einen Roman geschrieben, seinen ersten. Auch im nachhinein spricht er mit großem Ernst von den Zweifeln, die ihn dabei heimgesucht haben: "Ich dachte, das war's. Das ist eins zuviel. Beim Radio bist du trotz aller Bedenken so reingerutscht, dann hast du Fernsehen versucht, obwohl du dachtest, das geht schief, und jetzt dieser Roman - also, da verhebst du dich endgültig. Das ist genau eins zuviel."
Ein Sanitäterroman
Ist es nicht. Und Jörg Thadeusz rutscht auch nicht wirklich in den Weiten der Medien herum, eigentlich steigt er nur auf, und zwar schön kontinuierlich. Seit Jahren ist er eine der bekanntesten Radiopersönlichkeiten bei Eins Live, moderiert bei Radio Eins in Potsdam "Die Profis", ein vielbeachtetes Wissenschaftsmagazin, bekam im Jahr 2000 einen Grimmepreis für seine improvisierten Außenmoderationen in "Zimmer frei" und animiert jeden Donnerstag die coolen Politsatiren von "extra 3". Im August kommt eine neue Sendung hinzu, "Talk und Spiele. Die andere Wochenschau", in der Journalisten erst mit Quizfragen und Spielen gepeinigt werden, bevor sie dann mit rotem Kopf über das Thema der Woche streiten dürfen. Daß das nicht so gediegen werden wird wie die morgendliche Presseschau des Deutschlandfunks, glaubt man ihm sofort.
Für seinen Roman hat er die Medienwelten hinter sich gelassen und ist abgetaucht in die Erinnerung an seine Zeit bei der Johanniter-Unfallhilfe. "Rette mich ein bißchen" ist ein Sanitäterroman. Wenn jemand Ende der achtziger Jahre in Dortmund die Rufnummer 112 wählte, konnte es sein, daß dann Jörg Thadeusz anrückte, mit seinen Kollegen, die er im Buch so charakterisiert: "Ich kam manchmal an der Seite von Männern, die in unbeobachteten Momenten niemals mit Messer und Gabel essen würden. Die nicht lesen, die ihre Frauen ignorieren, die sich geschmacklos anziehen und sich bei der entsprechenden Gelegenheit bis zum Verlust des Sprachvermögens besaufen. Männer, denen der Kopf vor Anstrengung raucht, wenn sie die Frage gestellt bekommen, was ihre weiteren Ziele im Leben sind. Kaum einer meiner Kollegen ist sich darüber im klaren, daß wir alle sehr ehrgeizig sind. Keiner käme auf die Idee, das jemals auszusprechen, weil es pathetisch oder in der Sprache meiner Kollegen schweinepeinlich ist. Aber unser Ehrgeiz ist, Leben zu retten."
Doch "Rette mich ein bißchen" ist vor allem eine sanitätisch zutiefst unkorrekte Liebesgeschichte: Der Protagonist verliebt sich in die Tochter einer Notfallpatientin, die er vergeblich zu reanimieren versucht und die unter seinen Händen stirbt. Weil das ein etwas heikler Anknüpfungspunkt für ein zweites Date ist, erfindet er eine Geschichte und verstrickt und verirrt sich, wendet sich Mitbewohnerinnen und Exfreundinnen zu, kurz, er läßt kaum eine alltagserotische Gemeinheit aus, und zwischendrin arbeitet er eben, hängt Selbstmörder ab, pflegt Verwirrte, wischt Erbrochenes auf und klaubt amputierte Gliedmaßen von der Straße.
Sterben und Tod sind im Buch sehr präsent, werden aber nicht weniger sarkastisch angesprochen als alles andere auch. Gunnar hat als Kind seine Eltern verloren, sie sind bei einem Segelunfall auf der Nordsee ums Leben gekommen. Als er später auf einer Party ein Mädchen mit seiner traurigen Kindheit beeindrucken will und sagt, er sei bis heute vom Schwimmunterricht befreit, kontert die: "Wieso, deine Eltern sind doch nicht im Hallenbad ertrunken?" Klar, daß er sich augenblicklich in das Mädchen verliebt.
Unvollkommene Oma
Extratrockener Humor, gnadenlose Beobachtungen und echtes Mitleid - Thadeusz gelingt jene angelsächsische Mischung, wie man sie von wirklich routinierten Autoren, von Nick Hornby oder Stephen Fry kennt. Als Gunnars geliebte Großmutter im Krankenhaus liegt, wird das so beschrieben: "In dem Technikbett wirkt meine kleine, schlafende Oma unvollkommen. Nach den verschiedenen Fernbedienungen zu urteilen, kann das Bett tolle Sachen, sehr viel mehr als nur rauf und runter. Ich stelle mir den Ingenieur vor, der klagend mault: ,Ich habe ein perfektes Bett gebaut, ein total raffiniertes Krankenhausbett, das so viel kostet wie ein Porsche, und ihr legt mir eine alte Frau rein, die noch nicht mal ihre Zähne drin hat.'"
"Rette mich ein bißchen" ist Unterhaltungsliteratur mit dem Resonanzboden erfahrenen Leids. Während seiner Zeit als Sanitäter hatte sich Thadeusz zwar gesagt, wenn das überstanden ist, hast du nie mehr Angst vorm Tod, aber es kam anders. Er fürchtet Unfälle und Schicksalsschläge heute fast mehr als vorher und mußte seither allzuviele Erfahrungen mit dem Verlust nahestehender Menschen machen. Das Buch hat er seinem im letzten Jahr verstorbenen besten Freund gewidmet, "der nicht mehr zu retten war und deswegen schrecklich fehlt. Jeden Tag."
Erfahrungen dieser Art haben Thadeusz Toleranzschwelle für verallgemeinernde Aussagen über das vermeintlich so frivole "Lebensgefühl seiner Generation" arg sinken lassen. Ganz nervös wird er, wenn es heißt, diese Generation hätte nichts erlebt oder sei in einer bundesrepublikanischen Idylle aufgewachsen. "Da bin ich einfach anderer Meinung. Viele Vertreter meiner Generation haben Erfahrungen gemacht, die sich nicht im Besitz eines Bonanzarads oder dem Genuß von ,Brauner Bär'-Eis erschöpfen. Sie haben sich verliebt, sind umgezogen, haben Wehr- und Zivildienst überstanden, Jobs gesucht und gefunden oder sind arbeitslos geworden. Das sind zugegebenermaßen und Gott sei Dank keine Stalingrad-Erfahrungen, aber es ist nicht nichts."
Man muß dann aber auch erzählen, wie es war und wie man es fand, sagt er. Die Glätte der Romane einer Ildiko von Kürthy etwa irritiert ihn. "Von ,Mondscheintarif' war ich begeistert, das hab' ich in einer einzigen Zugfahrt durchgelesen. Aber jetzt bei ihrem dritten Roman dachte ich mir: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Du hast 1,5 Millionen Bücher verkauft, jetzt will ich mal was von dir wissen. Was bewegt dich denn? Wovor hast du Angst, wenn du abends einschläfst oder morgens aufwachst, an einem bösen Tag?"
Mit solchen Maßstäben scheint die Literatur plötzlich das riskantere Feld als der politische Journalismus. Bei Lesungen aus dem Roman ist Thadeusz viel aufgeregter als bei seinen Moderationen, und manche Zuhörerin hat sich schon gefragt, wie das zusammengeht, der coole Moderator mit Fliege und hochgezogener Augenbraue aus der Sendung "extra 3" und der verlegen errötende Vorleser von Liebesgeschichten aus dem Milieu der Leichenteilaufsammler. Der Unterschied? Fernsehen sei einfach sicherer: "Was soll mir schon passieren, wenn ich mich im Studio hinstelle und wohlfeile Sachen über Berlusconi sage und dann überleite zum nächsten Film?"
Vielleicht beginnen die Grenzen zwischen den Welten des Jörg Thadeusz sich gerade aufzulösen. Vergangenen Donnerstag, bei dem "extra 3"-Gespräch mit seinem Studiogast, dem FDP-Youngster Daniel Bahr, einem 26jährigen "Rentenexperten", kreiste das Interview plötzlich um Bahrs Albträume, um unfreiwillige Begegnungen mit Klaus Kinkel auf dem Herrenklo und den Verlust nahestehender Personen, in diesem Fall von Bahrs politischem Ziehvater Jürgen Möllemann. Das Interview war sehr kurz, aber die Richtung, diese Themen, das war schon ungewöhnlich und vielversprechend.
Eine neue Offenheit
Neue Sujets, neue Offenheit für die Schattenseiten der Conditio humana tun nicht nur der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur gut. Auch Journalisten und Politiker glauben ja fanatisch an die Funktion besonders gut eingeübter Sätze, an einen authentisch wirkenden Habitus, der die Wahrheit nur besser zu verschleiern sucht. "Beckmann und Kerner trauen sich doch gar nicht mal mehr zu zeigen, wenn ihnen beispielsweise eine Frau im Studio wirklich gefällt, da lesen die dann doch von ihren Karten ab: ,Man sagt, Sie seien sehr schön.'" Und bei mehr als einem Politiker, die auch nach einer Sendung nicht aufhören können darzustellen, wo und wie sie überall die Besten sind, denkt sich Thadeusz: "Du armer Mensch. Was machst du, wenn das Licht mal ausgeht?"
"Rette mich ein bißchen" könnte der erste Journalistenroman sein, der nicht die angeblich eklatante Verkommenheit und Dekadenz der Medien abbildet, sondern über den ungewöhnlichen Umweg eines Moderators mit ungewöhnlichem Lebenslauf die komischen, traurigen Resonanzräume der Wirklichkeit für das Fernsehen erschließt. Ein bißchen eine Rettung.
NILS MINKMAR
Jörg Thadeusz: "Rette mich ein bißchen". 239 Seiten. 8,90 Euro. Kiepenheuer und Witsch 2003.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Radio- und Fernsehmoderator Jörg Thadeusz hat einen "Sanitäterroman" geschrieben
Weil er eine Radiosendung in Köln moderiert und die traditionsreiche Satiresendung "extra 3" des NDR in Hamburg, ist Jörg Thadeusz letztes Jahr nach Berlin gezogen, nicht in eines der schicken Viertel, sondern weit hinaus nach Pankow, in eine ausgebaute Lachsräucherei. Da wohnt er jetzt zwischen sehr vielen Koffern, Reisetaschen, Bügelbrett und Bügeleisen. Ein Buffet und ein Schrank aus Gelsenkirchner Barock erinnern an die alte Heimat, das Ruhrgebiet. Thadeusz, Jahrgang 1968, hat in dieser Wohnung einen Roman geschrieben, seinen ersten. Auch im nachhinein spricht er mit großem Ernst von den Zweifeln, die ihn dabei heimgesucht haben: "Ich dachte, das war's. Das ist eins zuviel. Beim Radio bist du trotz aller Bedenken so reingerutscht, dann hast du Fernsehen versucht, obwohl du dachtest, das geht schief, und jetzt dieser Roman - also, da verhebst du dich endgültig. Das ist genau eins zuviel."
Ein Sanitäterroman
Ist es nicht. Und Jörg Thadeusz rutscht auch nicht wirklich in den Weiten der Medien herum, eigentlich steigt er nur auf, und zwar schön kontinuierlich. Seit Jahren ist er eine der bekanntesten Radiopersönlichkeiten bei Eins Live, moderiert bei Radio Eins in Potsdam "Die Profis", ein vielbeachtetes Wissenschaftsmagazin, bekam im Jahr 2000 einen Grimmepreis für seine improvisierten Außenmoderationen in "Zimmer frei" und animiert jeden Donnerstag die coolen Politsatiren von "extra 3". Im August kommt eine neue Sendung hinzu, "Talk und Spiele. Die andere Wochenschau", in der Journalisten erst mit Quizfragen und Spielen gepeinigt werden, bevor sie dann mit rotem Kopf über das Thema der Woche streiten dürfen. Daß das nicht so gediegen werden wird wie die morgendliche Presseschau des Deutschlandfunks, glaubt man ihm sofort.
Für seinen Roman hat er die Medienwelten hinter sich gelassen und ist abgetaucht in die Erinnerung an seine Zeit bei der Johanniter-Unfallhilfe. "Rette mich ein bißchen" ist ein Sanitäterroman. Wenn jemand Ende der achtziger Jahre in Dortmund die Rufnummer 112 wählte, konnte es sein, daß dann Jörg Thadeusz anrückte, mit seinen Kollegen, die er im Buch so charakterisiert: "Ich kam manchmal an der Seite von Männern, die in unbeobachteten Momenten niemals mit Messer und Gabel essen würden. Die nicht lesen, die ihre Frauen ignorieren, die sich geschmacklos anziehen und sich bei der entsprechenden Gelegenheit bis zum Verlust des Sprachvermögens besaufen. Männer, denen der Kopf vor Anstrengung raucht, wenn sie die Frage gestellt bekommen, was ihre weiteren Ziele im Leben sind. Kaum einer meiner Kollegen ist sich darüber im klaren, daß wir alle sehr ehrgeizig sind. Keiner käme auf die Idee, das jemals auszusprechen, weil es pathetisch oder in der Sprache meiner Kollegen schweinepeinlich ist. Aber unser Ehrgeiz ist, Leben zu retten."
Doch "Rette mich ein bißchen" ist vor allem eine sanitätisch zutiefst unkorrekte Liebesgeschichte: Der Protagonist verliebt sich in die Tochter einer Notfallpatientin, die er vergeblich zu reanimieren versucht und die unter seinen Händen stirbt. Weil das ein etwas heikler Anknüpfungspunkt für ein zweites Date ist, erfindet er eine Geschichte und verstrickt und verirrt sich, wendet sich Mitbewohnerinnen und Exfreundinnen zu, kurz, er läßt kaum eine alltagserotische Gemeinheit aus, und zwischendrin arbeitet er eben, hängt Selbstmörder ab, pflegt Verwirrte, wischt Erbrochenes auf und klaubt amputierte Gliedmaßen von der Straße.
Sterben und Tod sind im Buch sehr präsent, werden aber nicht weniger sarkastisch angesprochen als alles andere auch. Gunnar hat als Kind seine Eltern verloren, sie sind bei einem Segelunfall auf der Nordsee ums Leben gekommen. Als er später auf einer Party ein Mädchen mit seiner traurigen Kindheit beeindrucken will und sagt, er sei bis heute vom Schwimmunterricht befreit, kontert die: "Wieso, deine Eltern sind doch nicht im Hallenbad ertrunken?" Klar, daß er sich augenblicklich in das Mädchen verliebt.
Unvollkommene Oma
Extratrockener Humor, gnadenlose Beobachtungen und echtes Mitleid - Thadeusz gelingt jene angelsächsische Mischung, wie man sie von wirklich routinierten Autoren, von Nick Hornby oder Stephen Fry kennt. Als Gunnars geliebte Großmutter im Krankenhaus liegt, wird das so beschrieben: "In dem Technikbett wirkt meine kleine, schlafende Oma unvollkommen. Nach den verschiedenen Fernbedienungen zu urteilen, kann das Bett tolle Sachen, sehr viel mehr als nur rauf und runter. Ich stelle mir den Ingenieur vor, der klagend mault: ,Ich habe ein perfektes Bett gebaut, ein total raffiniertes Krankenhausbett, das so viel kostet wie ein Porsche, und ihr legt mir eine alte Frau rein, die noch nicht mal ihre Zähne drin hat.'"
"Rette mich ein bißchen" ist Unterhaltungsliteratur mit dem Resonanzboden erfahrenen Leids. Während seiner Zeit als Sanitäter hatte sich Thadeusz zwar gesagt, wenn das überstanden ist, hast du nie mehr Angst vorm Tod, aber es kam anders. Er fürchtet Unfälle und Schicksalsschläge heute fast mehr als vorher und mußte seither allzuviele Erfahrungen mit dem Verlust nahestehender Menschen machen. Das Buch hat er seinem im letzten Jahr verstorbenen besten Freund gewidmet, "der nicht mehr zu retten war und deswegen schrecklich fehlt. Jeden Tag."
Erfahrungen dieser Art haben Thadeusz Toleranzschwelle für verallgemeinernde Aussagen über das vermeintlich so frivole "Lebensgefühl seiner Generation" arg sinken lassen. Ganz nervös wird er, wenn es heißt, diese Generation hätte nichts erlebt oder sei in einer bundesrepublikanischen Idylle aufgewachsen. "Da bin ich einfach anderer Meinung. Viele Vertreter meiner Generation haben Erfahrungen gemacht, die sich nicht im Besitz eines Bonanzarads oder dem Genuß von ,Brauner Bär'-Eis erschöpfen. Sie haben sich verliebt, sind umgezogen, haben Wehr- und Zivildienst überstanden, Jobs gesucht und gefunden oder sind arbeitslos geworden. Das sind zugegebenermaßen und Gott sei Dank keine Stalingrad-Erfahrungen, aber es ist nicht nichts."
Man muß dann aber auch erzählen, wie es war und wie man es fand, sagt er. Die Glätte der Romane einer Ildiko von Kürthy etwa irritiert ihn. "Von ,Mondscheintarif' war ich begeistert, das hab' ich in einer einzigen Zugfahrt durchgelesen. Aber jetzt bei ihrem dritten Roman dachte ich mir: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Du hast 1,5 Millionen Bücher verkauft, jetzt will ich mal was von dir wissen. Was bewegt dich denn? Wovor hast du Angst, wenn du abends einschläfst oder morgens aufwachst, an einem bösen Tag?"
Mit solchen Maßstäben scheint die Literatur plötzlich das riskantere Feld als der politische Journalismus. Bei Lesungen aus dem Roman ist Thadeusz viel aufgeregter als bei seinen Moderationen, und manche Zuhörerin hat sich schon gefragt, wie das zusammengeht, der coole Moderator mit Fliege und hochgezogener Augenbraue aus der Sendung "extra 3" und der verlegen errötende Vorleser von Liebesgeschichten aus dem Milieu der Leichenteilaufsammler. Der Unterschied? Fernsehen sei einfach sicherer: "Was soll mir schon passieren, wenn ich mich im Studio hinstelle und wohlfeile Sachen über Berlusconi sage und dann überleite zum nächsten Film?"
Vielleicht beginnen die Grenzen zwischen den Welten des Jörg Thadeusz sich gerade aufzulösen. Vergangenen Donnerstag, bei dem "extra 3"-Gespräch mit seinem Studiogast, dem FDP-Youngster Daniel Bahr, einem 26jährigen "Rentenexperten", kreiste das Interview plötzlich um Bahrs Albträume, um unfreiwillige Begegnungen mit Klaus Kinkel auf dem Herrenklo und den Verlust nahestehender Personen, in diesem Fall von Bahrs politischem Ziehvater Jürgen Möllemann. Das Interview war sehr kurz, aber die Richtung, diese Themen, das war schon ungewöhnlich und vielversprechend.
Eine neue Offenheit
Neue Sujets, neue Offenheit für die Schattenseiten der Conditio humana tun nicht nur der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur gut. Auch Journalisten und Politiker glauben ja fanatisch an die Funktion besonders gut eingeübter Sätze, an einen authentisch wirkenden Habitus, der die Wahrheit nur besser zu verschleiern sucht. "Beckmann und Kerner trauen sich doch gar nicht mal mehr zu zeigen, wenn ihnen beispielsweise eine Frau im Studio wirklich gefällt, da lesen die dann doch von ihren Karten ab: ,Man sagt, Sie seien sehr schön.'" Und bei mehr als einem Politiker, die auch nach einer Sendung nicht aufhören können darzustellen, wo und wie sie überall die Besten sind, denkt sich Thadeusz: "Du armer Mensch. Was machst du, wenn das Licht mal ausgeht?"
"Rette mich ein bißchen" könnte der erste Journalistenroman sein, der nicht die angeblich eklatante Verkommenheit und Dekadenz der Medien abbildet, sondern über den ungewöhnlichen Umweg eines Moderators mit ungewöhnlichem Lebenslauf die komischen, traurigen Resonanzräume der Wirklichkeit für das Fernsehen erschließt. Ein bißchen eine Rettung.
NILS MINKMAR
Jörg Thadeusz: "Rette mich ein bißchen". 239 Seiten. 8,90 Euro. Kiepenheuer und Witsch 2003.
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»Ein umwerfend lustiges Buch über einen zwischen Frauenfronten verlorenen Mann, der nicht mehr zu retten ist.« Lifestyle-Magazin Trier