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Winkelzüge des Schicksals: Eine unverhoffte Rettung Im Februar 1945 verlässt ein Zug mit 1200 Häftlingen Theresienstadt in Richtung Schweiz - eine in Deutschland weitgehend unbekannte Episode aus der Geschichte des Dritten Reiches. In seiner gewohnt spannenden Art des historischen Erzählens zeichnet Manfred Flügge die verschlungenen und zuweilen spektakulären Wege nach, die zu ihrer Rettung geführt haben. Entstanden ist ein wahres Schicksalspuzzle, ein Reigen von Intrigen und Machtträumen, von Geheimdienstspielen und Komplotten, die auch die groteske Seite der nationalsozialistischen Herrschaft illustrieren.…mehr

Produktbeschreibung
Winkelzüge des Schicksals: Eine unverhoffte Rettung
Im Februar 1945 verlässt ein Zug mit 1200 Häftlingen Theresienstadt in Richtung Schweiz - eine in Deutschland weitgehend unbekannte Episode aus der Geschichte des Dritten Reiches. In seiner gewohnt spannenden Art des historischen Erzählens zeichnet Manfred Flügge die verschlungenen und zuweilen spektakulären Wege nach, die zu ihrer Rettung geführt haben. Entstanden ist ein wahres Schicksalspuzzle, ein Reigen von Intrigen und Machtträumen, von Geheimdienstspielen und Komplotten, die auch die groteske Seite der nationalsozialistischen Herrschaft illustrieren.
Autorenporträt
Manfred Flügge, geb. 1946, wuchs im Ruhrgebiet auf, studierte Romanistik und Geschichte in Münster i. W. und in Lille. Von 1976-88 war er Dozent an der Freien Universität Berlin. Er lebt als freier Autor in Berlin. Er verfasste erfolgreiche Biographien u. a. von Marta Feuchtwanger, Heinrich Mann und Stéphane Hessel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2005

So vergingen Himmlers letzte Tage mit Masseur
Geheimnisumwitterte Aktion: Manfred Flügges Bericht von einem Rettungszug aus Theresienstadt

Die große Zahl der auftretenden Figuren macht es dem Leser nicht ganz einfach, der von Manfred Flügge recherchierten Geschichte zu folgen. Der Autor kreist sie durch viele Episoden und manchmal auch nur durch Anekdoten ein. Sie stehen in lockerer Logik zu einem Ereignis, das wenig bekannt ist und von dem man noch immer nicht viel weiß. Es handelt sich um einen Deportationszug - in der Gegenrichtung: um einen Konvoi, der im Frühjahr 1945 Theresienstadt verließ und eintausendzweihundert Juden in die Schweiz und in die Freiheit führte.

Ihre Protagonisten sind Heinrich Himmler und sein Masseur; Onkel Max und Coco Chanel; Heydrich in Prag; Henri und Henry Guisan: der Vater war General der Schweizer Armee, sein Sohn diente als Oberst, dessen dubiose Geschäfte und gefährliche Frauengeschichten dazu führten, daß er von der Polizei überwacht wurde. Der Junior des Generals hatte zum Beispiel - gegen Provision - die Lieferung von "2000 Holzbaracken für die Ostfront" vermittelt. Aufgestellt allerdings wurden sie in den Konzentrationslagern von Oranienburg und Dachau. Ohne Wissen der Regierung dinierte General Guisan, den Flügge als Bewunderer Pétains darstellt, im März 1943 im Gasthof "Bären" in Biglen bei viel Champagner über die Polizeistunde hinaus mit dem hohen Nazi Walter Schellenberg aus Himmlers nächstem Umfeld. Schellenberg ist eine der zentralen Figuren dieser Geschichte. Als sein Mit- oder Gegenspieler auf schweizerischer Seite tritt Jean-Marie Musy auf. Musy war ein Christdemokrat aus dem Kanton Freiburg, der in das nationale Parlament und schließlich in die Landesregierung gewählt wurde. 1925 und 1930 war er Bundespräsident. 1934 trat er als Politiker von seinen Ämtern zurück. Der Antikommunist und Sympathisant der Faschisten vertrieb in der Schweiz den in München gedrehten Propagandafilm "Die rote Pest". Zu den totalitären Regimen unterhielt er gute Beziehungen, die auf seine Zeit in der Landesregierung zurückgingen.

Im Jahre 1944 wurde Musy von der Berner Familie Loeb, mit der er befreundet war, gebeten, sich für die Freilassung von in Frankreich internierten Angehörigen einzusetzen. Auch eine weitere Aktion, bei der es um einen in Deutschland verhafteten Spion ging, war von Erfolg gekrönt. Nun wurde Musy von Rabbi Isaac Sternbuch in Montreux aufgefordert, nicht nur für Freunde, sondern generell für die Juden etwas zu tun. Der frühere Schweizer Bundespräsident schrieb einen Brief an Himmler und bekam im November 1944 einen Termin. Empfangen wurde er von Himmlers Mitarbeiter Schellenberg, der im Jahr zuvor mit dem Schweizer Kriegsgeneral getafelt hatte.

Anfang 1945 gelang es tatsächlich, einen Zug aus Theresienstadt in die Schweiz zu organisieren. Am 7. Februar traf er in St. Gallen ein. Er brachte eintausendzweihundert Juden ins Leben zurück. Sie wurden in verschiedene Lager verbracht. Die eidgenössischen Behörden wußten nichts von der Aktion und waren überrumpelt. Auch die Alliierten interessierten sich nun für Musy, der erklärte, diese private Aktion mit der Genehmigung Himmlers durchgeführt zu haben. Fast zehnmal reiste er im letzten Kriegsjahr nach Berlin, weitere Züge konnten jedoch nicht mehr organisiert werden.

Als "Rettung ohne Retter" bezeichnet Manfred Flügge die einmalige Aktion. Für Musy ging es wohl nur am Rande um den Versuch, sein Ansehen in der Öffentlichkeit für die Nachkriegszeit zu rehabilitieren. Flügge vermutet, daß Musy sich seinen Einsatz mit hohen Summen bezahlen ließ. Den Nazis hatte man fünf Millionen angeboten, die indes nicht überwiesen wurden. Himmler erlaubte den Zug mit dem Hintergedanken auf seine eigene Rettung. Die Fahrt der Juden in die Freiheit war ein taktisches Manöver angesichts des sich abzeichnenden Endes. Die Beschreibung von Himmlers letzten Tagen gehört zu den Höhepunkten dieses Buches. Walter Schellenberg konnte dank seiner Kontakte mit Rettungsorganisationen nach Schweden entkommen, stellte sich dann aber den Engländern. In Nürnberg sagte er als Zeuge aus. Sein eigenes Verfahren fand erst 1948 statt. Der Zug aus Theresienstadt wurde als mildernder Umstand gewertet. Schellenbergs Strafe lautete auf sechs Jahre, 1951 kam er frei. Die Schweiz wollte ihn nicht und verwies ihn des Landes. Er starb wie Musy im Jahr danach.

Schon im Gefängnis hatte er mit dem Schreiben seiner Memoiren begonnen. Manfred Flügge glaubt, daß Coco Chanel darin nur deshalb nicht vorkommt, weil sie Schellenberg für sein Schweigen bezahlte. War sie seine Botin, die einen Kontakt zu Churchill herstellen sollte? Die unbekannte Geschichte des Rettungszugs aus Theresienstadt bleibt von Anekdoten und Spekulationen umrankt. Die Geheimniskrämerei, die Jean-Marie Musys Aktionen umgab, machte auch die Kommission geltend, die es 1999 ablehnte, ihn in die Reihe der "Gerechten unter den Völkern" aufzunehmen: Musy habe keine Vorschrift übertreten, keinen Befehl verweigert. Sein einziges Risiko seien die Bombardierungen in Deutschland gewesen (vor seinen Reisen nach Berlin hatte er eine Lebensversicherung abgeschlossen). Musy wie Schellenberg waren eher widerwillige Retter mit schmutzigen Händen, die vor allem ihre eigenen Interessen verfolgten.

JÜRG ALTWEGG

Manfred Flügge: "Rettung ohne Retter oder: Ein Zug aus Theresienstadt". Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004. 218 S., br., 14,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Mit einer in ihren Motiven immer noch nicht geklärten - und wohl auch nicht mehr zu klärenden - Rettungsaktion aus den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs beschäftigt sich dieser Band von Manfred Flügge. Durch eine Intervention des Schweizer Bundesrats Jean-Marie Musy und mit Unterstützung durch Heinrich Himmler, der sich den Alliierten als Verhandlungspartner andienen wollte, wurden 1200 Gefangene des Konzentrationslagers Theresienstadt zu ihrer Rettung entlassen und in die Schweiz transportiert. Musy freilich bleibt eine undurchschaubare Figur, da er faschistischen Ansichten keineswegs fern stand. Flügge nutzt diesen Fall, um ein sehr viel weit reichenderes zeitgeschichtliches Panorama zu entwerfen, das der Rezensent Alfred Cattani so "spannend" wie "abwechslungsreich geschrieben" findet. Die Tatsache, dass manche der Figuren - wie der Autor selbst erklärt - der besseren Darstellung halber erfunden sind, wird erwähnt, aber nicht kritisiert.

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