Ein Blick hinter die Kulissen
Ist die Wirklichkeit, die wir erleben, eine Illusion, eine Konstruktion des Gehirns? Der Gedanke ist nicht neu, sondern zieht sich durch die ganze Philosophiegeschichte. Dass die reale Außenwelt nicht greifbar ist, erkannte bereits Platon. Wir sind Gefangene
angeborener Vorurteile über die Welt und über die Welt an sich erfahren wir nichts, konstatierte Immanuel…mehrEin Blick hinter die Kulissen
Ist die Wirklichkeit, die wir erleben, eine Illusion, eine Konstruktion des Gehirns? Der Gedanke ist nicht neu, sondern zieht sich durch die ganze Philosophiegeschichte. Dass die reale Außenwelt nicht greifbar ist, erkannte bereits Platon. Wir sind Gefangene angeborener Vorurteile über die Welt und über die Welt an sich erfahren wir nichts, konstatierte Immanuel Kant. Die experimentelle Hirnforschung ist heute soweit, dass sie sich mit typischen Fragestellungen der Philosophie beschäftigt und deren Entwicklung beeinflusst.
Bas Kast, Wissenschaftsredakteur beim Tagesspiegel, fasst die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung auf verständliche und unterhaltsame Weise zusammen. Sein Buch enthält zahlreiche Beispiele, die anschaulich belegen, dass wir nicht die Realität an sich wahrnehmen, sondern im Kopf Hypothesen bilden, die wir im Alltag als die Realität ansehen.
Der Wahrnehmungsapparat funktioniert nicht wie eine Art Videokamera. Diese Auffassung würde zu logischen Widersprüchen führen. Es gibt im Hirn viele „Experten“ für Teilaufgaben. Den Ort, an dem alle Informationen zusammenfließen, hat man allerdings noch nicht gefunden. Dieses „Bindungsproblem“ ist weiterhin ein ungelöstes Rätsel.
Das Gehirn arbeitet größtenteils unbewusst. Der Mensch ist nicht „Herr im eigenen Haus“. Freuds Theorien über das Unbewusste werden neurologisch bestätigt. Die Macht der Gefühle und die Aufspaltung des Ich sind aus Sicht der Hirnforschung plausibel. Emotionen bestimmen den Alltag. Ohne Emotionen geht die Entscheidungsfähigkeit verloren.
Ist der freie Wille eine Illusion, wie es Baruch de Spinoza bereits im 17. Jahrhundert geglaubt hat? Die Ergebnisse der neurologischen Forschung weisen in diese Richtung. Wie sollte man sonst die Erklärungen der Patienten deuten, bei denen man Handlungen durch Hirnreizungen hervorgerufen hat? Unterstützt wird diese These durch Tests, bei denen festgestellt wurde, dass das Gehirn schon tätig wird, bevor eine bewusste Entscheidung zu einer Handlung getroffen wird.
Interessant sind die Forschungen zum Thema „Spiegelzellen“. Im Gehirn gibt es Zellen, die auch dann aktiviert werden, wenn man selbst nicht handelt, sondern nur Zuschauer einer entsprechenden Handlung ist. Liegt hier die neurologische Erklärung für Mitgefühl? Ist Mitgefühl also kein rein psychologisches Phänomen?
Wo liegt die Zukunft der Hirnforschung? Neuroprothesen, die die äußeren Sinnesorgane umgehen und direkt mit der Hirnrinde verbunden werden sowie
Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, die bessere Qualitäten besitzen wie menschliche Sinnesorgane (z.B. Implantate, mit denen man nachts sehen kann) werden die nächsten Jahrzehnte bestimmen.
Bas Kast fügt in seinem populärwissenschaftlichen Buch die unterschiedlichen Perspektiven der Philosophie, Neurologie und Psychologie auf eine verständliche Weise zusammen. Der Verzicht auf die bei diesen Themen sonst üblichen vielen Fremdwörter wirkt sich wohltuend auf die Lesbarkeit des Buches aus. Wer einen kleinen Einblick in die Ergebnisse der Hirnforschung erhalten möchte, ist mit diesem Buch gut bedient.