Ben Hecht war einer der berühmtesten Drehbuchautoren in Hollywood. Er schrieb für Billy Wilder, Hitchcock und Howard Hawks und viele andere. 1918 aber war er ein junger, mit allen Wassern gewaschener Journalist aus Chicago, der im Berliner Hotel Adlon abstieg, um aus einem unbekannten Land zu berichten, das gerade den Ersten Weltkrieg verloren hatte. Als er es wieder verließ, hatte er die Revolution in Berlin und Bayern und ein ganzes Land am Rande des Nervenzusammenbruchs erlebt, denkwürdige Interviews geführt und Freunde gewonnen. Deutschland erscheint in diesen wahren Geschichten wie der unwirkliche Schauplatz einer im Zeitraffer gedrehten Tragikomödie.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.11.2006Drehbuch aus Hollywood
Ben Hecht schreibt 1954 über Deutschlands Tragödie
Der 24-jährige Ben Hecht trifft im November 1918 als erster amerikanischer Reporter in Berlin ein, um für seine Zeitung, die Chicago Daily News, über das Deutsche Reich am Ende des verlorenen Krieges zu berichten. Er spricht kaum deutsch und hat keine Ahnung von Politik. Er wohnt im Hotel Adlon, begleitet den Kellner zum proletarischen Sturm des Berliner Schlosses und befindet sich plötzlich inmitten der revolutionären Ereignisse. Hecht ist auf der Suche nach einer guten Story. Im Schloss ist er Zeuge, wie sich Liebknecht in das Bett des Kaisers legt und vier dicke Bücher auf dem kaiserlichen Nachttisch deponiert. Dieser kracht unter der Last revolutionärer Literatur zusammen, woraufhin Liebknechts Leibgarde vor Schreck vor Wilhelms Geist aus dem Schlafgemach flüchtet. Hecht kabelt nach Chicago: „Kaiser Wilhelm kehrte letzte Nacht nach Berlin zurück.”
Vermutlich ist diese Geschichte nicht wahr, aber sie ist gut erfunden. Denn Hechts Botschaft ist: Es gab keine deutsche Revolution im November 1918. Das ganze war ein inszeniertes Stück der Obersten Deutschen Heeresleitung um Ludendorff. Man übergab die Geschäfte der bankrotten Firma den Sozialdemokraten und überließ Arbeitern und Revoluzzern die Straße, damit aus Angst vor der roten Gefahr und dem fürchterlichen Bolschewismus die Westmächte dem besiegten Deutschland nicht zu harte Friedensbedingungen diktierten. Hinter der Fassade der Demokratie rüstete dann der deutsche Militarismus zur Revanche. Und die Welt wollte betrogen sein: Nur auf dem Papier war man unnachgiebig gegenüber Deutschland – und bezahlte letztlich mit dem Zweiten Weltkrieg.
Weltregieren zwischen Rülpsern
Hechts Berichte von der „Revolution im Wasserglas”, die der Berenberg Verlag in schmucker Form publiziert hat, stammen freilich nicht aus den Jahren 1918 und 1919. Den Riecher, dass mit der Revolution etwas faul sei, hatte Hecht, mittlerweile renommierter Drehbuchautor, im Zuge der Erfahrung mit Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg entwickelt. Der knapp hundertseitige Band umfasst keineswegs seine Berliner Reportagen, sondern ist ein Auszug aus seiner Autobiographie „A Child of the Century” aus dem Jahr 1954. Und in diesem Kontext sollte man ihn interpretieren.
Es handelt sich um einen für die unmittelbare Nachkriegszeit typischen Text über das „deutsche Problem”. In Großbritannien und in den USA wurde nicht selten der deutsche Geist, die deutsche Mentalität oder der deutsche Nationalcharakter für den Nationalsozialismus und den Krieg verantwortlich gemacht. Das Bild des undemokratischen Deutschen, des Untertanen aus Überzeugung, der nur in der Masse zu sich komme und dann außer sich gerate, war populär. In diesem Lichte wurde auch die Weimarer Republik gedeutet, als nahezu zwangsläufig gescheiterte Vorläuferin des Nationalsozialismus: Der deutsche Militarismus war trotz Novemberrevolution ungebrochen, nach 1918 sekundiert von den Eberts und Noskes. Hecht war einer jener in dieser Zeit zahlreichen Ankläger der deutschen Nation wie Henry J. Morgenthau, Lord Robert Vansittart oder Ilya Ehrenburg. Seit 1933 hatte er den Nationalsozialismus bekämpft, während des Krieges den deutschen Massenmord an den Juden publik zu machen versucht und vor einem soft peace gegenüber Deutschland gewarnt.
So kam es, dass unmittelbar nach dem Krieg manche amerikanische Bürgerliche im Nachhinein mit den Spartakisten und der USPD sympathisierten. Und das inmitten der McCarthy-Ära. Hechts Geschichten aus Deutschland sind deshalb zugleich als eine mutige Warnung vor den Gefahren des Antikommunismus zu lesen, in einer Zeit, in der dieser Staatsraison war. Hecht hält diesem hysterischen Antikommunismus entgegen: Die Rede von der roten Gefahr war stets eine Erfindung, ein Betrug. Und er warnt: „1953 ist das Werben der Amerikaner um die Deutschen als Bollwerk gegen den Kommunismus ebenso stark, wie es 1919 war.”
Die Geschichte vom unpolitischen naiven Reporter aus Chicago, die der „Shakespeare von Hollywood” erzählt, ist noch in anderer Hinsicht ein Lehrstück. Neben dem Bösewicht präsentiert Hecht einen Helden, der diesen Bösewicht porträtiert hat: George Grosz, den er in Berlin kennenlernt und in New York nach dem Krieg wiedertrifft. Grosz hat den stiernackigen, hartsteißigen Herrenmenschen gezeichnet, der zwischen seinen Rülpsern die Welt regiert. Er ist der eigentliche Revolutionär, der verstanden hat, dass die Revolution, und mit ihr die Politik generell, ein Theater ist und die Kunst revolutionäre Politik. Grosz’ Gemälde schreien eine Geschichte von Unmenschlichkeit, Autorität und Macht heraus, die ein verwirrtes und hilfloses Jahrhundert in den Untergang führen. Und Grosz erkennt später in Amerika, dass die amerikanische Werbung die ehrlichste Ausdrucksform sei, die die menschliche Spezies hervorgebracht habe. Das Dokument über Deutschlands Tragödie ist somit zugleich ein Drehbuch aus Hollywood.
JÖRG SPÄTER
BEN HECHT: Revolution im Wasserglas. Geschichten aus Deutschland 1919. Aus dem Englischen von Helga Herborth und Dieter Stündel. Mit einem Nachwort von Helga Herborth und Karl Riha. Berenberg Verlag, Berlin 2006. 108 S., 19 Euro.
Die Rede von der roten Gefahr war stets ein Betrug, befand Ben Hecht inmitten der McCarthy-Ära. Dieses Foto entstand im Jahre 1944.
Foto: Getty Images
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Ben Hecht schreibt 1954 über Deutschlands Tragödie
Der 24-jährige Ben Hecht trifft im November 1918 als erster amerikanischer Reporter in Berlin ein, um für seine Zeitung, die Chicago Daily News, über das Deutsche Reich am Ende des verlorenen Krieges zu berichten. Er spricht kaum deutsch und hat keine Ahnung von Politik. Er wohnt im Hotel Adlon, begleitet den Kellner zum proletarischen Sturm des Berliner Schlosses und befindet sich plötzlich inmitten der revolutionären Ereignisse. Hecht ist auf der Suche nach einer guten Story. Im Schloss ist er Zeuge, wie sich Liebknecht in das Bett des Kaisers legt und vier dicke Bücher auf dem kaiserlichen Nachttisch deponiert. Dieser kracht unter der Last revolutionärer Literatur zusammen, woraufhin Liebknechts Leibgarde vor Schreck vor Wilhelms Geist aus dem Schlafgemach flüchtet. Hecht kabelt nach Chicago: „Kaiser Wilhelm kehrte letzte Nacht nach Berlin zurück.”
Vermutlich ist diese Geschichte nicht wahr, aber sie ist gut erfunden. Denn Hechts Botschaft ist: Es gab keine deutsche Revolution im November 1918. Das ganze war ein inszeniertes Stück der Obersten Deutschen Heeresleitung um Ludendorff. Man übergab die Geschäfte der bankrotten Firma den Sozialdemokraten und überließ Arbeitern und Revoluzzern die Straße, damit aus Angst vor der roten Gefahr und dem fürchterlichen Bolschewismus die Westmächte dem besiegten Deutschland nicht zu harte Friedensbedingungen diktierten. Hinter der Fassade der Demokratie rüstete dann der deutsche Militarismus zur Revanche. Und die Welt wollte betrogen sein: Nur auf dem Papier war man unnachgiebig gegenüber Deutschland – und bezahlte letztlich mit dem Zweiten Weltkrieg.
Weltregieren zwischen Rülpsern
Hechts Berichte von der „Revolution im Wasserglas”, die der Berenberg Verlag in schmucker Form publiziert hat, stammen freilich nicht aus den Jahren 1918 und 1919. Den Riecher, dass mit der Revolution etwas faul sei, hatte Hecht, mittlerweile renommierter Drehbuchautor, im Zuge der Erfahrung mit Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg entwickelt. Der knapp hundertseitige Band umfasst keineswegs seine Berliner Reportagen, sondern ist ein Auszug aus seiner Autobiographie „A Child of the Century” aus dem Jahr 1954. Und in diesem Kontext sollte man ihn interpretieren.
Es handelt sich um einen für die unmittelbare Nachkriegszeit typischen Text über das „deutsche Problem”. In Großbritannien und in den USA wurde nicht selten der deutsche Geist, die deutsche Mentalität oder der deutsche Nationalcharakter für den Nationalsozialismus und den Krieg verantwortlich gemacht. Das Bild des undemokratischen Deutschen, des Untertanen aus Überzeugung, der nur in der Masse zu sich komme und dann außer sich gerate, war populär. In diesem Lichte wurde auch die Weimarer Republik gedeutet, als nahezu zwangsläufig gescheiterte Vorläuferin des Nationalsozialismus: Der deutsche Militarismus war trotz Novemberrevolution ungebrochen, nach 1918 sekundiert von den Eberts und Noskes. Hecht war einer jener in dieser Zeit zahlreichen Ankläger der deutschen Nation wie Henry J. Morgenthau, Lord Robert Vansittart oder Ilya Ehrenburg. Seit 1933 hatte er den Nationalsozialismus bekämpft, während des Krieges den deutschen Massenmord an den Juden publik zu machen versucht und vor einem soft peace gegenüber Deutschland gewarnt.
So kam es, dass unmittelbar nach dem Krieg manche amerikanische Bürgerliche im Nachhinein mit den Spartakisten und der USPD sympathisierten. Und das inmitten der McCarthy-Ära. Hechts Geschichten aus Deutschland sind deshalb zugleich als eine mutige Warnung vor den Gefahren des Antikommunismus zu lesen, in einer Zeit, in der dieser Staatsraison war. Hecht hält diesem hysterischen Antikommunismus entgegen: Die Rede von der roten Gefahr war stets eine Erfindung, ein Betrug. Und er warnt: „1953 ist das Werben der Amerikaner um die Deutschen als Bollwerk gegen den Kommunismus ebenso stark, wie es 1919 war.”
Die Geschichte vom unpolitischen naiven Reporter aus Chicago, die der „Shakespeare von Hollywood” erzählt, ist noch in anderer Hinsicht ein Lehrstück. Neben dem Bösewicht präsentiert Hecht einen Helden, der diesen Bösewicht porträtiert hat: George Grosz, den er in Berlin kennenlernt und in New York nach dem Krieg wiedertrifft. Grosz hat den stiernackigen, hartsteißigen Herrenmenschen gezeichnet, der zwischen seinen Rülpsern die Welt regiert. Er ist der eigentliche Revolutionär, der verstanden hat, dass die Revolution, und mit ihr die Politik generell, ein Theater ist und die Kunst revolutionäre Politik. Grosz’ Gemälde schreien eine Geschichte von Unmenschlichkeit, Autorität und Macht heraus, die ein verwirrtes und hilfloses Jahrhundert in den Untergang führen. Und Grosz erkennt später in Amerika, dass die amerikanische Werbung die ehrlichste Ausdrucksform sei, die die menschliche Spezies hervorgebracht habe. Das Dokument über Deutschlands Tragödie ist somit zugleich ein Drehbuch aus Hollywood.
JÖRG SPÄTER
BEN HECHT: Revolution im Wasserglas. Geschichten aus Deutschland 1919. Aus dem Englischen von Helga Herborth und Dieter Stündel. Mit einem Nachwort von Helga Herborth und Karl Riha. Berenberg Verlag, Berlin 2006. 108 S., 19 Euro.
Die Rede von der roten Gefahr war stets ein Betrug, befand Ben Hecht inmitten der McCarthy-Ära. Dieses Foto entstand im Jahre 1944.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Angetan zeigt sich Jörg Später von Ben Hechts Berichten über die Situation in Deutschland 1919. Wie er berichtet, wurde Hecht, politisch unerfahren und naiv, 1918 nach Deutschland geschickt, um für die Chicago Daily News über das Deutsche Reich nach dem verlorenen Krieg zu berichten. Die Reportagen im vorliegenden Band stammen nach Auskunft Späters allerdings nicht aus den Jahren 1918 und 1919, sondern aus Hechts Autobiografie "A Child of the Century" aus dem Jahr 1954, als er bereits ein berühmter Drehbuchautor in Hollywood war. Sie variieren Hechts im Zuge seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Zweitem Weltkrieg gewonnene Ansicht, in Deutschland habe es 1918 gar keine Revolution gegeben, sondern nur deren Inszenierung durch Ludendorff & Co.
© Perlentaucher Medien GmbH
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