NATIONAL BESTSELLER > In this book, Russell Brand hilariously lacerates the straw men and paper tigers of our conformist times and presents, with the help of experts as diverse as Thomas Piketty and George Orwell, a vision for a fairer, sexier society that's fun and inclusive. You have been lied to, told there's no alternative, no choice, and that you don't deserve any better. Brand destroys this illusory facade as amusingly and deftly as he annihilates Morning Joe anchors, Fox News fascists, and BBC stalwarts. This book makes revolution not only possible but inevitable and fun.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2015Smarter
Spinner
Was, wenn man das alles nicht mehr will?
Der Comedian Russell Brand ruft zur Revolution
VON BERND GRAFF
Da ist zunächst einmal dieses perfekte Gebiss. Zwei Reihen herrlich strammstehender Zähne, weiß und so funkelnd, dass man meint, die Welt spiegele sich darin wie in einem Schaufenster. Diese Zähne gehören Russell Brand, er zeigt sie oft. Bei einem Lachen, für das man wohl das Wort „gewinnend“ erfunden hat. Allenfalls Clooney kann da mithalten. Und Brand zeigt sein Zahnspalier, bevor er es in der Kehle eines Feindes vergräbt. Russell Brand hat viele Feinde, auch solche, die noch gar nicht wissen, dass Brand ihnen feindlich gesinnt ist. Er verbeißt sie alle. Jetzt auch schriftlich: „Revolution. Anleitung für eine neue Weltordnung“ ist sein Buch betitelt, mit dem er zum Frontalangriff auf unser aller falsches Leben ansetzt.
Das Umstürzlertum ist jedoch kein Label, das Brand von vornherein anhaftete. Es ist neu. Zunächst wurde er auffällig als ein Schönling, Partylöwe und Powershopper, als britischer Beau mit Seidenschal, mit offenem Hemd, Ketten und Kajal-Augen, viel gewelltem Haupthaar und ausgesuchtesten Tattoos. Ein Rockstar sieht so aus, ein Jesusdarsteller auf Kitschpostkarten auch. Doch tatsächlich ist dieser Mann ein Comedian. Brand verdiente sein Geld bislang nicht als Revoluzzer und Autor, sondern als Schauspieler sowie als Radio- und Fernseh-Host. Mit Stand-up-Comedy ist Brand um die Jahrtausendwende bekannt geworden. Schon damals war sein bestes Thema: er selbst, sein Leben, seine Drogen- und Alkoholsucht, der viele Sex, die Sünden einer Jugend also, die indes nicht leicht war.
Russell Edward Brand, geboren 1975, er wird bald vierzig, wuchs bei seiner Mutter auf, die mehrmals schwer erkrankte, er lebte dann bei Verwandten, wurde mit sieben missbraucht, erkrankte mit 14 an Bulimie, wurde wegen Drogen und unsteter Teilnahme von der Theater-Akademie geschmissen. Aber: Er reüssierte.
Vor allem natürlich als Frauenheld, aber dann auch als Video-Beiträger für MTV. Dort wurde er aber erst einmal gefeuert, weil er am Tag nach dem 11. September 2001 als Osama bin Laden verkleidet im Studio auftauchte. Seinen Drogen-Dealer hatte er auch noch mitgebracht. Danach sah man ihn Jahre lang im Umfeld von Big-Brother-Shows und als Conférencier von Musik-Awards. Von der BBC wurde er rausgeschmissen, weil er während einer Live-Übertragung bei einem Schauspieler anrief und sich auf dessen Anrufbeantworter über die sexuellen Qualitäten seiner Enkelin ausließ. Bei den NME-Awards im Jahr 2006 nannte ihn der „Band-Aid-Erfinder“ Bob Geldof eine „Fotze“, worauf Brand erwiderte: „Kein Wunder, dass sich Geldof so gut mit Hunger auskennt, muss er doch seit 30 Jahren von „I don’t like Mondays“ leben.“ Bei den „2008 MTV Music Awards“ verglich er Britney Spears mit Christus, nannte George W. Bush einen „zurückgebliebenen Cowboy“, dem man „in England keine Schere in die Hand geben“ würde, und forderte dazu auf, Barack Obama zu wählen. Dafür erhielt er Morddrohungen.
Liam Gallagher, der Sänger von Oasis, belächelte Brands Freundschaft mit Bruder Noel und nannte die beiden „zwei alte Hausfrauen“. Dazu sei Brand „nur ein Arsch, jede Frau kann etwas Besseres finden“. Als die Zeitschrift GQ, gesponsert vom Modelabel Hugo Boss, den Komiker Brand 2013 zum mirakulösesten Mann des Jahres wählte, erinnerte dieser daran, dass Hugo Boss die Uniformen der Nazis geschneidert habe und sie beim Genozid darin auch wirklich „fucking fantastisch“ aussahen. Sein Privatleben nahm dann noch einmal richtig Fahrt auf, als er für ein paar Monate mit der Popsängerin Katy Perry verheiratet war und sich in dieser Zeit ein paar Mal mit Paparazzi prügelte.
Russell Brand ist also ein strahlend grinsendes Monster, eitel, selbstverliebt, aber auch smart genug, sich selber hochnehmen zu können. Bei einem Auftritt in New York berichtete er von seiner absurden Geltungssucht und sagte dazu den wundervollen Satz: „Meine Persönlichkeit funktioniert nicht ohne Ruhm. Ohne ihn würde ich ja aussehen wie ein Geistesgestörter.“
Und nun will dieses Nachtschattengewächs, dieser Günstling der Promi-Medien sich zum Revolutionär gemausert haben. Was ist da los? Nun, Russell Brand ist nicht auf den Mund gefallen. Klar, er ist ja auch eine gelernte Rampensau und geprägt von einer explodierenden Extrovertiertheit. Andererseits hat er eine fatale Neigung, sich um Kopf und Kragen zu reden.
So kam es Ende 2013 zu dem Interview mit dem BBC-Schlachtross Jeremy Paxman, in dem Brand wild herumrudernd begründete, warum er noch nie zu einer Wahl gegangen sei. Das Video dazu ist fast elf Millionen mal auf Youtube abgerufen worden. Paxman lässt Brand nicht vom Haken, er grillt ihn. Wie er, Brand, politisch sein wolle, wenn er nicht mal zur Wahl gehe. Warum man ihm zuhören solle, er wolle ja nichts verbessern, er lehne nur ab. Warum man also ausgerechnet ihn, den Anti-Politiker, ernst nehmen solle, wenn er so unspezifisch beim Aufzeigen von Alternativen bleibe. Welches Demokratie-Verständnis Brand überhaupt habe. Und so weiter.
Brand ist schon nach anderthalb Minuten schlimmer in die Seile getrieben als Muhammad Ali beim „Rumble in the Jungle“ 1974. Aber wie dieser schlägt er dann zu. Er redet immer schneller, hampelt auf seinem Sessel rum, fasst Paxman an und nennt ihn: „Jeremy, my Darling.“ Immer wieder artikuliert er seinen absoluten Überdruss: Die herrschende Klasse bedient sich nur selber, die Eliten lügen, schieben sich seit Generationen die besten Posten zu und verlängern ihre Privilegien über sündteure Privat-Unis in die Parlamente hinein.
Dabei werden Planet und Klima „bis zum ökologischen Meltdown“ zerstört, die Masse an ausgebeuteten, verängstigten Mittellosen wachse ständig. Das Kapital vermehre sich dagegen geradezu obszön in den Händen jener wenigen Glücklichen, die sich ihre Politiker wie Schoßhunde halten. Denn niemand unternehme ernsthaft etwas gegen Steueroasen und Korruption. Unsere Demokratie, so lehrt er, sei nur ein Hohn, eine Illusion, da brauche man auch nicht wählen zu gehen. Warum man ihn, Brand, also ernst nehmen solle? Müsse man nicht. Aber er könne dieses faule System und seine betuchten Apologeten auch nicht ernst nehmen.
Gerade er, Paxman, müsse das doch verstehen, er habe schließlich sein Journalistenleben lang mit der verlogenen Kaste der Politiker zu tun gehabt, habe ihren Nonsens in Überdosis genossen. Langweile ihn das nicht inzwischen? Ob er, Brand, das Recht dazu habe, die Dinge so zu sehen. Er nehme es sich ganz einfach. Man möge ihn naiv nennen. Bitte. Aber naiv sei es auch, aus Gier den Planeten zu zerstören und davor die Augen zu verschließen. Paxman kann sich des Öfteren bei Brands Suada ein zustimmendes Glucksen nicht verkneifen.
Seit diesem Interview tourt Russell Brand auf dem Revoluzzer-Ticket durch die Medien. Er hat einen Youtube-Channel eröffnet: „The Trews“, den er fleißig mit im heimischen Schlafzimmer gedrehten Statements zu Gott, Welt und Schönheits-OPs befeuert. „The Trews“ heißt auch eine Kneipe, die er mittlerweile in East-London eröffnete hat, die „Revolution benötigt schließlich Treibstoff“. Der Guardian hat eine anderthalbstündige Podiumsdiskussion mit ihm und Owen Jones in einem rammelvoll besetztem Cineplex abgehalten, in der es um nichts anderes als die Verweigerungsrevolution des Mr. Brand ging.
Er hat jetzt mit „Revolution“ das Buch zum Wutausbruch, zum „Paxman-Rant“also, geschrieben. Zackig handelt er, der geläuterte Shopper, das sinnlose Leben im dekadenten Kapitalismus ab, streut dabei witzig und ungeniert autobiografische Pointen ein. Doch beinhaltet dieses Werk definitiv keine Anleitung zu irgendwas, schon gar nicht zu einer neuen Weltordnung. Es ist eher ein „Coming of Age“ seiner rebellischen Haltung, die Story seiner Süchte und Obsessionen wie die artikulierte Hoffnung, seine Selbstverliebtheit für die gute Sache auch überwinden zu können.
„Es gab Zeiten“, schreibt er, „da habe ich an das System geglaubt: haben wollen, kaufen, konsumieren, Reichtum und Ruhm, Macht und Geld und Sex. All das, was mir von Hochglanzmagazinen oder im Fernsehen präsentiert wurde, stand auf meinem Wunschzettel. Ich habe mir alles reingezogen und mich davon mitreißen lassen.“
So entfaltet das Buch en détail und oft redundant – und mit angeberisch-lackaffigem Namedropping von Thomas Piketty über David Graeber bis hin zu Tom Cruise, die er alle persönlich getroffen hat – eigentlich nur die Argumente aus einem Aufsatz: „Wir besitzen den Luxus nicht mehr, uns Tradition leisten zu können“, den Brand Ende 2013 im New Statesman (www. newstatesman.com) veröffentlicht hat und in dem er wesentlich konziser formuliert, was und wer die Welt zugrunde richtet, und warum er, der gepamperte „Essex-Arsch“ mit eigenem Koch und Gärtner, trotzdem kein Heuchler ist, wenn er zum Umsturz aufruft.
Was Brand nicht gelingt, ist, die Revolution als ein politisches Projekt auch nur perspektivisch zu skizzieren. Er ist kein Intellektueller, auch wenn er Noam Chomsky zitiert. Was er aber schafft, ist sein Unbehagen an der spätkapitalistischen Globalisierungskultur mit so viel Verve und Witz zu formulieren, dass man als Leser – wie schon „Darling Jeremy“ – sich das anerkennende Schmunzeln oft nicht verkneifen kann.
Brand ist und bleibt auch als sich revolutionär gebender Autor ein Komiker, kein Salonrevoluzzer. Dass man dem schönen Spinner aber ein Stück weit folgt, liegt daran, dass man dieses Gefühl kennt, das er artikuliert: den Unmut darüber, dass sich nichts ändert, obwohl alles den Bach runtergeht – und alle dabei zusehen. Den Widerwillen gegen das sinnlose Konsumieren, das Kaufen, um zu kaufen. Das Gefühl, das alles: die Leere und die Veränderungslosigkeit, das System als ganzes nicht mehr zu wollen.
Ein Unbehagen, das gerade auch vom konservativen Op-Ed-Kolumnisten der New York Times, David Brooks, ausgesprochen wird. Brooks meint, dass es „in den meisten erfolgreichen Existenzen den Moment gebe, in dem alle Marken und Statussymbole abgestreift werden, alles Prestige, eine Eliteschule besucht zu haben und einer bedeutenden Familie zu entstammen“. Denn, „wer um äußerer Anerkennung und Erfolg willen lebt, verschwendet seine Zeit. Die wichtigsten und die tiefsten Erfahrungen bleiben unbekannt und unstrukturiert, es ist ein Leben in nicht auszuhaltender, aber nicht wahrgenommener Langeweile, abgeschnitten von Sinn und die höchste moralische Genugtuung.“ Brooks ist kein Komiker. Brand wird ihn verstehen. Und viele andere auch.
Dieses Nachtschattengewächs
soll sich nun zum Revolutionär
gemausert haben?
Mittlerweile hat er in London
eine Kneipe eröffnet: Denn die
Revolution benötigt Treibstoff
Was er schafft, ist sein Unbehagen
an der kapitalistischen
Kultur mit Verve zu formulieren
Den Umsturz meint er todernst: Russell Brand 2013 bei einem seiner vielen öffentlichen Auftritte.
Foto: The Guardian
Russell Brand: Revolution. Anleitung für eine neue Weltordnung. Aus dem Englischen von Kristof Hahn und Anke Kreutzer. Heyne Verlag, München 2015.
480 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Spinner
Was, wenn man das alles nicht mehr will?
Der Comedian Russell Brand ruft zur Revolution
VON BERND GRAFF
Da ist zunächst einmal dieses perfekte Gebiss. Zwei Reihen herrlich strammstehender Zähne, weiß und so funkelnd, dass man meint, die Welt spiegele sich darin wie in einem Schaufenster. Diese Zähne gehören Russell Brand, er zeigt sie oft. Bei einem Lachen, für das man wohl das Wort „gewinnend“ erfunden hat. Allenfalls Clooney kann da mithalten. Und Brand zeigt sein Zahnspalier, bevor er es in der Kehle eines Feindes vergräbt. Russell Brand hat viele Feinde, auch solche, die noch gar nicht wissen, dass Brand ihnen feindlich gesinnt ist. Er verbeißt sie alle. Jetzt auch schriftlich: „Revolution. Anleitung für eine neue Weltordnung“ ist sein Buch betitelt, mit dem er zum Frontalangriff auf unser aller falsches Leben ansetzt.
Das Umstürzlertum ist jedoch kein Label, das Brand von vornherein anhaftete. Es ist neu. Zunächst wurde er auffällig als ein Schönling, Partylöwe und Powershopper, als britischer Beau mit Seidenschal, mit offenem Hemd, Ketten und Kajal-Augen, viel gewelltem Haupthaar und ausgesuchtesten Tattoos. Ein Rockstar sieht so aus, ein Jesusdarsteller auf Kitschpostkarten auch. Doch tatsächlich ist dieser Mann ein Comedian. Brand verdiente sein Geld bislang nicht als Revoluzzer und Autor, sondern als Schauspieler sowie als Radio- und Fernseh-Host. Mit Stand-up-Comedy ist Brand um die Jahrtausendwende bekannt geworden. Schon damals war sein bestes Thema: er selbst, sein Leben, seine Drogen- und Alkoholsucht, der viele Sex, die Sünden einer Jugend also, die indes nicht leicht war.
Russell Edward Brand, geboren 1975, er wird bald vierzig, wuchs bei seiner Mutter auf, die mehrmals schwer erkrankte, er lebte dann bei Verwandten, wurde mit sieben missbraucht, erkrankte mit 14 an Bulimie, wurde wegen Drogen und unsteter Teilnahme von der Theater-Akademie geschmissen. Aber: Er reüssierte.
Vor allem natürlich als Frauenheld, aber dann auch als Video-Beiträger für MTV. Dort wurde er aber erst einmal gefeuert, weil er am Tag nach dem 11. September 2001 als Osama bin Laden verkleidet im Studio auftauchte. Seinen Drogen-Dealer hatte er auch noch mitgebracht. Danach sah man ihn Jahre lang im Umfeld von Big-Brother-Shows und als Conférencier von Musik-Awards. Von der BBC wurde er rausgeschmissen, weil er während einer Live-Übertragung bei einem Schauspieler anrief und sich auf dessen Anrufbeantworter über die sexuellen Qualitäten seiner Enkelin ausließ. Bei den NME-Awards im Jahr 2006 nannte ihn der „Band-Aid-Erfinder“ Bob Geldof eine „Fotze“, worauf Brand erwiderte: „Kein Wunder, dass sich Geldof so gut mit Hunger auskennt, muss er doch seit 30 Jahren von „I don’t like Mondays“ leben.“ Bei den „2008 MTV Music Awards“ verglich er Britney Spears mit Christus, nannte George W. Bush einen „zurückgebliebenen Cowboy“, dem man „in England keine Schere in die Hand geben“ würde, und forderte dazu auf, Barack Obama zu wählen. Dafür erhielt er Morddrohungen.
Liam Gallagher, der Sänger von Oasis, belächelte Brands Freundschaft mit Bruder Noel und nannte die beiden „zwei alte Hausfrauen“. Dazu sei Brand „nur ein Arsch, jede Frau kann etwas Besseres finden“. Als die Zeitschrift GQ, gesponsert vom Modelabel Hugo Boss, den Komiker Brand 2013 zum mirakulösesten Mann des Jahres wählte, erinnerte dieser daran, dass Hugo Boss die Uniformen der Nazis geschneidert habe und sie beim Genozid darin auch wirklich „fucking fantastisch“ aussahen. Sein Privatleben nahm dann noch einmal richtig Fahrt auf, als er für ein paar Monate mit der Popsängerin Katy Perry verheiratet war und sich in dieser Zeit ein paar Mal mit Paparazzi prügelte.
Russell Brand ist also ein strahlend grinsendes Monster, eitel, selbstverliebt, aber auch smart genug, sich selber hochnehmen zu können. Bei einem Auftritt in New York berichtete er von seiner absurden Geltungssucht und sagte dazu den wundervollen Satz: „Meine Persönlichkeit funktioniert nicht ohne Ruhm. Ohne ihn würde ich ja aussehen wie ein Geistesgestörter.“
Und nun will dieses Nachtschattengewächs, dieser Günstling der Promi-Medien sich zum Revolutionär gemausert haben. Was ist da los? Nun, Russell Brand ist nicht auf den Mund gefallen. Klar, er ist ja auch eine gelernte Rampensau und geprägt von einer explodierenden Extrovertiertheit. Andererseits hat er eine fatale Neigung, sich um Kopf und Kragen zu reden.
So kam es Ende 2013 zu dem Interview mit dem BBC-Schlachtross Jeremy Paxman, in dem Brand wild herumrudernd begründete, warum er noch nie zu einer Wahl gegangen sei. Das Video dazu ist fast elf Millionen mal auf Youtube abgerufen worden. Paxman lässt Brand nicht vom Haken, er grillt ihn. Wie er, Brand, politisch sein wolle, wenn er nicht mal zur Wahl gehe. Warum man ihm zuhören solle, er wolle ja nichts verbessern, er lehne nur ab. Warum man also ausgerechnet ihn, den Anti-Politiker, ernst nehmen solle, wenn er so unspezifisch beim Aufzeigen von Alternativen bleibe. Welches Demokratie-Verständnis Brand überhaupt habe. Und so weiter.
Brand ist schon nach anderthalb Minuten schlimmer in die Seile getrieben als Muhammad Ali beim „Rumble in the Jungle“ 1974. Aber wie dieser schlägt er dann zu. Er redet immer schneller, hampelt auf seinem Sessel rum, fasst Paxman an und nennt ihn: „Jeremy, my Darling.“ Immer wieder artikuliert er seinen absoluten Überdruss: Die herrschende Klasse bedient sich nur selber, die Eliten lügen, schieben sich seit Generationen die besten Posten zu und verlängern ihre Privilegien über sündteure Privat-Unis in die Parlamente hinein.
Dabei werden Planet und Klima „bis zum ökologischen Meltdown“ zerstört, die Masse an ausgebeuteten, verängstigten Mittellosen wachse ständig. Das Kapital vermehre sich dagegen geradezu obszön in den Händen jener wenigen Glücklichen, die sich ihre Politiker wie Schoßhunde halten. Denn niemand unternehme ernsthaft etwas gegen Steueroasen und Korruption. Unsere Demokratie, so lehrt er, sei nur ein Hohn, eine Illusion, da brauche man auch nicht wählen zu gehen. Warum man ihn, Brand, also ernst nehmen solle? Müsse man nicht. Aber er könne dieses faule System und seine betuchten Apologeten auch nicht ernst nehmen.
Gerade er, Paxman, müsse das doch verstehen, er habe schließlich sein Journalistenleben lang mit der verlogenen Kaste der Politiker zu tun gehabt, habe ihren Nonsens in Überdosis genossen. Langweile ihn das nicht inzwischen? Ob er, Brand, das Recht dazu habe, die Dinge so zu sehen. Er nehme es sich ganz einfach. Man möge ihn naiv nennen. Bitte. Aber naiv sei es auch, aus Gier den Planeten zu zerstören und davor die Augen zu verschließen. Paxman kann sich des Öfteren bei Brands Suada ein zustimmendes Glucksen nicht verkneifen.
Seit diesem Interview tourt Russell Brand auf dem Revoluzzer-Ticket durch die Medien. Er hat einen Youtube-Channel eröffnet: „The Trews“, den er fleißig mit im heimischen Schlafzimmer gedrehten Statements zu Gott, Welt und Schönheits-OPs befeuert. „The Trews“ heißt auch eine Kneipe, die er mittlerweile in East-London eröffnete hat, die „Revolution benötigt schließlich Treibstoff“. Der Guardian hat eine anderthalbstündige Podiumsdiskussion mit ihm und Owen Jones in einem rammelvoll besetztem Cineplex abgehalten, in der es um nichts anderes als die Verweigerungsrevolution des Mr. Brand ging.
Er hat jetzt mit „Revolution“ das Buch zum Wutausbruch, zum „Paxman-Rant“also, geschrieben. Zackig handelt er, der geläuterte Shopper, das sinnlose Leben im dekadenten Kapitalismus ab, streut dabei witzig und ungeniert autobiografische Pointen ein. Doch beinhaltet dieses Werk definitiv keine Anleitung zu irgendwas, schon gar nicht zu einer neuen Weltordnung. Es ist eher ein „Coming of Age“ seiner rebellischen Haltung, die Story seiner Süchte und Obsessionen wie die artikulierte Hoffnung, seine Selbstverliebtheit für die gute Sache auch überwinden zu können.
„Es gab Zeiten“, schreibt er, „da habe ich an das System geglaubt: haben wollen, kaufen, konsumieren, Reichtum und Ruhm, Macht und Geld und Sex. All das, was mir von Hochglanzmagazinen oder im Fernsehen präsentiert wurde, stand auf meinem Wunschzettel. Ich habe mir alles reingezogen und mich davon mitreißen lassen.“
So entfaltet das Buch en détail und oft redundant – und mit angeberisch-lackaffigem Namedropping von Thomas Piketty über David Graeber bis hin zu Tom Cruise, die er alle persönlich getroffen hat – eigentlich nur die Argumente aus einem Aufsatz: „Wir besitzen den Luxus nicht mehr, uns Tradition leisten zu können“, den Brand Ende 2013 im New Statesman (www. newstatesman.com) veröffentlicht hat und in dem er wesentlich konziser formuliert, was und wer die Welt zugrunde richtet, und warum er, der gepamperte „Essex-Arsch“ mit eigenem Koch und Gärtner, trotzdem kein Heuchler ist, wenn er zum Umsturz aufruft.
Was Brand nicht gelingt, ist, die Revolution als ein politisches Projekt auch nur perspektivisch zu skizzieren. Er ist kein Intellektueller, auch wenn er Noam Chomsky zitiert. Was er aber schafft, ist sein Unbehagen an der spätkapitalistischen Globalisierungskultur mit so viel Verve und Witz zu formulieren, dass man als Leser – wie schon „Darling Jeremy“ – sich das anerkennende Schmunzeln oft nicht verkneifen kann.
Brand ist und bleibt auch als sich revolutionär gebender Autor ein Komiker, kein Salonrevoluzzer. Dass man dem schönen Spinner aber ein Stück weit folgt, liegt daran, dass man dieses Gefühl kennt, das er artikuliert: den Unmut darüber, dass sich nichts ändert, obwohl alles den Bach runtergeht – und alle dabei zusehen. Den Widerwillen gegen das sinnlose Konsumieren, das Kaufen, um zu kaufen. Das Gefühl, das alles: die Leere und die Veränderungslosigkeit, das System als ganzes nicht mehr zu wollen.
Ein Unbehagen, das gerade auch vom konservativen Op-Ed-Kolumnisten der New York Times, David Brooks, ausgesprochen wird. Brooks meint, dass es „in den meisten erfolgreichen Existenzen den Moment gebe, in dem alle Marken und Statussymbole abgestreift werden, alles Prestige, eine Eliteschule besucht zu haben und einer bedeutenden Familie zu entstammen“. Denn, „wer um äußerer Anerkennung und Erfolg willen lebt, verschwendet seine Zeit. Die wichtigsten und die tiefsten Erfahrungen bleiben unbekannt und unstrukturiert, es ist ein Leben in nicht auszuhaltender, aber nicht wahrgenommener Langeweile, abgeschnitten von Sinn und die höchste moralische Genugtuung.“ Brooks ist kein Komiker. Brand wird ihn verstehen. Und viele andere auch.
Dieses Nachtschattengewächs
soll sich nun zum Revolutionär
gemausert haben?
Mittlerweile hat er in London
eine Kneipe eröffnet: Denn die
Revolution benötigt Treibstoff
Was er schafft, ist sein Unbehagen
an der kapitalistischen
Kultur mit Verve zu formulieren
Den Umsturz meint er todernst: Russell Brand 2013 bei einem seiner vielen öffentlichen Auftritte.
Foto: The Guardian
Russell Brand: Revolution. Anleitung für eine neue Weltordnung. Aus dem Englischen von Kristof Hahn und Anke Kreutzer. Heyne Verlag, München 2015.
480 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de