Reykjavik ist die nördlichste Hauptstadt Europas und was für eine! Hier leben die Nachfahren der Wikinger. Tief mit seiner Geschichte verwurzelt präsentiert sich Reykjavik gleichzeitig als aufstrebende junge Metropole mit einer lebendigen Literatur- und Kulturszene. Die literarische Stimme Reykjaviks ist vielfältig und vielstimmig, besonders die jungen Autorinnen und Autoren sind in den vergangenen Jahren international sehr erfolgreich geworden. Der berühmte isländische Autor Pétur Gunnarsson lädt uns ein, seine faszinierende Heimatstadt, ihre Kultur und Literatur kennenzulernen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2012Ein Land ohne Menschen
Dies ist ein kleines, feines Buch. Pétur Gunnarsson, 1947 in Reykjavík geboren, porträtiert seine Heimatstadt, und zugleich schreibt er eine kleine Literaturgeschichte Islands. Der Schriftsteller beginnt bei den frühsten literarischen Zeugnissen des Landes, den Sagas. Doch bis Island eine Stadt, die Stadt, bekam, sollte es dauern. Fotografien aus dem Jahr 1870 zeigen kaum mehr als eine Handvoll Steinhäuser. Gunnarsson zitiert Passagen aus Romanen und Gedichte. Und natürlich ruft er Halldór Laxness auf, der Reykjavík rühmt, als wäre es eine Metropole, was sie aus der Sicht der Bewohner des restlichen dörflichen Islands ja auch ist: "Ich liebe die geteerte Straße, abends nach dem Regen, und das Straßenleben, diesen flimmernden Asphaltdschungel." Literatur und Kirchenbau beschreibt Gunnarsson gleichermaßen en passant. Leicht sei es, so Gunnarsson, sich das Entstehen Islands zu vergegenwärtigen. Denn die Vergangenheit lasse sich "bequem in Oma und Opa unterbringen". Dort, wo sie ein Haus gebaut hatten, war zuvor nur sumpfiges Grasland gewesen, "nicht anders als zur Zeit der ersten Siedler". Dabei kommt Gunnarsson ganz ohne Larmoyanz und Melodramatik aus, vielmehr schlägt er einen modernen, leicht ironischen Ton an. Dabei wurde auch ihm die kleine Hauptstadt als junger Mensch zu eng, "wie ein Kleidungsstück, das einem früher vielleicht gepasst hatte". Er geht nach Frankreich, studiert dort, kehrt später zurück nach Island. Eine Besonderheit der isländischen Geschichte hebt Pétur Gunnarsson noch: In der Neuzeit seien die Isländer wohl das einzige Volk der Welt gewesen, "das ein vollkommen unbesiedeltes Land vorfand", die Siedler mussten also niemanden unterdrücken oder gar ausrotten. Vielleicht hatten die Isländer deshalb von Anfang an mehr Zeit zum Lesen und Schreiben.
bär
"Reykjavík" von Pétur Gunnarsson. Insel Taschenbuch, Berlin 2011. 114 Seiten, einige Schwarzweißfotos. Broschiert, 7,95 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dies ist ein kleines, feines Buch. Pétur Gunnarsson, 1947 in Reykjavík geboren, porträtiert seine Heimatstadt, und zugleich schreibt er eine kleine Literaturgeschichte Islands. Der Schriftsteller beginnt bei den frühsten literarischen Zeugnissen des Landes, den Sagas. Doch bis Island eine Stadt, die Stadt, bekam, sollte es dauern. Fotografien aus dem Jahr 1870 zeigen kaum mehr als eine Handvoll Steinhäuser. Gunnarsson zitiert Passagen aus Romanen und Gedichte. Und natürlich ruft er Halldór Laxness auf, der Reykjavík rühmt, als wäre es eine Metropole, was sie aus der Sicht der Bewohner des restlichen dörflichen Islands ja auch ist: "Ich liebe die geteerte Straße, abends nach dem Regen, und das Straßenleben, diesen flimmernden Asphaltdschungel." Literatur und Kirchenbau beschreibt Gunnarsson gleichermaßen en passant. Leicht sei es, so Gunnarsson, sich das Entstehen Islands zu vergegenwärtigen. Denn die Vergangenheit lasse sich "bequem in Oma und Opa unterbringen". Dort, wo sie ein Haus gebaut hatten, war zuvor nur sumpfiges Grasland gewesen, "nicht anders als zur Zeit der ersten Siedler". Dabei kommt Gunnarsson ganz ohne Larmoyanz und Melodramatik aus, vielmehr schlägt er einen modernen, leicht ironischen Ton an. Dabei wurde auch ihm die kleine Hauptstadt als junger Mensch zu eng, "wie ein Kleidungsstück, das einem früher vielleicht gepasst hatte". Er geht nach Frankreich, studiert dort, kehrt später zurück nach Island. Eine Besonderheit der isländischen Geschichte hebt Pétur Gunnarsson noch: In der Neuzeit seien die Isländer wohl das einzige Volk der Welt gewesen, "das ein vollkommen unbesiedeltes Land vorfand", die Siedler mussten also niemanden unterdrücken oder gar ausrotten. Vielleicht hatten die Isländer deshalb von Anfang an mehr Zeit zum Lesen und Schreiben.
bär
"Reykjavík" von Pétur Gunnarsson. Insel Taschenbuch, Berlin 2011. 114 Seiten, einige Schwarzweißfotos. Broschiert, 7,95 Euro.
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