Alain Badiou ist einer der wenigen Philosophen, die sowohl für als auch über das Theater schreiben. Das Theater wird so zur Bühne seines Denkens.Die Rhapsodie, Badious zentrale philosophische Abhandlung zum Theater, ist im Kontext seines dramatischen Schaffens der 1980er-Jahre entstanden und wurde kürzlich mit einem aktuellen Vorwort des Autors neu aufgelegt. Er entwickelt hier ein regelrechtes "Theatersystem": Mit gewohntem Scharfsinn untersucht Badiou in 89 aphoristischen Kapiteln, aus welchen Bestandteilen sich das Theater, diese "Kriegsmaschine gegen die Faulheit", zusammensetzt. Er vergleicht die gesellschaftliche Wirkungskraft des Theaters mit der des Kinos, befragt seine Verankerung im Staat und analysiert die Analogien zwischen Theater und Politik. Gegenüber der traditionellen philosophischen Antihaltung zur darstellenden Kunst verteidigt er die "meistgehasste unter allen Künsten" als Unternehmen zur "Befragung der Wahrheit".
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Als gut abgehangener Leninist schafft es Alain Badiou, auch sein Plädoyer fürs Theater mit der Androhung von Terror zu verbinden. Mit Geldstrafen will er Bürger verfolgen, die sich den Theatern verweigern, schreibt Michael Stallknecht in seiner halb skeptischen, halb belustigten Kritik des Büchleins über "Badious Zwangstheater." Die Comédie-Française solle Zweigstellen im ganzen Land aufmachen und das Volk bespielen. Ein bisschen klingt's wie Volkstribunale, denn Badiou macht sich offenbar auch Gedanken darüber, wie das mit Persönlichkeitsrechten ist, falls das Volk in Schreibwerkstaätten Stücke über bestimmte Bürger anfertigen will. Laut Stallknecht mischt der Philosoph noch ein bisschen Hegel und Platon in die Begründung, macht aber keine ausreichenden ästhetischen Angaben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche ZeitungAm
Urort
Alain Badiou weiß, warum
Theaterbesuch Pflicht sein muss
Das Theater als Pflichtveranstaltung für alle Jugendlichen und Erwachsenen ab sieben Jahren? Mit Geldstrafen für Bürger, die den Besuch bei den Musen verweigern? Die Forderung dürfte manchem Intendanten gefallen, der damit alle Sorgen über Auslastungszahlen von heute auf morgen los wäre.
Gestellt hat sie Alain Badiou, in einer kleinen Schrift mit dem Titel „Rhapsodie für das Theater“. In „unserer französisch-jakobinischen Tradition“, so die Vision des französischen Philosophen, solle die Comédie-Française über das ganze Land verteilte Zweigstellen gründen, in die das Publikum aus dem Umland mit Bussen gebracht würde. Die passenden Stücke würden in staatlichen Schreibwettbewerben entworfen, wozu nur noch die Persönlichkeitsrechte eventuell in den Stücken darzustellender Bürger aufgehoben werden müssten.
Dass Badiou ein Theatermaniac ist (und ein glühender Wagnerianer dazu), war bekannt. Er hat selbst ein paar Theaterstücke geschrieben und am Théâtre National Populaire in Paris viel mit dem Schauspieler und Regisseur Antoine Vitez zusammengearbeitet. 1984 entstand mit dem Komponisten Georges Aperghis die Oper „Der rote Schal“. Umgekehrt hat wiederum das Theater schnell Badious Überschreibung von Platons „Politeia“ adaptiert, die vor wenigen Jahren entstand. Die „Rhapsodie für das Theater“ ist eigentlich schon eine ältere Schrift, die der heute 79-jährige Badiou für eine französische Ausgabe kürzlich noch einmal mit einem neuen Vorwort versehen hat. Als echter Theaterfreund unterscheidet er darin ein „Theater“ in Anführungsstrichen vom echten Theater. Letzteres zeichnet sich dadurch aus, dass es „eine Aussage über sich selbst und über die Welt trifft“, während „Theater“ nur zuständig ist für die „unterhaltsame Befriedigung bei denen, die die Wahrheit hassen“. Theater ist ein „Ereignis für das Denken“, während sich im „Theater“ das Publikum nur routiniert selbst feiert.
Das klingt sehr vertraut, aus den deutschen Theaterdiskursen eigentlich mehr als aus den französischen: Theater als Ort des staatstragenden Erwägens, nicht der sinnlichen Anschauung, als moralische Anstalt, nicht als Ort der Unterhaltung. Der Mehrwert einer „kurzen philosophischen Abhandlung“ – so der Untertitel der Schrift – müsste aber in jedem Fall darin bestehen, die dahinter stehenden ästhetischen Diskurse explizit zu machen und damit auch wieder zur Diskussion freizugeben. So dürfte die von Badiou erhobene Verpflichtung des Theaters auf „Wahrheit“ hegelianische Wurzeln haben, während ein Theater als Ort des „lebendigen Erscheinens der Idee“ nach seinem Lieblingsphilosophen Platon klingt. Für Platon aber waren Kunst und Gemeinwohl keineswegs derart leicht zu versöhnen wie für Badiou. Im seinem Idealstaat „Politeia“ (der ähnlich rigide funktioniert wie Badious Zwangstheater) wollte er das Theater nämlich einfach verboten sehen.
Doch mit solchen Subtilitäten hält sich Badiou nicht auf, sondern verschmilzt zur vagen Allversöhnungsgeste, was er mag: Theater, Philosophie, Politik. Dann sind Theater und Politik einfach „isomorph“. Schließlich beruhten sie beide auf „plötzlich in unerwarteter Konsistenz zusammenkommende Massen“, die Ereignisse auslösen könnten. (Man hört Rousseau.) Theater wäre also eine Art Urort, aus dem sich in einem spontanen Revolutionsereignis die Politik gebiert. Weshalb Badiou die Regisseure auch dringlich darum bittet, im Theater doch unbedingt die Pausen zu erhalten. Ob mit oder ohne Prosecco, dazu macht er leider keine näheren Angaben.
MICHAEL STALLKNECHT
Alain Badiou: Rhapsodie für das Theater – Kurze philosophische Abhandlung. Aus dem Französischen von Corinna Popp. Passagen Verlag, Wien 2015. 132 Seiten, 16,90 Euro.
In einer Allversöhnungsgeste
verschmilzt der französische
Philosoph, was er mag
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Urort
Alain Badiou weiß, warum
Theaterbesuch Pflicht sein muss
Das Theater als Pflichtveranstaltung für alle Jugendlichen und Erwachsenen ab sieben Jahren? Mit Geldstrafen für Bürger, die den Besuch bei den Musen verweigern? Die Forderung dürfte manchem Intendanten gefallen, der damit alle Sorgen über Auslastungszahlen von heute auf morgen los wäre.
Gestellt hat sie Alain Badiou, in einer kleinen Schrift mit dem Titel „Rhapsodie für das Theater“. In „unserer französisch-jakobinischen Tradition“, so die Vision des französischen Philosophen, solle die Comédie-Française über das ganze Land verteilte Zweigstellen gründen, in die das Publikum aus dem Umland mit Bussen gebracht würde. Die passenden Stücke würden in staatlichen Schreibwettbewerben entworfen, wozu nur noch die Persönlichkeitsrechte eventuell in den Stücken darzustellender Bürger aufgehoben werden müssten.
Dass Badiou ein Theatermaniac ist (und ein glühender Wagnerianer dazu), war bekannt. Er hat selbst ein paar Theaterstücke geschrieben und am Théâtre National Populaire in Paris viel mit dem Schauspieler und Regisseur Antoine Vitez zusammengearbeitet. 1984 entstand mit dem Komponisten Georges Aperghis die Oper „Der rote Schal“. Umgekehrt hat wiederum das Theater schnell Badious Überschreibung von Platons „Politeia“ adaptiert, die vor wenigen Jahren entstand. Die „Rhapsodie für das Theater“ ist eigentlich schon eine ältere Schrift, die der heute 79-jährige Badiou für eine französische Ausgabe kürzlich noch einmal mit einem neuen Vorwort versehen hat. Als echter Theaterfreund unterscheidet er darin ein „Theater“ in Anführungsstrichen vom echten Theater. Letzteres zeichnet sich dadurch aus, dass es „eine Aussage über sich selbst und über die Welt trifft“, während „Theater“ nur zuständig ist für die „unterhaltsame Befriedigung bei denen, die die Wahrheit hassen“. Theater ist ein „Ereignis für das Denken“, während sich im „Theater“ das Publikum nur routiniert selbst feiert.
Das klingt sehr vertraut, aus den deutschen Theaterdiskursen eigentlich mehr als aus den französischen: Theater als Ort des staatstragenden Erwägens, nicht der sinnlichen Anschauung, als moralische Anstalt, nicht als Ort der Unterhaltung. Der Mehrwert einer „kurzen philosophischen Abhandlung“ – so der Untertitel der Schrift – müsste aber in jedem Fall darin bestehen, die dahinter stehenden ästhetischen Diskurse explizit zu machen und damit auch wieder zur Diskussion freizugeben. So dürfte die von Badiou erhobene Verpflichtung des Theaters auf „Wahrheit“ hegelianische Wurzeln haben, während ein Theater als Ort des „lebendigen Erscheinens der Idee“ nach seinem Lieblingsphilosophen Platon klingt. Für Platon aber waren Kunst und Gemeinwohl keineswegs derart leicht zu versöhnen wie für Badiou. Im seinem Idealstaat „Politeia“ (der ähnlich rigide funktioniert wie Badious Zwangstheater) wollte er das Theater nämlich einfach verboten sehen.
Doch mit solchen Subtilitäten hält sich Badiou nicht auf, sondern verschmilzt zur vagen Allversöhnungsgeste, was er mag: Theater, Philosophie, Politik. Dann sind Theater und Politik einfach „isomorph“. Schließlich beruhten sie beide auf „plötzlich in unerwarteter Konsistenz zusammenkommende Massen“, die Ereignisse auslösen könnten. (Man hört Rousseau.) Theater wäre also eine Art Urort, aus dem sich in einem spontanen Revolutionsereignis die Politik gebiert. Weshalb Badiou die Regisseure auch dringlich darum bittet, im Theater doch unbedingt die Pausen zu erhalten. Ob mit oder ohne Prosecco, dazu macht er leider keine näheren Angaben.
MICHAEL STALLKNECHT
Alain Badiou: Rhapsodie für das Theater – Kurze philosophische Abhandlung. Aus dem Französischen von Corinna Popp. Passagen Verlag, Wien 2015. 132 Seiten, 16,90 Euro.
In einer Allversöhnungsgeste
verschmilzt der französische
Philosoph, was er mag
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