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In Hanno Helblings bestechendem Versuch über den Rhythmus geht es um alle Erscheinungs- und Wahrnehmungsformen desselben, geht es ums Sehen wie ums Hören. Und es geht darum, zu zeigen, wie etwas - eine Landschaft, ein Bild oder auch ein Satz - rhythmisch empfunden werden kann. Helbling veranschaulicht dies an bildender Kunst, Musik und Tanz; sein besonderes Augenmerk gilt jedoch der Literatur, an der er vorführt, dass es gerade der Rhythmus ist, der den Stil eines Autors prägt. Mit Beispielen von Hölderlin, Kleist, Hofmannsthal, Proust und Th. Mann beschreibt der Autor die geheimnisvolle…mehr

Produktbeschreibung
In Hanno Helblings bestechendem Versuch über den Rhythmus geht es um alle Erscheinungs- und Wahrnehmungsformen desselben, geht es ums Sehen wie ums Hören. Und es geht darum, zu zeigen, wie etwas - eine Landschaft, ein Bild oder auch ein Satz - rhythmisch empfunden werden kann. Helbling veranschaulicht dies an bildender Kunst, Musik und Tanz; sein besonderes Augenmerk gilt jedoch der Literatur, an der er vorführt, dass es gerade der Rhythmus ist, der den Stil eines Autors prägt. Mit Beispielen von Hölderlin, Kleist, Hofmannsthal, Proust und Th. Mann beschreibt der Autor die geheimnisvolle Eigenart des individuellen Rhythmus und schlägt den Bogen zur Natur und ihren Rhythmen, zum unaufhörlichen Pulsieren von Welt, Geschichte und menschlichem Leben.
Autorenporträt
Dr. phil. Hanno Helbling, Schriftsteller und Übersetzer, Jg. 1930, studierte Germanistik und Vergleichende Literaturgeschichte in Zürich, Neapel, München und Rom. Er war Redaktor der NZZ von 1958-95 und Leiter der Feuilletonredaktion NZZ von 1973-92. Helbling legte Publikationen zur Geistesgeschichte des Spätmittelalters vor, zur Kirchengeschichte der neuesten Zeit; Übersetzungen aus dem Italienischen, Französischen und Englischen. Seit 1994 lebt er in Rom.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.1999

Taktvoll alleine genügt nicht
Beschwingt: Hanno Helbling gibt den Rhythmus vor

Der Mensch liebt den Rhythmus, weil er um seine Sterblichkeit weiß. Im Wechsel der Jahreszeiten liegt die Verheißung einer Ewigkeit, die nicht in Monotonie ausartet, weil der jeweilige Eintritt der wechselnden Abschnitte immer wieder variiert wird. Tag- und Nachtgleiche gibt es nur einmal im Jahr, und die Unzuverlässigkeit des Frühlings- oder Sommerbeginns ist mittlerweile notorisch. Hanno Helbling tut also gut daran, in seinem wundervollen kleinen Buch "Rhythmus" auf die strikte Unterscheidung zum Takt zu bestehen, der aus einer gleichförmigen Wiederkehr besteht, und diesem das variable Regelmaß des Rhythmus entgegenzusetzen. Darin erkennt Helbling ein ordnendes Element, das aber niemals endgültig Ordnung schafft.

Dazu gehören drei Beteiligte - mindestens. Denn Rhythmus entsteht nie aus einem Akzent allein, und er braucht Augen oder Ohren eines Dritten. Dieses ästhetische Moment beseitigt die Dichotomie zwischen natürlichen und künstlichen, oder besser: künstlerischen, Rhythmen. Die gemeinschaftsbildende Kraft des Rhythmus macht ihn zum versöhnlichen Moment. In diesem Brückenschlag zwischen den Oppositionen der Lebenswelt eifert Helbling seinem Gegenstand nach: Sein Essay ist sowohl Sachtext als auch Prosa von großer poetischer Kraft. Die Sprache Helblings ist durchrhythmisiert; kurze und lange Sätze entfalten eine geradezu komponierte Melodie, und der Text ist bisweilen so bewegt, daß die Argumentation in einen leichten Schwindel zu geraten scheint. Der Leser aber läßt sich gerne herumwirbeln im Wechselspiel der Geistesblitze. Helbling belegt seine Thesen mit zahlreichen, gleichwohl mehr angedeuteten als durchgeführten Beispielen aus Musik und Dichtkunst, liefert aber gerade durch diese im wörtlichen Sinne verstandenen Auslassungen derart viele Anregungen, daß die Lektüre selbst wohl weniger Zeit erfordert als die Summe derjenigen Momente, in denen man das Buch verblüfft herabsinken läßt, um sich der Konsequenzen eines beiläufigen Halbsatzes bewußt zu werden. Wenn es einen Vergleich für diese virtuose Zitatenlese gibt, die gleichwohl nie zum eklektischen Patchwork wird, sondern immer die eigene Stimme des Verfassers untermalt, so sind es Mahlers Sinfonien.

Helbling schwört uns auf seinen intellektuellen Rhythmus ein und schafft damit eine Gemeinsamkeit, die nicht der Uniformität verfällt. Als der Nationalökonom Karl Bücher vor hundert Jahren seine Studie über "Arbeit und Rhythmus" publizierte, war ihm der Rhythmus noch ein Ordnungselement, für das er aber - als hätte er Helbling vorausgeahnt - an entscheidender Stelle einen anderen Begriff wählte: "Jeder strebt sich nach dem Takte zu bewegen, und der ungeordnete Haufe wird damit von selbst zu einem einheitlich handelnden Körper." Diese Gemeinsamkeit ohne jede Differenz ist Helbling ein Greuel. Seine Beobachtung, daß unsere Zeit, die sich mit einem von der Alltagssprache gelösten poetischen Duktus schwertut, um so aufmerksamer dem Sprachrhythmus eines Schriftstellers nachlauscht, ist nicht nur hellsichtig, sondern wird von der Lektüre seines eigenen Buches gestützt. Seine Ausführungen bieten einen reizvollen Gegenentwurf zu Elias Canettis Theorie vom Rhythmus, denn Helbling deutet rhythmische Bewegungen als ästhetisches Phänomen, wo Canetti vor allem ökonomische Beweggründe am Werk sah. Bisweilen liegen die beiden Autoren völlig über Kreuz; etwa bei der Wirkung eines Konzertes. Helbling sieht die Zuhörer in den Rhythmus einbezogen; "die Musik geht ins Blut", zitiert er Baron Ochs von Lerchenau aus dem "Rosenkavalier". Canetti hält das Publikum dagegen für völlig isoliert: "Während die Musik, die aufgeführt wird, zum guten Teil von ihrem Rhythmus lebt, darf nichts von rhythmischer Wirkung auf die Zuschauer spürbar werden." Erst im Moment des Beifalls ist auch das Auditorium befähigt, einen Rhythmus auszubilden, den es dann aber gegen die vorhergehende Darbietung des Orchesters setzt.

Doch beide Autoren finden die Ursache der Faszination für den Rhythmus in der Sehnsucht zu überleben. Daß Helblings eigene Begeisterung für das Thema alle Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß seinem Büchlein ein langes Nachleben beschert sein sollte, paßt da nur zu schön ins Bild von dem sich immer wieder verkehrenden Rhythmus, dessen freies Spiel eine Ästhetik des Widerstands begründet, von der Peter Weiss wohl kaum zu träumen gewagt hätte.

Es gibt wenig, worin man Helbling widersprechen wollte. Vielleicht wird die Zeit auch einiges klären. Das jedenfalls, was Helbling noch für unmöglich hält: Bruckner zu tanzen, ist mittlerweile von Uwe Scholz für seine Leipziger Compagnie angekündigt; im Dezember wird die achte Sinfonie auf die Ballettbühne gebracht. Solche Versuche beweisen nur, welche rhythmische Vielfalt sich eine Epoche erschlossen hat, die vielleicht gerade deshalb so gern als aus den Fugen geraten betrachtet wird. Es ist, darin möchten wir Helbling zustimmen, ein Zeichen von Freiheit.

ANDREAS PLATTHAUS

Hanno Helbling: "Rhythmus". Ein Versuch. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 95 S., geb., 32,- DM.

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