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«Ich habe alle Bundespräsidenten seit 1949 gut gekannt, aber er ragt heraus.» Helmut Schmidt über Richard von Weizsäcker Kein zweiter deutscher Politiker hat dem Amt des Bundespräsidenten eine solche Ausstrahlung verliehen, wie es Richard von Weizsäcker gelang. Sein Lebensweg vom Kriegsteilnehmer zum Kirchentagspräsidenten, vom Berliner Bürgermeister bis zum Staatsoberhaupt spiegelt eindrucksvoll die Höhen und Tiefen deutscher Vergangenheit. Hermann Rudolph, der Weizsäckers Karriere seit Jahrzehnten aus nächster Nähe verfolgt, legt nun das Porträt dieses herausragenden Politikers vor. Ein…mehr

Produktbeschreibung
«Ich habe alle Bundespräsidenten seit 1949 gut gekannt, aber er ragt heraus.» Helmut Schmidt über Richard von Weizsäcker
Kein zweiter deutscher Politiker hat dem Amt des Bundespräsidenten eine solche Ausstrahlung verliehen, wie es Richard von Weizsäcker gelang. Sein Lebensweg vom Kriegsteilnehmer zum Kirchentagspräsidenten, vom Berliner Bürgermeister bis zum Staatsoberhaupt spiegelt eindrucksvoll die Höhen und Tiefen deutscher Vergangenheit. Hermann Rudolph, der Weizsäckers Karriere seit Jahrzehnten aus nächster Nähe verfolgt, legt nun das Porträt dieses herausragenden Politikers vor. Ein glänzend geschriebenes Lebenspanorama - und zugleich eine Zeitreise durch fast ein Jahrhundert deutscher Geschichte: die große Biographie zum 90. Geburtstag.
Autorenporträt
Hermann Rudolph, geboren 1939 in Oschatz/Sachsen, studierte Literatur- und Sozialwissenschaften in Freiburg, München und Tübingen und wurde 1969 promoviert. Nach Stationen bei der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» und der «Zeit» übernahm er 1983 die Leitung der Abteilung Politik und Zeitgeschehen beim Deutschlandfunk. Dann ging er zur «Süddeutschen Zeitung» und 1991 als Chefredakteur zum «Tagesspiegel», dessen Herausgeber er heute ist. Für seine journalistische Arbeit wurde Hermann Rudolph unter anderem mit dem Theodor-Wolff-Preis und dem Karl-Hermann-Flach-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2010

Langer Schatten und große Strahlkraft

Drei neue Biographien über Richard von Weizsäcker widmen sich seinen familiären Prägungen und seiner glanzvollen Karriere.

Von Rainer Blasius

Am 15. April wird Richard von Weizsäcker neunzig Jahre alt. Gleich drei Verlage bedenken ihn mit Biographien. Die Journalisten Hermann Rudolph und Gunter Hofmann sowie der ehemalige Weizsäcker-Mitarbeiter Friedbert Pflüger schreiben um die Wette über den Adjutanten im Infanterieregiment Nr. 9, Juristen bei Mannesmann und bei Boehringer, Präsidenten des Evangelischen Kirchentages, Bundestagsabgeordneten, Regierenden Bürgermeister von Berlin und Bundespräsidenten. Am konventionellsten geht Rudolph vor, chronologisch, vornehm im Ton und die "dritte Amtszeit" ab 1994 einbeziehend. Er begreift den "Elder Statesman" als liberalen Bürger, der sich "im Nachdenken, im freien Engagement, im gelegentlichen Intervenieren" verwirkliche: "Noch stärker als bisher tritt bei ihm das Freisinnige hervor, vielleicht auch der Freigeist, jedenfalls eine große Eigenständigkeit."

Weizsäcker sei "Zeitzeuge und Deuter in einem". In diesem Zusammenhang geht es um Ernst von Weizsäcker: "Das Hineintauchen und Hineingetauchtwerden des deutschen Bürgertums in das Dritte Reich ist für ihn in der Rolle des Vaters, des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, zum Exempel geworden. Als sein Hilfsverteidiger beim Kriegsverbrecherprozess vor dem Nürnberger Gerichtshof war Weizsäcker tief in dieses Familienkapitel involviert." Ob seine Beschäftigung mit der Vergangenheit als Kompensation des "familiären Schicksals" zu verstehen sei, fragt der "Tagesspiegel"-Herausgeber Rudolph. Jedenfalls hätten Richard und sein Bruder Carl Friedrich "durchweg mit großer Empfindlichkeit reagiert, wann immer die Rede auf den Vater kam". War der Staatssekretär ein "Mann des Widerstandes"? Ernst von Weizsäcker "hat dies nie von sich behauptet, auch sein Sohn nicht, wenngleich er dazu neigt, dem Vater ein Widerstehen gegen Hitler zu attestieren, das von Widerstand kaum noch zu unterscheiden ist." Nun wollte der Staatssekretär 1938/39 mit aller Kraft den "großen Krieg" gegen die Westmächte verhindern, blieb dann nach Hitlers Polenfeldzug auf dem Posten, um "Schlimmeres" zu verhüten. Dabei sei er "auch in den Judenmord verwickelt" gewesen, habe Deportationen mit seiner Paraphe gebilligt: "Kann man aber seiner Erklärung glauben, er habe das Ziel dieser Deportationen, die Vernichtung der Juden, nicht gekannt?" Laut Richard von Weizsäcker sei dem Vater bis zur Versetzung an den Vatikan 1943 nicht klar gewesen, "was der Name Auschwitz bedeutete". Solche Beteuerungen stoßen bei Rudolph angesichts der verfügbaren Forschungen "auf Skepsis, und sie bleiben erst recht erstaunlich, wenn - wie der Sohn in seiner Rede vom 8. Mai 1985 behauptet hat - selbst den Durchschnittsdeutschen nicht hat entgehen können, dass Deportationszüge rollten, sofern sie nur ihre Augen und ihre Ohren geöffnet hatten".

Für die Politik entdeckt wurde Weizsäcker, seit 1954 CDU-Mitglied, im Jahr 1965 von Helmut Kohl, dem Bundeskanzler der Jahre 1982 bis 1998. Sehr eindrucksvoll war laut Rudolph ab Juli 1984 "die Erfolgskurve, die Weizsäckers Präsidentschaft in die verunsicherte Republik einzeichnet. Hat der Essayist Johannes Gross nicht behauptet, das Amt des Bundespräsidenten sei machtlos, ,eine Spitze, auf die nichts zuläuft'? Bald sieht man, was alles von dieser Spitze ausgeht und welche politisch-moralische Macht sie entfaltet." Höhepunkt war die Rede am 8. Mai 1985 - "Geschichtserzählung und Standortbestimmung, Trauerarbeit und Totenklage, Vergegenwärtigung der von Deutschland verübten Schrecknisse und Meditation über Schuld und Unschuld". Da glänzte Weizsäcker, während Rudolph den Bitburg-Besuch von Präsident Reagan und Kohl zum "dunklen Gegenbild" stilisiert. Avanciert sei Weizsäcker dann wie von selbst "zum Ersatz- und Überkanzler, an dem gemessen Kohl ein klägliches Bild abgibt".

Weizsäckers Wiederwahl fand im Mai 1989 statt. Für die Phase der Weichenstellung nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 "verlor der Bundespräsident, die überragende politische Identifikations- und Integrationsfigur der alten Bundesrepublik, seine orientierende Kraft. Das hat das Phänomen Weizsäcker nicht ernstlich beschädigt, aber es hat es verändert. Eingezwängt zwischen der Erkenntnis, dass die Vereinigung nicht anders möglich gewesen wäre, und der Überzeugung, dass sie anders hätte verlaufen müssen, machte er die Schieflage im Seelenleben der Nation zu seinem Thema, halb Mutmacher, halb Therapeut." Er habe sich als Stimme der Ostdeutschen verstanden. Zudem ziehe sich Weizsäckers Einsatz für die deutsch-polnische Verständigung "wie ein roter Faden durch sein politisches Engagement".

In Rudolphs Buch weist das Personenregister fast vierzig Mal den Vater Ernst nach, Gunter Hofmann kommt auf das Doppelte. Hofmanns Resümee lautet: "Seit 1989 ging es darum, klar zu machen, dass Europa ohne Polen nicht zu denken sei. Dafür steht Weizsäcker heute. Was er sagt, sagt er differenziert, und im Zweifel auch deutlich, in dieser Reihenfolge. Ernst von Weizsäcker in Nürnberg, das blieb nicht das letzte Wort. Man hört die Stimme des Sohnes heraus. Das gilt nicht nur für den 8. Mai 1985, es gilt generell. Nach der Hinwendung zu Frankreich, für die noch der ,Weimarianer' Adenauer sorgte, ist es die konsequente, unbeirrbare Hinwendung zu Polen, die man neben Brandt und Bahr, Dönhoff und Schmidt insbesondere mit Richard von Weizsäcker verbindet." Der Autor will zeigen, wie fixiert Weizsäcker angeblich bis zum heutigen Tage auf seinen Vater sei. Der Staatssekretär der Jahre 1938 bis 1943 stand "nicht auf Seiten des Regimes, aber auch nicht auf Seiten einer konsequenten Opposition". Und überhaupt habe er sich "fatal geirrt". Bei der Lektüre der Präsidenten-Memoiren "Vier Zeiten" (1997) kam es dem früheren "Zeit"-Chefkorrespondenten so vor, "als habe der Sohn einen Vater kennengelernt, erlebt und akzeptiert, so wie er ,im Innersten' war - ohne wirklich nachvollziehen zu können, wie er agierte. Das ,Wesen' war nicht zu ändern, das ,Handeln' verstand er nicht, schon gar nicht durchweg." Und Hofmann legt noch nach: "Das ,Wesen' des Vaters sei das Entscheidende gewesen, nicht sein ,Handeln', hat der Sohn gesagt. Dieses ,Wesen' jedoch blieb verhüllt. Das verteidigte der Sohn, nicht die Handlungen."

Außerdem nimmt Hofmann noch Ernst von Weizsäckers Verteidiger Hellmut Becker ins Visier: "In die Rolle des ,Widerständlers' habe er den Vater hineingetrieben, heißt es inzwischen." Hier ist ein "Einspruch, Euer Ehren!" angebracht: Der Weizsäcker-Familie samt ihrem Hilfsverteidiger hat dieses - von der Journalistin Margret Boveri und dem Historiker Hans Rothfels ausgeschmückte - Bild vom Widerständler verständlicherweise gefallen. Becker spielte übrigens in der Bundesrepublik "eine große Rolle als Reformpädagoge, Bildungsforscher und linksliberale Stimme". Mittlerweile werde - so Hofmann - dessen Vergangenheit kritisch aufgespießt, "einschließlich der Mitgliedsnummer in der NSDAP".

Autor Friedbert Pflüger war ab 1981 Mitarbeiter Weizsäckers in Berlin, von Juli 1984 bis September 1989 Pressesprecher des Bundespräsidenten, von 1990 bis 2006 Mitglied des Bundestages (CDU), zudem 2005/2006 Parlamentarischer Staatssekretär. Der 1955 geborene Politikwissenschaftler legte vor 20 Jahren das 500-Seiten-Werk "Richard von Weizsäcker. Ein Porträt aus der Nähe" vor, das auf breite Resonanz stieß, wenn auch einige Rezensenten über die Kammerdienerperspektive spotteten. So schrieb Ignaz Miller in der "Neuen Zürcher Zeitung", das Buch sei "mit nebensächlichen Details überladen" und erinnere in einige Passagen stark an Hedwig Courths-Mahler, "die sich aber sicher nie so missverständlich ausgedrückt hätte". Mittlerweile kann sich Pflüger kürzer fassen. In der Einleitung zum 200-Seiten-Buch "Richard von Weizsäcker. Mit der Macht der Moral" blickt er zurück auf seinen Weizsäcker-Erstling, den er "voller Bewunderung für den Chef und väterlichen Freund" geschrieben habe.

Im Weizsäcker-Zweitling, der die ganze Amtszeit in den Blick nimmt, erzählt Pflüger eine Begebenheit "zum ersten Mal": Mit Thilo Steinbach, dem außenpolitischen Berater des DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, habe er Kohls Ansatz einer deutsch-deutschen Konföderation "ein wenig weiter" entwickelt. "Dazu müsse, so unser Plan, Weizsäcker einfach - neben seinem Amt als Bundespräsident - auch Vorsitzender des Staatsrates der DDR werden. Das wäre ein deutliches Zeichen des Einheitswillens und würde der DDR doch Zeit geben, sich langsam und mit eigenen Vorstellungen in den Einigungsprozess einzubringen." Und weiter: "Meine damalige Frau, Margarita Mathiopoulos, und ich luden am 4. Mai 1990 mehrere Persönlichkeiten zu einem kleinen Empfang bei uns in Königswinter-Ittenbach ein, darunter Weizsäcker und Steinbach. Diese begaben sich irgendwann in den Garten und diskutierten die Idee. Weizsäcker fand den Vorschlag immerhin so reizvoll, dass er ihn wenige Tage später mit de Maizière persönlich vertiefte. Der hielt die Sache gleichfalls für spannend, doch sahen beide auch die staatsrechtlichen Probleme." Doch Kohl sei damals "längst" entschlossen gewesen, "alle Konföderationsgedanken zu begraben".

Eine andere Begebenheit erwähnte Pflüger schon 1990, ohne dass sie besonders beachtet wurde: "Ursprünglich hatte der Bundespräsident beabsichtigt, in seiner Rede am 8. Mai 1985 die Begnadigung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zu fordern." Nun erzählt Pflüger zum zweiten Mal und ausführlicher davon. Beim Thema Heß sei es Weizsäcker "ausschließlich um Gnade für den alten Mann, nicht etwa um Relativierung von Schuld und Mitwirkung" gegangen. Dies sei Weizsäcker "besonders wichtig" gewesen, "vielleicht auch vor dem Hintergrund der Biografie des Vaters". Pflüger habe am 6. Mai 1985 abends wegen der "verheerenden Wirkung" des Treffens Reagan/Kohl in Bitburg Weizsäcker angerufen, weil er bereits die Schlagzeile "Präsident fordert Freilassung des Hitler-Stellvertreters!" fürchtete. Doch der "reagierte zuerst sichtlich genervt, weil er ja die Gegenargumente kannte". Am 7. Mai holte Pflüger ein Meinungsbild der Mitarbeiter im Präsidialamt ein, berief sich darauf in einem weiteren Telefonat mit Weizsäcker, der nur "knurrte": "Sie haben sie agitiert." Erst am Nachmittag verkündete Weizsäcker zu Pflügers "Erleichterung, dass er auf die Heß-Sätze verzichten, sie aber bei einer anderen Gelegenheit vortragen werde". Überhaupt meint Pflüger, "dass die Biografie und Lebensweise des Vaters prägenden Einfluss auf den Sohn, dessen Sichtweisen und Lebensthemen hatten. Vielleicht kommt es auch daher, dass er nach Möglichkeit größere Konflikte vermied und immer wieder versuchte, es möglichst vielen recht zu machen."

Den drei im doppelten Sinne flott geschriebenen Würdigungen ist gemeinsam, dass sie Weizsäckers Wirken wohl allzu stark vom "Lernort Nürnberg", also von seiner Hilfsverteidigerzeit her interpretieren. Zudem werden Weizsäckers dienstliche und private Unterlagen nicht herangezogen. Und was die Vor-Bundespräsidenten-Phase betrifft, so schlachten die Autoren vor allem den 1984 von Werner Filmer und Heribert Schwan herausgegebenen Sammelband "Richard von Weizsäcker. Profile eines Mannes" aus. Vielleicht darf man zum hundertsten Geburtstag auf eine Biographie hoffen, die einerseits wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, andererseits auch Richard von Weizsäckers Prägungen durch seine höchst beeindruckende Mutter Marianne geborene von Graevenitz nachspürt.

Gunter Hofmann: Richard von Weizsäcker. Ein deutsches Leben. Verlag C.H. Beck, München 2010. 295 S., 19,95 [Euro].

Friedbert Pflüger: Richard von Weizsäcker. Mit der Macht der Moral. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 223 S., 19,95 [Euro].

Hermann Rudolph: Richard von Weizsäcker. Eine Biographie. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2010. 288 S., 19,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Rainer Blasius bespricht die drei Biografien auf einmal, mit denen Altbundespräsident Richard von Weizsäcker zu seinem neunzigsten Geburtstag von den beiden Journalisten Hermann Rudolph und Gunter Hofmann sowie seinem einstigen Mitarbeiter Friedbert Pflüger bedacht wird. Allen drei Biografien gemein ist seiner Ansicht nach, dass sie flott geschrieben sind, dass sie weder dienstliche noch private Unterlagen aus Weizsäckers Archiv heranziehen und dass sie weidlich aus einem von Heribert Schwan und Werner Filmer herausgegebenen Sammelband schöpfen. Die vom Tagesspiegel-Herausgeber Hermann Rudolph verfasste Biografie bezeichnet Blasius als die "konventionellste" unter den drei Neuerscheinungen. Er sieht Weizsäcker hierin als freisinnigen Politiker dargestellt, als "Zeitzeugen und Deuter in einem". Dabei betrachte Rudolph Weizsäckers Beteuerungen mit Skepsis, sein Vater Ernst von Weizsäcker, unter Hitler Staatssekretär im Auswärtigen Amt, habe von der Judenvernichtung nichts gewusst und wollte in seinem Amt nur Schlimmeres, zumindest aber einen Krieg gegen die Westmächte, verhindern, wie Rezensent Blasius darstellt. Bemerkenswert auch Rudolphs Beobachtung, dass Weizsäcker, der in den Achtzigern einen wichtigen Gegenpol gegen Bundeskanzler Kohl darstellte, mit dem Mauerfall seine "orientierende Kraft" einbüßte.

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