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Richard Wagners Jugend und Bildungsgang ist das Gegenteil eines stetigen humanistischen Formungsprozesses. Das neunte Kind aus der Ehe des Polizeiaktuars am Leipziger Stadtgericht, des Herrn Carl Friedrich Wilhelm Wagner, verlor seinen Vater genau sechs Monate nach seiner Geburt.
Der Leipziger Beamte war nach der Völkerschlacht dem Lazarettfieber erlegen. Ludwig Geyer, ein in vielen Künsten beschlagener Schauspieler, Sänger, Dichter und Maler, ging mit Johanne Wagner eine neue Ehe ein. Der Stiefvater Geyer wurde von Richard Wagner später in Dankbarkeit als sein eigentlicher «geistiger Vater» bezeichnet. Aber auch Geyer starb bereits im Herbst 1821.…mehr

Produktbeschreibung
Richard Wagners Jugend und Bildungsgang ist das Gegenteil eines stetigen humanistischen Formungsprozesses. Das neunte Kind aus der Ehe des Polizeiaktuars am Leipziger Stadtgericht, des Herrn Carl Friedrich Wilhelm Wagner, verlor seinen Vater genau sechs Monate nach seiner Geburt.

Der Leipziger Beamte war nach der Völkerschlacht dem Lazarettfieber erlegen. Ludwig Geyer, ein in vielen Künsten beschlagener Schauspieler, Sänger, Dichter und Maler, ging mit Johanne Wagner eine neue Ehe ein. Der Stiefvater Geyer wurde von Richard Wagner später in Dankbarkeit als sein eigentlicher «geistiger Vater» bezeichnet. Aber auch Geyer starb bereits im Herbst 1821.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.01.1999

Mit Wagner in der Linkskurve
Beziehungszauber: Hans Mayers Annäherungen an Bayreuth

Wer, wie bei einer inkompetenten Kriminalromanlektüre, zuerst die letzten Seiten des Buches aufschlägt, muß bald verstört wirken. Wolfgang Hofer, der Herausgeber der gesammelten Arbeiten Hans Mayers zu Richard Wagner, gönnt sich selbst rund sechzig Seiten des Bandes. Auf nur neun Seiten würdigt er die Arbeiten des Herausgegebenen. Die folgenden fünfzig Seiten sind eigene Beiträge Hofers zum Thema "Richard Wagner", als "dialektische Fußnoten" zu Hans Mayers lebenslanger Beschäftigung mit Wagner unzureichend camoufliert. Im Vergleich mit der Klarheit, die den Essayisten Mayer auszeichnet, wird man Hofers Ausführungen, mit einem Lieblingsausdruck Eckhard Henscheids, nur "verschwurbelt" nennen können. An dem Erinnerungsband Mayers "Zeitgenossen" wurde in dieser Zeitung das Problem der "Klitterung" bereits früher, zum Teil mehrfach erschienener Texte angesprochen - mit einer für Hans Mayer und für den Suhrkamp Verlag positiven Bilanz. Immerhin war ein Drittel der Texte neu. Im vorliegenden Fall sind alle Texte alt. Für die Virtuosität der Mehrfachverwertung mag ein Beispiel genügen: Der "Meistersinger"-Essay "Parnaß und Paradies" wurde 1979 in München als Vortrag gehalten und erschien gleichzeitig als Programmheft-Beitrag. Zwei Jahre später fand er sich in einem Bändchen Mayers mit dem Titel "Versuche über die Oper" wieder und erscheint nun in "Richard Wagner" (schon vorher hatte es zwei Sammlungen der Wagner-Beiträge Mayers gegeben. "Anmerkungen zu Richard Wagner" 1966 und "Richard Wagner. Mitwelt und Nachwelt" 1978).

Gerade aber dieses Beispiel zeigt, daß Hans Mayer mit anderen uns wohlbekannten Virtuosen des intellektuellen Recyclings nicht über einen Kamm zu scheren ist. Denn "Parnaß und Paradies" ist ein glänzender Essay und zusammen mit Ernst Blochs Arbeit über Beckmessers Preislied einer der wesentlichen Beiträge zur Erkenntnis dieser Oper. Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein, hieß es einmal werbemäßig. Es ist unmöglich, Hans Mayer gram zu sein, auch wenn man ihn zum zweiten Mal liest (und kauft). Denn fast immer belehrt und bereichert er unsere Kenntnisse und Einsichten, so auch in diesem Fall. 1953 erschien Mayers erste Studie zu Wagner in der Zeitschrift "Sinn und Form", von Peter Huchel und Brecht gegen Alexander Abusch durchgesetzt. Sie eröffnet den neuen Band. Von ihr ausgehend bis zum letzten Beitrag über "Parsifal" von 1992 umspannt das Buch einen Zeitraum von vierzig Jahren. Die frühe Studie ist geprägt vom politischen Standpunkt des jungen und mittleren Hans Mayer; sie interpretiert Wagner von Georg Büchner und Feuerbach her und hebt den Revolutionär von 1848 hervor. Für die späteren Wandlungen Wagners wird der negative Einfluß Cosimas verantwortlich gemacht. Das wollte schon seinerzeit Thomas Mann nicht recht glauben, der mit Mayer darüber brieflich diskutierte. Und Hans Mayer mußte Mann recht geben, spätestens, als er die Tagebücher Cosimas gelesen hatte - in einem Bayreuther Vortrag (der im aktuellen Band nicht enthalten ist) machte er diese Korrektur auch öffentlich.

Mayer hat im zweiten Band seiner Erinnerungen "Ein Deutscher auf Widerruf" bekannt, daß in seiner Beziehung zu Wagner (wie in der zu Schiller und Thomas Mann, aber aus anderen Gründen) Zeiten der Nähe und Ferne abwechselten. Als der Emigrant wieder nach Deutschland kam, versuchte er zwar in dem erwähnten Beitrag von 1953 die jugendliche Faszination durch Wagner in einer "Linkskurve" zu retten (als Jugendlicher hatte er "Tristan und Isolde" in Berlin unter Bruno Walter erlebt und war hingerissen, wenn auch nicht so verfallen wie Thomas Mann nach seinem ersten Lübecker "Lohengrin"), aber einen Besuch in Bayreuth konnte er sich nicht vorstellen. Geradezu bewegend schildert Mayer in diesen Erinnerungen die Begegnung mit Wieland Wagner, der ihn nach Bayreuth brachte und für Bayreuth gewann (unter anderem als Programmheft-Autor), ohne daß er seine Kritikfähigkeit dadurch verlor.

Wieland Wagner hatte das große Verdienst, in Mayer und Bloch zwei prominente Emigranten zur Mitarbeit zu gewinnen. Was das bedeutete, ermißt man erst, wenn man die ersten Programmhefte des Neuen Bayreuth nach 1951 durchmustert, in denen Autoren zu finden sind, die man als braune Erblast wird bezeichnen dürfen. Einen Ausgleich für die in den fünfziger und sechziger Jahren dennoch nicht stattfindende Selbstkritik der Institution Bayreuth wird man wohlwollend darin erblicken können. Mayers Beiträge waren Höhepunkte dieser Neu-Bayreuther Dramaturgie, und wie sehr er nicht nur am Schreibtisch für Bayreuth wichtig wurde, sondern auch in Auseinandersetzung mit den "ersichtlich gewordenen Taten der Musik" auf der Bühne und im Orchestergraben, zeigen seine Kritik der Chéreauschen "Ring"-Inszenierung 1976, sein Gespräch mit Pierre Boulez über dessen Wagner-Dirigate und das mit Harry Kupfer über dessen "Ring"-Konzeption von 1988.

Beim Überblick über diese vierzig Jahre, in denen sich Mayer mit Wagner beschäftigte, fällt auf, daß sein Blick immer kritischer, auch düsterer wurde. Noch 1953 spielte der Wagnersche Antisemitismus keine Rolle. Später jedoch kommt Mayer insistierender auf ihn zurück, ohne jedoch in irgendeiner Form sich zu einer Absage entschließen zu können. Er nimmt für sich in Anspruch, auch in den schönsten Momenten in der Gesellschaft Wieland Wagners und Ernst Blochs in der Villa Wahnfried (so im Sommer 1965) nie vergessen zu haben, wo er war. Fast bewundernd erzählt er von Bloch, daß dieser damit keine Probleme hatte. Warum? "Weil er sein Judentum nicht vor sich gelten ließ", heißt es in den Erinnerungen.

So weit wollte Hans Mayer. Dennoch "rettet" er Wagner für sich mit einer Erklärung und einer Volte, die man fast überliest, so sehr versteckt sie sich. Es handelt sich darum, daß Wagners musikalisches Ingenium sich der negativen Konnotation jener Figuren wie Beckmesser und Kundry, in denen unzweifelhaft Jüdisches angeprangert werde, verweigert habe - die Musik macht gewissermaßen das nicht mit, was der Textdichter anrichten will. Ob diese "Rettung" tragfähig ist? Zweifel sind angebracht; zweifellos aber hat Hans Mayer auf diese Weise für sich einen Modus vivendi gefunden, der eine gewisse Ähnlichkeit mit jener Position nicht verleugnen kann, die der alte Thomas Mann gegenüber dem Idol seiner jungen Jahre einnahm.

Im Zentrum des Buches steht der Text eines Bildbandes von 1976 zur Geschichte Bayreuths, der ganz übernommen wurde. Durch die inzwischen erschienene Darstellung Frederic Spotts ("Bayreuth", München 1994) ist dieser Text in den Fakten präzisiert und ergänzt worden und nicht mehr auf dem neuesten Stand, dennoch liest er sich mit Gewinn. Wie die vielen wertvollen Einblicke sind auch einige Irrtümer aus den Erstpublikationen stehengeblieben (wo war da die korrigierende Hand des Herausgebers?). So ist es eine Legende, daß der Maler und Bühnenbildner Alfred Roller Hitlers Aufnahme in die Wiener Kunstakademie befürwortet habe. Die berüchtigte Äußerung Wagners, die Cosima in ihren Tagebüchern aufzeichnete, "es sollten alle Juden in einer Aufführung des ,Nathan' verbrennen", wird durch Mayer (in einer Diskussionswiedergabe) verschlimmert durch "man müßte", und er läßt auch zuungunsten Wagners die Notiz Cosimas weg, daß dieser Satz "in heftigem Scherz" gesprochen wurde. Bis heute ist uns Hans Mayer auch den Beleg für seine These schuldig geblieben, daß Richard Strauss als "homo politicus" und Mensch noch viel erschreckender als Wagner gewesen sei.

Insgesamt jedoch: Welche Fülle an Einsichten, welcher "Beziehungszauber" zwischen Richard Wagner, der deutschen Misere und der Glorie des leidenden und großen Jahrhunderts, die Hans Mayer in seinen Wagner-Essays entfaltet hat. Theodor W. Adorno, Ernst Bloch und Hans Mayer haben (in durchaus unterschiedlich ausgeprägter Zuspitzung) mehr für die kritische Erkenntnis dieses Werkes und seines Schöpfers getan als drei Generationen verstockten Wagnerianertums. Diese drei Autoren - Hans Mayers Buch, das dem Gedenken Ernst Blochs und Wieland Wagners gewidmet ist, als gewichtiger Schlußstein verstanden - wiegen alle Jahrgänge der "Bayreuther Blätter" leichthändig auf. JENS MALTE FISCHER

Hans Mayer: "Richard Wagner". Herausgegeben von Wolfgang Hofer, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998. 620 S., geb., 68,- DM.

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