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Zum Auftakt der Bayreuther Festspiele: die neue Wagner-Mono
Richard Wagner und seinem Werk widerfahren bis heute unkritische Verehrung und schroffe Ablehnung. Einem Leben voller Brüche und verwirrender Episoden mit Frauen, Künstlern und Königen entspricht die Phantasmagorie eines Gesamtkunstwerks, das zwischen Maßlosigkeit und Askese, Sinnlichkeit und Gedankentiefe, Revolution und Regression changiert.

Produktbeschreibung
Zum Auftakt der Bayreuther Festspiele: die neue Wagner-Mono
Richard Wagner und seinem Werk widerfahren bis heute unkritische Verehrung und schroffe Ablehnung. Einem Leben voller Brüche und verwirrender Episoden mit Frauen, Künstlern und Königen entspricht die Phantasmagorie eines Gesamtkunstwerks, das zwischen Maßlosigkeit und Askese, Sinnlichkeit und Gedankentiefe, Revolution und Regression changiert.
Autorenporträt
Martin Geck, 1936-2019, studierte Musikwissenschaft, Theologie und Philosophie in Münster, Berlin und Kiel. 1962 Dr. phil., 1966 Gründungsredakteur der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, 1970 Lektor in einem Schulbuchverlag, nachfolgend Autor zahlreicher Musiklehrwerke, 1974 Privatdozent, 1976 ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an der Universität Dortmund. Zahlreiche Arbeiten zur Geschichte der deutschen Musik im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Autor der Rowohlt-Monographien über Bach, Beethoven, Brahms, Mendelssohn Bartholdy, Wagner und die Bach-Söhne.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2013

Ohne Ekstase keine Musik-Zauberei

Aus der Flut neuer Wagner-Bücher ragen die von Martin Geck, Jens Malte Fischer, Frithjof Haas und Friedrich Dieckmann heraus - nicht alles ist neu darin, aber alles ist fundiert und streitbar.

Jedes Jahr ist Wagner-Jahr. Seit Jahren. Wer zurückblättert in den Spielplänen der europäischen Theater, findet satte Wagner-Jahre, glänzende Wagner-Feste schon 2012, 2011, 2010, 2009, 2008 und noch weiter zurück. Man muss also kein Prophet sein, eher schon Historiker, um vorherzusagen, dass das Wagner-Jahr 2013 die Popularität dieses Komponisten kaum noch wird steigern können.

Wagners Opern gehören etwa seit Anfang der Neunziger zum meistgespielten Opernrepertoire. Die Kaste der konservativen Wagnerianer, die einst in den Siebzigern als Lieblingsfeindbild linker Wagner-Kritik durch die Literatur spukte, hat sich aufgelöst im Wohlgefallen eines weltumspannenden Wagner-Fanclubs, der keine Parteien mehr kennt. Letztlich ist dies wohl die Erklärung für die erstaunliche Menge neuer Wagner-Bücher.

Endlich ergeht es diesem Komponisten wie allen anderen Großen auch, die, vom Publikum ins Herz geschlossen, Quote machen. So, wie es Sach-, Klatsch- und Tratschliteratur gibt über Beethovens Lieblingsgerichte oder Goethes Gärten, so gibt es eben nun auch Bücher über Wagners Hunde. Sie finde dies "ganz lustig", sagt die pragmatische Urenkelin Katharina dazu im Radiointerview. Sie besitzt selbst mehrere Hunde, sie tritt auch selbst im letzten Kapitel einiger Wagner-Bücher als Person der Zeitgeschichte auf.

Manchmal sind solche Bücher, die menschlich Kommensurables aus dem Leben des Komponisten oder seiner Nachkommen erzählen, gut geschrieben. Dann kann man sie verschenken. Doch die meisten von ihnen sind spekulativ, unwissenschaftlich und unnötig. Man erfährt daraus nichts Neues und schon gar nichts, was beim Musikhören behilflich wäre. Ersteres gilt auch für jene, die andere, ältere Wagner-Bücher recyceln. Kerstin Deckers "Nietzsche und Wagner, eine Hassliebe" gehört dazu, eine Monographie, die auf den Schultern von Dieter Borchmeyers "Nietzsche und Wagner" von 1994 steht.

Und dann gibt es noch eine Handvoll Titeln, darin der Autor sich persönlich outet, sei es musikalisch, wissenschaftlich oder mit banalen Alltagserlebnissen. Sie heißen "Mein Leben mit Wagner" oder "Mein Wagner" oder so ähnlich. Diese neue Volte scheint wagnerspezifisch, vergleichbare Titel wie "Ich und Beethoven" oder "Mein Leben mit Mahler" sind jedenfalls nicht in Erinnerung.

Ein subjektives Bekenntnis zu Wagner ist offenbar das Gebot der Stunde. Warum? Vielleicht, weil, wo der objektive Diskurs verebbt, Haltung gefragt ist? Alle Schlachten wurden ja schon vor dreißig, vierzig Jahren geschlagen, alle essentiellen Fragen (Wie antisemitisch darf ein Künstler sein? Wie gehen Deutschsein und Wagner-Liebe zusammen? Warum werden wir von Wagners Musik auch wider Willen erschüttert?) wurden in Pro- und Contra-Rede sattsam erörtert. Nicht nur Katharinas PR-Assistent oder der große Dirigent Christian Thielemann, auch einer der führenden Musikforscher unserer Tage konnten der Versuchung, das eigne Ego ins Spiel zu bringen, nicht widerstehen.

Martin Geck schreibt im Vorwort zu seinem neuen Buch: "Nachdem ich über viele Jahre hinweg Wagner-Philologie betrieben und unter anderem die Grundlagen zu dem dickleibigen Wagner-Werk-Verzeichnis (WWV) gelegt habe, gelüstete es mich nicht länger, Wagner auf die Schliche zu kommen. Mit den weiterhin üppig sprudelnden Wagner-Quellen sinnvoll umzugehen heißt für mich nunmehr, eine Brücke zu schlagen zwischen einstigen und gegenwärtigen Wagner-Diskursen (. . .) Ich will nicht Wagner auf die Schliche kommen, sondern mir selbst und meiner Zeit." Das ist ein Wort! Und Martin Geck hält es, von der ersten bis zur letzten der knapp vierhundert Seiten.

Er erzählt, noch einmal, von der Musik Richard Wagners, von ihrer Wirkung und, sporadisch, von dessen Leben, und zwar von der Warte eines Gelehrten aus, der den Überblick hat, der zugleich ein Musikliebhaber ist und der, drittens, den Selbstmystifikationen seines Gegenstandes von Herzen misstraut. In einem entspannten Geschwindmarsch - dieses Paradox sei ausnahmsweise erlaubt, denn es trifft die Sache - führt Gecks Werk-Biographie in einem lockeren Bogen von Wagners Kindheit und dem ersten überlieferten Bühnenwerk des Vierzehnjährigen ("Leubald. Trauerspiel in fünf Akten") bis hin zu "Parsifal" und dem Tod in Venedig.

Obgleich der kursorischen Kürze halber viele Details weggelassen wurden: man vermisst nichts. Und obgleich sich Geck immer wieder sprunghaft auf Umwege einlässt, Ausflüge in spezielle Sekundärliteratur oder in die aktuelle Aufführungspraxis unternimmt: nie reißt der Erzählfaden. Man kann dieses Buch wie einen Roman durchlesen. Noch schöner lässt es sich als ein Vademecum nutzen, das man ab und zu um Rat fragen kann.

Kaum eine Fußnote im Wagner-Diskurs der letzten Jahrzehnte, die Geck nicht kennte. Zugleich ist er einer der seltenen Musikwissenschaftler, die von dem Ehrgeiz beseelt sind, auch komplexere musikalische Zusammenhänge und sogar Widersprüchliches so darzustellen, dass auch ein Nicht-Musikwissenschaftler etwas damit anfangen kann. So weist Geck beispielsweise in den "Meistersingern" allerhand Unstimmigkeiten nach, die er darauf zurückführt, dass Wagner mit diesem Werk "auch über die öffentlichen Zustände dozieren wollte." Anschließend zitiert er den Komponisten Peter Cornelius ("Der Barbier von Bagdad"), der unter dem frischen Eindruck der "Meistersinger"-Uraufführung die These aufstellte, dass das Werk der "musikalischen Form" nach eine "zur Oper gewordene Fuge" sei. Eine skurrile Idee.

Geck nimmt sie aber ernst, er bildet das majestätisch-punktierte Meistersinger-Thema Wagners ab neben dem Kopfthema aus dem zweiten Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach, man sieht (und hört) gleich, da gibt es Verwandtschaft - und schon steht die Frage nach dem musikalischen Schaffensprozess im Raum. Wie hat Richard Wagner, den man so gerne einen Dilettanten schalt, überhaupt komponiert?

Aus den Tagebüchern Cosima Wagners weiß man, dass Wagner, obwohl ein nur ein mittelmäßiger Pianist, doch ohne sein Klavier nicht komponieren konnte. Er improvisierte sich am Flügel in Ekstase, bis ihm etwas Passendes in den Sinn kam. "Mechanisch" könne er nicht komponieren, erklärte er gegenüber Cosima: "Mein Musik-Machen ist eigentlich ein Zaubern." Das Klavier, das er in den letzten Lebensjahrzehnten in Bayreuth für diese Zauberei benutzte, war ein Bechstein-Flügel, der später als Übungsflügel an der Karlsruher Hochschule landete: Liszt, Levi, Mottl und viele andere haben in Haus Wahnfried darauf gespielt, auch der "Parsifal" ist an diesem Instrument entstanden.

Dies alles ist zu erfahren aus einem schmalen grünen Bändchen, in dem der Dirigent und Studienleiter am Badischen Staatstheater Frithjof Haas seine Wagner-Vorträge gebündelt präsentiert. Es ist eines der interessantesten Bücher, die das Jubiläum 2013 bislang zutage gefördert hat. Haas ist kein Kritiker und kein Apologet, erst recht kein Trittbrettfahrer, sondern er ist schlicht Sammler von Informationen. Da geht es um die Rehabilitation von Randfiguren des Wagner-Kosmos wie den bereits erwähnten Peter Cornelius, um Felix Mottl und Hans von Bülow.

Aber auch um Wagners rauschhaften Zustand kreativer Ekstase beim "Zaubern" von Musik. Gewiss ist das auch Teil der Wagnerschen Selbstmystifizierung, wie das Samtbarett, der Schlafrock. Haas nimmt aber die von Wagner beschriebene Arbeitsweise, als eine aus dem Sprachduktus entwickelte, ernst, und vergleicht sie mit dem Schaffensprozess von Beethoven, Bach, Brahms, Mozart und Schubert.

Zwei weitere Sammelbände empfehlen sich ihres fundierten Inhalts wegen. Die Texte sind nicht neu, aber sie sind wichtig, streitbar, man sollte sie kennen. Friedrich Dieckmanns emphatische Studie über den revolutionären Wagner der Dresdner Zeit, erstveröffentlicht 2002, ist so brillant wie die über Wagners Schwester Rosalie und die "Feen" oder die subtile Analyse der Wagner-Bilder auf dem langen Weg von der (Selbst)-Karikatur bis zur Fotografie, die Dieckmann zwei Jahre zuvor für ein Programmbuch der Lindenoper verfasst hat.

Jens Malte Fischers Dokumentation zu Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik" ist zur Zeit vergriffen. Aber jetzt kann man zwei der Vorstudien dazu nachlesen, von 1993 und 2000, und dazu ein scharfes Vorwort aus dem Jahr 2013: Hier lässt Fischer keinen Zweifel daran, dass der Judenhass Wagners deutliche Spuren in dessen Musik hinterlassen habe. Er ruft prominente Zeugen dafür auf, nämlich Gustav Mahler ("ein Wagnerianer, der selbst jüdischer Herkunft war") und dessen Aussagen über den Wiener Mime-Darsteller Julius Spielmann.

Fischer wundert sich, dass fast alle Wagner-Forscher es bis heute fertigbringen, dies zu ignorieren - als wäre ausgerechnet bei Wagner das Werk vom Autor sauber zu trennen. Er selbst dagegen, Fischer, hadert, da er dem Menschen Wagner misstraut, letztlich auch mit dem Werk, er seufzt: "Ein Gran Gewalttätigkeit" gehöre wohl dazu, bei der "Wirkungsmacht eines solchen Genies". Um so beeindruckender seine Studie zu Wagners Sprechgesang und der Geschichte der Wagnersänger.

ELEONORE BÜNING.

Jens Malte Fischer: "Richard Wagner und seine Wirkung".

Zsolnay Verlag, Wien 2013. 320 S., geb., 19,90 [Euro].

Friedrich Dieckmann: "Das Liebesverbot und die Revolution". Über Wagner.

Insel Verlag, Berlin 2013. 235 S., Abb., geb., 22,95 [Euro].

Martin Geck: "Richard Wagner". Biographie.

Siedler Verlag, München 2012. 416 S., Abb., geb., 24,99 [Euro].

Frithjof Haas: "Menschen um Richard Wagner".

Lindemanns Bibliothek im Info Verlag, Karlsruhe 2012. 204 S., geb., 14,80 [Euro].

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»Martin Geck ist ein anspruchsvolles Meisterwerk der Musikwissenschaft gelungen, ein Standardwerk. Eine genussvolle Lektüre für jeden, der sich mit Richard Wagner und seinem Werk auseinandersetzt.« Der Pilger