Der Musikwissenschaftler Hans-Joachim Bauer gilt als einer der intimsten Kenner Richard Wagners. Er will in dieser Biographie nicht das Bild des schwermütig-philosophierenden Musikers nachzeichnen. Vielmehr möchte er die Menschlichkeit in Leben und Werk des Künstlers zeigen. Richard Wagner als witzigen, ironischen Künstler darzustellen und Verbindungen zwischen dieser heiteren Lebenseinstellung und dem daraus entstandenem Werk zu suchen, ist das Anliegen der Autors.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.1995Da kroch Richard Wagner aus dem Ei
Angeblich selbst geforscht: Hans-Joachim Bauers Biographie / Von Dieter Borchmeyer
Ist eine neue Wagner-Biographie eigentlich nötig? Vor fünfzehn Jahren hat Martin Gregor-Dellin eine Lebensbeschreibung vorgelegt, die trotz aller Einwände nach wie vor ein inspirierendes Buch ist. Den Vergleich mit der einzig wirklich bedeutenden Wagner-Biographie von Ernest Newman hält allerdings auch Gregor-Dellins Opus magnum nicht aus. Die Publikation von Newmans vierbändigem Lebenswerk "The Life of Richard Wagner" begleitete das Dritte Reich von Anfang bis Ende (1933-1946) und war eine deutliche Gegenaktion zum nationalsozialistischen Wagner-Kult, aber auch zu dem sechsbändigen "Leben Richard Wagners" aus der Feder von Wahnfrieds Hofbiographen Carl Friedrich Glasenapp (1894-1911).
Jeder Wagner-Biograph steht auf den affirmativen Schultern von Glasenapp, dessen Werk wegen der Aussagen der Zeitzeugen natürlich unentbehrlich bleibt, und den kritischen von Newman. Der neue Biograph Hans-Joachim Bauer, bekannter Wagner-Publizist und Mitherausgeber der Brief-Gesamtausgabe, ist freilich ohne Newmans Biographie ausgekommen. Sie wird nicht ein einziges Mal erwähnt, dafür greift er um so voller in die Register Glasenapps. Gleichwohl verspricht er, "ungewöhnliche Akzente zu setzen". Wagners Gedanken von der "Gefühlwerdung der Vernunft" wolle er nachspüren (das steht auch im Untertitel des Buchs), endlich solle auch "Ernst gemacht werden mit Wagners Humor und Witz als Bestandteil nicht nur seines Charakters, sondern vor allem auch seines musikdramatischen Werks".
Darüber hinaus verkündet der Verlag, hier handle es sich um die erste Wagner-Biographie, "die in Kenntnis der rund 15000 bis heute weitgehend unveröffentlichten Briefe Richard Wagners geschrieben wurde". Notabene: das von Werner Breig und seiner Forschungsstelle an der Universität Bochum erarbeitete Wagner-Briefverzeichnis weiß nur von zirka 10000 Briefen, von denen freilich sehr viele niemandem außer den Besitzern der Autographen bekannt sind. Bauer hingegen kennt angeblich noch 5000 Briefe mehr. Er muß sie unter seinem Bett versteckt haben, denn der Leser seiner Lebensbeschreibung erfährt von ihnen nichts und kaum mehr von der Unzahl der anderen unveröffentlichten Briefe.
Nahezu alles Quellenmaterial, das Bauer verwendet, ist längst veröffentlicht. Man fragt sich, worin die "mehrjährigen Forschungen" bestanden haben sollen, die der Abfassung dieser Biographie laut Umschlagtext vorangegangen sein sollen. Kompilation von längst Bekanntem entspricht auch nicht dem großzügigsten Begriff von Forschung. Die ungewöhnlichen Akzente muß man also mit der Laterne suchen, die "Gefühlwerdung des Verstandes" bleibt eine bloße Vokabel, mit der kaum etwas erklärt wird.
Der wohlbekannte Humor und Witz Wagners leuchtet natürlich aus den Zitaten immer wieder hervor, aber er wird sofort vernichtet, wenn der selber kaum mit Humor begabte Biograph mit ihm "Ernst macht", wie er selbst ankündigt. Wagner: "Im wunderschönen Monat Mai / kroch Richard Wagner aus dem Ei; / ihm wünschen alle, die ihn lieben, / er wäre lieber drin geblieben." Dazu Bauer: "Wagner geht hier so weit, das eigene Lebenswerk für nichtig zu erklären." Kann man witzloser auf diese Verse reagieren?
Doch all das würde man verschmerzen, wenn Bauer eine sonst ertragreiche und lebendige Biographie vorgelegt hätte. Er reiht indessen biographische Fakten aneinander, ohne um sie herum ein psychologisches, intellektuelles, soziales oder politisches Spannungsfeld entstehen zu lassen. Alles bleibt im Privaten, Partikulären stecken, weder Wagner noch irgendeiner seiner Zeitgenossen erhält ein lebendiges Profil. Die großen menschlichen Beziehungen - zu Liszt, Ludwig II., Nietzsche und zumal zu Cosima - werden ohne jede seelenkundliche oder geschichtliche Tiefenschärfe referiert. Nur Schemen geistern durch diese Biographie oder besser: Faktographie. Läßt sich Bauer einmal zu einer psychologischen Deutung oder Wertung herbei, wird es fast immer peinlich.
Besonders schlimm trifft es Nietzsche, "der in Wagner dem verlebendigten Idealtyp eines Genies begegnete", wie der Verfasser mit der ihm eigenen stilistischen Verkrampftheit formuliert. Unbekümmert um ein halbes Jahrhundert quellenkritischer Nietzsche-Forschung und -Edition erlaubt Bauer sich, Äußerungen des Philosophen ausgerechnet nach Glasenapps Biographie zu zitieren und mit Plattheiten wie der folgenden aufzuwarten: es sei Nietzsche ein Ärgernis gewesen, daß Cosima "nicht etwa in die Arme des sie anbetenden Philosophen sank", sondern "in die des um so viel älteren Musikdramatikers".
Rätselhaft ist, wie Bauer zu der Ansicht gelangt, die Freundschaft Nietzsches und Wagners habe "am Neujahrstag 1871 einen Bruch" erlitten - ausgerechnet in der Zeit des herzlichsten Einvernehmens. Ein Beispiel dafür, daß auf die Informationen des so pedantisch-genau wirkenden Biographen nicht immer Verlaß ist. Seinen Augen glaubt man nicht zu trauen, wenn man liest: "Noch bevor der ,Ring' zu Ende komponiert war, kannte Nietzsche Wagners ,Bühnenweihfestspiel', das er später gegen Georges Bizets Oper ,Carmen' ausspielte." Wenn Bauer das Gegenteil meint, stimmt es ungefähr. Überhaupt finden sich in dieser Biographie recht absonderliche Feststellungen. Der junge Wagner habe die "Helden der Französischen Revolution" verabscheut - was, so undifferenziert behauptet, nicht stimmt - und sie "später auf der Bühne mit Spott" überzogen. Wo, um Himmels willen? Sollte Bauer etwa die Satire "Die Kapitulation" meinen, wäre das wieder einmal sehr schief formuliert.
Bauer war Schüler des unvergeßlichen Musikwissenschaftlers Carl Dahlhaus. Das kann man freilich angesichts der Belanglosigkeiten nicht glauben, die er über Wagners Werke zum besten gibt. Von der Musik ist fast nie die Rede, der Leser wird mit Inhaltsangaben abgespeist, deren bürokratischer Stil in allen Scharnieren knirscht. Eine Kostprobe zum Tod Siegfrieds: "Wotans Plan mißlingt also auch mit Einsatz des zweiten Helden, so daß sich lediglich die Götterdämmerung ereignen kann."
Ein Problem für jeden Wagner-Freund sind die so befremdlich vernachlässigten theoretischen Schriften. Über sie kein substantielles Wort in dieser Biographie! Ebensowenig über "Mein Leben", eine der faszinierendsten Autobiographien der deutschen Kulturgeschichte. Sie wird von Bauer weithin einfach kopiert, daher hat er zu ihr natürlich kaum reflektierende Distanz. Auch wer Aufklärung über Wagners Verhältnis zum Judentum, zur Rassenlehre und zum Antisemitismus sucht, geht leer aus: er wird fast nur mit Wagners eigenen Äußerungen bedient.
Bar eines persönlichen Standpunkts, geht Bauer in seinem Material auf, und das hält er sogar für ein Verdienst: "Es ist eine Unart vieler Geisteswissenschaftler, sich interessant zu machen auf Kosten anderer, indem sie ihre eigenen Ideen oder gar ihre Interpretationen und Umdeutungen als die Hauptsache hinstellen." Nein, "eigene Ideen", mit denen er sich interessant machen könnte, hat Bauer in der Tat nicht. So rechtfertigt er, daß seine Biographie zum größten Teil aus - selten analysierten - Zitaten besteht. Mit der Begründung, daß "die meisten Leser nicht ohne weiteres Wagners Autobiographie zur Hand haben", schreibt er, wie gesagt, weite Teile von Wagners "Mein Leben" einfach ab - in einem Fall ganze 24 Seiten am Stück. Nun reicht "Mein Leben" bekanntlich nur bis zum Jahre 1864, aber das bringt Bauer gar nicht in Verlegenheit. Von diesem Jahr an kopiert er genauso ungeniert seitenweise Glasenapps Biographie - auch hier fast ohne Distanz.
Neue Gesichtspunkte fehlen, dafür füllen Banalitäten wie die, daß Wagner "seine Kunst so lebendig und überzeugend wie möglich gestalten" wollte oder daß "jedes Kunstwerk einer künstlerisch-intellektuellen Leistung entspringt und auf die Gefühle des Rezipienten wirkt", Seite um Seite. Das blinde Huhn, hier findet es nicht einmal ein Korn. Wenn es wenigsten stilvoll gackern würde! Doch Bauers Sprache ist die eines Kanzlisten, der nach des Tages Last und Arbeit die Ärmel hochkrempelt: "nichtsdestotrotz", wie seine unermüdlich wiederholte Lieblingsformel lautet.
Kurzum: diese neue Wagner-Biographie ist überflüssig wie ein Kropf, methodisch und inhaltlich antiquiert, in weiten Teilen an einem Forschungsstand von Anno dazumal klebend und als Populärbiographie einfach zu fad.
Hans-Joachim Bauer: "Richard Wagner". Sein Leben und Wirken oder die Gefühlwerdung der Vernunft (Propyläen-Biographie). Propyläen Verlag, Berlin 1995. 640 S., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Angeblich selbst geforscht: Hans-Joachim Bauers Biographie / Von Dieter Borchmeyer
Ist eine neue Wagner-Biographie eigentlich nötig? Vor fünfzehn Jahren hat Martin Gregor-Dellin eine Lebensbeschreibung vorgelegt, die trotz aller Einwände nach wie vor ein inspirierendes Buch ist. Den Vergleich mit der einzig wirklich bedeutenden Wagner-Biographie von Ernest Newman hält allerdings auch Gregor-Dellins Opus magnum nicht aus. Die Publikation von Newmans vierbändigem Lebenswerk "The Life of Richard Wagner" begleitete das Dritte Reich von Anfang bis Ende (1933-1946) und war eine deutliche Gegenaktion zum nationalsozialistischen Wagner-Kult, aber auch zu dem sechsbändigen "Leben Richard Wagners" aus der Feder von Wahnfrieds Hofbiographen Carl Friedrich Glasenapp (1894-1911).
Jeder Wagner-Biograph steht auf den affirmativen Schultern von Glasenapp, dessen Werk wegen der Aussagen der Zeitzeugen natürlich unentbehrlich bleibt, und den kritischen von Newman. Der neue Biograph Hans-Joachim Bauer, bekannter Wagner-Publizist und Mitherausgeber der Brief-Gesamtausgabe, ist freilich ohne Newmans Biographie ausgekommen. Sie wird nicht ein einziges Mal erwähnt, dafür greift er um so voller in die Register Glasenapps. Gleichwohl verspricht er, "ungewöhnliche Akzente zu setzen". Wagners Gedanken von der "Gefühlwerdung der Vernunft" wolle er nachspüren (das steht auch im Untertitel des Buchs), endlich solle auch "Ernst gemacht werden mit Wagners Humor und Witz als Bestandteil nicht nur seines Charakters, sondern vor allem auch seines musikdramatischen Werks".
Darüber hinaus verkündet der Verlag, hier handle es sich um die erste Wagner-Biographie, "die in Kenntnis der rund 15000 bis heute weitgehend unveröffentlichten Briefe Richard Wagners geschrieben wurde". Notabene: das von Werner Breig und seiner Forschungsstelle an der Universität Bochum erarbeitete Wagner-Briefverzeichnis weiß nur von zirka 10000 Briefen, von denen freilich sehr viele niemandem außer den Besitzern der Autographen bekannt sind. Bauer hingegen kennt angeblich noch 5000 Briefe mehr. Er muß sie unter seinem Bett versteckt haben, denn der Leser seiner Lebensbeschreibung erfährt von ihnen nichts und kaum mehr von der Unzahl der anderen unveröffentlichten Briefe.
Nahezu alles Quellenmaterial, das Bauer verwendet, ist längst veröffentlicht. Man fragt sich, worin die "mehrjährigen Forschungen" bestanden haben sollen, die der Abfassung dieser Biographie laut Umschlagtext vorangegangen sein sollen. Kompilation von längst Bekanntem entspricht auch nicht dem großzügigsten Begriff von Forschung. Die ungewöhnlichen Akzente muß man also mit der Laterne suchen, die "Gefühlwerdung des Verstandes" bleibt eine bloße Vokabel, mit der kaum etwas erklärt wird.
Der wohlbekannte Humor und Witz Wagners leuchtet natürlich aus den Zitaten immer wieder hervor, aber er wird sofort vernichtet, wenn der selber kaum mit Humor begabte Biograph mit ihm "Ernst macht", wie er selbst ankündigt. Wagner: "Im wunderschönen Monat Mai / kroch Richard Wagner aus dem Ei; / ihm wünschen alle, die ihn lieben, / er wäre lieber drin geblieben." Dazu Bauer: "Wagner geht hier so weit, das eigene Lebenswerk für nichtig zu erklären." Kann man witzloser auf diese Verse reagieren?
Doch all das würde man verschmerzen, wenn Bauer eine sonst ertragreiche und lebendige Biographie vorgelegt hätte. Er reiht indessen biographische Fakten aneinander, ohne um sie herum ein psychologisches, intellektuelles, soziales oder politisches Spannungsfeld entstehen zu lassen. Alles bleibt im Privaten, Partikulären stecken, weder Wagner noch irgendeiner seiner Zeitgenossen erhält ein lebendiges Profil. Die großen menschlichen Beziehungen - zu Liszt, Ludwig II., Nietzsche und zumal zu Cosima - werden ohne jede seelenkundliche oder geschichtliche Tiefenschärfe referiert. Nur Schemen geistern durch diese Biographie oder besser: Faktographie. Läßt sich Bauer einmal zu einer psychologischen Deutung oder Wertung herbei, wird es fast immer peinlich.
Besonders schlimm trifft es Nietzsche, "der in Wagner dem verlebendigten Idealtyp eines Genies begegnete", wie der Verfasser mit der ihm eigenen stilistischen Verkrampftheit formuliert. Unbekümmert um ein halbes Jahrhundert quellenkritischer Nietzsche-Forschung und -Edition erlaubt Bauer sich, Äußerungen des Philosophen ausgerechnet nach Glasenapps Biographie zu zitieren und mit Plattheiten wie der folgenden aufzuwarten: es sei Nietzsche ein Ärgernis gewesen, daß Cosima "nicht etwa in die Arme des sie anbetenden Philosophen sank", sondern "in die des um so viel älteren Musikdramatikers".
Rätselhaft ist, wie Bauer zu der Ansicht gelangt, die Freundschaft Nietzsches und Wagners habe "am Neujahrstag 1871 einen Bruch" erlitten - ausgerechnet in der Zeit des herzlichsten Einvernehmens. Ein Beispiel dafür, daß auf die Informationen des so pedantisch-genau wirkenden Biographen nicht immer Verlaß ist. Seinen Augen glaubt man nicht zu trauen, wenn man liest: "Noch bevor der ,Ring' zu Ende komponiert war, kannte Nietzsche Wagners ,Bühnenweihfestspiel', das er später gegen Georges Bizets Oper ,Carmen' ausspielte." Wenn Bauer das Gegenteil meint, stimmt es ungefähr. Überhaupt finden sich in dieser Biographie recht absonderliche Feststellungen. Der junge Wagner habe die "Helden der Französischen Revolution" verabscheut - was, so undifferenziert behauptet, nicht stimmt - und sie "später auf der Bühne mit Spott" überzogen. Wo, um Himmels willen? Sollte Bauer etwa die Satire "Die Kapitulation" meinen, wäre das wieder einmal sehr schief formuliert.
Bauer war Schüler des unvergeßlichen Musikwissenschaftlers Carl Dahlhaus. Das kann man freilich angesichts der Belanglosigkeiten nicht glauben, die er über Wagners Werke zum besten gibt. Von der Musik ist fast nie die Rede, der Leser wird mit Inhaltsangaben abgespeist, deren bürokratischer Stil in allen Scharnieren knirscht. Eine Kostprobe zum Tod Siegfrieds: "Wotans Plan mißlingt also auch mit Einsatz des zweiten Helden, so daß sich lediglich die Götterdämmerung ereignen kann."
Ein Problem für jeden Wagner-Freund sind die so befremdlich vernachlässigten theoretischen Schriften. Über sie kein substantielles Wort in dieser Biographie! Ebensowenig über "Mein Leben", eine der faszinierendsten Autobiographien der deutschen Kulturgeschichte. Sie wird von Bauer weithin einfach kopiert, daher hat er zu ihr natürlich kaum reflektierende Distanz. Auch wer Aufklärung über Wagners Verhältnis zum Judentum, zur Rassenlehre und zum Antisemitismus sucht, geht leer aus: er wird fast nur mit Wagners eigenen Äußerungen bedient.
Bar eines persönlichen Standpunkts, geht Bauer in seinem Material auf, und das hält er sogar für ein Verdienst: "Es ist eine Unart vieler Geisteswissenschaftler, sich interessant zu machen auf Kosten anderer, indem sie ihre eigenen Ideen oder gar ihre Interpretationen und Umdeutungen als die Hauptsache hinstellen." Nein, "eigene Ideen", mit denen er sich interessant machen könnte, hat Bauer in der Tat nicht. So rechtfertigt er, daß seine Biographie zum größten Teil aus - selten analysierten - Zitaten besteht. Mit der Begründung, daß "die meisten Leser nicht ohne weiteres Wagners Autobiographie zur Hand haben", schreibt er, wie gesagt, weite Teile von Wagners "Mein Leben" einfach ab - in einem Fall ganze 24 Seiten am Stück. Nun reicht "Mein Leben" bekanntlich nur bis zum Jahre 1864, aber das bringt Bauer gar nicht in Verlegenheit. Von diesem Jahr an kopiert er genauso ungeniert seitenweise Glasenapps Biographie - auch hier fast ohne Distanz.
Neue Gesichtspunkte fehlen, dafür füllen Banalitäten wie die, daß Wagner "seine Kunst so lebendig und überzeugend wie möglich gestalten" wollte oder daß "jedes Kunstwerk einer künstlerisch-intellektuellen Leistung entspringt und auf die Gefühle des Rezipienten wirkt", Seite um Seite. Das blinde Huhn, hier findet es nicht einmal ein Korn. Wenn es wenigsten stilvoll gackern würde! Doch Bauers Sprache ist die eines Kanzlisten, der nach des Tages Last und Arbeit die Ärmel hochkrempelt: "nichtsdestotrotz", wie seine unermüdlich wiederholte Lieblingsformel lautet.
Kurzum: diese neue Wagner-Biographie ist überflüssig wie ein Kropf, methodisch und inhaltlich antiquiert, in weiten Teilen an einem Forschungsstand von Anno dazumal klebend und als Populärbiographie einfach zu fad.
Hans-Joachim Bauer: "Richard Wagner". Sein Leben und Wirken oder die Gefühlwerdung der Vernunft (Propyläen-Biographie). Propyläen Verlag, Berlin 1995. 640 S., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main